Die Kiepenheuer Verlagsgruppe aus Leipzig und der C. H. Beck Verlag in München brachten in den 1980er-Jahren zwei gemeinsame Buchreihen heraus: die "Bibliothek des 18. Jahrhunderts" und die "Orientalische Bibliothek". Damals herrschten bei einigen Verlagen wie Brockhaus und Reclam, die unter gleichen Namen in beiden Teilen Deutschlands operierten, zwar immer noch Streit und Boykott,
Die "OB" und die "18."
Die "OB", wie die "Orientalische Bibliothek" im Folgenden genannt werden soll, ist eine Buchreihe, die von 1985 bis 1991 im C. H. Beck Verlag erschien und auf ostdeutscher Seite durch die Kiepenheuer Verlagsgruppe und den Verlag Volk und Welt
Roland Links, Aufnahme von 1977 (© Christoph Links)
Roland Links, Aufnahme von 1977 (© Christoph Links)
Roland Links formuliert.
Friedemann Berger, undatierte Aufnahme (© Börsenblatt des deutschen Buchhandels; privat)
Friedemann Berger, undatierte Aufnahme (© Börsenblatt des deutschen Buchhandels; privat)
Friedemann Berger, Cheflektor bei Kiepenheuer von 1977 bis 1985, und Jürgen Fischer, Lektor bei C. H. Beck, erfüllten sich damit einen Wunsch, da beide eine Leidenschaft für orientalische Literatur hegten. Schon 1980 wurde die Herausgabe einer zuerst "Asiatische Bibliothek" genannten Reihe erwogen. Bis das erste Buch erschien, musste aber noch Überzeugungsarbeit beim Beck Verlag geleistet werden. Prinzipiell war man in München für die Herausgabe, aber es fehlte an Lektoratskapazität. Später lag denn auch diese Arbeit in Leipziger Händen, die Mitarbeiter von Beck segneten die Ergebnisse meist nur noch ab. Gab es doch einmal inhaltliche – ideologische – Probleme, wurde selbst dann noch verständnisvoll reagiert: "Wenn wir noch mehr Nachworte dieser Art in der nächsten Zeit in der Bibliothek des 18. Jahrhunderts oder in der Orientalischen Bibliothek haben werden, dann graben wir ihr selbst das Grab"
Beide Bibliotheken kann man als Geschwister auffassen. Die Auflage lag jeweils bei durchschnittlich 12.000 Exemplaren, wobei noch 3.000 Exemplare für den Westexport hinzuzurechnen sind. In beiden Reihen wurden entweder zeitlich oder geografisch abseitige Themen behandelt, für die es nur kleine potenzielle Leserkreise gab. Diese Kreise galt es durch Reihen auf sich aufmerksam zu machen und sie an den Verlag zu binden.
Die Devisenpolitik der DDR als Hintergrund
Wieso ließ die Zensur in der DDR solche Bücher aber überhaupt zu? Offiziell begründet wurde der Nutzen der Reihe mit dem umfassenden Bildungsanspruch, den der Staat für die Bürger stellte. Dass die Verlagsgruppe als geeigneter Herausgeber erschien, ergab sich aus der Profilierung der Erbegruppe. Diese resultierte aus den Traditionen der vorher selbstständigen Verlage, die sich erstens miteinander verbinden ließen und zweitens orientalische Titel bereits im Verlagsprogramm aufweisen konnten. Die Möglichkeit des Exports war jedoch das wichtigere Argument für die Genehmigung der Reihe. Schließlich musste sich die für die Wiedergabe von Eigennamen
Weisheit des alten Indien, herausgegeben von Johannes Mehlig. Umschlag von Band 2: Buddhistische Texte (© Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig/C.H. Beck Verlag München)
Weisheit des alten Indien, herausgegeben von Johannes Mehlig. Umschlag von Band 2: Buddhistische Texte (© Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig/C.H. Beck Verlag München)
notwendige Anschaffung eines typografischen Satzes von diakritischen Zeichen rechnen. Den Mitarbeitern konnte es dabei nicht um den unmittelbaren finanziellen Gewinn gehen, da dieser ohnehin von der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel (HV) und damit vom SED-Staat abgeschöpft wurde. Die Koproduktion lag demnach nicht im genuinen Interesse des Verlages, sondern wurde letztlich von der SED forciert. Wie auch andernorts häufig im "real existierenden Sozialismus" wurde dieses Ziel mit Ideologie verbrämt. Literaturexport aus der DDR in den Westen sollte immer die Leistungsfähigkeit bzw. Überlegenheit des sozialistischen Systems demonstrieren und die Werte dieser Ideologie im kapitalistischen Ausland vermitteln.
