Seit 1903 betreiben die USA auf einem Gebiet von knapp 118 km² im Südosten der Insel Kuba einen Militärstützpunkt, für den die kubanische Regierung jährlich per Scheck eine symbolische Pachtgebühr erhält. Ein militärisch genutzter Hafen, zwei Militär-Flugplätze, mehrere Wohnsiedlungen und ein Einkaufszentrum gehören zu dem Gelände rund um die Externer Link: Bucht von Guantanamo. Das Terrain gilt als US-Staatsgebiet. Seit 1959 erkennt Kuba die Rechtmäßigkeit der Basis "Guantanamo" allerdings nicht an, auf der 2002 auch ein umstrittenes amerikanisches Gefangenenlager eingerichtet wurde.
1984/85 half die DDR-Staatssicherheit dem kubanischen Innenministerium, die Militärbasis in einer Geheimoperation unter dem Codenamen "Königspalme" aufwändig auszuhorchen. Mit Spionageequipment im Wert von 8 Millionen DDR-Mark wurde nahe der befestigten Militärbasis ein getarnter Abhörkomplex eigerichtet.
MfS-Unterlagen geben detailliert über den ehrgeizigen Lauschangriff Auskunft. Zwei erhalten gebliebene Stasi-Aktenordner aus der Hauptabteilung III (Funkaufklärung) und einer aus der Abteilung X (Internationale Verbindungen) sind diesem Überblickstext komplett zur Lektüre beigefügt (s.u.).
Mit ihrer Spionagetechnik war die Stasi nicht nur in der Bundesrepublik und West-Berlin erfolgreich, wo ihr mit Hilfe von Spitzeln zeitweise sogar das Ausspionieren der US-Abhörstation auf dem Berliner Interner Link: Teufelsberg gelang. In Kooperation mit dem KGB und den Geheimdiensten aus sozialistischen Bruderländern wurden auch über Deutschlands Grenzen hinaus gemeinsame Spionageprojekte durchgeführt. Besonders intensiv verlief die Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst Kubas. Kubanische "Abwehrtechniker" wurden regelmäßig in der DDR geschult, erforderliche Spezialtechnik entwickelte die Fachabteilung "Operativ Technischer Sektor" (Externer Link: OTS) des MfS. "Aktion "Königspalme" (KP) hieß in den 80er-Jahren ein ehrgeiziges Projekt, die US-Flottenbasis Guantanamo auf Kuba auszuspionieren, beteiligt waren der "OTS", die Abteilung Spezialfunkdienste des MfS und die Funkkaufklärung des kubanischen Innenministeriums.
Abhörtechnik, legendiert als "geologischer Erkundungskomplex"
Dazu wurde im Februar/März 1985 für eine Testoperation auf konspirative Weise Spezialtechnik nach Havanna verschifft, "unter Deck" des Rostocker Handelsschiffs MS Fichtelberg. Die Ware wurde laut Stasi-Akten legendiert als "geologischer Erkundungskomplex". Kernstück war ein heimlich mit Lauschtechnik bestückter, militärgrüner LKW des Typs "URAL" mit zwei Anhängern, einem Notstromaggregat und einem "20-Fuß-Container" voller Spezialtechnik. Weiteres Material wurde von Stasi-Kurieren mit Diplomatenstatus nach Kuba geschafft. Im Herbst 1985 sollte das technische Gerät wieder für "eigene Aufgaben" in die DDR zurück verschifft werden. Im Erfolgsfall der Operation sollte mit Kubas Innenministerium über eine Fortsetzung der Abhöraktion beraten werden, dabei galt es auch abzuwägen, mit welchen Baukomponenten aus der DDR, der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten vergleichbare Geräte konstruiert werden können.
Zuvor, das ergibt sich aus den Stasi-Akten, wurden Teile des Technik-"Komplexes" bereits im Umfeld eines NATO-Manövers erfolgreich erprobt. Erwogen wurde auch, ähnliche Technik in Nikaragua einzusetzen, um in die "sprachchiffrierten Nachrichtensysteme konterrevolutionärere Kräfte im nikaraguanischen Raum einzudringen".
Involviert in die Arbeit der "Einsatzgruppe Königspalme" waren acht bis zehn Spezialisten des MfS, darunter "operativ-technische Aufklärungsspezialisten", ein Diplomdolmetscher und ein "Ingenieur für fernmeldetechnische Anlagen". Außerdem sollten siebzehn bis zwanzig Kubaner beteiligt werden. Direkt über den Fortgang unterrichtet wurden der Stellvertreter von Stasi-Chef Erich Mielke, Generalleutnant Neiber sowie Generalmajor Männechen als Leiter der zuständigen Stasi-Hauptabteilung III, der für das Projekt eigens nach Kuba reiste. Die sowjetische Seite, so heißt es in einem Bericht, habe der Operation zugestimmt, deren Auswertung fortlaufend erfolgen sollte - im Fall von abgehörten verschlüsselten Nachrichten in der DDR. Entsprechende Tonbandaufzeichnungen waren umgehend "in gesicherten Transportbehältern" und "bei Bedarf von Sonderkurieren" an Bord von Interflugmaschinen zur technischen Analyse nach Ostberlin zu schicken. Für den deutsch-kubanische Abhör-Einsatz wurden seit September 1984 13 englischsprachige Dolmetscher geschult.
