Einleitung
Diktaturen behandeln Kunst und Literatur stets in ähnlicher, extremer Weise: sie honorieren Anpassung mit Privilegien und verfolgen unnachgiebig Kritik. Literatur soll Ideologie transportieren, sie soll positive Alltagshelden zeigen, mit denen sich Leserinnen und Leser identifizieren können. Auf der anderen Seite gehören Zensur, Verbote und systematische Ausgrenzung kritischer Künstler und Autoren zu den grundlegenden Werkzeugen der Machterhaltung in totalitären Systemen.
Da sich die regierende Partei in der DDR, die SED, ihre politische Macht zu keinem Zeitpunkt durch freie und geheime Wahlen bestätigen ließ, hegte sie vor dem freien Wort einen extremen Argwohn, der wahnhafte Züge trug. Wer Kritik laut werden ließ, galt als "Klassenfeind" und automatisch als bekämpfenswerter "Gegner". Dieser ausgeprägte, über die 40 Jahre DDR spürbare und nachweisbare Verfolgungswahn gebar einen auf künstlerischen Gebiet besonders intensiven Verfolgungsdrang. Er ging aus von Beschlüssen des SED-Politbüros und Funktionärs-Debatten im Zentralkomitee (ZK) der SED, die Wert darauf legten, dass Kunst "Parteilichkeit" und "Volksverbundenheit" ausstrahlen sollte. Darüber zu wachen hatte die Stasi. Bereits auf ihrem 5. Plenum des Zentralkomitees (ZK) der SED vom 17. März 1951 wurden Kunst und Literatur als Propagandatransportmittel definiert. Damals nannte DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl als Zielrichtung des Beschlusses: „Literatur und bildende Künste sind der Politik untergeordnet, aber es ist klar, dass sie einen starken Einfluss auf die Politik ausüben. Die Idee der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen“.
Um Andersschreibende zu entschärfen und unterzuordnen, wurden Künstler und ihre Zirkel besonders intensiv überwacht, unterwandert, gelenkt und ggf. strafrechtlich verfolgt. Dazu beauftragte die „führende Partei“ ihr "Schild und Schwert", das Ministerium für Staatssicherheit, das den Apparat zur Überwachung der Literatur stetig ausbaute, seine Strukturen kontinuierlich modernisierte und das methodische Instrumentarium zur Unterdrückung unangepasster Literatur, aber auch zur Lenkung und Kontrolle staatlich genehmer Literaten, fortlaufend verfeinerte. In der zuständigen Diensteinheit zur Durchsetzung der SED-Kulturpolitik, in der Hauptabteilung XX/7, wurden im Jahr 1975 bereits 379 Inoffizielle Mitarbeiter geführt, überwiegend aus dem DDR-Kulturbetrieb. Hinzu kamen etwa 600 IM, die bei den Bezirksverwaltungen angebunden waren, sowie, vorsichtig geschätzt, 500 IM auf Kreisebene - deutlich mehr, als in anderen Bereichen.
Überdurchschnittlich hohe Überwachungsrate
Während auf 120 DDR-Bürger durchschnittlich ein Spitzel der Staatssicherheit kam, betrug das Verhältnis bei Schriftstellern in etwa 1:1. Das ergibt sich aus den bislang ausgewerteten Stasi-Akten. Hinzu kommt eine vergleichsweise hohe Zahl an Verhaftungen und Verurteilungen sowie der Operativen Vorgänge (OV) gegen Schriftsteller.
Natürlich war auch in der DDR Schriftsteller nicht gleich Schriftsteller. Da gab es zum einen staatstragende Parteiliteraten, aus denen sich zum großen Teil auch Denunzianten ihrer Kollegen rekrutierten, im Parteijargon zählten sie zu den "progressiven Kulturschaffenden" und rückten bis ins ZK der SED auf, wie der langjährige Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbands, Hermann Kant.
In der Mitte gab es eine Gruppe kritisch-loyaler Autoren, die der gesellschaftlichen Entwicklung partiell kritisch gegenüberstanden und das mitunter auch schrieben, zugleich aber treu zur sozialistischen Idee oder der kommunistischen Utopie standen, wie der Schriftsteller Stephan Heym. Er nahm zeitweise sogar Veröffentlichungsverbote und Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Devisenvergehen ins Kauf, bekannte sich aber zum Sozialismus als Ziel und wollte im Lande bleiben.
