Die Frage nach dem Umgang der beiden deutschen Staaten mit ihrer Vergangenheit ist bereits seit geraumer Zeit eine in der zeitgeschichtlichen Literatur viel diskutierte.
Entstehung und Entwicklung
Insbesondere die Gedenkstätte am ehemaligen KZ Buchenwald nahm eine besondere Stellung in der Erinnerungskultur der DDR ein. Einen Vorläufer hatte diese bereits seit dem 11. April 1946, dem Jahrestag der Befreiung des Lagers, in Gestalt eines auf dem Goethe-Platz in Weimar aufgestellten provisorischen Denkmals. "Der Anstoß zum musealen Ausbau des ehemaligen KZ Buchenwald nach dem Muster der Gedenkstätten in Auschwitz in Polen und Theresienstadt in der Tschechoslowakei ging bereits im Juli 1949 von der sowjetischen Besatzungsmacht aus. Schon im Juli 1945 hatte der ehemalige jüdische Häftling Werner A. Beckert im Namen seiner Mithäftlinge gefordert, das Lager als Mahnmal zu erhalten. [...] Erst nach dem Juniaufstand 1953, der das Bedürfnis der SED nach Selbstlegitimation verstärkt herausforderte, entschloss diese sich dann allerdings zum planmäßigen Aufbau der Gedenkstätte."
Die Einweihung der Gedenkstätte in Buchenwald fand im September 1958 statt, 1959 folgte die Eröffnung der Gedenkstätte in Ravensbrück und 1961 in Sachsenhausen. 1961 wurden alle per Statut in den Rang Nationaler Mahn- und Gedenkstätten (NMG) erhoben.
Das "Buchenwald-Kollektiv"
„Das Zentralkomitee der SED, sonstige Parteiinstanzen sowie parteinahe und einseitig auf den kommunistischen Widerstand ausgerichtete Organisationen wie das ‚Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer’ (KdAW) hatten entscheidenden Einfluss auf Aufbau, Gestaltung und Personalkonzept der Gedenkstätten."
"1. Beschränkung des Gedenkstättengeländes auf Kernbereiche, insbesondere das ehemalige Häftlingslager. 2. Errichtung mehr oder weniger monumentaler Gedenkanlagen, in deren Zentrum ein möglichst großer "Feierplatz" (Buchenwald-Kollektiv) eingeschlossen werden sollte. 3. Abriss und Überformung der original erhaltenen Bausubstanz innerhalb des Gedenkstättengeländes bei gleichzeitiger, weitgehend geschichtsvergessener Umnutzung der erhaltenen Gebäude außerhalb der Gedenkstätte. 4. Pädagogisch-didaktisches Ziel der Gestaltung war es nicht, die Funktionszusammenhänge der Konzentrationslager, wie sie sich in ihrer Anlage darstellen, für den Besucher lesbar zu machen und zu erklären, sondern die Überwindung der SS-Herrschaft und den Sieg des Antifaschismus in der Dominanz der Gedenkanlage gegenüber den Relikten zum Ausdruck zu bringen. 5. Auch bei der Gestaltung der Denkmalsanlagen dominierte das an den politischen Häftlingen orientierte Bild des antifaschistischen Widerstandskämpfers über die Pluralität der Opfergruppen. Das Gedenken an die wegen ihres Glaubens Verfolgten (beispielsweise Zeugen Jehovas) oder aufgrund nationalsozialistischer Rassepolitik Inhaftierten fand entweder in der Gestaltung keinerlei Ausdrucksform oder wurde marginalisiert."
Diese Umnutzung erfolgte in erster Linie durch die sowjetische Armee sowie die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR. So wurden beispielsweise Teile der späteren Gedenkstätte Sachsenhausen 1950 durch die Kasernierte Volkspolizei (KVP) der DDR übernommen. Teile des Areals wurden zerstört, 1952/1953 sprengte die KVP das Krematorium. Die Baracken dienten der Bevölkerung als Bau- und Brennmaterial.
"Die führenden Kräfte der Arbeiterklasse"
Am 14. September 1958, dem Tag der Opfer des Faschismus, wurde in Buchenwald mit der Gedenkstätte zugleich das dortige "Buchenwalddenkmal" eingeweiht. Der Künstler, Fritz Cremer, wird im oben zitierten Schulleseheft wie folgt beschrieben: "Fritz Cremer war 1950 aus Wien nach Berlin in die Deutsche Demokratische Republik gekommen. Hier sah er die Arbeiter und Bauern unter Führung ihrer Partei mit allen Kräften am Werke, dem deutschen Name Ehre zu machen und den Faschismus mit seinen imperialistischen Wurzeln mit Stumpf und Stiel auszurotten und neue, sozialistische Fundamente zu legen. Selbst Mitglied der KPD seit 1929, kam er zu uns, weil er mit in dieser Kampffront stehen wollte."
