Das "Grüne Band"
Ein lebendes Denkmal in Deutschland und Europa
Georg Baumert
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Der "Eiserne Vorhang" trennte nicht nur Deutschland in zwei Staaten, sondern zerschnitt in ganz Europa historisch gewachsene Kulturlandschaften. In den unberührten Grenzgebieten entstanden neue Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" wurden große Teile dieses "Grünen Bandes", das sich von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer erstreckt, unter Naturschutz gestellt.
Am 12. September 1944 unterzeichnen die Alliierten des Zweiten Weltkriegs das Londoner Protokoll, nachdem sie sich in einer vorangegangenen Geheimkonferenz geeinigt hatten, Deutschland in vier Besatzungszonen aufzuteilen. Auch deren Grenzen werden im Londoner Protokoll festgelegt. Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 wird dieses Protokoll genehmigt. Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 setzen die Alliierten es um – die deutsche Teilung ist vollzogen.
Bereits in den Folgemonaten wird immer deutlicher, dass sich zwei konkurrierende Machtblöcke in der Welt bilden: Der kommunistische um die Sowjetunion im Osten, der demokratisch-marktwirtschaftliche um die USA im Westen. Die Nahtstelle dieser Blöcke teilt nicht nur Deutschland, sondern auch Europa, und ein knappes Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, am 5. März 1946, stellt der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill in seiner berühmten Rede am College von Fulton, Missouri in den USA fest: "From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic an iron curtain has descended across the continent." Auch wenn Churchill nicht der erste war, der diesen Begriff für die Westgrenze des Sowjetreiches benutzte, hat er diesen Zusammenhang wohl geprägt, auch, weil dieses Bild den Charakter dieser Grenze besonders treffend widerspiegelt.
Die folgende historische Entwicklung gibt Churchill zunächst recht: Aus der Teilung Deutschlands wird die Teilung Europas. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten vertieft sich diese Spaltung, der "Eiserne Vorhang" wird in den folgenden 40 Jahren immer höher und dichter. Schließlich zerfällt jedoch das System, dem er gedient hat, an sich selbst, und er verschwindet innerhalb von weniger als vier Jahren scheinbar nahezu spurlos.
Der "Eiserne Vorhang" und sein ökologischer Fußabdruck
Die innerdeutsche Grenze zerschneidet auf 1.394 Kilometern nicht nur einen Staat, sondern auch historisch gewachsene Kulturlandschaften, Wirtschaftsbeziehungen, soziale Bindungen und Familien. Der seitens der DDR betriebene Aufwand ist erheblich: Schneisen werden in Wälder geschlagen, Gehölzaufwuchs dauerhaft beseitigt, Spurensicherungsstreifen vegetationsfrei gehalten. Am Schluss werden 1,2 Mio. Tonnen Beton und 700.000 Tonnen Eisen zu 3.000 Kilometer Zaun, 200 Kilometer Mauer, 1.800 Kilometer Kolonnenweg, 800 Kilometer Sperrgraben und 850 Wachtürmen verbaut worden sein. Dazu werden ca. 1,3 Mio. Bodenminen verlegt und 60.000 Selbstschussanlagen installiert. Bewacht wird das alles von 50.000 DDR-Grenzsoldaten.
Für größere Säugetiere werden Lebensräume und Wanderwege für lange Zeit be- oder zerschnitten; nicht wenige werden in den Minenfeldern getötet. Die Wildkatze beispielsweise nutzt erst seit den letzten Jahren wieder ihre alten Wanderkorridore, und von Rothirschen im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet weiß man, dass etwa zwei Drittel immer noch dort umkehren, wo früher der Zaun stand – obwohl heute kein Hirsch mehr lebt, der die Grenze noch kennt! Verbaute und verrohrte Fließgewässer werden zum Wanderungshindernis für Fische und Insektenlarven. Eine Folge solcher Abriegelungen ist genetische Verarmung, weil der Genaustausch zwischen einzelnen Populationen fehlt.
Andererseits werden Ackerflächen direkt im Grenzstreifen zu Grünland, das nur ab und zu gemäht wird. Ökologisch wertvolle Bereiche, z.B. im Drömling, entgehen einer Intensivierung, weil sie plötzlich nicht mehr möglich (Betretungsverbote auf DDR-Seite) oder nicht mehr rentabel ist. Vielerorts entstehen sehr verschiedenartige Offen- oder Halboffenland-Lebensräume, die anderswo bedroht oder ganz verschwunden sind. Dazu werden Wälder im Grenzstreifen nur extensiv, also zurückhaltend und sporadisch, bewirtschaftet. So bilden sich für viele Tier- und Pflanzenarten, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen, Lebensräume und Ausbreitungskorridore. Diese erstaunliche biologische Vielfalt sehr unterschiedlicher Biotoptypen, häufig in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander, wird im Weiteren noch exemplarisch geschildert.
