"Unser Dienst ist Klassenkampf, ist tägliche Auseinandersetzung mit dem Feind mit ganz spezifischen Mitteln" (MfS-Mitarbeiterin in einem Lehrfilm der Stasi über ihren Kontrolldienst an der Grenze)
Das Feindbild der Stasi "Der Gegner ist überall ..."
/ 7 Minuten zu lesen
SED und Stasi hatten fast paranoide Angst vor Kritik. Feste Feindbilder und Schwarz-Weiß-Denken prägten ihr Denken. Andersdenkende galten als "feindlich-negativ" oder als Agent des Klassenfeinds.
Wenn in der DDR vom Feind oder vom Gegner die Rede war, bedurfte es keiner weiteren Erläuterungen, um wen es sich handeln würde. Jeder wusste, dass der "Klassenfeind" gemeint war, gelegentlich auch "Gegner" oder "Klassengegner" genannt. Die Stimme von Funktionären und Lehrern hob sich bei der Erwähnung des angeblich Bösen und wurde scharf und eindringlich. Der Zeigefinger des Referenten wies mit Entschiedenheit irgendwo hin – egal wohin – der Gegner konnte überall auftauchen.
Überspitzt geschildert: ganz wie der Teufel im mittelalterlichen Weltbild war der Klassenfeind stets präsent, er verbarg sich raffiniert, war schlau und heimtückisch und kam – bildlich gesprochen - getarnt in Gewand eines strahlenden Engels daher, um einfältige Seelen auf Abwege zu locken. So wie der mittelalterliche Gottesglaube des Teufels bedurfte, um die Gläubigen auf den recht Weg zu bringen, so brauchte die DDR die ständige Bedrohung durch den imaginären Feind aus dem Westen, um ihr Herrschaftssystem zu legitimieren und zu stabilisieren. Ihn galt es "unschädlich zu machen", zu lisolieren und zu "liquidieren".
Der äußere Feind
Die DDR war ein Produkt des Kalten Krieges, der spätestens seit 1948 die Welt in zwei unversöhnliche Lager teilte. Die Frontlinie dieses globalen Konfliktes ging quer durch Deutschland. Der SED-Staat betrachtete sich in einer permanenten Konfrontation mit dem Feind, konkret mit dem "Imperialismus der BRD", der in der SED-Propaganda die Fortsetzung des deutschen Faschismus mit anderen Mitteln war. Die absurde Behauptung, der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 sei ein vom Westen organisierter "faschistischer Putsch" gewesen oder die monströse Wortschöpfung "antifaschistischen Schutzwall" für die am 13. August 1961 errichtete Mauer, waren Ausdruck dieser historisch grundierten Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit. Das Schwarz-Weiß-Denken war für die DDR fundamental im eigentlichen Sinne des Wortes. Es bildete das geistige Fundament des Staates. Die Legitimation, die die eigene Bevölkerung dem Staat in freien Wahlen nie gegeben hätte, bezog die DDR-Führung aus der Geschichte. Die DDR als erster deutscher Friedensstaat war aus der antifaschistischen Tradition erwachsen, so wie die BRD aus Sicht der SED-Propagandisten ein Nest alter und neuer Nazis, Revanchisten und Kriegstreiber war. Speziell die Stasi sah sich selbst in der Tradition des antifaschistischen Widerstandskampfes und der sowjetischen Kundschafter, wie dem Spion Richard Sorge oder der antifaschistischen Widerständler der Roten Kapelle im Dritten Reich.
Selbst zwölf Jahre nach ihrem kläglichen Ende, als sich die Stasi-Generalität mit einem späten Rechtfertigungsversuch an die Öffentlichkeit wandte, war dieses Argumentationsmuster noch lebendig: "Im Unterschied zur Bundesrepublik war die DDR vom ersten Tag an in ihrer Existenz bedroht. Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der BRD, erklärte offen, die Brüder und Schwester im Osten ‚befreien‘ zu wollen. Die DDR muß weg! … Die Bedrohung war vier Jahrzehnte eine Tatsache."
Die dem Feind unterstellte Absicht, er wolle die DDR unterminieren war die Rechtfertigung für die Spionage im Westen, die vornehm "Aufklärung" genannt wurde und deren Protagonisten als "Kundschafter des Friedens" gefeiert wurden. So der berühmte Kanzlerspion Günter Guillaume, dessen Enttarnung 1974 zum Sturz von Bundeskanzler Willy Brandt führte. Eine ganze Reihe von Büchern, broschierten Heftchen, DEFA-Filmen und Fernsehproduktionen widmeten sich im Laufe der Jahre den Heldentaten der "Kundschafter an der unsichtbaren Front".
