Vor ein paar Jahren titelte die Wochenzeitung Der Spiegel: "Jeder fünfte Gewerkschafter steht rechts"
Zwei Jahre später wies der Soziologe Klaus Dörre auf die Zusammenhänge zwischen den Veränderungen in der Arbeitswelt und der daraus entstehenden "Prekarisierung des Beschäftigungssystems" und der Entwicklung rechtspopulistischer Orientierungen hin: "Abstiegsängste, die daraus resultieren, dass die Betreffenden fürchten, unter die Schwelle der Sicherheit und der Respektabilität zu sinken, sind ein wichtiger Kristallisationspunkt von Prekarisierungsprozessen, die sich innerhalb der "Zone der Normalarbeit" bemerkbar machten.
Historikerinnen und Historiker erkennen in den 1970er Jahren einen "Bruch" oder einen "Wandel" in der Geschichte der Bundesrepublik (und in Europa).
Damals wie heute beeinflussten zudem strukturelle Merkmale den Umgang der Arbeitnehmervertretungen mit Arbeitsmigranten: "Gastarbeiter" trafen auf dem Arbeitsmarkt oder in den Betrieben auf bestehende Strukturen, in denen auf "die Fremden" mit Skepsis, Misstrauen und manchmal auch Ablehnung reagiert wurde.
Gewerkschaften und die Anwerbeabkommen
Seit den frühen 1950er Jahren verhandelte die Bundesregierung mit Arbeitgeberverbänden und Unternehmen über die Möglichkeiten, den Einsatz von Arbeitsmigranten aus Süd- und Südosteuropa auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt rechtlich-administrativ zu organisieren. Dieses Vorhaben traf auch auf Seiten der Regierungen der Herkunftsländer vor allem aufgrund des potenziell lukrativen Devisenaustauschs auf Zustimmung. Da in einigen Branchen und Beschäftigungsbereichen zum Teil händeringend Arbeitskräfte gesucht wurden, und sich Bundesregierung und Unternehmen darauf verständigten, dass Arbeitsmigranten zu gleichen Löhnen und Arbeitsbedingungen beschäftigt werden sollten wie ihre deutschen Kollegen, konnte 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien abgeschlossen werden. Weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, Portugal und Jugoslawien sowie der Türkei folgten.
Auch die Gewerkschaften wirkten auf die Entscheidungen der zuständigen Bundesministerien zur Frage der Anwerbung von "Gastarbeitern" ein. Einige Jahre lang hatten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaften, die für die betroffenen Arbeitsbereiche zuständig waren, gegen eine systematische und staatlich organisierte Anwerbung von Arbeitsmigranten gesperrt, da sie in ihnen eine potenzielle Konkurrenz für die einheimischen Arbeitskräfte sahen. Schließlich willigten die Gewerkschaftsführungen ein, Arbeitsmigranten anzuwerben und in einigen Branchen zum Einsatz kommen zu lassen. Als Hauptbedingung galt dabei neben der Zusicherung der gleichen Arbeitsbedingungen und Löhne die Regelung des "Inländerprimats", das einheimischen Arbeitskräften Vorrang vor ausländischen Arbeitskräften einräumte. Öffentlich äußerten Gewerkschaften ihre Vorbehalte, stimmten aber schließlich offiziell den Anwerbeabkommen zu. Aus ihrer internen Sicht waren behördlich organisierte Zugangsregelungen einem – auch weiterhin andauernden – weniger kontrollierten Zugang von Migranten auf den Arbeitsmarkt vorzuziehen. Einige unmittelbar betroffene Einzelgewerkschaften blieben jedoch weiterhin – und öffentlich – bei ihren ablehnenden Positionen gegenüber der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften.
Erst zu Beginn der 1970er Jahre forderten die Gewerkschaftsspitzen eine deutliche Einschränkung der Zugangs- und Zuwanderungsmöglichkeiten von "Gastarbeitern". Zu dieser restriktiven Haltung hatten die angesprochenen schlechten Wirtschaftsaussichten, fortschreitende Krisen innerhalb einzelner Industrien und die "Entdeckung der Einwanderung" beigetragen.
Illegalität und Leiharbeit – Perforierungen der Normalarbeitsverhältnisse
Die Gewerkschaften machten sich nach dem Anwerbestopp dafür stark, dass dieser auch konsequent umgesetzt wurde und verhinderten in den Folgejahren dessen Lockerung. Eine solche forderten vor allem das Wirtschaftsministerium und einige Unternehmen in der Landwirtschaft sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe. In den beiden zuletzt genannten Beschäftigungsfeldern bestand weiterhin großer Bedarf nach mobil und flexibel einsetzbaren Arbeitskräften, die es in ausreichender Zahl auf dem heimischen Arbeitsmarkt nicht gab. Die Gewerkschaften teilten hingegen die Position aller maßgeblichen politischen Akteure hinsichtlich der generellen Verschärfung der Vergabe von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen.