Vom Todesstreifen zur Lebenslinie – der Weg zum "Grünen Band"
Ab Mitte der 1970er Jahre wird durch das Aufkommen der Umweltbewegung in der Bundesrepublik der Grenzstreifen unter ökologischen Gesichtspunkten (neu) entdeckt. Vielerorts entlang der Grenze wird im "Westen" gezielt kartiert (auf DDR-Seite war das wegen der Betretungsverbote nicht möglich). Die Ergebnisse bündelt der bekannte Tierfilmer Heinz Sielmann (gest. 2006) in seinem Dokumentarfilm "Tiere im Schatten der Grenze", den er von 1982 – 1988 für den NDR dreht. Der Film wird im Februar 1989 gesendet, in der Abmoderation zeichnet Heinz Sielmann eine Vision von einem Großschutzgebiet auf dem gesamten Grenzstreifen, wenn diese Grenze fallen sollte.
Am 9. November 1989 wird die Grenze tatsächlich geöffnet. Im Dezember 1989 treffen sich auf Einladung des Bundes Naturschutz in Bayern (BN) etwa 400 Umweltschützer aus beiden deutschen Staaten in Hof. "Spiritus rector" ist hier Dr. Kai Frobel vom BN, der selber als Gymnasiast in den 1970ern am Grenzstreifen bei seiner oberfränkischen Heimat Mitwitz bei Coburg Vögel kartiert hatte. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution fordern sie, den gesamten Grenzstreifen unter Naturschutz zu stellen. Hier fällt auch zum ersten Mal der Begriff "Grünes Band". Er soll versinnbildlichen, dass hier wie an einer Perlenschnur aufgereiht durch ganz Deutschland die verschiedenartigsten wertvollen Lebensräume liegen und untereinander und mit ihrer Umgebung, wenigstens zum Teil noch, vernetzt sind.
Die darauf folgenden Jahre sind geprägt von Basisarbeit: Überall entlang des – bald ehemaligen – Grenzstreifens werden die wissenschaftlichen Grundlagen geschaffen, möglichst viele Abschnitte wenigstens vorläufig unter Schutz zu stellen. Es wird immer deutlicher, dass auch nach Abbau der Grenzsperranlagen dauerhafte – und schützenswerte – Spuren in der Landschaft geblieben sind. Getragen werden diese Aktivitäten vielfach von ehrenamtlichen oder studentischen Hilfskräften. Diese "Graswurzelbewegung" verleiht dem Grünen Band so viel Schwung, dass die Naturschutzverwaltungen aller Ebenen sich dem nicht entziehen können. Das Grüne Band wird zum größten deutschen Naturschutzprojekt, die Förderung durch den Bund übernimmt das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Projektleitung hat der Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND) zusammen mit dem BN. Das Projektbüro Grünes Band der beiden Organisationen nimmt 1999 in Nürnberg seine Arbeit auf. Als gewichtiges Problem erweisen sich schon sehr früh die Besitzverhältnisse: Die Grenzsperranlagen der DDR befanden sich überwiegend auf Grundstücken, deren Eigentümer zu diesem Zweck enteignet worden waren. Seit Juni 1996 ist mit dem Mauergrundstücksgesetz auch die Klärung der Besitzverhältnisse geregelt. Soweit diese Flächen mit der Wiedervereinigung Bundeseigentum wurden, hat der Bund jetzt die Möglichkeit, sie gegen Entschädigung an die Alteigentümer z. B. zu Naturschutzzwecken zu veräußern. Naturschutzorganisationen können dadurch erste Flächen pachten oder kaufen.
