Kaum ein Bereich des Staatswesens hat so wenig Sinn für seine eigene Geschichte wie Nachrichtendienste. Dabei sind Aufgaben, Methoden, Skandale und Herausforderungen der Dienste im 21. Jahrhundert nicht neu. Terrorismus beschäftigte deutsche Sicherheitsbehörden bereits seit den 1960er Jahren; Migration war seit Ende der 1940er Jahre Arbeitsgebiet des BND und seiner Vorläufer; „fake news“ und Desinformation sind uralte Methoden, verpackt in ein digitales Gewand. Das Wissen über und die wissenschaftliche Beschäftigung mit Nachrichtendiensten steckt in Deutschland jedoch immer noch in den Kinderschuhen.
Es hat Tradition, Nachrichtendienste als politische Geheimpolizei zu denken. Die Ursprünge hierfür liegen bereits im Kaiserreich; als politische Geheimpolizeien erreichten Nachrichtendienste in den beiden deutschen Diktaturen unrühmliche Machthöhepunkte - was für die demokratischen Nachrichtendienste Verantwortung und ein schweres Erbe bedeutet. Das Verständnis dessen, was ein Nachrichtendienst ist, macht und soll, weicht damit von gängigen wissenschaftlichen Theorien und Definitionen ab. Das englische intelligence beschreibt nämlich sowohl die geheime Sammlung, Auswertung und Weitergabe von Informationen, als auch dieses (Geheim-)Wissen selbst.
Der Ansatz der Nachrichtendienstgeschichte (intelligence history) soll hier angewendet werden, um das Informationsdefizit und die Tabuisierung von Nachrichtendiensten in der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden. Erst ein konzises historisches Hintergrundwissen ermöglicht die „nachträglichen Machtkontrolle“ (Martin Broszat) von Nachrichtendiensten und trägt gleichzeitig zu einem besseren Verständnis, Steuerung und Kontrolle dieser speziellen Institution bei.
In zwei Beiträgen soll im Deutschland Archiv Online der historische Kontext über die bundesdeutschen Nachrichtendienste für die Zeit zwischen 1945 und 1990 dargestellt werden. Der erste Teil umfasst den Zeitraum bis 1969. Der zweite Teil beschreibt die Zeit bis zur Wiedervereinigung 1990 (erscheint im Juni 2019). Behandelt werden der Inlandsnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), und der Auslandsnachrichtendienst, Bundesnachrichtendienst (BND). Dabei werden auch Bezüge zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) deutlich gemacht bzw. auf ausführliche Studien zur Arbeit und dem Aufbau der Geheimpolizei im Osten verwiesen.
Exkurs: Der Militärische Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD)
Oft vergessen in der Reihe der (bundes-)deutschen Nachrichtendienste wird der kleinste Nachrichtendienst des Bundes: der Militärische Abschirmdienst (seit 2017 – Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst/BMAD). Dieser hat heute ca. 1 200 Mitarbeiter und ist dem Bundesministerium für Verteidigung unterstellt. Seinen Hauptsitz hat das BAMAD in Köln. Anders als die dem Militär zugeordneten Nachrichtendienste in den meisten Ländern ist der MAD kein militärischer Nachrichtendienst, d.h. er betreibt keine militärische Aufklärung. Stattdessen übernimmt er dem Verfassungsschutz vergleichbare Aufgaben innerhalb der Bundeswehr und ihrer Standorte. Der MAD ist also für Sicherheitsüberprüfungen im militärischen Sektor zuständig, soll Extremisten und Terroristen jeglicher Couleur in der Bundeswehr aufspüren und betreibt militärische Spionageabwehr für die Bundeswehr.
Seitdem die Bundeswehr auch im Ausland eingesetzt wird, übernimmt der MAD diese Aufgaben auch in den Bundeswehrstützpunkten im Ausland. Außerhalb dieser eng definierten Zonen hat er jedoch keine Zuständigkeit. Die klassische Militäraufklärung fremder Armeen, militärischer Gegner und von Krisenregionen ist Aufgabe des BND. Auch wenn also zum Beispiel technische Anlagen zur Funkaufklärung in Bundeswehreinrichtungen oder Fahrzeugen zum Einsatz kommen, müssen diese von BND-Personal operiert werden.
