Durch ihre Ost- und Deutschlandpolitik schuf die SPD über Jahrzehnte hinweg wesentliche Voraussetzungen für die deutsche Einheit. Dennoch wird ihr Beitrag im Einigungsprozess selbst oft kaum wahrgenommen oder eher kritisch gesehen. Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass der Einfluss, den die SPD 1989/90 als Opposition im Deutschen Bundestag hatte, begrenzt war. Innerhalb der Partei gab es in diesen Monaten neben intensiven Diskussionen und konstruktiven Vorschlägen für den Weg zur Einheit auch tiefgreifende Differenzen über den einzuschlagenden Kurs.
Rückblick: Die Deutschlandpolitik der SPD vor 1989/90
Nach dem Mauerbau 1961 und der Verfestigung der politischen Blöcke war die SPD früher als andere Parteien bereit, an politischen Tabus zu rühren. 1963 skizzierte Egon Bahr ein Konzept der kleinen Schritte, den "Wandel durch Annäherung". Mit den Ostverträgen, die erst nach heftigem Widerstand von CDU und CSU im Bundestag ratifiziert werden konnten, schuf die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt zugleich die Basis für den Grundlagenvertrag mit der DDR 1972 und die Entspannungspolitik in Europa.
Nach Wahlverlusten der CDU in den Jahren 1988/89 konnte sich die SPD Hoffnungen auf eine Ablösung der Regierung Kohl bei den Bundestagswahlen 1990 machen. Mit Schwerpunkten im Bereich Ökologie, der Rolle der Arbeit in der modernen Gesellschaft, der Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie mit Konzepten zu einer umfassenden Entspannungs- und Friedenspolitik bot die SPD einen Gegenentwurf zur Politik der Bundesregierung. 1989 sollte ein neues Parteiprogramm verabschiedet werden. Die Wahl des Kanzlerkandidaten stand noch bevor, doch zeichnete sich ab, dass die Sozialdemokraten mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine auch einen Generationswechsel in den Spitzenpositionen vollziehen würden.
Reaktionen auf die eskalierende Situation in der DDR 1989
Seit dem Frühjahr 1989 mehrten sich in Teilen der SPD die Bedenken gegenüber den innerparteilich durchaus umstrittenen Kontakten mit der SED. Das DDR-Regime reagierte auf die Umbrüche in Osteuropa und die wachsende Unzufriedenheit im eigenen Land mit Härte und Repression. Vor dem Hintergrund der Fälschungen bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai und der Verteidigung des sogenannten Tian’anmen-Massakers in Peking durch die DDR-Führung im Juni 1989 wandte sich der Sozialdemokrat Erhard Eppler in seiner Gedenkrede zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 im Deutschen Bundestag mahnend an die Verantwortlichen in der DDR: Keine Seite könne die andere daran hindern, "sich selbst zugrunde zu richten". Eppler forderte auch die Westdeutschen auf, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, was geschehen solle, wenn der Eiserne Vorhang "rascher als erwartet durchrostet". Dennoch überraschten die Massenflucht von DDR-Bürgern und später die Dynamik der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 die SPD ebenso wie die Bundesregierung, die noch im August 1989 ihr Interesse an der Stabilität der DDR bekundet hatte. Im Frühherbst 1989 kreiste die Diskussion in den Führungsgremien der SPD um die Frage, ob die Politik der "kleinen Schritte" als gescheitert angesehen werden müsse und nun eher "Wandel durch Abstand" (Norbert Gansel) angesagt sei.