Gegenwart und Zukunft
In Zahlen ausgedrückt, liest sich die bisherige Bilanz des Grünen Bandes so: Bei einer Länge von 1.394 Kilometern hat es eine Fläche von 17.656 Hektar oder knapp 177 Quadratkilometern. 60 Prozent davon sind Fließ- oder Stillgewässer, extensiv genutztes Grünland, Brachflächen oder Wälder. Es gibt 109 verschiedene Biotoptypen, von denen 48 Prozent als bedroht gelten. Nach einer Bestandsaufnahme im Jahr 2001 leben hier 5.200 verschieden Tier- und Pflanzenarten, von denen über 600 in der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen. 28 Prozent des Grünen Bandes stehen unter Naturschutz: Es gibt dort zwei Nationalparks (Harz und Bayerischer Wald), drei Biosphärenreservate (Schaalsee, Elbtalauen und Rhön) und 150 Naturschutzgebiete. 85 Prozent der Fläche und 80 Prozent der Länge sind noch naturnah. Andererseits sind 15 Prozent der Fläche durch Acker, Intensivgrünland/-weide oder den Bau von Straßen oder Gewerbegebieten zerstört. Insgesamt kreuzen bis heute 450 Straßen das Grüne Band, und es kommen neue hinzu!
Der "Eiserne Vorhang" teilte nicht nur Deutschland, sondern auch Europa, und zwar nicht nur von der Ostsee bis zur Adria, wie Churchill 1946 feststellte, sondern vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer. Die heutigen Anrainerstaaten sind – mit internationaler Unterstützung – dem Beispiel Deutschlands gefolgt, sodass 2002 die paneuropäische Initiative "European Green Belt" ins Leben gerufen wurde. Sie führte zum größten gesamteuropäischen Naturschutzprojekt: Das Europäische Grüne Band erstreckt sich auf 12.500 Kilometern von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer. Es verbindet 24 Länder und sämtliche biogeografischen Regionen Europas. In einem 25 Kilometer breiten Korridor beiderseits der ehemaligen Grenzanlagen liegen etwa 3.000 Schutzgebiete, davon 39 Nationalparks. So sind 50 Prozent des Europäischen Grünen Bandes geschützt. Andererseits jedoch sind 20 Prozent beeinträchtigt, vor allem durch intensive Landwirtschaft und Verkehrswegebau. Überdies unterscheiden sich die gesetzlichen Regelungen über Eingriffe in die Natur in den Anrainerstaaten zum Teil deutlich. Nähere Informationen kann man auf der Website von European Green Belt erhalten.
Mit den Menschen eine Zukunft des Bandes sichern
Die Zukunft des Grünen Bandes kann nur mit den Menschen gelingen. Deshalb gilt es nicht nur, das Grüne Band zu schützen, sondern auch die Menschen dafür zu gewinnen. Exemplarisch hierfür stehen die Ziele der Stiftung Naturschutz Thüringen (SNT) am Grünen Band:
Naturschutz hat Vorrang, d. h. wertvolle Lebensräume müssen erhalten und entwickelt, gefährdete Arten unterstützt werden. Alle Zerschneidungen des Grünen Bandes mindern nicht nur seinen ökologischen Wert, sondern auch seine Wirksamkeit für die nachhaltige Entwicklung der Region.
Das Grüne Band soll für die Menschen erlebbar sein (Wahrnehmbarkeit, Umweltbildung). Seine Funktion als lebendiges, ökologisches und historisches Mahnmal setzt voraus, dass die Menschen es kennen und schätzen.
Biotoppflege muss langfristig funktionieren (d. h. in der Regel Pflege durch Nutzung). Die Erhaltung des Grünen Bandes soll deshalb zur Existenzsicherung der Menschen am Grünen Band beitragen.
Die Menschen, die am Grünen Band leben, sollen sich mit ihm identifizieren können (Inwertsetzung für Naherholung und Tourismus). Menschen am Grünen Band sollen mit dem Grünen Band leben können.
Das Grüne Band soll verbinden (Zusammenarbeit zwischen den Regionen, Ländern, Staaten). Durch viele internationale Projekte und seine Besucher soll es Nationen und Menschen miteinander verbinden.
Auch alle anderen Nichtregierungsorganisationen und Naturschutzverwaltungen, die am Grünen Band tätig sind, verfolgen vergleichbare Zielsetzungen. Stellvertretend für viele andere, genau so wichtige, zeigen folgende Projekte die Bandbreite der unterschiedlichen Initiativen auf. Besondere Schwerpunkte setzt der BUND in so genannten Pilotregionen
In der Altmark bei Salzwedel hat der BUND Sachsen Anhalt Erlenbruchwälder und Grünland vernässt, also die Entwässerungen verschlossen oder beseitigt, Kleingewässer angelegt und ein Torfmoor renaturiert. Seitdem brütet der Kranich hier am Grünen Band.
