Max Fechner war in den Jahren von 1949-1953 Justizminister der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). In seine Amtszeit fielen die Waldheimer Prozesse, in denen echte und angebliche Kriegs- und Naziverbrecher unter Bruch rechtsstaatlicher Regeln für ihre Taten im vorangegangenen Regime verurteilt wurden. Nach der Installierung des Herrschaftsanspruches der SED wurde er selbst Opfer einer politisch motivierten Justiz und eines willigen Staatssicherheitsapparates. Als sich im Zusammenhang mit den Arbeiteraufständen des 17. Juni 1953 ein angebliches politisches Fehlverhalten Fechners nicht ausreichend belegen ließ, wurde gegen ihn auch der Vorwurf der homosexuellen Handlung unter Ausnutzung seines Dienstverhältnisses erhoben. Das Ziel war sein Sturz um jeden Preis. Seine Lebensgeschichte steht beispielhaft für die Ausnutzung vermeintlich privaten Handelns zur moralischen und politischen Diskreditierung in der DDR.
Für die Erforschung der Fragestellung, inwieweit Fechner zum Opfer des Regimes wurde, welches er mitgetragen hatte, müssen unterschiedliche Quellen zu Rate gezogen werden. Den Grundstock des nötigen Quellenmaterials bilden die Kaderakten der DDR-Elite in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen (SAPMO). Zudem kann man vor allem im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) auf umfangreiches Material zurückgreifen. Die Vorgänge um die Verurteilung Max Fechners sind in den dortigen Akten gut nachzuvollziehen.
Max Fechner – ein Sozialdemokrat in der SED
Max Fechner wurde am 27. Juli 1892 in Rixdorf geboren und trat bereits im Alter von 19 Jahren der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei. Nach seiner Rückkehr von der Ostfront im Januar 1917 heiratete er seine Freundin Erna Barthe. Drei Jahre später wurde der gemeinsame Sohn Harry geboren. Im Jahre 1920 verlor Fechner seine Anstellung als Werkzeugmacher, als er wegen der Organisation einer Demonstration gegen das Betriebsrätegesetz fristlos entlassen wurde. Dies ist insofern erwähnenswert, als Max Fechners späterer Sturz als Justizminister der DDR vor allem darauf zurückzuführen ist, dass er den streikenden Arbeitern des 17. Juni 1953 Rechtssicherheit im Sinne des Streikrechts zugestanden hatte.
Als SPD-Stadtverordneter von Berlin und preußischer Landtagsabgeordneter wurde Fechner während des Nationalsozialismus mehrfach inhaftiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahm er sofort seine politischen Aktivitäten wieder auf: Nach der Wiederzulassung der Parteien knüpfte er im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands an seine Arbeit für die Sozialdemokratie an. 1946 teilte er sich bei der Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) mit der SPD zu SED in scheinbarer Parität mit Walter Ulbricht den stellvertretenden Parteivorsitz hinter Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl. Zudem wurde ihm das Amt des Justizministers zugesprochen, obwohl Fechner in seiner bisherigen politischen Tätigkeit für die SPD keine Routine im Umgang mit ähnlich anspruchsvollen Aufgaben entwickelt hatte.
Fechner selbst war klar, dass er die an ihn gestellten Ansprüche weder politisch noch fachlich erfüllen konnte. Er sollte als Präsident der Deutschen Justizverwaltung zunächst vorwiegend darauf achten, dass die Neustrukturierung der Justiz in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von Anfang an in den richtigen Bahnen verlief und den Ansprüchen der Parteiführung genügte. Ihr konnte sein juristisches Unvermögen daher eigentlich nur gelegen kommen. Zum einen brachte es eine gewisse Minderung seines Selbstbewusstseins mit sich, was ihn zu einem noch willfährigeren Instrument in den Händen des Politbüros werden ließ.
Der 17. Juni 1953 – der Anfang vom politischen Ende
Der direkte Auslöser für Fechners politischen Niedergang war zunächst seine Reaktion auf die Arbeiterunruhen in Berlin und anderen ostdeutschen Städten im Juni 1953. Mit einem Interview im Neuen Deutschland (ND) vom 30. Juni 1953 versuchte Fechner beschwichtigend auf die Bevölkerung einzuwirken. Er äußerte sich in dem Bericht dahingehend, dass Streiks nicht illegal seien und nicht zwangsweise eine Verurteilung nach sich zögen und hoffte somit, die Aufregung in der Arbeiterschaft beruhigt zu haben.
"Er wird beschuldigt, der feindlichen Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik, indem er in seiner Eigenschaft als Minister der Justiz durch ungenehmigte Veröffentlichung des Zeitungsartikels vom 30. Juni 1953 im ‚Neuen Deutschland’ und anderen demokratischen Zeitungen zum Nutzen imperialistischer Mächte die Rechtssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik gefährdete. Strafbar nach Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik und Artikel III A III Abschnitt II der Kontrollratsdirektive 38."