Die SPD und ihre Schwesterpartei SDP in der DDR
Ein wichtiger Impuls für die weitere Diskussion kam aus der DDR. Am 7. Oktober 1989 gründeten Markus Meckel und Martin Gutzeit in Schwante bei Oranienburg die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP, ab Januar 1990 SPD). Sie verstand sich ausdrücklich als Neugründung, nicht als Teil der westdeutschen SPD. Im Unterschied zu den Diskussionsforen anderer Gruppierungen hatte man mit der Gründung einer richtigen Partei gegenüber der Einheitspartei SED demonstrativ die "Machtfrage" gestellt. Die Führungsgremien der westdeutschen SPD bekundeten den ostdeutschen Sozialdemokraten wie auch den Mitgliedern anderer politischer Gruppen in der DDR gleichermaßen ihre Solidarität, verhielten sich aber zunächst abwartend. Nachdem Steffen Reiche, einer der Gründer der SDP, Ende Oktober während eines spontanen Besuchs in Bonn mit Hans-Jochen Vogel und weiteren führenden Sozialdemokraten zusammengetroffen war, zeichnete sich jedoch ab, dass die SDP nun die eigentliche Ansprechpartnerin für die SPD sein würde. Zu den Zielen der SDP gehörte die Umwandlung der DDR in einen demokratischen Staat und die Verwirklichung einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft. Die Mitglieder kamen überwiegend aus dem kirchlichen Milieu und aus naturwissenschaftlich-technischen Berufen, so gut wie gar nicht aus der Arbeiterschaft. Nach der Zwangsvereinigung zwischen SPD und SED im Jahr 1946 waren alle Relikte einer sozialdemokratischen Tradition in der DDR ausgetilgt worden.
Die Diskussion über den Weg zur deutschen Einheit
Die überraschende Maueröffnung am 9. November 1989 sowie Umstrukturierungen auf Regierungsebene in der DDR boten die Chance zur Etablierung gemeinsamer zwischenstaatlicher Strukturen, noch bevor eines Tages eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten möglich sein würde. Bundeskanzler Helmut Kohl ging diese Fragen zunächst eher zögerlich an. Die Aussichten für die SPD, in dieser Diskussion eine führende Rolle spielen zu können, schienen gut. Ihr Ehrenvorsitzender Willy Brandt genoss auch zwei Jahrzehnte nach seinem legendären Besuch in Erfurt 1970 noch immer hohes Ansehen bei den Ostdeutschen. Sein Satz "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" wurde zum vielzitierten Motto der deutschen Einheit. Die Existenz einer politisch unbelasteten "Schwesterpartei" in der DDR konnte als weiterer Vorteil gesehen werden.
Am 28. November 1989 stellte der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel im Deutschen Bundestag einen Fünf-Punkte-Plan zur deutschen Einheit vor. Er ging an diesem Tag und auch im historischen Rückblick jedoch völlig unter, da der Bundeskanzler am gleichen Tag mit einem bis dahin geheim gehaltenen Zehn-Punkte-Plan in die Offensive ging. Beide Initiativen unterschieden sich nur wenig. Während Hans-Jochen Vogel eine Konföderation mit frei gewählten Institutionen und Gremien vorschlug und die enge Verknüpfung mit dem KSZE-Prozess und der europäischen Einigung betonte, sprach Helmut Kohl von einer Föderation und lenkte den Blick suggestiv auf das Bild eines wiedervereinigten Deutschland. Über die – in den Augen führender Sozialdemokraten dennoch nur folgerichtige –Zustimmung zu Kohls Plan durch den außenpolitischen Sprecher der SPD Karsten Voigt im Bundestag, kam es anschließend zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen. Kohl, der die Brisanz des Einheitsthemas inzwischen erkannt hatte, wies von nun an alle Vorschläge des SPD-Vorsitzenden zurück, den Weg zur deutschen Einheit im Konsens zu gestalten. Zwar gelang es der SPD noch einmal, mit dem von Ingrid Matthäus-Maier ausgearbeiteten Vorschlag einer Währungsunion im Januar 1990 eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Doch schon am 6. Februar 1990 stellte der Kanzler seinerseits die Währungsunion in Aussicht. Im Vergleich zur SPD, die sich inhaltlich und auch moralisch den Oppositionsgruppen in der DDR und ihren Zielen verpflichtet fühlte, orientierte sich der Bundeskanzler in den nächsten Monaten sehr viel mehr an der Stimmung der breiten Masse der DDR-Bevölkerung, die von einer eigenständigen DDR nichts mehr wissen wollte.
