Fremdbestimmung, Menschenverachtung, Freiheitsbeschränkung und entwürdigende Strafen bestimmten den Alltag vieler Minderjähriger in den Spezialkinderheimen der DDR. Eingewiesen wurden Kinder und Jugendliche, die den von der SED vorgegebenen Normen der "sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung" nicht entsprachen. Die Heimerziehung war insbesondere in den Spezialkinderheimen, offenen Jugendwerkhöfen sowie im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau (GJWT) von drakonischen Methoden der Disziplinierung und Umerziehung geprägt. Viele der Jugendlichen, die in diese DDR-Heime kamen, wurden aufgrund ihrer Freizeitgestaltung oder aufgrund ihres familiären Hintergrundes als verhaltensauffällig sowie schwer erziehbar stigmatisiert. Sie sollten durch Zwang, Ausgrenzung und Einschließung zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umerzogen werden. Durch den Heimaufenthalt sind viele der ehemaligen Heimkinder auch heute noch in ihren Lebenschancen massiv beeinträchtigt, da in den Heimen der DDR eine Entwicklung der Minderjährigen zu selbstbestimmten Menschen gezielt verhindert wurde. Die psychischen wie physischen Folgen der DDR-Heimerziehung wirken zum Teil bis in die Gegenwart, weshalb eine umfassende Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel der DDR-Vergangenheit von hervorgehobener Bedeutung sein sollte.
Im deutschen Forschungsdiskurs zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sind insbesondere vier Dimensionen für eine Analyse des DDR-Aufarbeitungsprozesses von zentraler Bedeutung. Bei den Aufarbeitungsdimensionen handelt sich erstens um die politische Aufarbeitung, zweitens die wissenschaftliche Aufarbeitung und gesellschaftliche Aufklärung, drittens die strafrechtliche Aufarbeitung und die personellen Erneuerungen sowie viertens die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer. Im Folgenden wird rekonstruiert, wann, was, auf welche Weise und durch welche Akteure an Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung geleistet beziehungsweise nicht geleistet wurde. Dabei sollen unter anderem folgende Fragen im Zentrum der Analyse stehen: Welchen Beitrag hat die Politik zur Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung geleistet? Welche gesellschaftlichen Aufklärungsmöglichkeiten gibt es? Wurden die Täter bestraft und die Opfer entschädigt?
Die politische Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung
Die politische Aufarbeitung in Deutschland umfasst einerseits "politische Entscheidungen zur administrativen 'Regulierung' von Vergangenheit" sowie andererseits "Diskurse und Handlungen, mit denen Geschichte gedeutet und eine kollektive Vergangenheit zu politischen Zwecken öffentlich repräsentiert wird".
Die politische Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung begann vergleichsweise spät nach der Wiedervereinigung. Erst seit 2011/2012 kann vom Beginn einer intensiven und differenzierten politischen Beschäftigung mit der ostdeutschen Heimerziehung gesprochen werden. Bis 2011 bestand die politische Aufarbeitung der DDR-Heimpädagogik in erster Linie aus rhetorischen Bekundungen, Empfehlungen und ersten Untersuchungen.
Erst im Zusammenhang der Aufarbeitung der westdeutschen Heimerziehung, die sich in den Jahren 2008 bis 2011 im Rahmen des "Runden Tisches Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren" vollzog und die die DDR-Heimerziehung explizit ausklammerte, brachte auch die politische Aufarbeitungspraxis der DDR-Heimpädagogik eigene nennenswerte Initiativen hervor. Angespornt durch die Tätigkeit des "Runden Tisches" traten vermehrt Betroffene der DDR-Heimerziehung an die Öffentlichkeit und verlangten bei der Aufarbeitung von Missständen und der Rehabilitierung von Opfern mit einbezogen zu werden.
