"Doch irgendwann stand dann die Entscheidung an, entweder aktiv mitzumachen oder weiter vom 'sicheren Hafen' aus zuzusehen. Das wollte ich nicht mehr, obwohl ich mich nicht gern in die erste Reihe drängele – ich bin kein Kämpfertyp (…) Doch nun hielt es mich nicht mehr zu Hause. Das war wie ein Zwang."
Er wollte mit seiner Person für gesellschaftliche Veränderungen einstehen, wurde Mitglied im "Neuen Forum" und (wenig später) sogar einer seiner Sprecher in Leipzig. Er trat aus seinem eigenen Schatten heraus und ging in aktive Opposition zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR – wie Andere vor ihm, in den viereinhalb Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft im Osten Deutschlands, von der Bildung der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis zum Sturz der DDR durch eine friedliche, demokratische Revolution im Herbst 1989. Zuerst waren es nur wenige Mutige, die gegen die allgewaltige SED und ihre sowjetische Schutzmacht zu opponieren wagten und viel dabei riskierten; lange bevor im Herbst 1989 große Teile der Bevölkerung öffentlich Widerspruch erhoben gegen den gesellschaftlichen Zustand des Landes. Immer aber waren es Menschen verschiedener Weltanschauungen und mit unterschiedlicher Motivation, die sich im Verlauf der 45 Jahre dazu entschlossen haben, nicht mehr zu schweigen. Zugleich waren die von ihnen gewählten Formen widerständigen Verhaltens ebenso dem Wandel unterworfen, wie der Staat, auf den sie sich bezogen.
Dies ging auch den oppositionellen Bewegungen so, die gezielt Veränderungen in einzelnen Gesellschaftsbereichen herbeiführen wollten. Sie bildeten sich in der DDR – stimuliert durch entsprechende Vorreiter in der CSSR und Polen – erst in den 1980er Jahren heraus. Doch verfolgten auch sie bis weit in den Herbst 1989 hinein hauptsächlich reformorientierte Ansätze. Die Macht der SED grundsätzlich in Frage zu stellen, wagten sie erst nach dem Fall der Mauer. Denn die SED-Führung versuchte stets alle Ansätze von Widerstand, Reformsozialismus und Opposition mithilfe eines aufgeblähten Repressionsapparates kategorisch zu unterbinden, um die von ihr diktatorisch ausgeübte Vorherrschaft zu sichern. Gelungen ist es ihr – dies sei vorab festgestellt – nie ganz; auch wenn man für den gesamten, zu betrachtenden Zeitraum sowohl Phasen eines stärkeren als auch eines schwächeren widerständigen Verhaltens ausmachen kann. Deutlich zu erkennen ist ebenso eine mit den Jahren wachsende Vielfalt an Formen des zivilen Ungehorsams gegenüber den Allmacht-Ansprüchen der SED, die vorgab, ihre Diktatur im Auftrag des Proletariats auszuüben, stets aber nur eine Diktatur zur Aufrechterhaltung der eigenen Herrschaft war. All dies kann im Rahmen dieses Beitrages nur grob umrissen und mit wenigen, prägnanten Beispielen belegt werden.
Verdeckter Widerstand in der SBZ und frühen DDR
In der Zeit vor der Gründung der DDR bestimmte die übermächtige Sowjetische Militäradministration (SMAD) nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch geheimdienstlich und juristisch die Geschicke der Ostdeutschen. Mit drakonischen Maßnahmen und Urteilen verdrängte sie nach und nach alle politischen Gegner der Kommunisten aus dem öffentlichen Leben. Etwa 150.000 Deutsche wurden von der SMAD in zehn "Speziallagern" gefangen gehalten, die sie ab Frühsommer 1945 auf dem Boden der SBZ errichtet hatte; infamer Weise zum Teil unter Nachnutzung von Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Aber auch zahlreiche, politisch kaum in Erscheinung getretene Bürger gerieten aufgrund von Denunziationen in das Räderwerk der sowjetischen Besatzungsmacht, verschwanden in den Speziallagern und in den Gefängnissen des sowjetischen Geheimdienstes NKWD oder wurden in Arbeitslager bis nach Sibirien verschleppt. Diejenigen Internierten, die all dies überlebten, waren danach unter Androhung strengster Strafen für sich und ihre Familien zum absoluten Schweigen über ihre Hafterlebnisse verpflichtet. Das galt auch für die zivilen Opfer von Übergriffen durch Soldaten der Roten Armee. Auch wenn also über den brutalen Restriktionen der neuen Machthaber der "Mantel des (Ver-)Schweigens" lag, war dennoch in der Bevölkerung die Angst vor den "verhaftenden, beschlagnahmenden, demontierenden und kontrollierenden Besatzungssoldaten" allgegenwärtig. Ein organisierter Widerstand konnte so nicht entstehen.