Der Ursprung dieser im internationalen Vergleich ungewöhnlichen Aufgabenteilung liegt in der Besonderheit der deutschen Nachkriegssituation. Erst ein Jahr nach der offiziellen Gründung der Bundeswehr 1955 wurde das damalige „Amt für die Sicherheit der Bundeswehr ASBw“ gegründet, das 1984 in „Militärischen Abschirmdienst“ umbenannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt betrieb die von US-Army und CIA betriebene „Organisation Gehlen“ (Org), die im selben Jahr als „Bundesnachrichtendienst BND“ in die Ägide der Bundesregierung überging, bereits militärische Aufklärung hinter dem „Eisernen Vorhang“. Gleichzeitig wechselten zahlreiche ehemalige Wehrmachtsmilitär, die durch Kameraden-Netzwerke in der Org ein neues Zuhause gefunden hatten, nun in die Bundeswehr. Fernerhin wollte auch die amerikanische Besatzungsmacht die militärische Aufklärung lieber in den Händen des von ihr aufgebauten BND sehen. Der militärische Nachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland wurde so dem Inlandsnachrichtendienst („Verfassungsschutz“) nachempfunden. Auch als der MAD nach der Wiedervereinigung 1990 erstmals auf eine Gesetzesgrundlage gestellt wurde und die Bundeswehr erstmals seit ihrer Gründung in Kampfeinsätzen im Kosovo oder Afghanistan aktiv wurde, wurde diese Grundausrichtung beibehalten.
Nachkriegszeit
Noch vor der Gründung von Bundesrepublik und DDR wurden die Weichen für die neuen Nachrichtendienste gestellt. In West wie Ost stand der Aufbau der Sicherheitsbehörden im Vordergrund. Schnell zeigte sich, dass im Kalten Krieg politische und militärische Fragen immer wichtiger wurden. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bauten die Sowjets eine Geheimpolizei nach sowjetischem Vorbild auf. Diese vereinte In- und Auslandsgeheimdienst mit weitreichenden Vollmachten in einer Institution, dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Sicherung und Durchsetzung von Sozialismus und der Einparteienherrschaft der waren dessen vordringlichste Aufgabe. Anders als die Nachrichtendienste der Bundesrepublik hatte das MfS nicht nur exekutive Befugnisse für Verhaftungen und Durchsuchungen, sondern war gleichzeitig auch Untersuchungsführer mit großem Einfluss auf Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Anwaltszunft. Dabei unterlag das MfS ausschließlich der internen Dienstkontrolle sowie der Aufsicht durch das Politbüro der SED, dem der langjährige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke ab 1976 selbst angehörte. Die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR unterhielt seit 1956 einen eigenen militärischen Aufklärungsdienst, die „Verwaltung Aufklärung“, die einerseits vom MfS unterstützt und andererseits von ihm überwacht wurde. (Hier finden Sie eine ausführliche Darstellung zum Wirken der Interner Link: Staatssicherheit der DDR, die Red.)
Doch auch die westdeutschen In- und Auslandsnachrichtendienste Verfassungsschutz und BND nahmen ihren Anfang Ende der 1940er Jahre. In der britischen Besatzungszone begannen Abteilungen der Polizei damit, kommunistische und neonazistische Aktivitäten zu beobachten. So wurden beispielsweise im Land Nordrhein-Westfalen nach Abstimmung zwischen Innenministerium und britischer Besatzungsmacht Informanten eingesetzt und es bestanden Erwägungen, die sich herausbildende Institution als oberste Stelle für das gesamte Bundesgebiet zu etablieren. Letztlich wurde daraus „nur“ das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen, das entsprechende Bundesamt wurde erst 1950 gegründet.