Deutsche Einheit und europäische Integration
In der SPD gab es unterschiedliche Meinungen über den einzuschlagenden Kurs in der Frage der deutschen Einheit. Sie waren für Vogel ein Grund dafür, dass er relativ spät mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen war. Dabei lässt sich der Verlauf der Diskussionslinien weder generell mit der Zugehörigkeit zum "rechten" oder "linken" Parteiflügel, noch ausschließlich mit der Generationenzugehörigkeit der jeweiligen Protagonisten verknüpfen. Während Egon Bahr mahnte, nur ein vereintes Europa könne ein vereintes Deutschland ertragen, erklärte Willy Brandt in seiner Rede auf dem Berliner Programm-Parteitag der SPD im Dezember 1989, die Deutschen seien nicht verpflichtet, auf einem "Abstellgleis" zu verharren, "bis irgendwann ein gesamteuropäischer Zug den Bahnhof erreicht hat". Aber auch Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes und zukünftiger Kanzlerkandidat der SPD, erntete auf dem Parteitag mit seiner bewussten Betonung der internationalen Fragen und der Warnung vor nationalem Pathos große Zustimmung. Dass die Lösung der deutschen Frage nur im Rahmen einer europäischen Integration möglich sein würde, gehörte zu den festen Bestandteilen im Denken westdeutscher Sozialdemokraten. Gerade für die Nachkriegsgeneration war nach Nationalsozialismus und Krieg die Rückkehr zu einem deutschen Nationalstaat traditioneller Prägung nicht mehr vorstellbar. Ein vereintes Europa, in dem Grenzen bedeutungslos geworden waren, schien zugleich den Rahmen für ein neues postnationales Verhältnis der beiden deutschen Staaten zu bieten. Hinzu kam, dass es in Teilen der Partei wie auch innerhalb der westdeutschen Gesellschaft in den 1988er Jahren Tendenzen gab, sich mit einem post-nationalen, westeuropäisch und ökologisch orientierten Lebensgefühl zu identifizieren und sich weniger mit der Realität in der DDR zu befassen.
Ängste vor einem wieder erstarkenden deutschen Nationalismus und einem machtpolitisch auftrumpfenden vereinten Deutschland waren durchaus real. Sie wurden zum Beispiel dadurch geschürt, dass in Teilen der Union die polnische Westgrenze, die im Warschauer Vertrag längst anerkannt war, mit Rücksicht auf die Vertriebenenverbände unter einen Friedensvertragsvorbehalt gestellt wurde. Über den Umgang mit Polen in dieser Frage, das eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung seiner Grenzen noch vor der deutschen Einigung anstrebte, kam es im Frühjahr und Sommer 1990 zu anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen SPD und Bundesregierung. Am 21. Juni 1990 verabschiedeten Bundestag und Volkskammer eine gleichlautende Erklärung zur Grenze zwischen Polen und Deutschland.
Entscheidend für den weiteren Verlauf der innerparteilichen Diskussion war, dass Oskar Lafontaine die Zweistaatlichkeit und eine ökonomische Stabilisierung der DDR favorisierte. Mit Blick auf die dramatisch ansteigende Zahl der DDR-Übersiedler nach der Maueröffnung schlug er vor, DDR-Bürger nicht automatisch als bundesdeutsche Staatsbürger anzuerkennen, denen westdeutsche Sozialleistungen zustanden – ein Vorstoß, der von den Führungsgremien der SPD sofort zurückgewiesen wurde. Lafontaines Wahlsieg im Saarland im Januar 1990 schien seine Linie zu bestätigen. Am 19. März 1990 wurde Lafontaine vom SPD-Parteivorstand zum Kanzlerkandidaten bestimmt. Künftige Konflikte waren allerdings absehbar, machte er die Annahme der Kandidatur doch von der Akzeptanz seiner persönlichen Wahlkampfstrategie abhängig. Eine rasche Währungsunion lehnte er aus ökonomischen und sozialen Gründen ab. Dabei setzte er auf Konfrontationskurs gegenüber der Regierung Kohl und ging zunächst noch vom Scheitern der für den 1. Juli 1990 angekündigten Währungsunion aus. Dagegen forderte inzwischen auch die ostdeutsche SPD ein stärkeres Bekenntnis zur deutschen Einheit. "Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen", erklärte eine Delegiertenkonferenz im Januar 1990.