Und es gab nicht staatstreue und subversive Autoren, die die volle Wucht der Unterdrückung traf. Diese abgedrängte, verhinderte und verbotene Literatur findet sich im "Archiv unterdrückter Literatur in der DDR" in Berlin, in dem annähernd 100 solcher Fälle aus 40 Jahren dokumentiert sind. Sie belegen, wie kritische Autoren in der DDR-Diktatur ihre geistige Autonomie gewahrt haben, welche Stoffe, Themen und ästhetischen Konzepte sie gegen diese staatlich organisierte Übermacht verteidigt haben und wie Partei und Staatssicherheit gegen sie vorgegangen sind. Meist waren dies junge Autoren, oft am Anfang ihres literarischen Weges, bis dahin ohne Publikation und deshalb durch die fehlende Öffentlichkeit dem Zugriff von Verfolgern nahezu ungeschützt ausgeliefert. Disziplinierungs- und Zersetzungsmaßnahmen von SED und MfS zielten entweder auf die möglichst frühzeitige Zerstörung ihrer Kreativität oder auf die Verhinderung der bereits geschriebenen Literatur, weshalb diese Texte, die bei konspirativen Wohnungsdurchsuchungen gestohlen oder bei Verhaftungen beschlagnahmt worden waren, oft bis 1989 in gesperrten Ablagen der Staatssicherheit lagerten.
Diffamierte Literatur
Die Liste der auf Geheiß der SED Ausgesonderten, Gemaßregelten und Bestraften ist lang, darunter bekannte Autoren wie Jürgen Fuchs, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Reiner Kunze oder Jurek Becker, denen nichts anderes übrig blieb, als das Land zu verlassen. Daneben litten viele unbekanntere Autorinnen und Autoren - sie waren nicht durch Popularität vor einer Inhaftierung geschützt. Eine der ersten Leidtragenden war die Lyrikerin Edeltraud Eckert, 1950 eine idealistisch gestimmte, 20-jährige Pädagogikstudentin an der Humboldt-Universität, die früh von den sowjetischen Speziallagern in der DDR erfuhr, daraufhin eine Flugblatt-Aktion plante, vor Ausführung aber denunziert, von der Staatssicherheit verhaftet und an das Sowjetische Militärtribunal (SMT) in Potsdam übergeben wurde. Das verurteilte sie zu 25 Jahren Haft, die sie in den Zuchthäusern Bautzen, Waldheim und dem Frauenzuchthaus Hoheneck verbrachte, bis sie dort im Januar 1955 bei einem Arbeitsunfall durch eine Maschine skalpiert worden ist und - zu spät medizinisch behandelt - mit 25 Jahren an Wundstarrkrampf starb. Die gegen sie verhängte langjährige Haftstrafe war kein Einzelfall.
Auch der Nachwuchsautor und Journalist Horst Bienek wurde im November 1951 wegen "antisowjetischer Hetze" und angeblicher "Spionage für die USA" verhaftet und 1952 zu 20 Jahren Haft verurteilt - von einem sowjetischen Militärtribunal. Drakonische Urteile waren aber nicht nur Sache der Sowjets, so verhängte das Oberste Gericht der DDR 1952 gegen die Musikstudentin und Nachwuchsautorin Elisabeth Graul wegen „Jugendwiderstandes“ 15 Jahre Zuchthaus. Angeblich sei sie in einer "faschistischen Bande" aktiv, beschuldigte sie der Oberstaatsanwalt, und in einer "Söldnerarmee des Adenauer-Regimes", schimpfte die staatlich gelenkte DDR-Presse.
Die mit Stalins Tod im März 1953 erhoffte Lockerung kam mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 schon wieder zum Stillstand. Nun griff die SED zum Mittel ideologischer Säuberungen, Autoren, Publizisten, Journalisten bekamen das in den Folgejahren zu spüren. Nachdem beispielsweise der Leipziger Schriftsteller Erich Loest kritisiert hatte, DDR-Zeitungsredakteure hätten sich "kilometerweit von den Realitäten entfernt" und "säßen im Elfenbeinturm", fiel er bald in Ungnade, verlor den Vorsitz des Leipziger Schriftstellerverbands und wurde 1957 aus der Partei ausgeschlossen und zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Ein ähnliches Schicksal erlitten der Lektor Wolfgang Harich und sein Verlagschef Walter Janka im Ostberliner Aufbau-Verlag, die offene Diskussionen und Kritik am Kurs der SED zugelassen hatten. Walter Janka wurde am 6. Dezember 1956 unter Anklage einer konterrevolutionären Verschwörung verhaftet und aus seiner Verlagsposition entfernt.