Um den neuen Inlandsnachrichtendienst entspannte sich ein Netz politischer Intrigen. Denn in der amerikanischen Besatzungszone war eine geheime nachrichtendienstliche Organisation entstanden, die dieses Amt für sich beanspruchte. Reinhard Gehlen, bis 1945 Leiter der Auswerteabteilung „Fremde Heere Ost“ der Wehrmacht, hatte es geschafft, erst die US-Army, die Streitkräfte der USA, und dann die Central Intelligence Agency (CIA), den Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten von Amerika, zu überzeugen, seine (angebliche) nachrichtendienstliche Expertise im Konflikt gegen die Sowjetunion zu nutzen. Er rekrutierte ehemalige Kampfgefährten und formte die Org, die ab 1948 ihr Hauptquartier im Münchner Vorort Pullach fand. Vorgeblich wollte er für die Amerikaner gegen die Sowjetunion spionieren, tatsächlich legte er es darauf an, von einer neuen deutschen Regierung als Chef eines umfassenden Geheimdienstes übernommen zu werden. Die Org wurde zum personell, finanziell und mit Verbindungen am besten ausstaffierten Nachrichtendienst auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik. Dabei war sie eine US-amerikanische Organisation – zunächst unterstand sie der US-Armee und später der CIA –ohne Gesetzesgrundlage, reglementierte Kompetenzen und mit Führungspersonal, dessen Weltsicht dem Nationalsozialismus näherstand als der Demokratie. Mit viel politischem Opportunismus ausgestattet, wurden hier Kontinuitäten sichtbar, die den Systemwechsel von der totalitären NS-Diktatur hin zur bundesrepublikanischen Demokratie überdauerten. Gleichzeitig kam der Org eine von den USA geplante „Scharnierfunktion“ zu, die altes NS-Sicherheitspersonal in die neue Zeit „überführte“, deren antisystemisches Potenzial band und auch Organisationen ehemaliger Waffen-SS-Mitglieder und anderer Verbände überwachte.
1950er Jahre
Anfang der 1950er Jahre existierten drei Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland, von denen mit dem BfV und dem „Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst“ nur zwei der Bundesregierung unterstellt waren. Nur einer davon, das BfV, beruhte auf einer Gesetzesgrundlage. Die Beziehungen zwischen ihnen waren geprägt von Überschneidungen, Kompetenzgerangel und Intrigen. Vor allem Reinhard Gehlen tat sich hier hervor. Sowohl den Sicherheitsberater von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) Graf Gerhard von Schwerin, als auch seinen Konkurrenten Friedrich-Wilhelm Heinz schaltete er mit Hilfe von Intrigen aus. Dabei erhielt Gehlen Unterstützung von Verfassungsschutzpräsident Otto John. Als John im Juli 1954 nach einer angeblichen Entführung in der DDR auftauchte und das Wiedererstarken von NS-Kräften in der Bundesrepublik Deutschland anprangerte, schied auch dieser Widersacher Gehlens aus.
Die Aufträge der drei nachrichtendienstlichen Organisationen waren vom internationalen Systemkonflikt geprägt. Die Org sollte die DDR und die sowjetische Rote Armee in Mitteleuropa aufklären; der „Heinz-Dienst“ hatte von Adenauer und dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums („Amt Blank“) denselben Auftrag erhalten. Dabei lieferte Heinz, trotz geringerer Mittel, mindestens ebenso gute Resultate wie die Org. Deren Leistungen waren ambivalent: Einerseits übertrieb Gehlen sein nachrichtendienstliches Können und die Bedeutung der von seinem Dienst beschafften Informationen, die weder für die US-Army noch die CIA relevant waren. Andererseits produzierten zum Beispiel Militär- und Wirtschaftsaufklärung in der DDR solide Erkenntnisse. Daneben spielte die Org eine große Rolle im Hintergrund der Vorbereitung zur Remilitarisierung der Bundesrepublik. In diesem Kontext „absorbierte“ die Org Mitte der 1950er Jahre auch den „Heinz-Dienst“, nachdem Gehlen gegen seinen Konkurrenten Heinz intrigiert hatte.