Der Verlagsgruppe selbst kam höchstens die Erwerbung ausländischen Bildmaterials zugute, da illustrierte Bücher mit einem besseren Absatz in der DDR rechnen durften. Da die Bildbeschaffung im Westen meist mit der Lektoratsarbeit im Osten verrechnet wurde, waren hierfür auch kaum Devisen aufzubringen.
Der Export – und damit der Devisengewinn – war also der vorrangige Grund für die Koproduktion seitens der DDR. Folglich war ein maximaler Gewinn an Devisen bei minimalem Material- und Arbeitsaufwand anzustreben. Es wurde versucht, die Minimierung des Aufwands mittels Verordnungen in den Verlagen durchzusetzen.
Die Verhandlungsbasis hätte nur durch eine generelle Verbesserung der Wirtschaftslage konsolidiert werden können, die aber bis zum Ende der DDR nicht erreicht wurde. Dazu soll noch einmal die Exportsituation in der Verlagslandschaft vergegenwärtigt werden. In den 1980er-Jahren waren bei einer Verlagsproduktion von circa 90 Titeln "fünfzig Titel jährlich" durch Mitdruckgeschäfte gebunden.
Zum Umfang der Ausfuhr von Büchern gibt es verschiedene Einschätzungen. Der Export in das "SW", das sozialistische Wirtschaftsgebiet, habe 30 Prozent der gesamten Verlagsproduktion in der DDR betragen, meint Nils Kahlefendt.
Für den illustrierten "OB"-Band "Schahname", der in einer kleinen Auflage von 4.500 Exemplaren erschien, wurde bei einem Verlagsabgabepreis (VAP) von 55,25 Mark ein Exportpreis von 85,– Mark verlangt. Bei geplanter Abnahme von 400 Stück durch Sortimentsexport in den Westen lag der Erlös bei 17.000 Valutamark.
Für die Kiepenheuer Gruppe ging es zu 80 Prozent um Mitdruckgeschäfte, und nur 20 Prozent des Exports wurden durch Sortimentsausfuhren erzielt.
Der Nutzen für Beck
Wo lagen nun die Vorteile der Koproduktion für den C. H. Beck Verlag? Im Gegensatz zur DDR war der Absatz für den Münchner Verlag eine entscheidende Größe für oder gegen den Entschluss zur Koproduktion. Abgesehen davon kann ein Verlag mit einer gut lektorierten Reihe auch sein Renommee in der Öffentlichkeit vergrößern. Der Anfang der "18." war in Ost und West schwierig.
Gleichwohl stellte sich die Situation bei der "OB" umgekehrt dar. In Westdeutschland verkaufte sie sich nur schwer, während in Ostdeutschland die Auflage bald nicht mehr zu haben war. So wurde beispielsweise in Leipzig über eine Nachauflage des Werkes "Über die Frauen" nachgedacht, was darauf schließen lässt, dass das Werk vergriffen war. Im Westen waren zu demselben Zeitpunkt aber noch 2.000 Exemplare vorhanden. Überspitzt formuliert, war die "18." eine "Westreihe" und die "OB" eine "Ostreihe". Dabei war der Erfolg mit zweierlei Maß zu messen. In Westdeutschland wurde eine kleinere Auflage auf einem größeren Markt angeboten, während in Ostdeutschland einer größeren Auflage ein kleinerer potentieller Leserkreis gegenüberstand. In der DDR war also zumindest das oberflächliche Interesse an orientalischer Literatur wesentlich größer als in der BRD. Ob die Bücher dann auch gelesen wurden, sei dahingestellt.