Schlüsselmoment Mauerbau
Mit dem Mauerbau 1961 setzten SED-Kulturpolitiker und Stasi noch eine weitere Erschwernis durch. Sie kappten den regelmäßigen Austausch von Schriftstellern aus dem Osten und Westen. Nachdem beispielsweise am 16. August 1961 die Schriftsteller Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre eine Protestresolution bei mehreren Institutionen in Ost-Berlin abgegeben hatten, darunter dem DDR-Schriftstellerverband, wies das ZK der SED an, "die beiden Schriftsteller auf die Liste derjenigen Personen zu setzen, denen das Betreten des demokratischen Sektors nicht gestattet ist" - so ein Vermerk vom 18. August 1961. Und bei Grass' Gesprächspartner in Ost-Berlin, dem Schriftsteller Erwin Strittmatter, der zugleich "geheimer Informator" der Stasi mit dem Decknamen "Dollgow" war, beschwerte sich zwei Tage später dessen Führungsoffizier, "die Verhaftung" von Grass und Schnurre "nicht veranlasst zu haben". So zu lesen in einem Aktenvermerk vom 19. August 1961 der damaligen Stasi-Hauptabteilung HA V. (siehe: http://www.bstu.bund.de/DE/BundesbeauftragterUndBehoerde/Aktuelles/guenter-grass_protest_neu.html?nn=2191210 )
Ab der Zäsur durch den Mauerbau achteten SED, FDJ und MfS intensiv darauf, dass Literaten und Bühnenautoren nicht die leiseste Kritik an der Abschottung gegenüber dem Westen übten. Einer der ersten Leidtragenden wurde am 30. September 1961 der Dramatiker Heiner Müller. Sein Stück „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ wurde von Studenten der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst uraufgeführt – noch in der gleichen Nacht kam es zum Verbot, denn es sei ein "konterrevolutionäres, antikommunistisches und antihumanistisches Machwerk", urteilten die SED-Kulturideologen. Thema des Stückes waren die Folgen der Zwangskollektivierungen und Umsiedlungen in der Landwirtschaft, eingeordnet in die Zeit. IM-Berichte über die Premiere hielten fest, wer sich lobend oder kritisierend äußerte: „Sehr laut gelacht hat Manfred Krug.... Mickel bezeichnete es als einen Höhepunkt. Er werde darüber schreiben. Es gebe noch eine Zeitung, in der man schreiben könne (er sagte nicht welche)...", berichtete ein Stasiinformant und meldete zugleich: "Positive Kräfte“ seien in der Pause empört gegangen. Regisseur B.K. Tragelehn musste daraufhin nach Klettwitz in den Braunkohletagebau und Heiner Müller wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, was einem Publikationsverbot gleichkam. Erst 1963/64 lockerten sich für ihn die Einschränkungen wieder (siehe http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publikationen/Publikationen/band-04_drama-um-komoedie.html).
Wenn auch die Höhe des Strafmaßes für sanktionierte Autorinnen und Autoren mit den Jahren sank, so gab es bis in die achtziger Jahre Haftstrafen von zwei bis sechs Jahren, nicht selten nur wegen lautem kritischen Denken und des Verfassens einiger kritischer Prosa- oder Gedichtzeilen. Die Kontinuität der Verfolgung über vier Dekaden DDR-Existenz zeigt sich auch in der Verurteilung der jungen Autorin Gabriele Stötzer-Kachold, die 1977 wegen einer Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung des DDR-Liedermachers Wolf Biermanns zu einem Jahr Haft verurteilt wurde und diese in dem gleichen Zuchthaus Hoheneck absaß, in dem 25 Jahre zuvor auch Edeltraud Eckert gesessen hatte.