Als Ziel der Operation Königspalme wurde formuliert, "umfangreiche Angaben über das funkelektronische Regime des US-Stützpunktes zu gewinnen" und aus den offenen Richtfunkverbindungen zu Militärsatelliten die direkte Kommunikation mit den USA und andere Stützpunkten auszuhorchen. Die Hoffnung sei groß, auf diese Weise "aktuelle politisch-operative Informationen zu gewinnen" und militärische Aktivitäten im karibischen Raum auszuspionieren. "7 Genossen aus der DDR und ca 17 Genossen aus Kuba sollen im Dreischichtsystem den Informationsfluss kontrollieren", heißt es in einem der MfS-Arbeitspapiere und "noch im Prozess der Aufklärung zur Abschöpfung übergehen". Ziel war es aber auch, zu erkunden, welche Abhöraktionen von Guantanamo selbst ausgingen und wie der Funkverkehr der US-Basis gezielt gestört werden kann. Unter dem Codewort "Pyramide" galt es darüber hinaus, Satellitenverbindungen der USA abzuschöpfen, angezapft wurden von Kuba aus u.a. die Satellitensysteme Marisat der Navy und Intelsat.
Im Jahr zuvor hatten intensive Gesprächsvorbereitungen begonnen, mehrfach reisten Geheimdienstexperten aus Ostberlin nach Havanna und kubanische Techniker nach Ost-Berlin, sie sollten in einem Schulungsobjekt der HA III in Groß-Dölln auf den Einsatz vorbereitet werden. Auch kubanische Spezialtechnik wurde für den Einsatz nach Ost-Berlin verbracht und auf ihre Funktionsweise getestet, darunter ein spezieller Suchlaufempfänger sowie ein Speicher- und Analysegerät.
"Einzige Lichtquelle war der Mond"
Der Spionage-Einsatz "Königspalme" vor Ort sollte ursprünglich am 1. April 1985 beginnen, das Ende war für den 1.September terminiert. Doch wegen Verzögerungen beim Transport aus dem Zoll und auf dem kubanischen Schienenweg, "gesichert von neun kubanischen Genossen" und zwei Spezialisten des MfS, begann der Aufbau erst nachts am 3. Mai 1985, die Stasi-Techniker getarnt in kubanischen Uniformen. "Einzige Lichtquelle war der Mond", hält ein MfS-Bericht fest. Die Fahrzeuge seien in enge Stellungen "nur wenige Hundert Meter vom Feind entfernt" gebracht worden, "mit Sonnensegeln und zwei (knapp ausreichenden) Tarnnetzen abgedeckt". An anderen Stellen seien "Scheinstellungen" mit Zelten zur "Ablenkung des Gegners" errichtet worden.
Schon in den ersten Tagen wurden ein breites Netz verwendeter "Trägerfrequenzanlagen und UKW-Verbindungen der Basis" erkundet und dabei "70 Bandcassetten mit etwa 600 Gesprächen aufgenommen" sowie in umfassender Weise Wählimpulse und Tonfolgen dokumentiert. Erfasst wurden unter anderem der Sprechverkehr der Base Police (Militärpolizei) und der "Port Control" zur An- und Abmeldung von Kriegsschiffen sowie zahlreiche weitere Funknetze. Auch Richtmikrofone kamen zum Einsatz, um versuchsweise Unterhaltungen von US-Militärs zu belauschen. Im Vorfeld des kubanischen Nationalfeiertags am 26. Juli wurden die Lauschangriffe besonders intensiviert, offenbar aus Sorge vor Sabotageaktionen der Amerikaner. "Insgesamt ist einzuschätzen, dass sowohl das Nachrichtenpersonal als auch die Nutzer von Funkmitteln aller Stufen und Einrichtungen sehr gesprächig sind", heißt es in einem Zwischenbericht.
Im Lauf der Folgewochen besuchte sogar Kubas damaliger Innenminister Prieto den Einsatzkomplex , "wo sich der Genosse Minister besonders für den Rechner und die Panoramageräte interessierte". Der als Leiter vor Ort eingesetzte Stasi-Major Fritz Gregor verzweifelte allerdings an der Leistungsbereitschaft der "meist jungen kubanischen Genossen", die "zwar schnell für etwas zu begeistern" seien, aber wenig Ausdauer zeigten "und nicht gewöhnt sind, intensiv zu arbeiten".
"Optimale politisch-operative Ergebnisse"
Dennoch sprachen alle Beteiligten nach Abschluss der Testphase von einem Erfolg. Die Ergebnisse seien von "außerordentlichem operativen Wert" und "von grundsätzlicher Bedeutung für die operative Arbeit", so werden Anfang Dezember 1985 die kubanischen Genossen von Generalmajor Männechen in einem Abschlussbericht zitiert. Sie hätten nach Abschluss des Testlaufs die Absicht bekundet, "ab Mitte 1986 zur ständigen funkelektronischen Aufklärung und Abschöpfung überzugehen und dafür insgesamt ca. 40 Genossen einzusetzen". Technische Analyse-Hilfe solle weiterhin aus der DDR beansprucht werden, im Gegenzug erkläre sich die kubanische Seite bereit, "auf Wunsch" des MfS in ihren Stützpunkten "beliebige Aussendungen zu empfangen, aufzuzeichnen und zu übersenden".
Auch die Stasi-Spitze feierte das Projekt. Am 18. Dezember 1985 gab es einen Auszeichnungsakt durch Stasiminister Mielke für das beteiligte MfS-Personal, ausgehändigt wurde eine "Medaille der Waffenbrüderschaft in Bronze", Geldprämien zwischen 400 und 700 Mark sowie Sachgeschenke, darunter ein Autoradio, ein Attaché-Koffer sowie eine "Bohrmaschine (HBM 480) mit Zusatzteil Rohrständer". Die Angehörigen der Einsatzgruppe hätten "die ihnen übertragene internationalistische Aufgabe mit optimalen politisch-operativen Ergebnissen erfüllt", lautete die Begründung.
Ergänzende Stasi-Akten, komplett zum Nachlesen:
Das Copyright der hier nachlesbaren Stasi-Akten liegt beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Externer Link: www.bstu.de
Ergänzende Texte: