Die Logistik der Repression
Die „Zentrale Versorgungsbase für das MfS" in Freienbrink und deren Rolle für die Arbeit der Staatssicherheit in der DDR-Hauptstadt
Christian Halbrock und Susan Pethe
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Ungefähr dort, wo der amerikanische Autokonzern Tesla in Brandenburg einen Produktionsort errichten will, existierte früher eine umfangreiche „Zentrale Versorgungsbase für das MfS“. Das 200 Hektar große Sperrgebiet im Osten Berlins war unzugänglich und erfüllte für die Staatssicherheit mehrere Funktionen, sei es als Logistikzentrum, Ausbildungsstätte, Hundeschule oder Stasi-Kinderferienlager. Auch Postsendungen aus dem Westen wurden hier heimlich geplündert, beschlagnahmte Autos gelagert und Militärgut deponiert. Ein Recherchebericht von Christian Halbrock, der sich beim BStU mit der Geschichte der Liegenschaften des MfS beschäftigt, unter Mitarbeit von Susan Pethe.
Östlich des Berliner Autobahnrings – da, wo der amerikanische Autobauer Tesla seit Frühjahr 2020 sein Werk für Elektroautos errichtet – befand sich bis 1989 ein ausgedehntes Sperrgebiet. Trotz der Tarnung als Übungsplatz der Nationalen Volksarmee war der eigentliche Zweck des weitläufigen Geländes vielen nicht unbekannt: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterhielt hier auf schätzungsweise 200 Hektar, einer Fläche von vielleicht 200 Fußballfeldern, verschiedenste Einrichtungen – unter anderem Lagerhallen, Werkstätten und Kasernen.
Insgesamt 20 Quadratkilometer Wald, eine ca. zehnmal so große Fläche, befanden sich zusätzlich rund um das Objekt in Rechtsträgerschaft des MfS. Das Gebiet erstreckte sich von der Bahnstrecke Berlin-Frankfurt mit dem Bahnhof „Fangschleuse“ im Norden, wo es eigens ein Gleisanschluss für das MfS gab, bis fast nach Spreeau im Süden an der Müggelspree. Das Dorf Freienbrink, ein Ortsteil von Spreeau, geriet durch die expansive Nutzung zunehmend in die Umklammerung des MfS: Nördlich von Freienbrink versperrten Schlagbäume den direkten Weg nach Erkner. Im Dorf entstanden mehrere MfS-Wohnblöcke und eine Bungalowanlage nebst Mehrzweckgebäude und mehrere Baracken, die lange Zeit als Ausbildungsobjekt dienten.
"Dienstkomplex" statt Dienstobjekt
Die Einstufung der gesamten Liegenschaft als Dienstkomplex – im Unterschied zum weniger wichtigen Typus des Dienstobjekts – zeigte an, dass Freienbrink elementare Aufgaben für die Staatssicherheit in der Hauptstadt zu erfüllen hatte. Freienbrink stand auch für das stetige Wachstum des Ministeriums für Staatssicherheit insgesamt. Seit Mitte der fünfziger Jahre bis zum Jahr 1966, als die Entscheidung zum Bau von Freienbrink fiel, hatte sich der Mitarbeiterbestand des MfS mehr als verdoppelt.
Die Staatssicherheit zog, nachdem der Aufbau des Ministeriums weitgehend abgeschlossen war, immer weitere Aufgaben an sich – bereits die 2. Parteikonferenz von 1952 und dann der niedergeschlagene Aufstand vom 17. Juni 1953 führten zu einer massiven Aufwertung. Die Staatssicherheit galt als Garant der Staatsmacht und „Hauptinstrument zur Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“. Um das Ausbautempo aufrechtzuerhalten, aber auch, um den operativen Mitarbeitern den Rücken freizuhalten, und nicht zuletzt auch aus Gründen der Geheimhaltung entstanden im MfS mehrere Baubetriebe, Service- und Versorgungseinrichtungen. Ihr Mitarbeiterstamm und ihre Dienstobjekte erfuhren ebenso eine ständige Erweiterung, so dass auch deren Unterbringung zum Problem wurde und man schließlich ins Berliner Umland auswich.
Tatsächlich war der Dienstkomplex östlich des Autobahnrings geplant als logistisches Rückgrat für die MfS-Zentrale in Ost-Berlin und erfüllte diese Funktion in vielerlei Hinsicht. Mit dem benachbarten Standort in Gosen, westlich des Autobahnrings, den die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) und die Funkaufklärung nutzten, und weiteren Außenobjekten entstand ab Ende der sechziger Jahre ein Netzwerk von MfS-Bauten, die den Charakter der Gegend grundsätzlich veränderten.
Die in und rund um Freienbrink entstehenden Anlagen standen für den expansiven Ausbau des MfS und illustrierten die enormen Dimensionen des Apparates in eindrucksvoller Weise. Das MfS fungierte nicht nur als Geheimpolizei, Inlandsgeheimdienst und Auslandsnachrichtendienst, sondern es war ebenso ein militärischer Verband und ein sich fortwährend vergrößerndes Versorgungsunternehmen für den Unterhalt des MfS-Dienstbetriebs, aber auch offen für zusätzliche Aufgaben wirtschaftlicher Natur. Neben den etwa 30.000 hauptamtlichen Mitarbeitern, ihren Familienangehörigen und den „verdienten“ Veteranen, die es in Berlin gab, mussten Dutzende MfS-Einrichtungen, unter ihnen die Zentrale, eine Bezirksverwaltung und elf Kreisdienststellen am Laufen gehalten werden.
Bald erwirtschaftete Freienbrink aber auch selbst volkswirtschaftliche Ressourcen. Für beide zuletzt genannten Funktionen des MfS – die militärische und die versorgungstechnische – steht der Dienstkomplex in Freienbrink östlich von Berlin. An seiner Stelle erstreckt sich heute das kommerziell genutzte Güterverkehrszentrum Freienbrink, das sich der vom MfS aufgebauten Infrastruktur für heutige Logistikaufgaben bedient. Viele der damals entstandenen Anlagen – unter anderem die beiden imposanten Regal-Lagerhallen tschechischer Fabrikation – erfüllen bis heute ihre Funktion. Nördlich davon, hin zum Alten Frankfurter Postweg, dort wo Tesla seine Fabrik errichtet, befand sich hingegen lediglich Wald, der – in Rechtsträgerschaft des MfS – den Dienstkomplex zur Autobahn und nach Norden hin abschirmte.
