Die Mauer von Osten...
...heimlich fotografiert in Ost-Berlin 1986/87
Detlef Matthes
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Das Bild der Mauer ist heute sehr geprägt von der Buntheit ihrer Reste, wie an der East Side Gallery in Berlin-Friedrichshain entlang der Spree. Bunt war sie dort aber nie. Sie war grau und weiß, damit sich potenzielle Flüchtlinge davor besser abzeichnen. Schilder mit der Aufschrift "Grenzgebiet - Betreten verboten" machten deutlich, hier ist Schluss. Die Mauer zu fotografieren war verboten. Der Ostberliner Fotograf Detlef Matthes hielt sie daher heimlich mit der Kamera fest - sie war für ihn eine Art Sehnsuchtssymbol, denn dahinter lag unerreichbar der Westen.
Im Zeitraum von 1984 und 1987 habe ich angefangen mich intensiver mit der Berliner Mauer zu beschäftigen, die die DDR auf ihrem sowjetisch besetzten Ostberliner Grund und Boden gebaut hatte. Ich wollte wissen, wie es hinter der innerstädtischen Mauer aussieht, um nach Westberlin blicken zu können, denn nach Westberlin hat mich die DDR-Regierung nicht gehen lassen.
Sich ein eigenes Bild vom anderen Teil Berlins, von diesem ominösen und vielversprechenden Westberlin, oder der BRD - machen zu wollen, genehmigte die DDR-Regierung nur wenigen ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern. Da ich oft im Westfernsehen gesehen habe, dass die Mauer an Westberliner Seite bemalt war, wollte ich herauszufinden, ob das an der Ostberliner Seite auch so sei. Doch dem war bei Weitem nicht so, sie war weiß/grau.
Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass einige wenige Leute in der DDR mich daran hinderten, dahin zu gehen, wo ich hin wollte. Und ich wollte eben nach Westberlin. Nicht nur die Mauer stand mir im Weg sondern eben fremde Leute, die darüber gewacht haben, wer in den Westen reisen durfte und wer nicht. Wer waren diese fremden Leute, die meinten, über mein Leben bestimmen zu können? Was bewegte sie, ihre Ideologie nicht in Frage zu stellen und mich einfach nur reisen zu lassen? Hinderte sie möglicherweise etwas daran in anderen Kategorien zu denken? Was für Leute waren diese Leute?
Wenn Mauern gebaut werden, stelle ich mir immer die Fragen: Warum und wofür werden sie gebaut und wer soll geschützt werden, wer fühlt sich ohne sie gefährdet oder bedroht? Stecken hinter den Beschlüssen Grenzzäune, Sandwälle, Mauern zu bauen Zwangscharaktere, die sich abschotten müssen, um die politische/wirtschaftliche/kulturelle/wissenschaftliche (...) Landschaft in ihrem Sinne zu prägen, so dass sich ihre psychopathologischen Zustände dadurch noch erhärten und nur das zulassen, was ihnen zusagt?
Mauern sind nach dem Fall der Berliner Mauer, also nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs, dem Ost-West-Konflikt, vielfach neu entstanden. In der Folge "Grenzen, die wieder geschlossen werden" der Arte-Serie "Mit offenen Karten", wird anschaulich darüber berichtet. Alteingepflanzte, unbewältigte Konflikte brachen und brechen sich Bahn, führen zu neuen Kriegen und damit zum Aufbau neuer Grenzen. Wurde denn aus den "Irrungen und Wirrungen" der Geschichte nichts gelernt? Alte Denkgewohnheiten scheinen sich tief in altem Politikverständnis verfestigt, und in neues politisches Denken übertragen zu haben.
Der damalige Ostblock, als Konsequenz des Zweiten Weltkrieges, zeigte eindringlich, was passiert, wenn Mauern gebaut werden. Wie schwer es ist, Annäherung allein schon hier in Deutschland zwischen Ost und West zu bewerkstelligen, und wie viel Zeit investiert werden muss, um Wunden psychologischer und physischer Natur heilen zu lassen. Die Teilung Europas und damit auch die Teilung Deutschlands (exemplarisch in Berlin) zeigte wie viele Menschen entwurzelt, verletzt und gedemütigt wurden und wie viele Tote zu beklagen sind.
Ich habe erlebt, was es heißt, in einem perfiden Unterdrückungsstaat zu leben. Allein schon durch das Fotografieren der Auswüchse dieses Unrechtssystems, wurde ich bestätigt, dass ideologische Abgrenzung all derer, die Angst vor sich selbst hatten und haben, nicht dazu führen kann, den freien Willen von Menschen zu brechen. Dieser Wille, da hin zu gehen, wo man meint, das Leben besser leben zu können, wird durch keine Mauer, durch keine Grenze, auf Dauer gebrochen werden können. Flucht aus Einengung und damit einhergehender geistiger Isolation und sozialer Empathielosigkeit, ist der Grund, weshalb der Wunsch bestand, ein freies Leben zu führen.
Auf diesen Mauerfotos aus Ostberlin ist die Abschottung durch die SED-Diktatur deutlich erkennbar.
Mein Drang diese Mauer in Ostberlin zu überwinden hat mich dazu bewegt, Fotos von diesem sogenannten antifaschistischen Schutzwall zu machen. Dieses Bollwerk war kein "antifaschistischer Schutzwall" sondern ein Abschottungssystem, um vom Versagen der eigenen Politik und von fehlender Legitimität abzulenken. Und wenn Machtverhältnisse so gestaltet werden, dass Mauern errichtet werden müssen, dann ist es höchste Zeit, dem ein Ende zu bereiten. Denn wer mauert, hat´s nötig. Das stand früher nahe dem Potsdamer Platz auf der Mauer. Das gilt im Übrigen auch noch heute.
Wem nützen also Mauern? Wer soll dadurch geschützt, wer ausgegrenzt, werden? Wer hat ein Interesse daran den Schutz der eigenen Unzulänglichkeit der "Einheit in der Vielheit" entgegenzustellen und ein Leben ohne Mauern nicht wahr werden lassen zu wollen?
Der Fotograf Detlef Matthes, geb. 1968, hatte im Zeitraum 1984 bis 1987 mehrere Bilder von den Sperranlagen der Mauer in Ostberlin aufgenommen. 1987 schrieb er einen Erlebnisbericht über einen Polizeieinsatz gegen Jugendliche nahe dem Brandenburger Tor, den er in den Westen schickte. Die Stasi fing den Brief jedoch ab und nahm Matthes wegen "unerlaubter Verbindungsaufnahme" fest. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung wurden seine Mauerfotos gefunden. Er kam sechs Wochen in Untersuchungshaft, 1988 erfolgte seine Ausreise aus der DDR. Seine Website: www.mauerfotos-aus-ostberlin.de
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