Das BfV hatte einen anderen Hintergrund: Hier sollte ausdrücklich eine neue Art Nachrichtendienst geschaffen werden, der mit den Traditionen der preußischen politischen Geheimpolizei brach. Dies machte sich durch das strikte Trennungsgebot zwischen exekutiven Polizeimaßnahmen und nachrichtendienstlicher Informationssammlung bemerkbar. Auf Letztere waren die neuen deutschen Nachrichtendienste beschränkt. „Keine neue Gestapo“ war das Motto der Alliierten bei der Konzeption des BfV. Seine Aufgaben umfassten drei Bereiche: Der größte und wichtigste war die Aufklärung und Abwehr kommunistischer Infiltration und Sabotage sowie die Aufklärung der Kommunistische Partei Deutschlands (KPD); damit verbunden war die Spionageabwehr mit dem Fokus auf DDR und UdSSR. An dritter Stelle stand die Überwachung rechtsextremer Aktivitäten. Mitte der 1950er Jahre beschäftigte das BfV 70 Mitarbeiter, die bis zu 60 Organisationen überwachen sollten. Informationen des BfV kamen in den ersten Parteiverbotsverfahren der jungen Bundesrepublik – 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei SRP und 1956 gegen die KPD – zum Einsatz. Ebenfalls Anfang der 1950er Jahre wurden die ersten Landesämter für Verfassungsschutz gegründet, die denselben Auftrag hatten. Die Kooperation und Koordination zwischen den LfV und dem BfV brauchte dabei Jahrzehnte, um Kompetenzstreitigkeiten und Kommunikationsprobleme zu überwinden.
Bei der Abwehr von Spionageaktivitäten überschnitten sich die Aufgabengebiete von Org und BfV. Dabei überschritten sie regelmäßig die Grenzen zwischen tatsächlicher Spionageabwehr und politischer Inlandsaufklärung. Besonders die Org sammelte unter dem Deckmantel der Spionageabwehr Informationen über Personen und Organisationen, die sie für politisch verdächtig hielt, um sich der Bundesregierung anzudienen.
Bei der Aufklärung der DDR und der Sowjetunion erzielte die Org und der später aus ihr hervorgegangene BND auch in den 1950er Jahren gute Leistungen bei der Militär- sowie Wirtschaftsaufklärung. Bei der politischen Aufklärung verfügte die Org Anfang der 1950er Jahr noch über zahlreiche Spitzenquellen. Zur Rekrutierung menschlicher Quellen setzte sie vor allem auf Familienverbindungen und Netzwerke aus dem Krieg. Immer wieder gelang es jedoch der Spionageabwehr des MfS, diese Netze zu zerschlagen. Besonders im Nachgang des Aufstandes vom 17. Juni 1953 wurden mehrere Hundert tatsächliche und vermeintliche West-Agenten in der DDR verhaftet. Der Geheimdienstkampf zwischen Ost und West wurde in den 1950er Jahre oftmals mit brutaler Härte geführt. In der DDR konnte Spione die Todesstrafe treffen, und Entführungen mit geheimdienstlichem Hintergrund aus West- nach Ost-Berlin waren in jenen Jahren keine Seltenheit. Umgekehrt galt das auch für gewaltsame Sabotageaktionen westlicher Organisationen, wie der von der CIA und der Org unterstützen Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit.
Organisationen wie diese, aber auch angeworbene Agenten („V-Leute“) nutzten die Org und die alliierten Nachrichtendienste für Propagandaaktionen in der DDR. Auch der Verfassungsschutz griff zu ähnlichen Methoden, um die Arbeit der KPD zu behindern, bevor sie verboten wurde.