Struktur des Dienstkomplexes „BM“ (Freienbrink) im Jahr 1989
Ende 1989 bestand das weitläufige Areal aus sechs separaten Sektoren. Separat bedeutete, jeder Bereich war gesondert gesichert und umzäunt, hatte einen eigenen Zugangsbereich, verfügte über einen eigenen Wasserbrunnen und erhielt – soweit erforderlich – ein eigenes Heizhaus. Insgesamt gab es hier ca. 35 Lagerhallen, unterirdische Tanks, umfangreiche Werkstätten und zehn getarnte geräumige oberirdische „Fertigteilbunker“ für militärisches Equipment.
Hinzu kam ein eigener Autobahnanschluss an den Berliner Ring. Auf sechs Gleisen manövrierte eine stasi-eigene Rangierlok Waggons mit Brennstoffen, Kollermasse und jährlich mehr als 200 Großcontainern an ihren Bestimmungsort. Zuständig für die Oberaufsicht zeichnete eine eigens eingerichtete Objektkommandantur in der Verantwortung der Verwaltung Rückwärtige Dienste (VRD) des MfS. Sie residierte in einem dreigeschossigen Plattenbau im sogenannten Sektor „BM 1“. Nebenan gab es eine objekteigene Poliklinik für die etwa 500 Mitarbeiter und Wachsoldaten.
Wie sich das zur Kennzeichnung der sechs Sonderbereiche, von 1 bis 6, benutze Kürzel BM auflösen lässt, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Anzunehmen ist, dass das B von der Dienstbezeichnung der Hauptverwaltung Beschaffung/Versorgung und Betreuung, kurz der HV B, stammt, dem Vorläufer der Verwaltung Rückwärtige Dienste. Da jene ihre Objekte ursprünglich mit Buchstaben versah, kam vermutlich zum B das M hinzu. Außerdem war das für Freienbrink naheliegende F bereits zugunsten des Dienstkomplexes Falkenberger Straße in Berlin-Hohenschönhausen – dem DK F – vergeben worden.
Dort am Güteraußenring der Bahn befand sich das Zentrallager Berlin des MfS nebst einer Erfassungsstelle der AG Asservate, zudem ein Bauhof, ein Containerstellplatz und anderes mehr. Bald reichte der Platz nicht mehr aus, so dass die Entscheidung fiel, in Freienbrink weitere Lagerflächen zu erschließen.
In den Planvorlagen für das Investitionsvorhaben von 1968/69 wird als Ziel die „Verbesserung der materiell-technischen Versorgung … für verschiedene Diensteinheiten … im Raum Berlin“ benannt. Mit dem Verweis, dass dies „auf langfristiger Grundlage“ geschehen solle, deuteten die Planer an, dass dazu ein Ort auszuwählen sei, bei dem man nicht wieder innerhalb kürzester Zeit bei der Erweiterung der Anlagen an Grenzen stoßen würde. Das weitläufige Gebiet rund um Freienbrink schien hierzu alle Voraussetzungen zu bieten. Welche Bedeutung Freienbrink zukam, lässt sich daran ablesen, dass das knapp 260 Millionen Mark der DDR umfassende Bauprojekt als „eines der bedeutendsten Vorhaben“ im „Perspektivplanzeitraum[es]“ bis 1974 im Großraum Berlin eingestuft wurde.
Mit seinen etwa 500 in Freienbrink beschäftigten Mitarbeitern inklusive der hier stationierten Wachsoldaten erwies sich die Staatssicherheit rund um Erkner als einer der größten Arbeitgeber. Der volkswirtschaftlich wichtige VEB Plasta Kunstharz und Pressmasse – hier rührten Chemiker die technischen Formmassen und Phenolharze für den Trabant zusammen – beschäftigte in Erkner annähernd die gleiche Zahl an Angestellten. Die Stasi-Mitarbeiter wohnten, sofern sie nicht in den Stasi-Häusern in Freienbrink selbst unterkamen, meist in eigenen Wohnblöcken in Erkner.
Inbesitznahme ab 1967
Mit dem Erwerb von zwanzig Flurstücken in der Gemarkung Spreeau begann die Staatssicherheit östlich des Autobahnrings ab dem Jahr 1967 eine Erschließung des riesigen Areals – mit einschneidenden Folgen. Fortan galt das Gebiet als Sperrzone. Mit höchster Priorität trieb das MfS zunächst die Tarnung und Abschottung des Geländes voran – niemand Außenstehendes sollte erfahren, was im Wald von Freienbrink vor sich geht. Die Folgen waren für die Ortsansässigen einschneidend: Mit der Sperrung des Waldes und des Verbindungsweges nach Erkner mussten die Dorfbewohner nun große Umwege in Kauf nehmen.
Auch die Kampfgruppenverbände der SED-Parteibetriebe wie die des Neuen Deutschlands, die bis dato ihre Übungen hier abhielten, mussten zurückstecken. Die SED-Bezirksparteileitung Berlin sollte dafür sorgen, dass ab sofort keine Übungen mehr in dem vom MfS erworbenen Wald stattfanden. Gleichzeitig wurde ein Campingplatz, der sich westlich „an der Autobahnabfahrt“ Freienbrink befand, aufgelöst und der Autobahnparkplatz, der hier lag, zehn Kilometer „Richtung Süden“ verschoben. Drei sich ebenfalls hier befindende Gebäude – ein Wohnhaus und zwei Ferienheime – gingen in den Besitz des MfS über. Sie dienten fortan MfS-Mitarbeitern als Urlauberdomizil. Für den entsprechenden Nachdruck bei den „Kaufverhandlungen“ sorgten der Vorsitzende des Rates des Kreises Fürstenwalde und die Plankommission sowie die „territorialen Organe“. So gelangte das MfS auch in den Besitz mehrere landwirtschaftlicher Gebäude in der Ortslage Freienbrink. In dem von Pfälzer Kolonnisten im 18. Jahrhundert gegründeten Dorf blieben von den alten Bauergehöften lediglich zwei bestehen.
