„Die Rückkehr der Wohnungsfrage” – so lauten aktuelle Debatten um knappen und bezahlbaren Wohnraum.
Schrumpfung und Leerstand als Rahmenbedingungen einer neuen Wohnungsfrage
Schrumpfung und Leerstand sind Begriffe, die seit Beginn der 2000er Jahre aus der stadtplanerischen und wohnungspolitischen Diskussion ostdeutscher Kommunen nicht mehr wegzudenken sind. Zwar machten wissenschaftliche Publikationen bereits in den 1980er Jahren auf Auswirkungen eines demografischen und wirtschaftlichen Strukturwandels aufmerksam, wie Hartmut Häußermann und Walter Siebel bezogen auf Einwohner- und Arbeitsplatzverluste von Großstädten und Ballungszentren.
Letzteres wurde öffentlichkeitswirksam vor allem durch den Bericht ,Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern’ formuliert, der durch eine 1999 eingesetzte Kommission erarbeitet und ein Jahr später veröffentlicht wurde. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund eines bestehenden und zu erwartenden Wohnungsleerstands in Ostdeutschland dringender Handlungsbedarf geboten ist.
Vor diesem Hintergrund bekam ‚Schrumpfung‘, die Christine Hannemann umfassend als Deökonomisierung, Depopulation und Deurbanisierung beschreibt, ein real-ökonomisches Gesicht.
Aufbau und Weiterentwicklung des Bund-Länder-Programms ,Stadtumbau Ost‘
Den Empfehlungen folgten bereits 2001 die Ausschreibung eines städtebaulichen Wettbewerbs ‚Stadtumbau Ost – für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen‘ und 2002 die Verabschiedung des Programms ‚Stadtumbau Ost‘ im Rahmen der Städtebauförderung. Stadtumbau meint dabei grundsätzlich ein stadtplanerisches Handlungsfeld der Bestandsentwicklung, das durch (teils erhebliche) Strukturveränderungen eine Qualifizierung städtebaulicher Strukturen anstrebt.
Die Ziele und förderfähigen Maßnahmen werden in der jährlich neu abzuschließenden Verwaltungsvereinbarung (VV) Städtebauförderung festgelegt. Die VV 2002 weist demnach für den Stadtumbau Ost folgendes Szenario mit den Schwerpunkten Erhalt und Aufwertung sowie Rückbau aus: „Auf der Grundlage von Stadtentwicklungskonzepten sollen Stadtteile stabilisiert werden, die durch physischen Verfall und soziale Erosion bedroht sind, zu sanierende und aus städtebaulicher Sicht besonders wertvolle innerstädtische Altbaubestände erhalten und dauerhaft nicht mehr benötigte Wohnungen rückgebaut werden“.
Stadtumbau vor Ort: Ausmaß und Verteilung der Maßnahmen
Bis 2016 sind annähernd 1 150 Maßnahmen mit rund 1,6 Milliarden Euro gefördert worden. 80 Prozent der Programmkommunen sind Klein- und Mittelstädte, gleichzeitig sind 85 Prozent der Städte mit über 20 000 Einwohnern beteiligt, sodass mehr als die Hälfte der ostdeutschen Bevölkerung mehr oder weniger direkte Erfahrungen mit dem Stadtumbau macht oder gemacht hat.
Nichtsdestotrotz lässt sich für die ersten Programmjahre ein Schwerpunkt der Maßnahmen im Bereich Rückbau konstatieren, vor allem in randstädtischen Siedlungen des DDR-Wohnungsbaus. Trotz eines zwischenzeitlichen Rückgangs werden Abrisse in Zukunft voraussichtlich wieder an Bedeutung gewinnen: Für 2018 wird ein Rückbaustand von 334 000 Wohnungen ausgewiesen, was deutlich hinter dem Ziel zurückliegt, bis 2016 insgesamt 500 000 Wohnungen abzureißen. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2030 624 000 Wohneinheiten abgerissen werden müssen, um den Leerstand nicht weiter ansteigen zu lassen.
Obwohl bis 2014 durchschnittlich immer noch 39 Prozent der Mittel für Rückbaumaßnahmen veranschlagt wurden, standen seit 2005 vermehrt Aufwertungsprojekte im Fokus. Diese finden auch in als zukunftsfähig eingestuften Großsiedlungen und Stadtrandlagen statt, sind aber vor allem in den innerstädtischen Altbauquartieren angesiedelt. Neben der (Neu-) Gestaltung zentraler Plätze, Grün- und Freiflächen, stehen die Stabilisierung und der Erhalt von bauhistorisch und städtebaulich wertvollen Gebäuden und Ensembles durch Sanierung, Modernisierung und Rekonstruktion im Mittelpunkt.
Alltag und (Er-)Leben unter Stadtumbaubedingungen: Betroffenheiten und Beteiligungen
Obwohl der Stadtumbau eine umfassende Erfahrung für die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern war, kommen diese – zumal als Betroffene – verhältnismäßig selten ‚vor‘ und ‚zu Wort‘. Zwar ist die Bevölkerung in der Programmdiskussion eine „feste rhetorische Konstante“ und ein im Planungskontext per se zu berücksichtigender Faktor – beispielsweise über die gesetzlichen Beteiligungs- und Sozialplanverfahren. Jedoch lässt sich insbesondere für den Rückbau eine schnelle und effiziente Umsetzungsstrategie beobachten, die eher mit einer zurückhaltenden oder strategisch eingesetzten Informationspolitik der kommunalen und Stadtumbauverantwortlichen einhergeht. Erklärt wurde dies unter anderem mit der Sorge um den Verlust der Deutungshoheit über den Umbauprozess, unkontrollierte Um- und Wegzüge sowie das ‚Verbrennen‘ der Mitwirkungsbereitschaft für zukünftige Projekte.