Die Vielzahl dieser Arbeitsgebiete zeigt, dass selbst die vage definierten Grenzen, die BfV und Org sowie dem daraus hervorgehenden BND gesetzt waren, in Richtung von „Exekutivmaßnahmen“ überschritten wurden. Dabei agierten die Nachrichtendienste mit Billigung der Bundesregierung und der Alliierten. Mitte der 1950er Jahre wuchsen Verfassungsschutz und BND personell an, begleitet von Vettern- und Misswirtschaft. Die Org wurde zum 1 .April1956 – nach langem bürokratischem Ringen zwischen Gehlen, der CIA und dem Kanzleramt – als Auslandsnachrichtendienst BND in den Dienst der Bundesregierung übernommen. Anders als das BfV erhielt der BND keine gesetzliche Grundlage. Demokratische Kontrollmechanismen für die Nachrichtendienste existierten ebenfalls nur in Ansätzen.
Beim Aufbau der deutschen Nachrichtendienste verfolgte die Bundesregierung im Wesentlichen drei Ziele:
Schutz des neuen demokratischen Systems vor inneren Feinden und Infiltration.
Vorbereitung der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die Einbindung in die westliche Militärallianz.
Steigerung der außenpolitischen Souveränität der Bundesrepublik.
Alle diese Ziele wurden erreicht. Durch die rechtlichen Grauzonen, in der die Arbeit der Nachrichtendienste belassen wurde (und die diese weiträumig ausnutzten) sowie deren politische Instrumentalisierung brachten die Regierungen Adenauers das demokratische System als solches zwar nicht in Lebensgefahr, minderten jedoch seine Qualität. Gleichzeitig war die Bundesregierung an allgemeinen Aufklärungsinformationen wenig interessiert. In der Tagespolitik verwertbare Ergebnisse wurden – auch von Vertretern der Opposition – gerne entgegengenommen; an nachrichtendienstlicher Arbeit, ihrer rechtlichen Ausgestaltung und Demokratisierung herrschte hingegen Desinteresse. Steuerung und Kontrolle von BfV und BND waren so auf wenige Personen wie den Bundeskanzler, Innenminister, den Präsidenten des Bundesrechnungshofs sowie die Vertreter des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums (dem Vorläufer des heutigen Parlamentarischen Kontrollgremiums) beschränkt.
1960er Jahre
Die 1960er Jahre waren für die deutschen Nachrichtendienste ein Jahrzehnt der Krisen und Skandale. Den Anfang machte der Skandal um Heinz Felfe, Referatsleiter der Gegenspionage des BND, zuständig für die Aufklärung des sowjetischen KGB. Seit den 1950er hatte Felfe, ehemaliger SS-Mann, für das KGB gearbeitet, Interna aus dem BND weitergegeben, zahlreiche Operationen und Agenten ins Leere laufen lassen und die gesamte Gegenspionage des BND gelähmt. Anfang 1961 wurde Felfe unter Medienrummel verhaftet. 1962 folgte die Spiegel-Affäre, bei der der BND zwar nicht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand, vom Bundeskanzler jedoch in die Schusslinie genommen wurde. Adenauer persönlich bestellte den BND-Präsidenten zum Verhör über die Rolle des BND in dem Skandal über die Durchsuchung der Spiegel-Zentrale ins Kanzleramt. Dabei warteten im Nebenraum der Justizminister samt Ermittlungsbeamte für den Fall, dass der Bundeskanzler seinen BND-Chef wegen Geheimnisverrats hätte festnehmen lassen müssen.