Im Großen Bruch zwischen den Flüssen Bode und Oker durchzieht das Grüne Band auf 25 Kilometern ein ehemaliges Niedermoorgebiet. Durch Grundstücksankäufe sowie Anlegen von Gewässern und Gehölzen will der BUND hier die letzten naturnahen Lebensräume erhalten.
Zusammen mit der Heinz Sielmann Stiftung schuf der BUND im Eichsfeld mit dem "WestÖstlichen Tor" ein markantes Kunstwerk aus zwei Eichenstämmen, verbunden durch eine Edelstahlschwelle und umpflanzt von Eichen. Es symbolisiert die Überwindung der Teilung.
Der "Ulstersack", eine Biegung des Flusses Ulster, liegt im Biosphärenreservat Rhön. Der BUND hat hier Flächen angekauft und das Flussufer renaturiert. So haben hier Uferschwalbe, Flussuferläufer, Eisvogel und die seltene Bechstein-Fledermaus wieder einen Lebensraum.
Bei Mendhausen im Grabfeld, Landkreis Hildburghausen, hat der BUND Ackerflächen gekauft. Diese werden in naturnahes Grünland umgewandelt und durch extensive Bewirtschaftung gepflegt und erhalten.
Im Steinachtal zwischen Coburg und Kronach sind durch die Nähe zur Grenze extensiv bewirtschaftete Wälder, Teiche und Wiesen sowie Brachflächen erhalten geblieben. Der BUND hat Brachflächen, Zwergstrauchheiden, Au- und Bruchwälder angekauft, der BN Bayern Wiesen und Teiche. Sie werden jetzt ebenfalls gepflegt und bieten Lebensräume für so seltene Vögel wie Heidelerche und Ziegenmelker.
Das Fachgebiet Verkehr und Raum der FH Erfurt hat im Projekt "GREEN BELT" zusammen mit 18 Partnern aus Deutschland, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Österreich einer Machbarkeitsstudie für schonende, nachhaltige Verkehrserschließung am Grünen Band erarbeitet. Dabei wurden viele Lücken im Grünen Band deutlich. Im Nachfolgeprojekt "GREENNET" geht es daher um Entwicklung und Wiederherstellung eines ökologischen Netzwerkes, eines durchgängigen zusammenhängenden Biotopverbundes, u.a. als Teil des europäischen Netzes "Natura 2000". Neben dem Fachgebiet Verkehr und Raum arbeitet hier das Fachgebiet Landschaftsplanung mit insgesamt elf Kooperationspartnern aus sechs europäischen Ländern (Österreich, Tschechien, Deutschland, Slowakei, Slowenien, Italien) zusammen.
Beispiele auf Landes-, regionaler und lokaler Ebene
Landesebene
Mit 763 Kilometern und 6.800 Hektar Fläche liegt gut die Hälfte des Grünen Bandes in Deutschland im Freistaat Thüringen. Daher hat die Stiftung Naturschutz Thüringen (SNT) dessen Thüringer Abschnitt zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit gemacht. Ihre Hauptaufgabe besteht dabei im Flächenerwerb mit anschließender Erstpflege; letztere wird dann von lokalen Projektpartnern durchgeführt. Auf diese Weise sind bis jetzt 4.000 Hektar des Grünen Bandes in Thüringen in das Eigentum der SNT übergegangen; vorgesehen ist, dass etwa 3.600 Hektar auch dort verbleiben. Drei aktuell gestartete Projekte verdeutlichen auch noch einmal die Zielsetzung der SNT, die bereits geschildert wurde:
In der Rhön wird der Landschaftspflegeverband Biosphärenreservat Rhön dabei unterstützt, Streuobstwiesen durch Bewirtschaftung und Neuanlage wieder in Wert zu setzen. Neben dem Naturschutzeffekt entsteht daraus regionales Einkommen und ein Angebot nachhaltig erzeugter Produkte aus der Region.
Am Grünen Band im Wartburgkreis werden lokale Akteure beim Flächenerwerb unterstützt. Neben dem Schutz seltener heimischer Orchideen entstehen durch die Landschaftspflege auch wieder Einkommensmöglichkeiten für die Bevölkerung.