Die Volkskammerwahlen in der DDR
Bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 rechneten die Sozialdemokraten mit einem guten Ergebnis. Dafür schienen anfangs nicht nur einige Meinungsumfragen zu sprechen; Die ostdeutschen Sozialdemokraten sahen sich mit ihrem neu verabschiedeten Parteiprogramm und einem Wahlprogramm, das die DDR demokratisieren und strukturell auf die deutsche Einheit vorbereiten sollte, in einer guten Ausgangsposition. Das Ergebnis – nur 21,9 Prozent der Stimmen für die SPD, 48,1 Prozent dagegen für die "Allianz für Deutschland" und 16,4 Prozent für die PDS – war daher ein Schock. Die "Allianz", bestehend aus der DDR-Blockpartei CDU, der rechts stehenden DSU und dem Demokratischen Aufbruch, hatte mit Unterstützung der westdeutschen CDU einen äußerst aggressiven Wahlkampf geführt, der sich insbesondere gegen die SPD richtete. Helmut Kohl war es überdies gelungen, durch zahlreiche Wahlkampfauftritte die Hoffnungen der Ostdeutschen auf seine Person zu lenken, wobei ihm Aussagen zur 1:1-Umstellung der Kleinsparerkonten in Verbindung mit dem "Kanzlerbonus" zweifellos zugutekamen. Nach dem Eintritt in die Regierungskoalition hatte die SPD in der DDR an vielen Gesetzgebungsvorhaben wesentlichen oder auch initiierenden Anteil.
Die Einheit sozial gestalten: Das Ringen um den Vertrag zur Währungsunion
Bei der Vorbereitung des Staatsvertrags zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion blieb die Regierung Kohl bei ihrer Linie, die SPD so weit wie möglich aus der Gestaltung des Einigungsprozesses herauszuhalten. Erst die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen am 13. Mai 1990, die der SPD eine Mehrheit im Bundesrat brachten, veranlassten Helmut Kohl zu Zugeständnissen.
Oskar Lafontaine, durch ein Attentat im April 1990 schwer verletzt, lehnte eine schlagartige Währungsumstellung zum 1. Juli 1990 aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen ab. Nach seiner Genesung wandte er sich vehement gegen eine Zustimmung zum Staatsvertrag. Die Finanz- beziehungsweise Wirtschaftsexperten der SPD, Ingrid Matthäus-Maier und Wolfgang Roth, sahen dagegen in der Einführung der D-Mark eine Chance für die marode DDR-Wirtschaft. Bedenken gegen den unter großem Zeitdruck ausgearbeiteten Vertrag und die zu erwartenden ökonomischen und sozialen Verwerfungen gab es bei vielen Sozialdemokraten. Allerdings war auch den Kritikern klar, dass bei Ablehnung des Vertrags ein Chaos in der DDR drohte. Die Gewissheit, dass die Sozialdemokraten dies nicht in Kauf nehmen würden, stärkte wiederum die Position der Bundesregierung. In der DDR, wo die SPD auch der Regierungskoalition angehörte, signalisierte die SPD-Volkskammerfraktion schon nach der ersten Lesung des Vertrags am 21. Mai 1990 bis auf wenige Punkte ihre Zustimmung; die Position Oskar Lafontaines stieß auf Unverständnis.
Die westdeutsche SPD lehnte den Vertrag zunächst ab und forderte weitere Maßnahmen zur Abfederung des Strukturwandels in der DDR. Die Änderungen, die schließlich innerhalb und außerhalb des Vertragstextes durchgesetzt werden konnten, betrafen unter anderem Regelungen zur Erhaltung überlebensfähiger Betriebe, die Kurzarbeiterregelung, Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose, temporäre Einfuhrsondersteuern zum Schutz von Konsumgütern in der DDR, Verbesserungen bei der Rentenüberleitung, Kontrollmöglichkeiten bei der Kontenumstellung, die Heranziehung des zu Unrecht angehäuften Vermögens von SED/PDS und der Blockparteien für Zwecke der Allgemeinheit, die Übertragung des bundesdeutschen Umweltrechts auf die DDR und die Abschaltung einzelner Blöcke des Kernkraftwerks Greifswald. Einige wesentliche Punkte waren schon zuvor von Seiten der ostdeutschen SPD durchgesetzt worden, unter anderem die Aufrechterhaltung der Mindestrenten, die Gültigkeit des gesamten Betriebsverfassungsrechts und die Streichung einer Passage über die Zulässigkeit von Aussperrungen. Trotz noch bestehender Bedenken und genereller Kritik am Verhandlungsstil der Regierung stimmte die SPD-Bundestagsfraktion dem Vertrag am 21. Juni 1990 mehrheitlich zu. 25 SPD-Abgeordnete votierten dagegen. Im Bundesrat stimmten das Saarland und Niedersachsen als sozialdemokratisch beziehungsweise rot-grün regierte Länder gegen den Vertrag.