Dagegen sprach aber auch die von vielen Deutschen tief empfundene historische Schuld, welche ihr Volk durch die Verbrechen des Nationalsozialismus an der Bevölkerung der Sowjetunion und den anderen, von ihnen überfallenen Völkern auf sich geladen hatte. "Gehemmt wurde der Widerstandswille" im Osten Deutschlands zugleich "durch den die (neue) Macht adelnden Antifaschismus", wie der Schriftsteller Günter de Bruyn in seinen Erinnerungen an die Jugend in der SBZ festhält.
Den nominell stärksten Widerstand der Nachkriegszeit gab es seitens ostdeutscher Sozialdemokraten, die sich zu Tausenden – meist in illegalen Zirkeln – gegen die Vereinigung ihrer Partei mit der KPD aussprachen. Rund 6.000 von ihnen büßten ihren Widerspruch mit langjährigen Strafen in Gefängnissen und Arbeitslagern. Darunter viele, die bereits von den Nationalsozialisten wegen ihrer politischen Haltung inhaftiert worden waren.
Auch in den bürgerlichen Parteien wurde Kritik gegen eine politische Parallelisierung laut. Politiker, die den Widerspruch wagten – wie der Mitbegründer und erste Vorsitzende der Ost-CDU, Andreas Hermes, und deren zweiter Vorsitzender, Jakob Kaiser – wurden daraufhin, auf Druck der SMAD, aus ihren Parteiämtern und in die Emigration in den Westen gedrängt. Wesentlich brutaler ging die Besatzungsmacht gegen weniger namhafte Kritiker vor:
Sein Fall zeigt, wie widerständiges Verhalten in der SBZ und der frühen DDR in konzertierter Aktion von SMAD und den in Ostdeutschland neu gebildeten Justiz-Ämtern und Ministerien bekämpft wurde.
Politische Prozesse waren nach Gründung der DDR an der Tagesordnung. "Allein im Jahre 1950 verurteilten die Gerichte […] 78.000 Angeklagte wegen politischer Delikte."
Unter diesen lebensgefährlichen Bedingungen war organisierter Widerstand nur verdeckt möglich. Und doch fanden sich in diesen Jahren immer wieder kleine, regionale Gruppen von überwiegend jugendlichen Oppositionellen zusammen, die sich oft in der Widerstandstradition der "Weißen Rose" sahen,
Eine andere jugendliche Widerstandsgruppe aus Altenburg bei Leipzig wollte mehr Menschen erreichen, als dies mit Flugblättern allein möglich war. Sie bauten einen Störsender. Damit überdeckten sie im Dezember 1949 die Ausstrahlung der Festansprache des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck zum 70. Geburtstag Josef W. Stalins. Statt der Elogen auf den großen Sowjetführer war – wenn auch nur für Minuten und regional begrenzt – im staatlichen Rundfunk zu hören: "Stalin ist ein Massenmörder!" und "Wir fordern freie demokratische Wahlen!" Diese Absage an das SED-Regime und seinen Ziehvater in Moskau kostete vier der mutigen Jugendlichen – Siegfried Flack, Ludwig Hayne, Wolfgang Ostermann und Joachim Näther – das Leben. Von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt, wurden sie im berüchtigten Gefängnis Butyrka in Moskau hingerichtet; wie 919 andere Deutsche auch.