Zwar unspektakulär, aber ebenso wichtig ist das Anlegen einer Datenbank, in der alle Flächen im Eigentum der SNT mit Lage, aktuellem Zustand und bisherigen sowie geplanten Maßnahmen aufgeführt sind. Neben dem Flächenmanagement und –monitoring ist dies auch ein Werkzeug, Pflegemaßnahmen wissenschaftlich auszuwerten.
Regionale Ebene
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) fördert und betreut am Grünen Band fünf Naturschutzgroßprojekte, die mit lokalen Partnern umgesetzt werden. Die Projekte am Schaalsee (Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) und in der Lenzener Elbtalaue (Brandenburg und Niedersachsen) sind abgeschlossen. Die Naturschutzgroßprojekte Drömling (Niedersachsen und Sachsen-Anhalt), Eichsfeld-Werratal (Dreiländereck Thüringen, Hessen und Niedersachsen) und Rodachtal-Lange Berge-Steinachtal (Bayern und Thüringen) werden noch umgesetzt. Als beispielhaft für das gesamte Grüne Band soll hier das Naturschutzgroßprojekt Eichsfeld-Werratal geschildert werden.
Das Eichsfeld ist eine in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft. Es ist eine Hügellandschaft mit wechselnden Ausgangsgesteinen, auf denen sich ein Mosaik von Böden mit dementsprechend unterschiedlicher Wasser- und Nährstoffversorgung gebildet hat. So sind auch die Bodennutzungen verschiedenartig: Intensive und extensive Land- und Forstwirtschaft, viele Streuobstwiesen, aber auch Brachflächen aller Art. Inmitten dieser Vielfalt, die exemplarisch für das gesamte Grüne Band ist, eröffnete die Heinz Sielmann Stiftung auf Gut Herbigshagen bei Duderstadt ihr erstes Naturerlebniszentrum.
Gerade auch im Hinblick auf Heinz Sielmanns Dokumentarfilm "Tiere im Schatten der Grenze" begreift die Stiftung ihr Engagement für das Grüne Band als Verpflichtung. Aus dieser Verpflichtung heraus stellt sie sich dem BfN als regionaler Partner für das Naturschutzgroßprojekt zur Verfügung. Die Umsetzung begann 2009. Das Projektleitbild der Stiftung lautet: "Naturerbe bewahren – Naturerleben ermöglichen – regionale Wertschöpfung sichern." Schon aus diesem Leitbild wird deutlich, dass die Menschen in das Projekt bewusst mit einbezogen sind.
Der "Projektsteckbrief" liest sich so: Das Kerngebiet ist 9.600 Hektar groß. Mit 130 Kilometern betrifft es 10 Prozent des Grünen Bandes in 3 Bundesländern und 6 Landkreisen. Es schließt mehrere bereits ausgewiesene Naturschutzgebiete, Natura-2000-Schutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete und geschützte Landschaftsbestandteile mit ein. Etwa 340 Rote-Liste-Arten leben dort. Das Gebiet des Großprojektes wird geprägt durch einen hohen Anteil an naturnahen Lebensräumen wie artenreichem Grünland, Halbtrockenrasen, Fels- und Schuttbereichen sowie naturnahen Fließgewässern und Wäldern. Hier wächst der Frauenschuh, eine Orchideenart, die Kalkböden benötigt. Von besonderer Bedeutung ist dieses Gebiet für den Roten Milan, der über Grünland und Äckern jagt, aber in kleineren Wäldern brütet: Fast die Hälfte der Weltpopulation des Rotmilans lebt in Deutschland, und davon wiederum fast die Hälfte im Bereich Südniedersachsen – Nordwestthüringen – Nordhessen!
Rotmilan (Milvus milvus) ( Noel Reynolds) Lizenz: cc by/2.0/de
Rotmilan (Milvus milvus) ( Noel Reynolds) Lizenz: cc by/2.0/de
Die Vorphase des Projekts ist jetzt abgeschlossen, über die Einleitung der Hauptphase wird derzeit entschieden. Bereits jetzt wird eines deutlich: Gerade im Eichsfeld stößt dieses Projekt bei ortsansässigen Landwirten nicht nur auf Begeisterung. Vielen sind die Einschränkungen durch die Grenze noch präsent. Auf Thüringer Seite kommt die Erinnerung an die Zwangsaussiedlungen und die Kollektivierung in der DDR-Zeit dazu, und es werden Parallelen gezogen. Auch wenn diese Bedenken nicht immer rational begründet sind, müssen sie doch wahrgenommen werden. Nur so kann es gelingen, die Menschen nachhaltig in das Projekt mitzunehmen – kein leichtes Unterfangen.