Die maßgeblich von Betroffenen angestoßene Initiative, die von ostdeutschen Opferverbänden und der Politik unterstützt wurde, führte im Juli 2011 schließlich zur Konstituierung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG), die Grundlagen für eine politische Entscheidung zur Würdigung und Anerkennung des Leids ehemaliger Heimkinder aus der DDR ausarbeiten sollte. Im März 2012 wurde der von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitete Bericht "Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR"
Die politische Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung hat in den letzten 26 Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen, sodass unter dem Dach der allgemeinen SED-Diktaturaufarbeitung mittlerweile auch für die Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung ein politisch-kultureller und politisch-institutioneller Rahmen zur Verfügung steht. Zum einen werden die drakonischen Erziehungsmethoden in den DDR-Spezialheimen im politischen Diskurs allerseits als menschenrechtsverletzend und ihre Aufarbeitung als notwendig anerkannt. Zum anderen wurde diese diskursive Anerkennung auch in konkrete politische Maßnahmen, wie etwa die Errichtung des Fonds, übersetzt, welche die Aufarbeitung anleiten.
Wissenschaftliche Aufarbeitung und gesellschaftliche Aufklärung der DDR-Heimerziehung
Die wissenschaftliche Aufarbeitung und gesellschaftliche Aufklärung dienen in besonderem Maße dem langfristigen Umgang mit den Lasten der überwundenen Gewaltherrschaft. Für eine Verhinderung der Restauration alter Verhältnisse ist das Wissen über ehemalige Herrschaftsmethoden notwendig.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung ist mittlerweile relativ weit vorangeschritten. Sie beschäftigt sich etwa mit den sozialistischen Umerziehungspraktiken im Geschlossenen Jugendwerkhof (GJWH) Torgau
Im Rahmen der gesellschaftlichen Aufklärung ist insbesondere die Gedenkstätte GJWH Torgau, die 1998 durch die Initiativgruppe "Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V." eingerichtet wurde, als bedeutender Aufarbeitungsakteur hervorzuheben.
Auch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (durch Projektförderungsmittel und Weiterbildungen
Die strafrechtliche Aufarbeitung und personelle Erneuerungen
Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit den Lasten der Vergangenheit sowie die Forderung nach einem Personalaustausch sind nach dem Umbruch von einem autoritären zu einem demokratischen politischen System von zentraler Bedeutung, da sich die Legitimität des neuen Systems entscheidend an seinem Umgang mit dem überkommenen Unrecht bemisst. Durch die Entlassung und Sanktionierung der Täter kann eine justizförmige Aufarbeitung zur Delegitimierung der überwundenen Ordnung beitragen und den legitimen Ansprüchen der Opfer gerecht werden.
Als die Hauptverantwortlichen für die DDR-Heimerziehung können Margot Honecker und Eberhard Mannschatz identifiziert werden. Die Heimerziehung wurde in der Abteilung Jugendhilfe/Heimerziehung im Ministerium für Volksbildung (MfV), welches von 1963 bis 1989 von Margot Honecker geleitet wurde, zentralistisch organisiert. Mannschatz gilt als langjähriger Leiter der Abteilung Jugendhilfe (von 1951–1954 und von 1957–1977) und enger Mitarbeiter Margot Honeckers als einer der "wichtigsten Protagonisten der DDR-Jugendhilfe".
Weder Margot Honecker noch Eberhard Mannschatz wurden nach der Wiedervereinigung strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Margot Honecker, die bis zu ihrem Tod im Mai 2016 unbescholten in Chile lebte, wurde zwar im Juni 1993 für die unmenschlichen Zustände in Torgau angezeigt, die Klage wurde jedoch aufgrund mangelnder Beweise abgewiesen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern die ausführenden Organe, also die Heimerzieherinnen und -erzieher, zur Rechenschaft gezogen worden sind. Diejenigen des GJWT wurden zwar noch im Jahr 1990 entlassen, vereinzelte Strafanzeigen führten jedoch nur zu wenigen Verurteilungen, in denen lediglich Geldstrafen verhängt wurden.
Das Meerane-Beispiel zeigt außerdem Fahrlässigkeiten beim Personalaustausch. Während zwei der Beschuldigten auch nach der Wende noch in dem Kinderheim beschäftigt waren, war ein Dritter über lange Jahre stellvertretender Bürgermeister der Stadt Meerane.
Rehabilitierung nach § 2 StrRehaG und "Heimkinderfonds Ost"
Die Erinnerung an die Opfer der SED-Diktatur sowie die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für deren Rehabilitierung gehörten im wiedervereinigten Deutschland von Anfang an "zu den vordringlichsten Aufgaben im Zusammenhang mit der Herstellung der staatlichen Einheit".