Am 17. Juni 1953 wurde mit einem Schlag sichtbar, wie weit verbreitet die Ablehnung der noch jungen DDR in der Bevölkerung war. Ihre Hoffnung, dass sich nach dem Tod Stalins im März 1953 ein neuer Kurs in der Politik der SED durchsetzen würde, war bereits zwei Monate später zerstoben. Im Mai 1953 erhöhte die SED-Führung die Arbeitsnormen per Gesetz um 10,3 Prozent. Auch wenn sie dieses unter dem Druck der sowjetischen Führung kurz darauf wieder annullierte, war der im Land angestaute Unmut nicht mehr einzudämmen. Ausgehend von Ostberlin, brach sich der Protest in über 700 Städten der DDR in Streiks und Demonstrationen Bahn. Allein der massive Einsatz sowjetischer Panzer vermochte vielerorts den Widerstandwillen in der Bevölkerung zu brechen. Die blutige Niederschlagung des Volksaufstandes, wie auch die danach einsetzende größte Verhaftungswelle in der Geschichte der DDR, ließen für viele die Abwanderung in die Bundesrepublik oder nach Westberlin zur realen Alternative werden. Zwischen 1949 und 1961 verließen rund 2,8 Millionen Menschen die DDR.
Reformorientierte Kritik in den 1950er bis 1980er Jahren
Auch in den Reihen der SED wurde der von der Parteiführung eingeschlagene Weg und die von ihr eingesetzten Methoden früh hinterfragt. Kritik kam sowohl von ehemaligen SPD-Mitgliedern als auch von aus der Emigration heimgekehrten Kommunisten und bürgerlichen Humanisten. Sie hatte der in der SBZ/DDR propagierte Antifaschismus in den Osten Deutschlands gezogen. Selbst im Parteiapparat fehlte es nicht an kritischen Stimmen von "Abweichlern und Ausweichlern."
Für viele Kritiker aus den eigenen Reihen führte der einmal eingeschlagene Weg der Dissidens jedoch nicht mehr zurück in den "Schoß der Partei", um deren Erneuerung willen sie angetreten waren. Die Liste ihrer Namen ist lang und reicht – um nur einige von ihnen zu nennen – von Rudolf Herrnstadt und Gerhart Ziller über Ernst Bloch, Robert Havemann, Walter Janka, Wolfgang Harich, Gustav Just bis zu Rudolf Bahro und Wolfgang Henrich.
All ihr "Streben war darauf gerichtet", wie Robert Havemann noch 1978 bekannte, "die Politik der DDR positiv zu beeinflussen und weiterzuführen, um sie aus ihrer Sackgasse herauszubekommen."
Schon Rudolf Bahro hatte 1977 in seiner "Alternative" in diesem "Überstaatsapparat … die entscheidenden Entwicklungshemmnisse auf dem Weg zur weiteren Emanzipation des Menschen" gesehen. "Die Kommunisten sind in solchen Parteien gegen sich selbst und gegen das Volk organisiert."
Zwar waren die Schriften von Havemann und Bahro, später auch die von Henrich, nur im Westen erschienen und damit für Leser in der DDR nur bedingt verfügbar, dennoch hatten sie "eine immense Wirkung auf die sich entwickelnde Opposition" im Lande.
Der Bedarf nach solch moralischem Rüstzeug wuchs vor allem nach der blutigen Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch die Truppen des Warschauer Paktes im Sommer 1968. Der Traum vom demokratischen Sozialismus mit menschlichem Antlitz schien für viele damit endgültig gescheitert; ebenso die Hoffnung, der Sozialismus könne sich aus sich selbst heraus reformieren. Zu brutal hatten die "Bruderparteien" des Ostblocks die Reformversuche der KPC, der kommunistischen Partei der CSSR, zunichte gemacht. Spontan kam es in der gesamten DDR zu einer Vielzahl von Protesten: Mit Mauerinschriften, selbst verfassten Flugblättern und vereinzelt auch Demonstrationen manifestierten vor allem Lehrlinge, junge Arbeiter und Schüler ihren Unmut und ihre Enttäuschung. Die Staatssicherheit registrierte bis Ende 1968 insgesamt 422 "Delikte der Verbreitung selbst gefertigter Hetzschriften", konnte aber trotz 1.290 eingeleiteter Ermittlungsverfahren nur 90 davon aufklären.