Lokale Ebene
Bereits im Januar 1990 richten Naturschützer aus Behörden und Verbänden der Landkreise Göttingen (Niedersachsen) sowie Worbis und Heiligenstadt (Thüringen, beide heutiger Eichsfeldkreis) einen "Grünen Runden Tisch" ein. Sie beraten gemeinsam, wie sie die ökologisch wertvollen Abschnitte des Grünen Bandes im Eichsfeld erfassen und schützen können. Bald tragen diese Bemühungen erste Früchte: Auf einer Länge von 9 Kilometern wird der ehemalige Grenzstreifen von der B 247 bei Teistungen Richtung Nordosten bis auf den "Bundsenberg" 1997 vorläufig unter Naturschutz gestellt; 2000 tritt dann die endgültige Naturschutzgebiets-Verordnung in Kraft. Zusammen mit dem Grenzlandmuseum Eichsfeld hat die Heinz Sielmann Stiftung hier ein Besucherinformations- und Besucherleitsystem aufgebaut.
Naturschutzgebiet im Eichsfeld
Naturschutzgebiet im Eichsfeld
Naturschutzgebiet im Eichsfeld
Die große biologische Vielfalt des gesamten Grünen Bandes spiegelt sich an diesem kleinen Abschnitt wieder: Wald grenzt an extensives Offenland, es gibt Fließ- und Stillgewässer, ein Halbtrockenrasen liegt keine 500 Meter entfernt von einem ausgedehnten Großseggenried (Feuchtpflanzengesellschaft). Typisch sind offene und halboffene Lebensräume mit Gebüschen. Zum Teil werden sie mit Leineschafen (einer aussterbenden Hausstierrasse) beweidet und offen gehalten, zum Teil der Sukzession, also der natürlichen Entwicklung ohne menschlichen Einfluss, überlassen. Hier jagt und brütet der Neuntöter, ein Charaktervogel dieses Schutzgebiets. Seine Beute, Kleintiere bis zur Größe einer jungen Maus, erbeutet er auf den Freiflächen, in Dornbüschen baut er sein Nest. Dort legt er auch eine Vorratskammer an, indem er Beutetiere, die er nicht sofort an seine Brut verfüttert, auf Dornen aufspießt. Daher rührt sein volkstümlicher Name, eine andere Bezeichnung ist "Rotrückenwürger".
Problematisch ist, wie anderswo am Grünen Band auch, die fehlende räumliche Tiefe des Schutzgebiets, das überwiegend eher ein Schlauch ist. Intensiv bewirtschaftete Äcker grenzen unmittelbar an. Deren Stoffeinträge und der Stickstoffeintrag aus der Luft (mittlerweile 64 Kilogramm je Hektar und Jahr – was vor noch 50 Jahren einer Volldüngung entsprochen hätte) bewirken, dass das Offenhalten sehr aufwändig ist und in einigen Abschnitten zugunsten einer natürlichen Sukzession aufgegeben werden musste. Diese führt jedoch in Deutschland immer zu Wald, sodass die Tiere und Pflanzen des offenen und halboffenen Landes Lebensraum verlieren.
Lebendiges "Gedächtnis der Landschaft"
Insbesondere auch im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte ist das Grüne Band wichtiger Bestandteil des nationalen und internationalen Naturerbes. Es zu schützen und zu erhalten ist daher in doppelter Hinsicht Verpflichtung: Zum einen ist was früher trennte heute Lebensgrundlage und verbindendes Element, nicht nur für Pflanzen und Tiere, sondern auch Menschen und Völker geworden. Zum anderen mahnt dieses lebendige "Gedächtnis der Landschaft" an das Schicksal derer, die durch den "Eisernen Vorhang" Freiheit, Gesundheit oder gar das Leben verloren. So ist das Grüne Band ein Ort des interdisziplinaren Lernens, wo zukünftige Generationen nicht nur ökologische, sondern auch politische Lektionen erhalten können.
Zitierweise: Georg Baumert, Das "Grüne Band" – ein lebendes Denkmal in Deutschland und Europa, in: Deutschland Archiv Online, 08.07.2013, http://www.bpb.de/164090
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Georg Baumert, geb. 1961, ist diplomierter Forstwissenschaftler und seit 1998 beim Grenzlandmuseum Eichsfeld zuständig für Grünes Band und Umweltbildung.
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