Bereits 1968 setzten nördlich von Freienbrink die Erschließungs- und Bauarbeiten ein. Im später als „BM 2“ bezeichneten Sektor errichteten tschechische Monteure zwei Großraumhallen vom Typ Ostrava. Zum Einsatz gelangten hier Regalsysteme, die ein effizientes Lager-Management ermöglichten. Während selbst in Schwerpunktbetrieben der DDR-Volkswirtschaft Materialien oft bei Wind und Wetter auf den Betriebshöfen lagerten, erhielt die Staatssicherheit in Freienbrink Neubauten aus dem DDR-Sonderkontingent. Auch in den anderen BM-Sektoren entstanden Lagerhallen, zum Teil sogar, ohne dass vorab eine Baugenehmigung beim kommunalen Bauamt eingeholt worden war. Auch die aus Gründen der Konspiration in den fünfziger Jahren eingerichtete stasi-eigene Bauaufsichtsbehörde wurde nicht hinzugezogen. Das weitläufige Sperrgebiet schuf anscheinend das Gefühl einer eigenen Sphäre, in der die grundsätzlich für alle Bauträger erforderlichen Verfahren auch mal in Vergessenheit gerieten.
So verhielt es sich unter anderem im Sektor „BM 5“, wo man mit dem Bau von drei Hallen begann. Bald stellte sich auch hier die Frage, wo die neu hier anfangenden Mitarbeiter wohnen sollten. Da wie überall in der DDR auch rund um Erkner der Wohnraum knapp war, entschied sich das MfS, in Erkner und Freienbrink Betriebswohnungen für die eigenen Mitarbeiter zu errichten. Mit dem Bau von zwei MfS-Wohnblöcken mit je 24 Wohneinheiten Ende 1973 und der Übernahme eines Einfamilienhauses in der Dorfaue 86 in Freienbrink und dessen Nutzung als MfS-Ledigenheim wandelte sich der Charakter des Dorfes gänzlich. Mit ihnen gründete sich am Ort auch eine jener DDR-typischen Garagengemeinschaften zur nachbarschaftlichen sozialistischen Selbsthilfe, die auch MfS-Mitarbeitern nicht fremd war, errichteten sie doch etwa vierzig Unterstellboxen für ihre Privatautos in Feierabendarbeit.
Die Bewohnerschaft vor Ort änderte sich grundsätzlich, und der Ort glich von Jahr zu Jahr mehr einer MfS-Ansiedlung, zumal es mit dem als BM 6 bezeichneten Objekt eine Stasi-Einrichtung mitten im Dorf gab.
Noch 1973 erhielt der Dienstkomplex Freienbrink eine weitere Funktion und wurde so zum festen Bestandteil der „langfristige[n] militär-ökonomischen Planung“ des MfS: Der Kommandeur des Wachregiments Berlin „Feliks Dzierzynski“, Oberst Elsner, fordert in einem Schreiben, dass „beim weiteren Ausbau“ von Freienbrink „die Belange des WR [Wachregimentes] zur Unterbringung und Einlagerung der Truppenvorräte […] zu berücksichtigen“ sind. Elsner verlangte die Errichtung umfangreicher Anlagen, von Lagerhallen für Bewaffnung und Pionier-Gerät sowie den Bau von 850 Abstellplätzen für Militärfahrzeuge.
Eigener Eisenbahn- und Autobahnanschluss
1974 waren die logistischen Anforderungen an den Komplex mittlerweile so hoch, dass ein Anschluss an die Bahnstrecke Berlin-Frankfurt/Oder mittels eines eigenen Gleises erfolgte. Das Hennigsdorfer Schienenfahrzeugwerk liefert dazu die passende Lokomotive vom Typ V 60-D für den von der Verwaltung Rückwärtige Dienste betriebenen Rangierbahnhof. Ab sofort oblagen die Reichsbahnmitarbeiter in Erkner und Fangschleuse einer besonderen Obacht. Mit verdeckten regelmäßigen Sicherheitschecks im Rahmen der Überprüfung "Wer ist wer?" wollte das MfS fortan sicher gehen, dass es hier keine sicherheitspolitischen Schwachstellen gab. Entsprechend drängte man die Reichsbahndirektion auf eine personelle Besetzung der Stellwerke mit politisch zuverlässigen Eisenbahnern.
Einen weiteren Expansionsschub erbrachten die Jahre 1977/78: Im Jahr 1977 fiel die Entscheidung des VRD-Leiters, Oberst Müller, den „Dienstkomplex Freienbrink als Schwerpunkt der Lagerwirtschaft […] weiter“ auszubauen. Das gesamte Gelände sollte dementsprechend bis 1984 verkehrs- und versorgungstechnisch erschlossen werden. Dort, wo sich vorher noch Waldwege und Kiefern befanden, entstanden Betonstraßen; als Erschließungsachse diente die für den öffentlichen Verkehr gesperrte einstige Landstraße Freienbrink–Erkner.
In diesem Zusammenhang drängte Oberst Müller auf eine eigene Autobahnabfahrt. Den Ausschlag gab auch hier die Objektabschirmung. In seiner Begründung hieß es: „Aus Gründen der Sicherheit und des Geheimnisschutzes ist für den Lagerkomplex ... eine separate Anbindung … zu realisieren. Damit wird verhindert, daß Fremdanlieferer einen Gesamtüberblick über das Objekt BM erhalten.“ Die Umsetzung sollte bis 1981 dauern. Da es sich um „keine offizielle Ausfahrt“ handelte, erschien die Anschlussstelle selbstredend auch auf keiner DDR-Autokarte. „Um die Abwicklung dienstlicher Aufgaben im Sicherstellungsbereich […] in diesem Raum zu gewährleisten“, schlug die Verwaltung Rückwärtige Dienste im September 1978 vor, die „für den öffentlichen Durchgangsverkehr gesperrte Abfahrt am km 33 […] durch Hinweisschilder Erkner/Ausbau“ zu kennzeichnen.