Ein Vorgang, der sich nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 wiederholte. Offen gegen die aufkommende Resignation wagten damals aber vergleichsweise nur wenige SED-Mitglieder zu protestieren. Wie stark der Unmut unter den Genossen in den folgenden Jahren weiter anwuchs, wird aus der Tatsache ersichtlich, dass allein zwischen 1981 bis 1985 die innerparteilichen Kontrollgremien über 100.000 Parteiverfahren eröffneten, in deren Folge 90.000 Mitglieder und Kandidaten aus der SED ausgeschlossen oder gestrichen wurden. Auch wenn nicht immer ein politischer Hintergrund dafür "gegeben sein mochte, kann diese hohe Zahl als Gradmesser für das erhebliche Maß an Unzufriedenheit" unter den Genossen "gewertet werden."
Ein Ventil fand ihre Unzufriedenheit aber erst Mitte der 1980er Jahre, als Michael Gorbatschow die politische Bühne betrat. Nun, da der "Revisionismus" von der Spitze der KPdSU ausging, schien die Chance für eine Demokratisierung des Ostblocks endlich gegeben zu sein. Gorbatschows Politik der "neuen Offenheit" ließ selbst aus ihrer kommunistischen Heimat gedrängte Dissidenten wie Lew Kopelew ausrufen: "Man muss an Wunder glauben" und den Liedermacher Wolf Biermann die "große Skepsis " gegen noch "größere Hoffnung" eintauschen.
Was die Reaktion der greisen SED-Führung betraf, sollte Kunert Recht behalten. Sehr zum Verdruss auch vieler reformwilliger Parteimitglieder, die sich im Herbst 1989 zusammen mit hunderttausenden, bis dahin eher "unpolitischen" Menschen auf den Straßen und Plätzen der DDR zum friedlichen Protest für eine Reform des politischen Systems versammelten.
Die gezielte Opposition der 1980er Jahre
Im Herbst 1989 traf sich viel Verdruss, Wut, Zorn und Veränderungswillen auf den Straßen der DDR. Bei jedem Demonstranten stand eine spezielle Lebensgeschichte dahinter.
Im Herbst 1989 leistete das vor allem die Bürgerbewegung "Neues Forum" – flankiert von der "Initiative Frieden und Menschenrechte", den Bürgervereinigungen "Demokratie jetzt" und "Demokratischer Aufbruch" sowie der wiedergegründeten Sozialdemokratischen Partei (SDP).
Den Schutzraum – aus dem heraus die sich formierende Opposition für lange Jahre agierte – bot die Evangelische Kirche. Mit den Friedensgebeten wurden die Gotteshäuser dann auch zu den lokalen Kristallisationspunkten der Entwicklung der Opposition, bevor sie ihren Protest auf die Straßen trug.
Mit der wachsenden Bedrohung des Friedens durch die Nachrüstung in Ost und West kam es um 1980 auch in der DDR – "allerdings mit erheblicher zeitlicher Verzögerung und wesentlich schwächerer Rückendeckung durch die offizielle Kirche"
Seit Anfang der 1980er Jahre handelten die Basisgruppen jedoch immer selbstbewusster und ihr inhaltliches Spektrum differenzierte sich weiter aus: zu den Friedens- und Menschenrechtsgruppen kamen ökologische Initiativen und Dritte-Welt-Gruppen.
Friedensbewegung und Opposition
Von zentraler Bedeutung war das Anfang der 1980er Jahre von Christoph Wonneberger – damals Pfarrer in Weinböhla bei Dresden – entworfene Konzept des "Sozialen Friedensdienstes" (SoFd). Es sollte jungen Wehrdienstverweigerern eine zivile Alternative zum Armeedienst bieten. Die Verbreitung und Umsetzung des Konzepts wurde Wonneberger auf Druck staatlicher Behörden von der Kirchenleitung untersagt.