Die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der DDR-Heimerziehung kann zum einen über die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze und dabei insbesondere über Paragraph 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) erfolgen.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der Anspruch auf Entschädigungsleistungen auf Basis von Paragraph 2 StrRehaG nur schwer durchzusetzen ist.
Mittlerweile sei zwar ein veränderter Umgang mit den Betroffenen feststellbar, da es inzwischen Anhörungen von Opfern an Gerichten gebe, es bleibt jedoch weiter abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung nach der Rüge aus Karlsruhe und der Feststellung von Verfahrensmängeln auf dem Gebiet der Rehabilitierung von DDR-Heimkindern in den nächsten vier Jahren positionieren wird.
Ein Plakat zum "Fonds Heimerziehung" an der Tür zum Büro der Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder (ABeH) in Berlin, 2015 (© picture alliance / dpa / Foto: Bernd Von Jutrczenka)
Ein Plakat zum "Fonds Heimerziehung" an der Tür zum Büro der Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder (ABeH) in Berlin, 2015 (© picture alliance / dpa / Foto: Bernd Von Jutrczenka)
Zum anderen bietet der Fonds "Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990" den ehemaligen Heimkindern Unterstützungsleistungen.
Der Fonds mit einem Volumen von bis zu 364 Millionen Euro, der als ein "neues und außergewöhnliches Instrument im Rahmen der DDR-Unrechtsaufarbeitung"
Schlussbetrachtung
Die Untersuchung der bisherigen bundesdeutschen Aufarbeitung zur Heimerziehung in der DDR hat ein ambivalentes Bild ergeben. Auf der einen Seite sind die politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung weit vorangeschritten. Sie tragen wesentlich zu einem besseren Umgang mit den Lasten der DDR-Heimvergangenheit bei und schärfen das öffentliche Bewusstsein für das an den ehemaligen Heimkindern begangene Unrecht. In den genannten Dimensionen ist es gelungen, die autoritären Elemente des DDR-Heimsystems zu delegitimieren, das an den Heimkindern verübte Unrecht anzuerkennen sowie die Opfer der DDR-Heimerziehung zu würdigen. Auf der anderen Seite ließen sich bei der strafrechtlichen Aufarbeitung und dem Personalwechsel nach wie vor bestehende Defizite konstatieren, da es in dem Bereich nicht gelang, sich entschieden gegen das DDR-Heimunrecht zu stellen. Die strafrechtliche Rehabilitierung und Entschädigung der ehemaligen DDR-Heimkinder ist zwar im StrRehaG angelegt, jedoch in der Praxis bislang kaum erfolgsversprechend – mit Ausnahme der Rehabilitierung für den Aufenthalt im GJWT. Wenngleich den ehemaligen Heimkindern ein gesetzlicher Rahmen für ihre Rehabilitierung zur Verfügung steht, konnte dieser Rahmen bis dato keine umfassende Rehabilitierung der DDR-Heimkinder anstoßen. In diesem Bereich stehen die Wiederherstellung eines umfangreichen Rechtsfriedens sowie die letztgültige Delegitimierung des DDR-Heimsystems noch aus. Dafür besteht in Form des "Heimkinderfonds Ost" ein zusätzliches Instrument zur Würdigung und Entschädigung der Opfer der DDR-Heimerziehung.
Durch die Schaffung eines politisch-kulturellen und politisch-institutionellen Rahmens ist es der Politik in Zusammenarbeit mit den Betroffenen erst vor wenigen Jahren gelungen, die Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung einen entscheidenden Schritt voranzutreiben. Wichtig ist jetzt eine kontinuierliche wissenschaftliche wie gesellschaftliche Aufarbeitung, die auch in Zukunft umfassend über die Vergangenheit aufklärt und überdies weitere Facetten der DDR-Heimerziehung erforscht. Die andauernde Tätigkeit gegen das Vergessen sowie die nachhaltige Erinnerung an die Opfer der Heimerziehung sollten dabei vordergründige Ziele darstellen.
Zitierweise: Berenike Feldhoff, Zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und individueller Rehabilitierung. Eine (Zwischen-)Bilanz der Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung, in: Deutschland Archiv, 13.10.2016, Link: www.bpb.de/235221