Eine besondere Herausforderung stellte die Bewachung eines so großen Areals dar – dies allein schon deshalb, weil es dafür kaum genügend Wachposten gab. Aus diesem Grunde erfolgte nur eine Einzäunung der eigentlichen Lager- und Dienstobjekte und Anlagen, während an der Außengrenze des MfS-Sperrgebietes Schilder vor einem Betreten des Geländes warnten. Weitgehend handelte es sich um Waldflächen, in denen sich wie im Forst nördlich des Alten Frankfurter Postweges, im nördlichen Teil des Sperrgebietes, dennoch Einzelobjekte befanden. Hier lag unter anderem „eine ominöse Bungalowsiedlung“. Die im Holzfällerstil gehaltenen Hütten waren unterkellert, hatten eine Ölheizung und ließen sich selbst im Winter bewohnen. Auch andernorts im Forst täuschte die vermeintliche Ruhe. Zwischen Kiefern errichteten Stasi-Bautrupps zwischen Freienbrink und Spreeau nahe der Gemarkung "Jagen 9" Anfang der 1970er Jahre einen Schießplatz für das Training an Kleinkaliberwaffen.
Die eigentlichen Sperranlagen wurden ergänzt durch Stacheldraht, Sichtblenden, Beleuchtungsmasten, fünf Postentürme, sechs bis sieben Meter breite Spurenkontrollstreifen. Hinzu kamen ein drei Meter breiter Kolonnenweg und davor ein vier Meter breiter Rodungsstreifen. Vier von Wachposten gesicherte Zufahrten und mehrere Wachtürme – einer von ihnen ist heute noch im Wald hinter dem dort jetzt befindlichen EDEKA-Warenlager zu besichtigen – umgaben einst den Dienstkomplex.
Todesschuss aus Langeweile
Für den eigentlichen Objektschutz verantwortlich zeichnete die Diensteinheit 87 – die kasernierte Wacheinheit der Verwaltung Rückwärtige Dienste, die im „BM 1“ zwei Kasernen, einen Verpflegungsstützpunkt und ein Sozialgebäude besaß. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend – schließlich bewachte sie Lagerhallen mit in der DDR nur schwer zu beschaffenden Baumaterialien – verfügte sie über eine eigene Diensthundestaffel. Zum 1. Januar 1989 wurde die Diensteinheit 87, wie die bis dahin selbstständigen Wachmannschaften der anderen Diensteinheiten auch, in das Wachregiment Berlin „Feliks Dzierzynski“ eingegliedert. Wie in anderen MfS-Objekten vollzog sich der tägliche Wachdienst eher zäh und bot wenig Abwechslung. So kam es immer wieder zu disziplinarischen Vorfällen unter den eingesetzten jungen Rekruten. Einige Tage kurz nach Weihnachten 1980 erschoss ein Soldat während des Wachdienstes an der Zufahrt zu einem der Warenlager einen anderen Posten. Aus Langeweile hatten sie im Dienst immer wieder bestimmte Situationen spielerisch nachgestellt. Mit vorgehaltener Pistole malten sie sich aus, wie sie als Vernehmer mit ihren imaginären Opfern umspringen würden. Das Rollenspiel, bei dem sich versehentlich der tödliche Schuss löste, hatten sie ausgerechnet nach einer beliebten bundesdeutschen Fernsehserie, dem „Tatort“, benannt. Als potenziellen zukünftigen Stasi-Mitarbeitern war den Rekruten das bundesdeutsche Fernsehen eigentlich untersagt.
In den achtziger Jahren setzte sich die Expansion des Dienstkomplexes weiter fort. Bereits seit den siebziger Jahren befand sich in Freienbrink einer von zwei zentralen Kohlenlagerplätzen der Verwaltung Rückwärtige Dienste für den Kohleumschlag, die Bevorratung und Belieferung der Berliner Diensteinheiten und Dienststellen. Aber auch die Ölreserve der Staatssicherheit lagerte hier: Im Jahr 1982 erfolgte die Inbetriebnahme des Reservetanklagers des MfS für 306 Kubikmeter Vergaser- und 102 Kubikmeter Dieselkraftstoff. Die beiden Erdtanks fassten „je 200 000 Liter DK [Dieselkraftstoff] und VK [Vergaserkraftstoff]“. Im Ernstfall wollte die Staatssicherheit schließlich nicht auf dem Trockenen sitzen bleiben.
Im Grunde verhielt sich die Staatssicherheit jedoch kaum anders als andere Bedarfsträger in der DDR – wenn auch in viel größerem Stil. Angesichts immer wieder auftretender Versorgungsengpässe der DDR-Volkswirtschaft gingen öffentliche Einrichtungen und größere Betriebe vermehrt dazu über, ganze Chargen eines Produktes zu bestellen und einzulagern. In diesem Sinne stapelten sich auch in Freienbrink beim MfS nicht nur Brennstoffe und militärisches Gerät; ebenso gab es Lagerplätze für Baumaterialien, mehrere Möbellager und sogar eine Halle für die medizinische Belieferung der Stasi-Polikliniken und MfS-eigenen Krankenstationen.
„Investitionsvorhaben Hundezwinger“
Darüber hinaus wurden weitere Dienstgebäude, Lagerhallen und Werkstätten errichtet. Im Jahr 1982 fiel die Entscheidung zum „Investitionsvorhaben Hundezwinger“. Für die Abteilung Fahndung der Hauptabteilung VII (Innenministerium, Volkspolizei) entstanden im Folgenden 15 Hundegehege nebst fünf Quarantänezwinger, Trainingsanlagen und ein Sozialgebäude für die Hundeführer. Neben der Zwingeranlage in Berlin-Adlershof sollte die Abteilung Fahndung in Freienbrink ihren zweiten zentralen Stützpunkt für ihre Einsätze in der Hauptstadt erhalten. In einer Baracke schulte man die Hunde in der „Geruchsdifferenzierung“; hier lagerten auch die entsprechenden Geruchskonserven, zusätzlich gab es Übernachtungsplätze für die Mitarbeiter.
Die Ausbildung der Diensthunde erfolgte nicht nur für ihren Einsatz im Bereich der Zoll- und Grenzkontrollen. Laut der von der HA VII erstellten Konzeption für den Aufbau des Diensthundewesens (DHW) des MfS vom Februar 1989 sollten die Fährtenhunde auch eingesetzt werden können, bei „der Tätersuche bei anonymer und pseudonymer Hetze“, wenn dabei „technische Hilfsmittel“ wie „Stempel, Druckmaschinen, Kopiergeräte, Drucker, Plotter usw.)“ verwendet worden waren. Konkret ging es also um die Suche nach den Urhebern von Flugblättern und politischen Losungen an den Wänden der Hauptstadt, deren Spurensicherung und die Unterstützung bei der Fahndung und Festnahme.