Politisch-alternative Szenen gab es in vielen Städten der DDR. In ihrer Anfangsphase – Mitte der 1970er Jahre – war Jena der wichtigste Ort. Später kamen entscheidende Impulse für die Opposition aus Dresden, Halle, Berlin und Leipzig. Viele dieser Gruppen standen zunehmend auch überregional in Kontakt miteinander. Im Januar 1988 war in Berlin der Versuch von Bürgerrechtlern, sich mit eigenen Spruchbändern – z.B. dem Luxemburg-Zitat "Freiheit ist auch immer die Freiheit des Andersdenkenden" – unter die Teilnehmer der jährlich stattfindenden offiziellen SED-Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu mischen, noch gescheitert. Von Stasi-Spitzel in den eigenen Reihen verraten, wurden rund 120 von ihnen bereits in ihren Wohnungen bzw. auf dem Weg zur Demonstration verhaftet. Bärbel Bohley, Werner Fischer, Freya Klier, Vera Wollenberger, Wolfgang Templin und Stephan Krawczyk wurden unter Androhung hoher Haftstrafen zur Ausreise in die Bundesrepublik oder nach England erpresst.
Kulminationsjahr 1989
Ein Jahr später gelang Leipziger Bürgerrechtlern eine Luxemburg-Liebknecht-Demonstration durch das Stadtzentrum mit hunderten Teilnehmern. Deren Organisatoren kamen aus jenen Basisgruppen, die über lange Zeit die Friedensdekaden und Montagsgebete gestaltet hatten.
der DDR-weite Nachweis von Wahlfälschungen bei der Kommunalwahl am 7. Mai,
die Protestaktionen in Eisenach, Berlin, Leipzig, Dresden, Altenburg und anderen Orten in der DDR gegen das blutige Massaker der chinesischen Parteiführung am Tiananmen-Platz in Peking vom 3. und 4. Juni,
die Gründung eigener Bürgerbewegungen und Plattformen ab August und die landesweite Verbreitung ihrer Gründungsaufrufe.
Rund 300 Ostdeutsche demonstrieren am 8. Juni 1989 in Berlin gegen die offiziellen Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989.All dies war nur mit einer gezielten Opposition zu erreichen, die es zunehmend lernte, sich zu organisieren. Den nach dem Fall der Mauer im Osten Deutschlands auf den Plan tretenden Berufspolitikern des Westens waren sie dennoch nicht gewachsen. Schon allein deshalb nicht, weil sie (viel) zu lange auf die Schaffung einer anderen, besseren DDR fixiert waren; auch wenn im Gründungsaufruf des "Neuen Forums" aus taktischen Gründen das Wort Sozialismus vermieden wurde. Der SED-Dissident und Mitbegründer des "Neuen Forums", Wolfgang Henrich, begründete dieses Vorgehen am 26. Oktober 1989 – mitten im friedlichen Umbruch der DDR – in einem Gespräch mit dem Gewandhauskapellmeister Kurt Masur wie folgt: "Einen überstrapazierten Begriff einsparen heißt nicht, ihn über Bord werfen. […] Wir sahen uns angehalten, auch Menschen anzusprechen, die vielleicht schon auf gepackten Koffern saßen. Wenn wir den Begriff 'Sozialismus' nicht gebraucht haben, dann also deshalb, weil wir einen möglichst breiten Konsens herstellen wollten. Gleichwohl – das kann ich Ihnen deutlich sagen, ohne jede Einschränkung – ich kenne keinen im 'Forum', der den Sozialismus in Frage stellt." Allerdings wären alle auch verpflichtet, "uns neu zu fragen, was wir denn mit Sozialismus im einzelnen verbinden."
Nur 14 Tage später fiel, unter dem Ansturm Tausender, die keine DDR mehr haben wollten, die Mauer; eine andere Form von gezielter Opposition. Die bürgerbewegte Gegenöffentlichkeit der DDR aber wurde in dem Maße überflüssig, wie sie Öffentlichkeit für sich erkämpfen konnte.
Zitierweise: Bernd Lindner, Wege in die Opposition. Widerständiges Verhalten in der DDR, in Deutschland Archiv, 6.6.2014, Link: http:\\www.bpb.de\185289