"Die [frühe] Fassung zeige richtig den Widerstand, aber nicht den Sieg, nicht die Selbstbefreiung mit Waffen in den Händen. Es fehle damit also der [Skulpturen-]Gruppe die letzte historische Wahrheit. [...] Nicht gezeigt sei das Vorangehen der Kommunisten und bewußten Antifaschisten, nicht das es Führende gab, Geführte, Ausweichende, Zurückbleibende und Versagende, Verzagte."
Über die vollendete Skulptur wurden die Schülerinnen und Schüler dann informiert: "Die unvergeßlichen Gestalten des Buchenwalddenkmals sind nicht nur Zeugen einer durch sie überwundenen Vergangenheit, die uns die volle Wahrheit über den harten und opferreichen Kampf der Besten gegen Faschismus und Krieg ins Gedächtnis prägen. In ihnen sind die führenden Kräfte der Arbeiterklasse sichtbar gemacht. Unerschütterlich überzeugt von den revolutionären Ideen des Marxismus-Leninismus, zum Handeln geführt durch die lenkende und organisierende Kraft der Partei, sind sie die Sieger der Geschichte. In ihrem Geiste vollenden wir den Bau des Sozialismus, den wir in ihrem Geiste auch gegen alle Anschläge des Imperialismus und Neofaschismus zu schützen wissen."
Sowohl aus den übergreifenden Konzeptionsgedanken des Buchenwald-Kollektivs als auch aus den Texten des Schulleseheftes ist ersichtlich, dass die NMG als ein zentrales Instrument des staatlich propagierten Antifaschismus gedacht waren. Die Bedeutung der Plastik für die verschiedenen Opfergruppen Buchenwalds aus zahlreichen Ländern der Welt wurde nicht thematisiert, deren eigene Leidenserfahrungen und Interpretationen spielten keine Rolle. Wie die Gedenkstätten, sollten auch die Denkmäler stets das Bild der DDR als eines demokratischen, antifaschistischen Staates untermauern.
"Nationale Mahn- und Gedenkstätten als Reiseziel"
"Pfingsttreffen der Jugend" in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen am 30. Mai 1982 (© Bundesarchiv, Bild 183-1982-0530-007)
"Pfingsttreffen der Jugend" in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen am 30. Mai 1982 (© Bundesarchiv, Bild 183-1982-0530-007)
An staatlichen Gedenktagen wurden die NMG zu Aufmarschplätzen für die Massenorganisationen, die NVA oder das MfS. Hier wurden Truppenvereidigungen, Fahnenapelle oder Jugendweihefeiern abgehalten.
"Museen des antifaschistischen Widerstandskampfes"
In Sachsenhausen existierte bereits seit der Eröffnung 1961 ein "Museum über den antifaschistischen Freiheitskampf der europäischen Völker". In Buchenwald und Ravensbrück hingegen entstanden erst 1984 und 1985 "Museen des antifaschistischen Widerstandskampfes", die für alle Besucher auf dem direkten Besucherweg lagen und so - zumindest nach dem Willen der Planer - zwingend Bestandteile eines jeden Gedenkstättenbesuches darstellten.
Gedenken an Orten "doppelter Vergangenheit"
Daher rückten die NMG bereits kurz nach der Wiedervereinigung in den Fokus öffentlicher Debatten. "Die Notwendigkeit einer Veränderung wurde von kaum jemandem grundsätzlich bestritten, nicht einmal von Seiten der PDS. Die außerordentlich starken Konflikte über die Prinzipien der Neugestaltung erwuchsen hauptsächlich aus der unterschiedlichen Bewertung und Einordnung der Geschichte der sowjetischen Speziallager."
In Buchenwald und Sachsenhausen war zu Beginn der 1990er Jahre insbesondere die Frage nach dem richtigen Gedenken an die Opfer der Speziallager umstritten. "Mit vielen sehr emotional vorgetragenen Behauptungen und unsensiblen Aktivitäten wurden die Konflikte ausgetragen. Es bestand einerseits die Forderung eines Großteils der Speziallagerhäftlinge, in der Erinnerungsarbeit auf der gleichen Stufe wie die KZ-Häftlinge angesehen und behandelt zu werden, und auf der anderen Seite die kategorische Ablehnung vieler Verbände der KZ-Überlebenden, sich mit den in den ehemals in Speziallagern einsitzenden vermeintlichen Tätern eine gemeinsame Erinnerungsstätte zu teilen."