Angesichts der vom MfS bestellten großen Warenmengen entschieden sich verschiedene Hersteller, den Transport vermehrt mittels Container abzuwickeln. Um dem zu entsprechen, entstand in den Jahren 1984/85 in Freienbrink ein Großcontainer-Umschlagplatz. Hier wurden die über den MfS-eigenen Rangierbahnhof und per Straße angelieferten Container zwischengelagert bzw. deren Waren nach ihrer Entladung in die entsprechenden Lagerhallen weitergeleitet.
Unter den Bauten, die im Weiteren projektiert wurden, sticht vor allem ein Projekt hervor, dessen Zweck es war, die im MfS anfallenden Papiermengen „fachgerecht“ zu entsorgen. Akribisch achtete man beim MfS darauf, den Weg eines jeden Dokuments, das im Ministerium je erstellt worden war, nachzeichnen zu können. Kein Schriftstück sollte unkontrolliert nach außen gelangen oder in unbekannten Kanälen verschwinden. Um dies zu garantieren, waren alle Schreiben, Auskunftsberichte, Belege usw., die nicht mehr aufgehoben werden mussten, fortlaufend zu vernichten, was ebenfalls zu dokumentieren war.
Da die dabei anfallenden Papiermengen jede Verbrennungsanlage schlichtweg überfordert hätten und das Papier noch als Sekundärrohstoff genutzt werden sollte, blieb als Alternative nur die mechanische Zerkleinerung. In vielen Büros gab es dafür eigens einen Häcksler um die überflüssigen Arbeitsbelege zu schreddern. Doch genügte das Verfahren nicht den Erfordernissen des Geheimnisschutzes, nach dem die einzelnen Überbleibsel soweit zerstört werden mussten, dass sie von niemandem mehr zusammengesetzt werden konnten. Aus diesem Grund ging man dazu über, das Papier, bevor es das Ministerium verließ, unter Zusatz von Wasser unwiederbringlich zu zerkleinern. Am Ende blieb eine verklumpte feuchte Masse zurück, die kurz als Kollermasse bezeichnet wurde.
Zwischenlager für vernichtete Stasiakten
Ab 1988 gewannen die Planungen für ein zentrales Kollermasselager für die Berliner Zentrale, die Bezirksverwaltung und andere in Berlin ansässige Dienststellen an Kontur. Gedacht war an ein Zwischenlager für Kollerstoffe mit einem Fassungsvermögen von 500 bis 600 Tonnen. Notwendig wurde dies durch die technischen Begrenzungen bei der Vernichtung von Unterlagen: In den Berliner MfS-Objekten fielen in den achtziger Jahren jährlich knapp 1.000 Tonnen Kollermasse an. Über 600 davon wurden an die Papierfabrik Merseburg geliefert. Jene sollten zukünftig nicht mehr per LKW direkt, sondern per Zug via Freienbrink dorthin gelangen.
Entstehen sollte das Zwischenlager in Freienbrink aber vor allem, weil in der Frostperiode keine Kollermasse an die Papierfabriken geliefert werden konnte: „Die feuchte Kollermasse friert im Transportmittel an und ist somit nicht mehr mit normalen Mitteln zu entladen“, hieß es dazu in einem entsprechenden Memorandum. Hinzu kam, dass sich auch die Weiterverarbeitung im nicht frostgeschützten Wasserbad vollzog und also nicht erfolgen konnte, wenn es Frosteinschlüsse gab. Dementsprechend kam es jedes Jahr ab Anfang November zu einem Rückstau der nicht von den Papierwerken abgenommenen Kollermasse in den Berliner Diensteinheiten. Mit Freienbrink hoffte man, Abhilfe zu schaffen, indem die in den Frostmonaten anfallende Kollermasse bis zum Frühjahr dort einlagerte. Das Zwischenlager sollte 1991 in Betrieb genommen werden.
Die Ereignisse des Herbstes 1989 ließen den Bau schließlich überflüssig werden. Ab Januar 1990 gab es die ersten Überlegungen zur Übergabe von einzelnen Objekten an die DDR-Zollverwaltung. Aufgrund der engen Verzahnung zwischen Passkontrolle, Zoll und Staatssicherheit hätte sich damit nicht allzu dramatisch viel geändert. Schließlich landeten auch diese Pläne in der Schublade. Heute befindet sich an dieser Stelle das von einer kommerziellen Infrastruktur- und Projektentwicklungsgesellschaft betriebene Güterverkehrszentrum Freienbrink, eine Mischung aus neuentstandenen Logistikbauten und alten MfS-Lagerhallen. Nördlich, angrenzend an das Areal entsteht seit 2020 die neue Tesla-Autoschmiede.
Besondere Objekte am geheimen Ort
Die meisten Bereiche des Dienstkomplexes in Freienbrink dienten der Lager- und Vorratshaltung sowie als materielle Basis für die Belieferung der Berliner Dienststellen und Versorgungseinrichtungen des MfS. Hinzu kamen die entsprechenden Werkstätten, Abstell- und Verkehrsflächen. Unter den von „BM 1“ bis „BM 6“ durchnummerierten Sektoren, stachen einzelne aufgrund ihrer besonderen Funktion oder auch Lage hervor. Vor allem „BM 5“ und „BM 6“ hatten ihre eigene Geschichte, aber auch die Sektoren, in denen sich Arbeitsgruppe „Asservate“ der VRD und die „Postkontrolle“ (Abt. M) ausbreiteten.
„BM 5“ kam maßgebliche Bedeutung bei der Bevorratung des MfS für den immer wieder geprobten militärischen Ernstfall zu. Neben dem Dienstgebäude der Abteilung Versorgungsdienste gab es in dem Lagerkomplex zehn Hallen zur Lagerung von Versorgungsmaterialien und Militärtechnik, zwei offene Hallen für militärische Güter und Militärfahrzeuge, für Schanzwerkzeug und größere Mengen „an speziellen militärisch zu verwendenden Suchtmitteln, nicht für zivile Zwecke einsetzbar“, wie es nebulös hieß, zudem militärische „Ausrüstung […] für 29.500“ Mann, „10 Sankra [Sanitärkrankenwagen] B 1000“, eine militärisch-operative Werkstatt und last but not least die bereits erwähnten zehn oberirdischen Bunker für militärisches Equipment. Unweigerlich denkt man bei den erwähnten Suchtmittel an Methamphetamin, das unter dem Namen Pervitin von der Wehrmacht im II. Weltkrieg zur Leistungssteigerung der Soldaten verwendet worden war. Pervitin gehörte auch zum „Verbandmittelsatz“, der von der NVA im Kriegsfall ausgegeben worden wäre.