Der offizielle Anklagepunkt sollte also der sehr weitgefasste und absichtlich nie konkretisierte Tatbestand der Boykotthetze sein: "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches".
Max Fechner – der Dienstherr mit schlechtem Einfluss?
Fechner hatte sich nach den ersten Beurteilungen durch die Staatssicherheit keines staatsfeindlichen Verhaltens schuldig gemacht. Allerdings hatten die Untersuchungen im Umfeld Fechners und vor allem die Aussagen seines persönlichen Mitarbeiters Dr. Günther Scheele dem MfS einen anderen Weg gewiesen, den ungeliebten, im Herzen wohl Sozialdemokrat gebliebenen Justizminister aus seinem Amt zu befördern: die Verlegung der Anklage auf einen privaten Aspekt, die für Max Fechner eine tragische Verquickung seiner vermeintlich privaten Lebensführung mit den tagespolitischen Ereignissen mit sich brachte. Die Befragungsprotokolle förderten zusätzlich zu Fechners politischem Fehlverhalten auch vermeintlich moralische Entgleisungen zutage. Verschiedene Personen berichteten über ein ungewöhnlich enges Verhältnis zwischen Fechner und seinem Chauffeur, das einen rein freundschaftlichen Rahmen sprengte. So hieß es in dem Schlussbericht des MfS: "Des weiteren hat er unter Missbrauch seiner Stellung mit einer ihm dienstlich unterstellten und abhängigen männlichen Person geschlechtliche Beziehungen aufgenommen und Unzucht getrieben."
Die gesetzliche Basis zur strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller überstand die so oft bemühte Stunde Null. Bei Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war der Homosexuellenparagraf also noch immer in der Fassung von 1935 in Kraft. Obwohl es also keine Anknüpfung an die sozialdemokratische Tradition der Weimarer Republik im Kampf gegen ein Homosexuellenstrafrecht gab, wurde in der DDR die Rechtsprechungspraxis dennoch weitgehend freizügiger gehandhabt als im Westteil Deutschlands.
Vorarbeiten
Eine Aussage von Fechners Chauffeur deutet darauf hin, dass bereits vor Fechners unglücklichen Aussagen zum 17. Juni 1953 an seiner Ablösung gearbeitet worden war und das Verhältnis zwischen ihm und seinem Fahrer erst auf Veranlassung des MfS enger wurde, um es schließlich zu einer "widernatürlichen" Affäre umzudeuten. Der Chauffeur hatte sich Dr. Scheele gegenüber geäußert, "daß alles so schwer wäre, er könne ja über alles nicht reden und faselte etwas von 'Stasi' und einem 'Hohen', der, wenn ich ihn richtig verstand, ihn bisweilen besuche. Mir war das alles unklar, doch hatte ich den Eindruck, als ob ihn etwas bedrücke, wo er mit der Sprache nicht herauswollte.“
Das MfS fand schließlich einen weiteren Zeugen zur Bestätigung der Vorwürfe. Ein ehemaliger Angehöriger des Wachbataillons der Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei, der einst zur Bewachung des Justizministeriums eingesetzt war, berichtete von einem angeblichen Fall von Belästigung durch den Justizminister auf seine Person aus dem Jahr 1951.
Das Urteil
Zwei Jahre nach Fechners Verhaftung im Juli 1953 wurde ein Urteil gesprochen. Fechner wurde gemäß der Anklage wegen Boykotthetze nach Artikel 6 DDR-Verfassung und Vergehen beziehungsweise Verbrechen nach den Paragrafen 175 a II StGB und 175 a III StGB zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Wenn man das gerichtliche Urteil vom 6. Juni 1955 genauer studiert, fällt auf, dass Fechner immerhin ein Drittel seines Strafmaßes für Tatbestände erhielt, die mit den politischen Vorfällen des 17. Juni 1953 gar nichts zu tun hatten. Tatsächlich war in dem ersten Protokoll des Politbüros vom 14. Juli 1953 mit keiner Silbe von den moralischen Verfehlungen Fechners die Rede, die letztlich einen großen Beitrag zu seiner Verurteilung leisten sollten. Das erste Mal tauchen die Anschuldigungen im Protokoll vom 30. Juli 1953 auf, also bereits zwei Wochen nach der erstmaligen Vernehmung des Justizministers. Man warf dem Justizminister vor, sich mit "politisch unzuverlässigen, ihm persönlich ergebenen Elementen"
Die Familie
Fechner war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung seit mehr als 30 Jahren verheiratet. Seine Frau hat während der gesamten Zeit seines juristischen Verfahrens und seiner Strafverbüßung niemals aufgehört, an ihrer Ehe festzuhalten. Mehrmals bemühte sie sich um eine persönliche Kontaktaufnahme und scheute auch nicht davor zurück, sich an die obersten Parteigenossen zu wenden. Von Seiten des Politbüros versuchte man Erna Fechner zu einer pragmatischen Lösung ihres "Ehegattenproblems" zu überreden: „Otto Grotewohl schlägt folgende Regelung vor: Die Genossin Fechner nimmt wieder ihren Mädchennamen an und bekommt eine Arbeit als Heimleiterin in der Volkssolidarität oder ähnlich, möglichst außerhalb Berlins. Wenn sie selbst damit einverstanden ist, werden wir ihr dabei helfen".