Darüber hinaus kamen prinzipielle Diskussionen über Formen und Möglichkeiten des Erinnerns an beide Diktaturen und ihre jeweiligen Opfer auf. Zunächst entstanden Anfang der 1990er Jahre kleinere Ausstellungen über die Zeit der sowjetischen Speziallager. Sie beriefen sich vor allem auf Zeitzeugenberichte und wenige Exponate, die von Überlebenden zur Verfügung gestellt worden waren.
Gedenkstättenpolitik des Bundes
1992 entstand im Deutschen Bundestag die Enquete-Kommission zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland". Die Ergebnisse der Kommission fanden trotz etlicher Publikationen und öffentlicher Anhörungen laut dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie wenig Interesse in der Bevölkerung.
Damit wurden alle ehemaligen NMG von Beginn an in der Bundesförderung berücksichtigt. Mit dem Regierungsbeschluss aus dem Jahr 1993 erhielten diese Gedenkstätten nun eine Förderung in Höhe von 50 Prozent der Gesamtkosten, befristet auf zehn Jahre.
Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes nach 1994
Im Zentrum der Überarbeitungen in den beiden ehemaligen NMG Buchenwald und Sachsenhausen stand in den darauffolgenden Jahren die Frage nach Verhältnis und Berücksichtigung aller drei Kapitel der jeweiligen historischen Orte: Konzentrationslager im Nationalsozialismus, sowjetisches Speziallager zwischen 1945 und 1950 sowie die Funktion als NMG in der DDR. Am Ende verständigte man sich darauf, dass die historischen Abschnitte in getrennten Räumlichkeiten gezeigt werden sollen. In Buchenwald wurde 1997 nach jahrelangen Diskussionen in einem gesonderten Gebäude außerhalb des Geländes der beiden Lager eine Dauerausstellung zur Geschichte des Sowjetischen Speziallagers Nr. 2 eröffnet.
So wirkten die Diskussionen um die Neugestaltung der NMG als Antrieb für eine gesamtdeutsche Diskussion im Gedenkstättenwesen. Bernd Faulenbach, 1992 Vorsitzender der Historikerkommission im Bundesland Brandenburg, formulierte im Jahr 2003: "Die Frage des Umgangs mit den großen Gedenkstätten in den neuen Bundesländern - mit Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück - gehört zu den Schlüsselfragen der Gedenkstättenentwicklung seit dem Sturz des SED-Systems und der deutschen Vereinigung. [...] Die Diskussions- und Entscheidungsprozesse gingen über die konkreten Gedenkstätten hinaus und wirkten geradezu als Katalysator für die Entwicklung des gesamten Gedenkstättenwesens."
Fazit
Die ausführlichen Diskussionen um die Entfristung der Förderung sowie der formalen wie finanziellen Gleichstellung der Gedenkstätten können hier in der gebotenen Kürze nicht dargestellt werden. Für vertiefende Informationen sei auf einige Publikationen verwiesen.
Zu DDR-Zeiten stellten die NMG ein wichtiges Instrument des staatlichen Antifaschismus dar, in bewusster Abgrenzung zur Bundesrepublik. Die Ausstellungen spiegelten nicht die historischen Fakten wider, Überreste der vormaligen Lageranlagen wurden größtenteils zerstört, unkenntlich gemacht oder nicht in die museale Darstellung integriert. Kleinere Überarbeitungen im Laufe der Zeit brachten keine wesentlichen qualitativen Verbesserungen der Ausstellungen.
Nach der Wiedervereinigung stellten sich konzeptionell zwei Hauptprobleme: Zum einen, die zu Gunsten von kommunistischen Häftlingen fehlende, respektive unzureichende Berücksichtigung anderer Opfergruppen in den Ausstellungen, zum anderen die nicht vorhandene Darstellung der sowjetischen Speziallager, die zugleich die Frage beinhaltete, wie eine künftige Konzeption an solchen Gedenkstätten mit "doppelter Vergangenheit" aussehen konnte. Mit Blick auf die gesamte Entwicklung des Gedenkstättenwesens ist hinzuzufügen: Ohne die notwendig gewordene Überarbeitung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten nach der Wiedervereinigung hätte eine umfassende, bundesweite, insbesondere auch finanzielle, Beschäftigung mit den Gedenkstätten, auch auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik, aller Voraussicht nach nicht so zügig stattgefunden.
Zitierweise: Julia Reuschenbach, "Tempel des Antifaschismus"? - Die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR, in: Deutschland Archiv, 26.1.2015, Link: http://www.bpb.de/199442