Auch „BM 6“ unterschied sich von den ansonsten den Komplex prägenden Lagerhallen und Werkstätten. Aufgrund seiner prädestinierten Lage im Ortskern von Freienbrink konnte sich „BM 6“ immer des besonderen Interesses nicht-eingeweihter lokaler Bewohner sicher sein. Noch heute berichten die wenigen verbliebenen Alt-Freienbrinker, dass sich dort, wo sich heute eine Pension für Montagearbeiter befindet, einst die Stasi niedergelassen habe. Ursprünglich handelte es sich um ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude, das nach seiner Übernahme durch das MfS 1968 im DDR-typischen Mehrzweckstil erweitert und umgebaut wurde. Anstelle des Satteldaches bildeten nach der Schleifung der oberen Giebel Wellblechplatten den Dachabschluss. Nach weiteren Um- und Anbauten war kaum mehr zu erkennen, dass es sich ursprünglich um ein altes Gebäude handelte. Der Funktionsbau diente nun als „Mehrzweckgebäude mit Speise- und Veranstaltungssaal und Klubräumen“.
„Militärisches Ausbildungsobjekt"
Zusätzlich begann die Staatssicherheit 1968 auf dem Gelände 15 Fertigteilbungalows vom Typ Wochenendhaus 59 AW 63 zu errichten.Anfangs sollten in ihnen Montagearbeiter aus der CSSR untergebracht werden, die die ersten Lagerhallen erbauten, doch wurde die Anlage nicht rechtzeitig fertig. Nach der Inbetriebnahme erhielten zwischenzeitlich die kasernierten Wachmannschaften der Verwaltung Rückwärtige Dienste „BM 6“ als Unterkunft und Ausbildungsstätte.
Ab Mitte der siebziger Jahre diente „BM 6“ der Hauptabteilung Kader und Schulung (HA KuS bzw. HA KuSch) als „militärisches Ausbildungsobjekt“. Zu dem Zweck errichtete man in den Jahren 1975/76 zusätzlich zu den bereits vorhandenen Bungalows „7 Raumzellen“ vom „Typ Dölbau“ sieben langgestreckte Baracken, wie sie überall in der DDR zu sehen waren. Mitte der achtziger Jahre räumte die Hauptabteilung Kader und Schulung das Gelände wieder und bezog ihr neues Quartier in Dehmsee. Zunächst gab es noch Überlegungen, die Baracken für ein MfS-Pionierferienlager zu nutzten, doch erschien ihre Bausubstanz nach zehn Jahren Nutzung als zu desolat. Sie wurden abgerissen.
188 Ferienlagerplätze
Ab Sommer 1989 diente die Anlage schließlich dem MfS als Pionierferienlager – mit den zusätzlich hier aufgestellten sechs Zelten gab es nun 188 „Ferienlagerplätze“ für den Nachwuchs der MfS-Mitarbeiter. Eine solch große Einrichtung mitten im Dorf war natürlich nicht unproblematisch, so ließ die erste „Beschwerde wegen Lärmbelästigung durch das Kinderferienlager“ nicht lange auf sich warten. Sie hatte jedoch keinen Erfolg: Bis 1995 war geplant, die Kapazität auf über 670 Sommerferienplätze zu erhöhen. Außerhalb der Ferienzeiten stellte das MfS im Mehrzweckobjekt Urlaubsplätze für die eigenen Mitarbeiter bereit. Nach 1990 wurden die 15 Bungalows vom heutigen privaten Betreiber abgerissen und durch ähnliche Bauten ersetzt, so dass die heutige Bebauung dem Zustand aus MfS-Zeiten auf erstaunliche Weise ähnelt.
Asservate: Beschlagnahmte PKW
Die Verwaltung Rückwärtige Dienste kümmerte sich auch für die Lagerung der in anderen Diensteinheiten – zum Beispiel die in der Untersuchungsabteilung (HA IX) – anfallenden Asservate. Größere Asservate, wie beschlagnahmte Autos, Mopeds, Motorräder, Wohnwagen, LKWs und Motorboote kamen in der Regel nach Freienbrink. Im sogenannten BM 2 A – zwischen den heute noch stehenden zwei Regal-Lagerhallen und der Tesla-Ansiedlung – existierten zwei Freilufthallen, in denen die eingezogenen Fahrzeuge standen.
Jeder aufmerksame DDR-Zeitungsleser kannte die gelegentlichen Erfolgsmeldungen der „DDR-Sicherheitsorgane“ über die Festnahme von Fluchthelfern an der Grenze. Die Meldungen machten die Namen der Fluchthelfer selbst den Nichteingeweihten hinlänglich bekannt. Sie hießen Mierendorff, Veinbergs, Welsch oder Fürch und ermöglichten Fluchtwilligen auf verschlungenen Pfaden den Weg aus der DDR. Die SED-Propaganda gab sich tief empört und sprach von „Banden“ – diffamierend lautete der amtliche Terminus Kriminelle Menschenhändlerbande, kurz KMHB.
Was manch einen Leser mehr noch interessierte, war, was mit den von der DDR beschlagnahmten schicken West-Autos geschah: „Die von den Verbrechern benutzten PKW Opel-Ascona ... und Ford“, hieß es zum Beispiel im Juli 1982 im Neuen Deutschland, „wurden beschlagnahmt“. Sie kamen nach Freienbrink zur sogenannten Weiterverwertung: zur Ersatzteilgewinnung und deren Verkauf oder dienten in der Weiternutzung als Tarnung bei verdeckten Stasi-Operationen. Andere Autos wurden wieder zurückgegeben. Ein im Dezember 1977 an der Grenzübergangsstelle Marienborn eingezogenes „Schleusungsfahrzeug“ der Mierendorff-Gruppe, ein Mercedes 280 SE aus Hamburg, wurde laut Protokoll vom Juni 1978 „zerlegt“ und weiterverkauft. Zuvor hatten bereits Diebe, die den Zaun unbemerkt überwinden konnten, das Autoradio, die Lautsprecher „sowie zwei Kopfstützen … entwendet.“
Ähnlich verfuhr die Staatssicherheit bei den Fahrzeugen, die DDR-Bürger bei ihren Fluchtversuchen nutzten. Nach einer dazu vorliegenden „Orientierung“ sollten bei der „Bekämpfung von Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts [...] die Kraftfahrzeuge“, wenn „eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr“ nicht zu erwarten war, verwahrt und wieder zurückgegeben werden. Fiel das Urteil höher aus, konnte das Fahrzeug dauerhaft eingezogen werden. Ebenso verfuhr man, wenn sich abzeichnete, dass der Häftling in den Westen entlassen werden würde und es niemanden in der DDR gab, der Anspruch auf das Auto erheben konnte.