1963 ging Werner Pätsch, Mitarbeiter der Spionageabwehr im BfV, an die Öffentlichkeit und prangerte illegale Abhörpraktiken im Verbund mit alliierten Partnern an. Da der Verfassungsschutz gegen Pätsch gerichtlich vorging, entstand ein Whistleblower-Skandal, der mit einem Freispruch endete. Dazu kamen Skandal-Berichte über die NS-Vergangenheit von Mitarbeitern in BND und Verfassungsschutz. Diese Skandale bewirkten jedoch auch Reaktionen bei der Steuerung und Kontrolle der Dienste. Beide führten in den 1960er Jahren interne Untersuchungen über NS-Belastungen durch, die in Entlassungen, Versetzungen und Pensionierungen mündeten. Ganz los wurden sie das Problem allerdings nie. Unter anderem als Reaktion auf den Pätsch-Skandal wurde das Gesetz über die Post- und Fernmeldeüberwachung 1968 verabschiedet. In einem langen Hin- und Her zwischen Politik, den Diensten und den Alliierten wurden damit Regelungen und Mechanismen für die Kommunikationsüberwachung geschaffen. Dazu zählte auch die bis heute existierenden „G10-Kommissionen“ des Bundes und der Länder, die Eingriffe der Nachrichtendienste in das Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 des Grundgesetzes) genehmigen müssen. Mitnichten jedoch war dadurch eine vollständige rechtliche und politische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Maßnahmen gewährleistet. Gleichzeitig führten die Skandale und Debatten dazu, dass das Vertrauensmännergremium und der Bundesrechnungshof ihre Kontrolle aktiver wahrnahmen als in den 1950er Jahren. Die Folgen der Skandale waren jedoch verheerend. Sie banden Ressourcen und führten zu einer ausufernden Beschäftigung der Dienste mit sich selbst, was die operative Arbeit behinderte und zu Misstrauen seitens der Politik und Gesellschaft führte.
Dieses belastete Verhältnis zeigte sich auch darin, dass die Aufklärungsergebnisse des BND durch die Regierung nicht ernst genommen wurden. Dessen Warnungen vor einer Grenzschließung in Berlin blieben so im Vorfeld des Mauerbaus ungehört. Mit dem Mauerbau 1961 verloren die westlichen Dienste zwar nicht über Nacht alle Quellen, jedoch wurde die Verbindung unterbrochen, und in den folgenden Jahren sollte es der Spionageabwehr des MfS gelingen, viele der über Kuriere, Funkverbindung und Geheimschreibverfahren kontaktierten Quellen aufzuspüren und zu verhaften. Hinzu kam das Problem, dass durch die Mauer neue Quellen noch schwerer zu finden, zu kontaktieren und zu überprüfen waren. Bei menschlichen Quellen wurde nun auf „Reisequellen“ wie LKW-Fahrer, Matrosen, Zug- oder Reisepersonal und Rentner gesetzt. Eine ungleich mühsamere und kleinteiligere Methode war die Befragung von DDR-Flüchtlingen. Eine weitere Informationsquelle war die Post- und Telefonüberwachung. Daneben stand der Informationsaustausch mit den britischen und amerikanischen Nachrichtendiensten, die je nach Aufgabengebiet rund ein Viertel des Informationsaufkommens ausmachen konnten. BfV und BND weiteten ihre Kooperationen auch darüber hinaus aus. Ein „spying on friends“ war diesen Kooperationen oftmals inhärent.
Für den Verfassungsschutz stand in den 1960er Jahren die Spionageabwehr und kommunistische Infiltration im Vordergrund. Insgesamt verzeichnete das BfV rund 600 Agentenwerbungen oder Werbeversuche. Die wichtigsten Ereignisse ereigneten sich jedoch hinter verschlossenen Türen und waren Ausdruck struktureller Krisen: Beim BND brach das System zusammen, das Präsident Reinhard Gehlen seit den 1940er Jahren aufgebaut hatte. Geheimniskrämerei und Abschottung der Abteilungen, chaotische Organisation, ineffektive Misswirtschaft, mittelmäßige operative Ergebnisse, ständige Kompetenzüberschreitungen sowie Inlandsarbeit und Intrigen waren die schwerwiegendsten. 1968 wurde Gerhard Wessel, der erst bei der Wehrmachtsabteilung „Fremde Heere Ost“ und dann beim BND Gehlens Stellvertreter gewesen war, neuer BND-Präsident. Er stand vor einem Scherbenhaufen, den es zu reformieren galt. Zu diesem Ergebnis kam auch die Untersuchungskommission des Kanzleramtes benannt nach dem früheren Koordinator der Nachrichtendienste im Kanzleramt Reinhold Mercker, der der Vorsitzende der Kommission war („Mercker-Kommission“).