Der Einigungsvertrag
Für die Herstellung der deutschen Einheit hätten viele Sozialdemokraten ein Verfahren nach Artikel 146 bevorzugt, wonach die bundesstaatliche Einheit im Anschluss an vertragliche Vereinbarungen durch das Inkrafttreten einer durch Volksabstimmung beschlossenen neuen Verfassung zustande kommen sollte.
Ein ungelöstes Problem stellte die Finanzierung der deutschen Einheit dar, die vom Bundeskanzler stets heruntergespielt wurde. Hier hakte die SPD immer wieder ein und forderte, die Kosten offenzulegen. Sie warnte vor dem Griff in die Sozialkassen und einer Neuverschuldung anstelle von Einsparungen, die man sich durch Subventionsabbau, Verzicht auf die Absenkung der Vermögenssteuer, Senkung der Rüstungsausgaben und Heranziehung des Vermögens der Blockparteien in der DDR vorstellte. Allerdings wurde auch von sozialdemokratischer Seite das Ausmaß der erforderlichen Mittel unterschätzt.
Vereinigungsparteitag und Bundestagswahlen 1990
Noch vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten schlossen sich ost- und westdeutsche Sozialdemokraten auf einem gemeinsamen Parteitag in Berlin am 27. September 1990 zu einer Partei zusammen. Der erhoffte Sieg bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen am 2. Dezember 1990 blieb allerdings aus. Der Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, vermochte weder die Westdeutschen durch die vorrangige Thematisierung der Kosten der Einheit zu überzeugen, noch die Erwartungen und Gefühle der Ostdeutschen anzusprechen. Auch die Hoffnungen der SPD, in Sachsen und Thüringen, den ursprünglichen "Stammlanden" der deutschen Sozialdemokratie, an alte Erfolge anzuknüpfen, erfüllten sich nicht; die SPD kam insgesamt nur auf 33,5 Prozent der Wählerstimmen.
SPD und deutsche Einheit
Die SPD wurde von der Friedlichen Revolution in der DDR ebenso überrascht wie die die Westdeutschen insgesamt. Stärker als die CDU/CSU war sie bemüht, Rücksicht auf die Vorstellungen der Oppositionsbewegungen in der DDR zu nehmen. Vorbehalte gegenüber einem starken deutschen Nationalstaat in der Mitte Europas und Befürchtungen vor einem neuen deutschen Nationalismus waren bei den Sozialdemokraten ausgeprägter als in anderen Parteien. Als Oppositionspartei war die SPD in ihren Einflussmöglichkeiten beschränkt. Dennoch trug die SPD durch Initiativen wie Hans-Jochen Vogels Stufenplan zur deutschen Einheit und die währungspolitischen Vorschläge von Ingrid Matthäus-Maier zur politischen Diskussion über den Weg zur deutschen Einheit bei. Durch die hartnäckige Thematisierung der mit dem Einigungsprozess verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme konnte sie auch bei den unter großem Zeitdruck verhandelten Staatsverträgen eine Reihe von Nachbesserungen durchsetzen; dabei wirkte sich die Regierungsbeteiligung der SPD in der DDR unterstützend aus. Gegenüber dem Bundeskanzler, der den Ostdeutschen raschen Wohlstand und den Westdeutschen die Verschonung vor größeren finanziellen Opfern versprach, war die SPD allerdings in einer schlechten Position. Ihre Außenwirkung wurde zudem durch die Konflikte mit Oskar Lafontaine beeinträchtigt. Dennoch überwogen in der SPD und insbesondere in der SPD-Bundestagsfraktion jene Kräfte, die – nach Schaffung der außenpolitischen Rahmenbedingungen durch die Zustimmung Michail Gorbatschows – die außerordentliche Chance erkannt hatten, die sich in den entscheidenden Monaten des Jahres 1990 bot. Dass die Handlungsfähigkeit der SPD vor allem im Sommer 1990 trotz aller innerparteilicher Differenzen erhalten blieb, war nicht zuletzt das Verdienst des Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel, der dabei allerdings mehrfach an die Grenzen seiner Einflussmöglichkeiten stieß.
Zitierweise: Ilse Fischer, Die SPD (West) und die deutsche Einheit 1989/90, in: Deutschland Archiv, 31.1.2017, Link: www.bpb.de/241665