Die Biermann-Ausbürgerung
Den Dichter und Musiker Wolf Biermann hatte die SED-Spitze im November 1976 nach einem Konzert in Köln aus der DDR ausgebürgert, SED und Stasi hatten ihr Vorgehen sorgsam geplant, die Stasi meldete allen Grenzübergangsstellen sogar einen Text, der Biermann beim Versuch einer möglichen Wiedereinreise vorzutragen sein. Biermann war einer der wenigen kritischen Autoren in der DDR gewesen, der schon in der DDR auch das Thema Stasi offen benannt hatte. Bereits in den 60er Jahren hatte er in seiner Stasi-Ballade ironisch getextet: "Menschlich fühl' ich mich verbunden mit den armen Stasi-Hunden die bei Schnee und Regengüssen mühsam auf mich achten müssen". Solche Zeitkritik stieß Parteioberen und MfS heftig auf, Auftrittsverbote waren die Folge: "...ich sitz hier fest darf nach Ost, nicht nach West, darf nicht singen, darf nicht schrein, darf nicht, was ich bin, auch sein - holtet ihr mich also doch eines schwarzen Tags ins Loch ach, für mich wär das doch fast nichts als ein verschärfter nichts als ein verschärfter nichts als ein verschärfter Knast...".
Die am 16.11.1976 vollzogene Ausbürgerung Wolf Biermanns führte zu einem heftigen Einschnitt für Künstler in der DDR. Autorinnen und Autoren, die sich mit ihm solidarisierten, wurden kaltgestellt, protestierende Studenten exmatrikuliert. Der Propagandapparat der SED mobilisierte aber auch Unterstützer der Ausbürgerung, so dass sich andere, staatsnahe Künstler über Biermann empörten (Siehe auch: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/146198/kulturelite-im-blick-der-stasi?p=all ).
Das Kahlschlag-Plenum
Die Biermann-Ausbürgerung war aber nicht die erste Zäsur seitens des SED-Staates, Künstlern ihre Grenzen aufzuzeigen. Schon elf Jahre zuvor hatte die SED in ihrem 11. Plenum, dem sogenannten Kahlschlag-Plenum vom 16. bis 18. Dezember 1965 Künstler deutlich gemaßregelt und eine Welle der Zensur von Filmen, Bühnenstücken und Literatur eingeleitet. Auf dem ursprünglich als Wirtschaftsplenum gedachten Parteitag wurden Künstler für Rowdytum unter Jugendlichen und deren Vorliebe für englische Beatmusik verantwortlich gemacht. "Wo ist von Seiten zentraler Organe des Fernsehens, der Kultur, der Literatur so gewirkt worden, dass solche Auswirkungen auf die Jungen unvermeidlich waren" leitete Staats und Parteichef Walter Ulbricht in das Thema ein und wetterte über Künstler, sie dürften "doch nicht denken, dass wir uns weiter als Partei- und Arbeiterfunktionäre von jedem beliebigen Schreiber anspucken lassen, liebe Genossen."
Künstlerische Freiheit wurde abgeschafft und der sozialistischen Ideologie unterstellt, kritische Autorinnen und Autoren wurden ausgegrenzt, Schriftstellerkarrieren wie die von Werner Bräunig, dessen gerade beendeter Roman "Rummelplatz" über den Uranabbau der Wismut nach einem Vorabdruck öffentlich als "unsozialistisch" gegeißelt wurden, endeten abrupt. Ulbricht argumentierte: " Ist jetzt allen Genossen klar, frag ich, dass es nicht um Literatur geht, und auch nicht um höhere Philosophie, ja? Sondern dass es um einen politischen Kampf geht zwischen zwei Systemen. Ich hoffe, dass das inzwischen jetzt klar geworden ist. Also, worum geht es? Um die Gewährung der Freiheiten in der DDR, die in der bürgerlichen Gesellschaft des Westens üblich sind. Aber wir haben viel weitergehende Freiheit Wir haben nur keine Freiheit, also, für Verrückte, ja, ich meine, sonst haben wir absolute Freiheit, nicht wahr ja? Für Konterrevolutionäre haben wir auch keine.“
Die sogenannte Auswertung jenes die Künstler in der DDR scharf reglementierenden Parteiplenums nahm am 20. Januar 1966 auf einer Zentralen Parteiaktivtagung im MfS Stasichef Mielke vor, der u.a. sagte: "So, Genossen, nun steht so die Frage: Diese Abhandlung über Langeweile von Minsk von Heym grenzt objektiv an Staatsverrat. (…) Wenn wir nur einen Tag diesen Menschen die Macht in die Hände gäben, dann wäre die Macht verloren!"