Fazit und Ausblick
Am Ende der 1960er Jahre stand nicht nur der erste Wechsel eines BND-Präsidenten, sondern auch der Regierungswechsel zur sozial-liberalen Koalition und „1968“ mit all seinen Umwälzungen. Diese Veränderungen markierten auch für Verfassungsschutz und BND einen Wendepunkt. In inneren Krisen und Reformen ergriffen, war die Selbstbeschäftigung, das Inland und das Verhältnis zu über- und nebengeordneten Stellen wichtiger als die eigentliche operative Arbeit. Zahlreiche Skandale, Fehlentwicklungen, Geburtsfehler sowie ein belastetes, von Misstrauen geprägtes Verhältnis zur Politik, aber auch zur Öffentlichkeit waren dafür verantwortlich. Ergebnisse und Leistungen der operativen Arbeit fielen in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der bundesdeutschen Nachrichtendienste gemischt aus. Gerade der Gehlen-Dienst blieb, entgegen seiner Selbststilisierung, oftmals hinter den Ansprüchen zurück. 1961 und 1968, bei Mauerbau und Prager Frühling, funktionierte das Frühwarnsystem des BND zwar, die Ergebnisse blieben, wohl auch aufgrund der komplizierten Beziehungen zu den Entscheidungsträgern, ungenutzt. Die Ergebnisse des BfV waren gleichfalls unterschiedlich und durch seine gänzlich andersartige Rolle als Zulieferer im Vorfeld und „Gefahrenfrüherkennung“ für Politik und Polizei geprägt. Beiden Diensten standen verhältnismäßig geringe Ressourcen zur Verfügung: Das BfV hatte Ende der 1960er Jahre rund 950 Planstellen, der BND zwischen 2000 und 3000, das MfS hatte 1959 hingegen 16.613 und 1969 ganze 40.328 hauptamtliche Mitarbeiter. Ähnlich gestaltete sich auch die finanzielle Ausstattung, ganz zu schweigen von dem politischen Rückhalt, den die ostdeutsche Geheimpolizei bei ihrer Arbeit genoss. In der DDR war die Geheimpolizei als „Schild und Schwert der Partei“ eine Stütze der Parteiherrschaft, ausgestattet mit Kompetenzen, politischem Gewicht, Personal und Ressourcen. Verfassungsschutz und BND waren nachgeordnete Bundesbehörden, die weder über besondere Ressourcen noch über ein gutes Ansehen oder herausragende politische Bedeutung verfügten. Da die Nachrichtendienste für Briten und Amerikaner ein offenes Buch waren, wurde das Vertrauen in sie nicht gestärkt. Gleichzeitig existierten auf der politischen Ebene außerhalb der Fachressorts nur wenig Interesse oder Konzepte für die Steuerung, Anleitung und der demokratischen Kontrolle der Dienste. Unter diesen ungünstigen Voraussetzungen gingen Verfassungsschutz und BND in ein neues Jahrzehnt. Vor allem für das BfV sollten sich nun die Aufgaben ändern: „1968“ und die Radikalisierung der Außerparlamentarischen Opposition (APO), aber auch die wachsende Immigration, zeitigten neue Aufgaben und Schwerpunkte. Beim BND hingegen standen auch weiterhin DDR, UdSSR und der „Weltkommunismus“ auf der Agenda.
Interner Link: Zu Teil II, erschienen am 6.8.2019
Zitierweise: „Nachrichtendienste in Deutschland“, Christopher Nehring, in: Deutschland Archiv, 29.5.2019, Link: www.bpb.de/292006
Mehr zur Arbeit und Struktur der Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland finden Sie in der Ausgabe vonInterner Link: Aus Politik und Zeitgeschichte von 2014 mit dem Titel "Überwachen"