In einem Brief an seine Frau vom November 1955 betonte Fechner, dass er ihr stets treu war und die Entscheidung, ob sie trotz aller ihm gegenüber erhobenen Beschuldigungen weiterhin an eine Zukunft mit ihm glaube, in ihrer Hand läge.
Halbherzige Rehabilitation
Im April 1956 wurde Fechner vorzeitig aus der Haft entlassen. Das allgemeine Tauwetter nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion hinterließ auch in der DDR seine Spuren und trug zu seiner Begnadigung bei. In einem vorausgehenden Bericht wurde erörtert, dass die bis dahin abgeleistete Haftstrafe zu Recht verbüßt wurde: "Selbst wenn das Oberste Gericht [...] eine Gesamtstrafe von nur 8 Jahren Zuchthaus bildete, so ist eine Gesamtstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten, bis 3 Jahre Zuchthaus allein wegen der Sittlichkeitsverbrechen gerechtfertigt. Das bedeutet, daß der Verurteilte [...] allein wegen dieser Verbrechen bis 15.1.1956 bzw. 15.6.1956 zurecht festgehalten wird."
Fechner selbst schien nichts aus seinem persönlichen Schicksal gelernt zu haben. Er trat 1958 wieder in die SED ein und wurde parteilich rehabilitiert. Nach seiner Entlassung verlor er kein Wort über die Repressalien, die ihn beinahe drei Jahre seines Lebens gekostet hatten. Im Gegenteil: er war offenbar noch immer davon überzeugt, dass das gesamte Verfahren auf einem ermittlungstechnischen Fehler beruhte. Auch nach seiner Entlassung biederte er sich förmlich bei Ulbricht an, indem er zu Propagandazwecken mit ihm im April 1966 in der Fernsehshow "Mit dem Herzen dabei" auftrat. In einem persönlichen Brief an Ulbricht anlässlich des Parteijubiläums 1971 werden Fechners opportunistische Charakterzüge und sein immer noch ungebrochenes Vertrauen in den Parteivorsitzenden deutlich. Er schrieb: Mit "herzlichem Dank und großer Freude habe ich Deinen herzlichen Nelkenstrauß zum 25. Jahrestag der Vereinigung entgegengenommen. Ich wünsche Dir recht gute Gesundheit und weiter große Schaffenskraft für die Partei und sozialistische Republik."
Fazit
Eine vollständige Rehabilitierung Fechners fand nie statt, eine Aufhebung des Urteils erfolgte nicht. 1967 wurde Fechner schließlich mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet. Man ehrte ihn anlässlich seines 75. Geburtstages "für die Verdienste im Kampf der Arbeiterklasse für Frieden und Sozialismus und bei der Stärkung und Festigung der DDR
Nach Fechners Sturz lag eine Reform des Homosexuellenparagrafen lange auf Eis. Erst mit der Einführung des neuen Strafgesetzbuches wurde die Straffreiheit für die sogenannte einfache Homosexualität durchgesetzt. Fechners Verurteilung gemäß Paragraf 175 StGB könnte eine Ursache dafür gewesen sein. Man hatte bemerkt, dass eine Instrumentalisierung des Privaten zur Beseitigung unliebsamer Zeitgenossen gute Dienste leisten konnte. Vor staatlichen Eingriffen in die persönlichen Lebensverhältnisse unter Verletzung zahlreicher Persönlichkeitsrechte war dabei eben auch die Elite nicht gefeit. Schließlich machte die Nutzung des Privaten erpressbar und man verhinderte damit, wie im Fall Fechner, dass Genossen ihre parteilich abgesteckten Befugnisse überschritten.
Das hier gewählte Prozedere steht dabei beispielhaft für die Scheinheiligkeit des Politbüros als vermeintlich oberste moralische Instanz: Entscheidungen und Werte wurden jederzeit den Begebenheiten angepasst, so dass man situationsbedingt und flexibel agieren konnte. Man hatte zwar das Ziel, den Anstrich eines fortschrittlichen Staates nicht zu verlieren, in dem die Frage nach der Sexualität zweitrangig war. Allerdings musste sich die DDR-Führung im Fall Fechner eingestehen, dass das selbst geschnürte moralische Korsett, in das man passen wollte, zu eng war.
Zitierweise: Susanne Fischer, Max Fechner – Opfer oder Täter der Justiz der Deutschen Demokratischen Republik? In: Deutschland Archiv, 10.12.2015, Link: www.bpb.de/217123