Der Anwerbestopp, die restriktivere Arbeitserlaubnisvergabe und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit unter Arbeitsmigranten trugen im Laufe des Jahrzehnts dazu bei, dass vermehrt Arbeitsmigranten illegale Beschäftigungsverhältnisse eingingen.
Nachdem die Legalisierung von "illegalen" Migranten vom Tisch war, konzentrierten sich die Gewerkschaften auf ihre Forderung, entschieden gegen "illegale Einwanderung und gegen Ausbeutung" vorzugehen. So bekräftigten Anfang 1974 die Gewerkschaften in der Kommission für Fragen ausländischer Arbeitnehmer beim SPD-Parteivorstand die Forderung nach einer Verbesserung der Erfassung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer (Anzahl, regionale Verteilung und Binnenwanderungsbewegung) und der Förderung der "freiwilligen Rückkehr arbeitsloser ausländischer Arbeitnehmer" sowie nach einer "raschen und wirkungsvollen Verschärfung der Strafen bei illegaler Anwerbung und Beschäftigung".
Illegale Beschäftigung war in einigen Branchen eng mit dem Phänomen der sogenannten Arbeitnehmerüberlassung beziehungsweise Leiharbeit verbunden. Nach Aufhebung des Leiharbeitsverbots durch das Bundesverfassungsgericht (Urteile von 1967 und 1972) stieg die Zahl der Leiharbeiter in den 1970er Jahren in einigen Wirtschaftszweigen an.
Arbeitsmigranten – eine Herausforderung für die Gewerkschaften
Von Anbeginn der Anwerbemaßnahmen lag der Fokus der Gewerkschaften auf der Gewinnung von Arbeitsmigranten als Mitglieder. Der DGB und die größte Einzelgewerkschaft, die IG Metall, richteten bereits in der frühen Phase der Anwerbungen eigene Abteilungen für die "Ausländerarbeit" ein. In den Vorstandsebenen des DGB und der IG Metall waren Funktionäre ausschließlich für Fragen der ausländischen Arbeitnehmer zuständig. Der DGB und die IG Metall brachten regelmäßig fremdsprachige Mitteilungsblätter für die "Gastarbeitergruppen" heraus. Die Materialien des DGB wurden in den Einzelgewerkschaften verwendet.
Als sich in den 1970er Jahren der gewerkschaftliche Organisationsgrad der "Gastarbeiter" dem der inländischen annäherte, blieb die Zahl der hauptamtlichen migrantischen Gewerkschafter, der migrantischen Betriebsräte und Vertrauensleute sowie Delegierten auf Gewerkschaftskongressen dennoch weiterhin niedrig. Neben der Unterfinanzierung der gewerkschaftlichen "Ausländerarbeit" war diese Unterrepräsentanz der Arbeitsmigranten auch in den gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen angelegt. Die Gewerkschaften vertraten in erster Linie die Interessen der (männlichen) Mitglieder wie auch der Facharbeiter. Bei der Erlangung von Ämtern und Mandaten spielten die Dauer der Zugehörigkeit und der Grad der Vernetzung innerhalb der Organisation eine wichtige Rolle. Hinzu kam eine ablehnende Haltung vieler Gewerkschafter gegenüber Arbeitsmigranten, denen sie kurzfristige Interessen und mangelnde sprachliche und berufliche Kenntnisse zuschrieben. Ablehnungen gegenüber den "Südländern" – wie sie in einigen Medien genannt wurden –, die auf kulturelle Differenzen oder gar Überlegenheiten verwiesen, sind dabei weder in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit noch im Schriftverkehr unter leitenden Gewerkschaftsfunktionären zu erkennen.
Stimmen der Migranten und "wilde" Streiks in den 1970er Jahren
Die gewerkschaftliche "Ausländerarbeit" und die aktive Mitgliederwerbung legten den Grundstein für die spätere Integration von vielen migrantischen Arbeiterinnen und Arbeitern in bundesdeutschen Betrieben. Dennoch blieben gerade in den 1960er, aber auch in den 1970er Jahren die Belange vieler Arbeitsmigranten ungehört. Vereinzelt kamen ausländische Arbeitnehmer in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit (Gewerkschaftstage und Gewerkschaftszeitungen) zu Wort. Einige Arbeitsmigranten gelangten nach der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1972 vermehrt in Betriebsräte. Die Reform ermöglichte die Aufstellung von ausländischen Arbeitnehmern aus dem Nicht-EG-Ausland zur Betriebsratswahl, ohne die vorherige Zustimmung der Belegschaft. Das Gesetz formulierte das explizite Ziel, "die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern".