Tatwerkzeug Schreibmaschine
Dieses Misstrauen gegenüber Künstlern hatte bis zum Ende der DDR die planmäßige Aussonderung und Auslöschung kritischer Stimmen möglichst vor der ersten Veröffentlichung zur Folge. Auch Lesekreise wurden gezielt von IM verraten und zersetzt. Das hieß in der Sprache der Staatssicherheit "vorbeugende Verhinderung" oder auch "Liquidierung eines feindlichen Stützpunktes" und es bedeutete, dass literarische Texte als strafrechtliche Beweismittel, Schreibmaschinen als „Tatwerkzeuge“ sichergestellt wurden und "feindliche" Autoren entweder zu Haftstrafen verurteilt oder aber "isoliert", "demotiviert" und "neutralisiert" wurden.
Nicht wenige Autorinnen und Autoren schüchterte das ein. So Horst Schumacher, der nach Krieg und britischer Gefangenschaft als Lehrer in Jena lebte und schrieb, seine literarischen Texte jedoch niemals öffentlich anbot, da er unter den kulturpolitischen Bedingungen der frühen DDR-Jahre von vornherein keine Chance auf Veröffentlichung sah und sich den ideologischen und ästhetischen Normen nicht beugen wollte. Sein Versdrama "Die Niederlage", das zwischen 1952 und 1965 in Jena entstand, verarbeitet die Erfahrungen der Heimkehrer-Generation nach dem Kriegsende, die Hoffnungen auf eine wirklich neue, demokratische Entwicklung und die Enttäuschung über das Hinübergleiten von der ersten in die zweite deutsche Diktatur.
Ebenfalls vollständig in der DDR unveröffentlicht geblieben ist der 1946 geborene und in Greiz lebende Lyriker und Maler Günter Ullmann, der über seine künstlerische Arbeit sagt: "In meinen Gedichten finde ich so etwas wie einen Archetypus, eine metaphysische Formel. Meine Bilder sind Zeichen der Transzendenz." Wie Akten belegen, regelte die Staatssicherheit über ihre konspirativen Verlagskontakte, dass seine Texte nicht gedruckt werden konnten. In einer Selbstäußerung schrieb der Lyriker: "Nach einer Petition zur Ausbürgerung Wolf Biermanns und dem Wegekeln von Reiner Kunze aus Greiz wurde ich in Gera Verhören zugeführt, denen ich psychisch nicht gewachsen war. Ich litt unter Verfolgungswahn, unternahm zwei Selbstmordversuche und musste mich mehrfach in psychiatrische Behandlung begeben. Ich ließ mir alle Zähne ziehen, im Glauben, in meinem Mund seien Wanzen versteckt worden." Bis zur Wende 1989 schrieb Günter Ullmann 14 Buchmanuskripte für die Schublade.
Lückenloser Zensurkomplex
Kontroll- und Verfolgungsmaßnahmen gegen Autorinnen und Autoren wurden in der DDR systematisch organisiert. Die Staatssicherheit postierte an allen wichtigen Stellen des Literaturbetriebes, also in den Verlagen, den Zeitungsredaktionen und den Künstlerverbänden ihre Inoffiziellen Mitarbeiter in sogenannten Schlüsselpositionen. So waren zum Beispiel von 19 Mitgliedern des Präsidiums des DDR-Schriftstellerverbandes im Jahr 1987 zwölf der Staatssicherheit zu Diensten. Hinzu kam das verdeckt arbeitende Zensursystem der DDR mit einer eigens dafür eingerichteten Behörde. Sie aber hieß nicht Zensurbehörde, sondern "Hauptverwaltung für Verlage und Buchhandel", der oberste Zensor hatte den Titel eines stellvertretenden Ministers für Kultur, ließ sich gern "Bücherminister" nennen und das eigentliche Zensurverfahren hieß "Druckgenehmigungsverfahren". Das bedeutete, dass landesweit keine Druckmaschine ohne den offiziellen Druckgenehmigungsstempel anlaufen durfte. Hinzu kam die gründliche Vorzensur in den Lektoraten der Verlage, die Zensur direkt durch die Partei oder durch eine spezielle Gutachtergruppe der Staatssicherheit. Dieser vierfach ausgelegte Zensurkomplex machte die Literaturkontrolle lückenlos, und er funktionierte über die ganzen 40 Jahre der DDR-Existenz.