Die Kapazitäten des Geländes der Zentralen Erfassungsstelle für sichergestellte KfZ der Hauptabteilung IX/12 – wie die Einrichtung stasi-intern hieß – erwies sich immer wieder als nicht ausreichend und bedurfte der Erweiterung. Ein entsprechender „Forderungsplan“ von 1977 sprach „von der steigenden Tendenz der anfallenden Kraftfahrzeuge aus strafbaren Handlungen“, die es sicher unterzubringen und vor neugierigen Blicken mittels Sichtblenden zu schützen gelte.
Aktion "Zündspule" 1989
Untergebracht wurden die Fahrzeuge von der Abteilung KfZ-Dienste in „BM 2“ A und „BM 3“. Ab Sommer 1989 führte das MfS unter anderem in der Aktion "Zündspule" die PKW von DDR-Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei und Ungarn wieder zurück in die DDR. Hinzu kamen die an der polnischen Grenze abgestellten Autos. Da die Flächen in Hohenschönhausen und im „BM 2 A“ für die etwa 2.500 PKW bei weitem nicht ausreichten, stellte man die Fahrzeuge zusätzlich auf anderen Flächen in Freienbrink ab. Hunderte von Autos standen zwischen den Fertigteilbunkern von „BM 5“ und selbst in angrenzenden Kiefernschonungen, die noch innerhalb der Objektbegrenzung lagen.
Auch andere Asservate gelangten zur Verwertung nach Freienbrink: So schickte die Hauptverwaltung IX laut Aussage von Militärstaatsanwalt Major Demuth im Jahr 1990 „Gegenstände, die durch Gerichtsbeschluss eingezogen wurden, seit 1984 in das Lager Freienbrink.“ Auch sie gelangten über Umwege in den Handel, wurden im Rahmen der Devisenerwirtschaftung an den Bereich Kommerzielle Koordinierung weitergereicht oder von den eigenen Diensteinheiten genutzt. Zwei japanische Farbfernseher, fünf Videorekorder und 165 Videokassetten aus westlicher Produktion wurden so unter anderem im Mai 1985 der MfS-Bezirksverwaltung Berlin auf deren Wunsch hin überlassen: „Diese Geräte“, so begründete Generalleutnant Schwanitz sein Anliegen, seien „für eine weitere Ausstattung im Objekt 1030 – Operatives Fernsehen – geeignet.“ Schwanitz ließ sich seine Überwachungsanlagen in der DDR-Hauptstadt mit westlicher Technik ausstatten. Ebenso wurde „alles“, was westliche Aussteller „von der Leipziger Messe nicht wieder mitnahmen“, abgeräumt und „nach Freienbrink verbracht.“
Asservate der besonderen Art: „Irrläufer“ im Postverkehr
Zu den besonderen Kapiteln, die sich mit dem Dienstkomplex Freienbrink verbinden, zählt die systematische und großangelegte Ausplünderung von West-Paketen, die als sogenannte Irrläufer in die DDR fehlgeleitet wurden. Zuständig dafür zeichnete die Abteilung M (Postkontrolle), die in ihren vielen konspirativen Objekten Brief- und Postsendungen abfing und heimlich öffnete. Offiziell nutzte die Abteilung M nur zwei zentrale Dienstobjekte: Das Haus 47 in der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg und das „Außenobjekt Freienbrink“.
Die Abteilung M unterstand ihrerseits der Aufsicht der Hauptabteilung II, der Spionageabwehr, unter Generalmajor Günther Kratsch. Eine entscheidende Rolle bei der Verwertung von postalischen Irrläufern aus dem Westen kam der von Kratsch erlassenen Weisung vom 3. August 1984 mit dem Titel „Festlegungen zur Verfahrensweise mit in die DDR fehlgeleiteten Postsendungen aus dem nichtsozialistischen Ausland und operativ interessierenden Staaten“ zu.
Systematische Ausplünderung von West-Paketen
Auf dieser Grundlage begann die systematische Ausplünderungen von West-Paketen in Freienbrink: Es ging, wie der Untersuchungsbericht zu den MfS-Straftaten im Jahr 2006 festhielt, schlichtweg um die „umfassende und flächendeckende Herauslösung aller Irrläufer aus dem Postverkehr und ihre anschließende Verwertung zu Gunsten des Staatshaushaltes“. Laut Untersuchungsbericht wurden die „anfallenden Irrläufer in gesonderte Arbeitsräume der Abteilung M [...] nach Freienbrink verbracht“. Nach der Öffnung übergab die Abteilung M der Arbeitsgruppe Asservate den verwertbaren Inhalt. Aufgabe der Arbeitsgruppe Asservate war es, das Raubgut zu Geld zu machen. Die betreffenden Arbeitsräume nebst Verbrennungsanlage für die nicht verwertbaren Gegenstände, die anfallenden Kartons und Verpackungsmaterialien befanden sich ebenso in „BM 2“. Mit der Weisung von 1984 erweiterte sich das Arbeitsaufkommen sprunghaft. Wurden vor 1984 nur einzelne Pakete und Päckchen nach dem Röntgen und wenn der Inhalt interessant erschien, „aufgelöst“, wurden mit dem Inkrafttreten von Kratschs Weisung alle Irrläufer nach Freienbrink umgeleitet: So war es kein Wunder, dass die Abteilung M des MfS und die Arbeitsgruppe Asservate der VRD ausgerechnet 1985 zusätzlichen Raumbedarf im „BM 2“ anmeldeten.