Außerhalb der Arbeitswelt engagierten sich Migranten mehr und mehr in eigenen Initiativen, oft auch mit Hilfe nicht-migrantischer Unterstützer.
Diese Haltung war symptomatisch und Ausdruck einer generellen Position der Gewerkschaften, die sich für ein einheitliches Auftreten in den Betrieben, innerhalb einer Branche oder als Gesamtheit der Arbeitnehmerschaft einsetzten. Ansichten, die von Gewerkschaftspositionen abwichen oder als "extremistische" Positionen galten, hatten generell einen schweren Stand. Dabei waren innergewerkschaftliche Debatten über links-politische Ausrichtungen und fundamentale Kritik an Gewerkschaftspositionen oder an der Regierungspolitik Teil der gelebten Debattenkultur und des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. Gleichwohl warnten einige Medien und Politiker vor "radikalen" Kräften in den Arbeitnehmerorganisationen – ebenso wie in den sozialdemokratischen Parteien. Um einer gesellschaftspolitischen Marginalisierung vorzubeugen, aber auch um die inneren Strukturen zu schützen, bemühten sich Gewerkschaftsfunktionäre stets, sich von "extremistischen" Meinungen zu distanzieren und diese im Zaum zu halten.
Die Sorge vor "extremistischen Einflüssen" ging einher mit dem Bild der "Fremden", die Konflikte mitbrachten und nur schwer in die (rechtlich) geregelte Arbeitswelt westeuropäischer Industriestaaten zu integrieren seien. Auch daher nahmen einige Migranten ihre Belange in den Betrieben selbst in die Hand. Zum einen wurden Migranten als Gewerkschafter aktiv und warben zahlreiche Landsleute als Gewerkschaftsmitglieder an. Darüber hinaus nahmen Migranten an geregelten und ungeregelten Arbeitsniederlegungen teil, um ihren Protesten Gehör zu verschaffen. Unter den Streiks waren es gerade die ungeregelten, gewerkschaftlich nicht organisierten, "spontanen" oder "wilden" Streiks, die eine besondere Bedeutung erlangten. "Wilde" Streiks stellten einen wichtigen Bestandteil der Tradition betrieblicher Auseinandersetzungen dar und galten stets als ein offensives und flexibles Mittel der Arbeitnehmerschaft.
Trotz der überwiegenden Kritik und Ablehnung, die die "wilden" Streiks in der Öffentlichkeit und innerhalb der Gewerkschaften erfuhren, trugen die hier "sichtbar gewordenen Emanzipationsbestrebungen der ausländischen Arbeiter dazu bei", so auch die Historikerin Karin Hunn, dass sich die Gewerkschaften nun verstärkt um die Integration und Partizipation der Migranten bemühten.
Resümee
Der gewerkschaftliche Umgang mit (Arbeits-)Migranten und deren Integration war nur zu einem geringen Teil abhängig vom Engagement Einzelner. Ökonomische Konflikte, politische Machtverhältnisse und (strukturelle) Mechanismen des Ein- und Ausschlusses bestimmten in erster Linie die Bedingungen, unter denen auch Migranten bestehen mussten. Die Integration von (Arbeits-)Migranten und ihren Familien in die Gesellschaft wurde von Gewerkschaftsspitzen seit den frühen 1970er Jahren diskutiert und als Forderungen in die politischen Entscheidungsprozesse eingebracht. In den 1980er und 1990er Jahren bestärkten die Gewerkschaften diese Positionen. Diese Entwicklung war auch eine Reaktion auf die liberal-konservative Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl, die insbesondere eine Verschärfung des Familiennachzugs durchsetzte. Die Einbindung in gewerkschaftliche und betriebliche Strukturen nahm stetig zu. Im Laufe der Jahre wurden aus den "Gastarbeitern" vermehrt akzeptierte Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Nachbarn in den Stadtteilen. Die innergewerkschaftliche Integrationsarbeit entwickelte sich neben dem Engagement gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu einem festen Bestandteil der Organisationsarbeit in den Gewerkschaften – vor allem in der IG Metall, IG Chemie und (ab 2001) bei ver.di.
Zitierweise: Oliver Trede, Gewerkschaften und Arbeitsmigration in der Bundesrepublik – zwischen Misstrauen und Integration, in: Deutschland Archiv, 26.8.2016, Link: www.bpb.de/232789