Dennoch finden sich in Befragungen nicht nur pauschale Ablehnungen der Bevölkerung bezogen auf Umbaumaßnahmen. Dies lässt sich einerseits mit einer verbreiteten allgemeinen Akzeptanz der grundsätzlichen Notwendigkeit von Stadtumbau und einem Interesse begründen, sich auch an entsprechenden Planungen lösungsorientiert zu beteiligen. Andererseits setzt bei vielen Betroffenen im Prozess eine resignative Grundhaltung ein, die zu einem latenten persönlichen Rückzug oder dem manifesten Fortzug aus dem Quartier oder gar der Region führt. Denn „Beteiligungsmodelle, bei denen die Bewohner tatsächlich Einfluss auf die (Rückbau-)Entscheidungen gehabt hätten, sind die absolute Ausnahme.“
In diesem Zusammenhang konnten Untersuchungen zu Umstrukturierungsprozessen zeigen, dass derartige Eingriffe diverse Folgen für Betroffene haben können: zum Beispiel ökonomisch über die Mietbelastung und die Nähe zum Arbeitsplatz, funktional für die Erreichbarkeit und Infrastruktur des Wohnbereichs oder sozial bezogen auf die Einbindung in die Nachbarschaft. Hinzu kommt – und dies ist im Stadtumbaukontext von besonderer Bedeutung – eine emotional-symbolische Bindung an die materielle, also durch Gebäude- und Infrastrukturen gegliederte und markierte Umgebung. Die Bindung an diese Strukturen generiert sich dabei nicht nur aus einer Orientierungsfunktion, sondern vielmehr aus ihrer symbolischen Aufladung: Die Dauerhaftigkeit der materiellen Umgebung (ver)sichert und spiegelt dem Individuum die eigene Biografie und Kontinuität und erlaubt gleichzeitig die Zuordnung zu und von Gruppen in Zeit und Raum. Gemeinsames (soziales) Erinnern – wie es für Denkmäler als selbstverständlich angenommen wird – funktioniert auch über das Speichermedium der Stadtstruktur.
Durch Stadtumbaumaßnahmen sind diese Funktionen und mit ihnen auch die raumbezogenen Bindungen gefährdet: Schon die Ankündigung, dass ein Gebiet nicht erhaltenswert ist oder Umstrukturierungen geplant sind, kann zu einer Abwertung des entsprechenden Wohnumfeldes führen, der eigene oder der Wegzug von Freunden berührt das soziale Netz, das Leben in einem Gebiet, dessen Perspektive unklar ist, kann zermürben. Auch können Aufwertungsmaßnahmen Sorgen vor Mieterhöhungen bestärken oder der Infrastrukturumbau insbesondere die ältere Bevölkerung vor Herausforderungen stellen. Schließlich führen Abriss- und Umbaumaßnahmen oder auch nur das ‚Abwarten‘ und ‚Herunterwirtschaften‘ zu einer Veränderung der gewohnten Umgebung.
Mehr als eine Wohnungsfrage – der Stadtumbau als essentielle Herausforderung
Die beschriebenen Betroffenheiten und Verluste gehören mit dem Ausmaß des Stadtumbaus zum Alltagsgeschäft der Bevölkerung, von Politik und Planung. Entscheidend für das Ausmaß der Verlusterfahrung sind dabei auch die Geschwindigkeit des Wandels und das reale oder empfundene Ausgeschlossensein von der Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, von Wirkmächtigkeit oder neudeutsch Empowerment. Denn natürlich wandeln sich Lebensumwelten – in der Regel allerdings in sehr langen Zyklen und ‚mit‘ den dort lebenden Menschen. In dieser Funktion können sie in Zeiten des Wandels unterstützen und Sicherheit bieten.
Die abrupte Tilgung von Fixpunkten des eigenen oder Gruppen-(Er)Lebens kann aber nicht nur zu einem Bruch der Kontinuitätssicherheit führen, sondern eine Auseinandersetzung mit der eigenen individuellen und sozialen Vergangenheit erschweren.
Fazit: Von wegen Lösung – Stadtumbau als Daueraufgabe
Bereits im Nachgang zum Bundeswettbewerb wurde kritisiert, dass die Verantwortlichen einer tatsächlich integrierten stadtumfassenden und beteiligungsorientierten Entwicklung eher zurückhaltend gegenüberstünden.
Gleichzeitig muss ein Wohnungsbestand für die Versorgung mit günstigem Wohnraum erhalten oder regional sogar ausgebaut werden, denn „[w]enn man bedenkt, dass alleine 75% der ostdeutschen Kommunen als peripher beziehungsweise sehr peripher eingestuft werden, wird deutlich, wie begrenzt die wirtschaftlichen Perspektiven für viele Orte und Regionen dort sind und auch künftig sein werden“.
Zitierweise: Karen Sievers, Stadtumbau Ost – Lösung einer Wohnungsfrage?, in: Deutschland Archiv, 27.2.2019, Link: www.bpb.de/286642