Die „Fehlleitungen“ erfolgten aufgrund der „numerischen Übereinstimmung“ mehrerer Post-Leitzonen der DDR und der Bundesrepublik. Eine Postsendung die mit einer „2“ in der Postleitzahl begann und für den Großraum Hamburg bestimmt war, konnte – was immer wieder geschah – versehentlich in den Großraum Rostock fehlgeleitet werden. Auch andere Leitzonennummerierungen in den beiden deutschen Staaten stimmten miteinander überein. Dresden samt Umgebung teilte sich mit der bayrischen Landeshauptstadt und dem Münchener Umland die „8“.
So gab es „im Jahre 1983“ allein im Bezirk Dresden „insgesamt 3.398 Paket- und Päckchensendungen“, die irrtümlich in die DDR gelangten und so der Stasi in die Hände fielen. Täglich gab es im Bezirk Dresden im Durchschnitt 11 und zu Weihnachten und Ostern „42 Irrläufersendungen“ aus der Bundesrepublik. Begünstigt wurde der Postraub, weil die „Bundespost nicht in der Lage war, die Fehlleitung der Sendungen nachzuweisen und zu erfassen“.
Im Jahr nach dem Erlass der Plünderungsanordnung wurden in Freienbrink, wie es im Amtsdeutsch hieß, 32.420 fehlgeleitete „Kleingutsendungen [...] aufgelöst“. Unter dem entwendeten Gut befanden sich ein Winkelschleifer und eine Kettensäge, zudem 32 Kaffeeautomaten, 1.380 Kilogramm Kaffee, knapp 8.000 Packungen Konfekt, etwa 5.000 Konserven, zudem Uhren, Ketten, Armbänder und vieles andere mehr.
Im darauf folgenden Jahr belief sich die Zahl der „aufgelösten“ Sendungen auf 23.000. Die Liste der entnommenen und nützlichen Gegenstände liest sich nicht minder beeindruckend. Das MfS erwirtschaftete so auf seine Weise materielle wie finanzielle Ressourcen und leistete seinen Beitrag zur DDR-Volkswirtschaft. Die dabei errungenen „Erfolge“ mochten anrüchig und in finanzieller Hinsicht letztlich überschaubar sein. In einem Land, in dem um jedes Gramm, jede Mark und jede Sekunde täglich gekämpft wurde, hatte diese Praxis seine Relevanz.
Die Bilanzierung erweist sich dabei als nur schwer nachvollziehbar – oft wurden die Zahlen nicht klar von den Verkaufserlösen der AG Asservate aus dem Zentralen Lager der Zollverwaltung in Berlin-Rummelburg und den illegalen Entnahmen der Abteilung M bei der Postkontrolle getrennt. Laut dem Untersuchungsbericht zu den MfS-Straftaten von 2006 entstand durch die Postplünderung in Freienbrink von August 1984 bis Oktober 1989 ein Gesamtschaden in Höhe von 10.210.000,- Mark der DDR. Legt man einen Bericht der MfS-Abteilung Finanzen aus dem Jahr 1985 zugrunde, ergibt dies in der Hochrechnung bis 1989 einen Wert von knapp 8 Millionen Mark der DDR. Auch dies mochte die DDR-Volkswirtschaft kaum zu retten. So hätte es mehr als 150 Jahre bedurft, um die Investitionssumme, die für den Bau von Freienbrink vom MfS einst in Anspruch genommen wurde, durch den Postraub, der aber selbstredend nicht das einzige Business der Staatssicherheit in Freienbrink war, wieder „einzuspielen“.
Konfiszierte Westgüter für Eigenversorgung und SED-Gästehaüser
Oft ging es nur um den Glanz des Seltenen aus der offiziell ideologisch zwar verteufelten, doch verführerisch glitzernden westlichen Welt. Nicht selten diente die Ware schlichtweg zur Eigenversorgung oder wurde herangezogen, um die Gästehäuser der SED und des MfS auszustatten. Wie der Frankfurter DDR-Militärstaatsanwalt Major Demuth Anfang 1990 mitteilte, wurden „MfS-Einheiten und der Bereich Kommerzielle Koordinierung“ mit brauchbaren Entnahmen aus Freienbrink beliefert. Über verschlungene Wege, unter anderem die HO Eberswalde, gelangten die Gegenstände ebenso in den Handel und sollten so bestehende Defizite der DDR-Volkswirtschaft ausgleichen helfen. Bereitgestellt werden konnten somit auch „Medikamente und sonstige Arzneimittel“, die dem MfS-eigenen Zentralen Medizinischen Dienst zur „Verwertung […] als Kilo-Ware übergeben“ wurden.
Unter den herausgefischten Materialien befanden sich regelmäßig auch vertrauliche und geheime Unterlagen, die bundesdeutsche Behörden unbedacht der Bundespost anvertraut hatten. So in den Jahren 1985/86 „Akten des Wehrbereichskommandos II der Bundeswehr in Hannover“ und Unterlagen „über die Marienfunkstelle Hürup“ und sogar ein „Kleinstcomputer mit gespeicherten NATO-Daten“. Sie fielen mit den fehlgeleiteten Postsendungen der Staatssicherheit in die Hände.
Die Arbeitsgruppe Asservate der Verwaltung Rückwärtige Dienste des MfS half mit ihrem Postraub in Freienbrink nicht nur die Bilanz der DDR-Volkswirtschaft aufzubessern und stattete die Abteilung Finanzen nach dem Verkauf des Raubgutes mit finanziellen Mitteln aus. Auch wurden mit den entnommenen Gegenständen die Urlaubstage von Nomenklatur-Kadern und verdienten Genossen versüßt. Mit den herausgefischten geheimen bundesdeutschen Dokumenten leitete die Diensteinheit zudem einen erwähnenswerten Beitrag zur Auslandsspionage, der ansonsten nur mit viel höherem Risiko zu erlangen gewesen wäre.
Zitierweise: "Die Logistik der Repression“, Christian Halbrock unter Mitarbeit von Susan Pethe, Spezial-Recherche der Stabsstelle PrO beim BStU, in: Deutschland Archiv, 19.6.2020, Link: www.bpb.de/311677
Christian Halbrock, Dr. phil., Historiker und Ethnologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abt. Bildung und Forschung der Stasi-Unterlagenbehörde, Berlin. Susan Pethe ist Mitarbeiterin Spezial-Recherche in der "Stabsstelle PrO" beim Externer Link: BStU.
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