Wäre das Projekt "OB" an sich im Westen als rentabel eingeschätzt worden, hätte der Beck Verlag eine Koproduktion gar nicht in Erwägung ziehen müssen. Beide Verlage hätten eine ähnliche Reihe in entsprechendem Umfang auf seinem Absatzmarkt verkaufen können, und der zusätzliche Arbeitsaufwand durch eine Koproduktion wäre weggefallen. Der Vorteil der Koproduktion ergab sich erst aus der Verringerung des Absatzrisikos, das mit dem Erscheinen der Reihe verbunden war, da der Lesergeschmack in Westdeutschland mehrheitlich auf populäre Literatur ausgerichtet war und noch dazu mit anderen Freizeitbeschäftigungen konkurrierte. Durch die Koproduktion verminderten sich das Absatz- und damit auch das finanzielle Risiko für Beck, da sich durch die preisgünstigere Produktion die Investition schon bei geringem Absatz amortisierte. Außerdem konnten die günstigeren Produktionskosten an den Kunden weitergegeben werden, und der niedrigere Ladenpreis dürfte wiederum mehr Käufer angezogen haben. Von der "OB" nahm der Beck Verlag durchschnittlich 3.000 Exemplare ab. Selbst von dieser im Vergleich zum Osten verhältnismäßig kleinen Auflage wurden selten alle Exemplare verkauft. Bei einer Eigenproduktion hätten bei einer solchen Stückzahl die Preise für die einzelnen Titel wesentlich höher ausfallen müssen, was sich wiederum negativ auf den Absatz ausgewirkt hätte. Für Beck in München hätten also die "Bibliothek des 18. Jahrhunderts" und die "Orientalische Bibliothek" ohne Koproduktion ein zu großes Risiko dargestellt. Für die Verlagsgruppe Kiepenheuer in Leipzig hingegen wären die langfristigen Vorschusskosten auf Dauer zu hochgewesen, um sie allein bewältigen zu können. Deswegen wären die beiden Reihen ohne die Koproduktion wohl nicht zustande gekommen.
Literaturtransfer auf der Mikroebene
Cover eines weiteren Bandes aus der "Orientalischen Bibliothek" (© Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig/C.H. Beck Verlag München)
Cover eines weiteren Bandes aus der "Orientalischen Bibliothek" (© Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig/C.H. Beck Verlag München)
Aber ergab sich aus der geschilderten Koinzidenz der materiellen Interessenlagen auch ein geistiger Austausch? Dazu lassen sich hier nur einige generelle Aussagen treffen. Die obligatorischen Nach- und Vorworte zu den einzelnen Bänden waren insofern entscheidend, als hier etwaige Missliebigkeiten in den Werken für die Leser in der DDR ins sozialistisch-rechte Licht gerückt werden sollten. Mit dementsprechenden ideologischen Verbrämungen konnte so manches Werk veröffentlicht werden, das sonst keine Druckgenehmigung erhalten hätte. Das Bemerkenswerte an den beiden Reihen sind also nicht nur die veröffentlichten Werke, sondern auch die Kommentierungen dazu. Dies wird auch in einem Artikel des Frankfurter "Börsenblattes" über die "Bibliothek des 18. Jahrhunderts" festgestellt: "Selbstverständlich bleibt das Œuvre tabu. Die unterschiedlichen Auffassungen spiegeln sich im Vor- oder Nachwort, in den Kommentaren und Interpretationen, manchmal auch in der Werkauswahl wider – Austauschteile! Textidentische Ausgaben sind mithin die Ausnahme (sie erscheinen hierzulande meist in roteingefärbten Kleinverlagen)."
Durch die editorische Zusammenarbeit und die damit verbundenen Reisen zur Frankfurter Buchmesse konnten sich die zuständigen Mitarbeiter bei Kiepenheuer zugleich ein eigenes Bild vom Westen machen, sodass die Koproduktion mit Beck auch zu ganz praktischen Einsichten in die westdeutsche Lebensweise verhalf.
Die "OB" ist eine vom Volumen her marginale, für Einsichten in den Verlagsbetrieb und in den Buchhandel aber nicht unwichtige Facette des innerdeutschen Literaturaustausches. An ihr wird deutlich, dass viele kleine Bausteine dazugehörten, den literarischen Austausch zwischen West und Ost aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zwischen Ost und West tritt zu Tage, wie eng die Grenzen im Osten gezogen werden sollten. Dessen ungeachtet gab es in den 40 Jahren DDR mehr Buchprojekte zwischen Ost und West, als man annehmen könnte. In ihrer Gesamtheit trugen sie dazu bei, dass sich zumindest die kulturelle Kluft nicht allzu sehr vergrößerte. Jedes Einzelobjekt war also wichtig, denn der Literaturtransfer geschah auf der Mikroebene. Die Bücher waren zumindest auf offizieller Ebene der Grund, um legal miteinander in Kontakt zu treten. Nicht nur der Inhalt der Bücher legte eine gemeinsame Grundlage, sondern vor allem die gemeinsame Arbeit schuf eine Basis für den Austausch über die Grenze hinweg.