Der innere Feind
Das Gefühl der Bedrohung aus dem Westen rechtfertigte bis zu einem gewissen Grad die Jagd auf Spione, Agenten und Saboteure sowie die eigene Spionage im Westen. Ein maßgeblicher Teil der Tätigkeit des MfS aber war nach innen gerichtet. Der potentielle Feind war die eigene Bevölkerung, die im besten Fall eingeschüchtert und ruhig gestellt werden sollte, im schlimmeren Fall mit Methoden staatlicher Gewalt bekämpft werden musste.
Zwischen dem inneren und äußeren Feind macht die Stasi nie einen Unterschied. Wer der SED nicht folgte und gegen den Strom schwamm, war automatisch "subversiv", "dekadent" und "feindlich-negativ" und im Zweifel für Internierungslager vorgesehen. "Die Isolierung dient vor allem dem Ziel, die staatliche Sicherheit jederzeit zu gewährleisten und die personelle Basis der subversiven Tätigkeit des Feindes zu zerschlagen", heißt es beispielsweise in einem solchen Maßnahmeplan aus der Stasi-Kreisdienststelle Worbis im Jahr 1984:
Interner Link: Beschreibung eines Internierungslagers pdf:
Nach der marxistisch-leninistischen Logik, die menschliches Handeln primär als Ausdruck seiner ökonomischen Interessen betrachtet, konnte ein Werktätiger des Arbeiter-und-Bauernstaates kein Klassenfeind sein. Auch die Reste der einst herrschenden Klasse – also der Kapitalisten, Junker usw. – waren liquidiert oder in den Westen geflohen. Antisozialistische Meinungen gar staatsfeindliche Aktivitäten konnten daher nur von "imperialistischen Diversionszentralen" initiiert, angeleitet und bezahlt sein.
Diese Logik zieht sich wie ein roter Faden durch das "Wörterbuch zur politisch-operativen Arbeit", dass im Ministerium für Staatssicherheit erstellt worden und ausschließlich für den internen Dienstgebrauch gedacht war. Darin ist sogar der Begriff "tschekistisches Feindbild erläutert:
In ihrem Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit, 1985 herausgegeben an der Stasi-Hochschule in Potsdam, definiert die Stasi ein klares "Feindbild" als unerlässlich für die "tschekistische Persönlichkeit". (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)
Das Täterbild
Unter dem Stichwort "Subversion" findet sich in besagtem Stasi-Wörterbuch auch eine ausführliche Beschreibung von geheimdienstlichen Methoden der "… Unterstützung und Ermunterung antisozialistischer und konterrevolutionärer Kräfte, die indirekte Lenkung (‚behutsame Außensteuerung‘) oppositioneller Personenkreise, die Einbeziehung von Renegaten, Verrätern und ehemaligen Bürgern sozialistischer Staaten in die subversive Tätigkeit".
Der "Renegat" folgte dieser Weltsicht zufolge niedrigen Beweggründen wie Geldgier, Eitelkeit, Verachtung des Volkes, intellektuelle Überheblichkeit oder Amoralität. Kennzeichnend war, dass sich Verräter in den höchsten Kreisen der Partei und des Staatsapparates eingeschlichen haben konnten. Die Schauprozesse der dreißiger und der frühen fünfziger Jahren in der Sowjetunion sowie in den so genannten Volksdemokratien Polen, Tschechoslowakei und Ungarn, deren Todesurteile auch in der DDR bejubelt wurden, zeugen von dieser Paranoia, deren rationaler Sinn wohl darin bestand, bis in die höchsten Sphären der Macht Angst und Misstrauen zu verbreiten.
Auch wenn solche Prozesse in der DDR nicht mit Todesurteilen endeten, war das Ziel der moralischen Vernichtung des Kritikers dasselbe. Der Rechtsbruch, die falsche politische Ansicht und die menschliche Verwerflichkeit bildeten immer eine Einheit. Auch prominente Kritiker versuchte die SED menschlich zu diskreditieren. So wurden der Schriftsteller Stefan Heym und der Physikprofessor Robert Havemann 1979 wegen angeblicher Devisenvergehen vor Gericht gestellt, wohl wissend, dass ein beträchtlicher Teil der DDR-Bevölkerung sie um ihre angebliche Westeinnahme beneidete. Dem populären Liedermacher Wolf Biermann wurden nach seiner Ausbürgerung 1976 in einer internen Information der SED häufig wechselnde Frauenbekanntschaften, unmoralische Handlungen sowie angeblich satte Honorare bei westlichen Medien unterstellt. Dies geschah in der begründeten Hoffnung, dass sich solche pikante Geschichten schnell verbreiten würden, in der Regel blieb deren propagandistischer Zweck aber durchschaubar.
Politisch-operative Bearbeitung des Täters
Die enge Verbindung von Straftat im Sinne der SED-Gesetzgebung und Gesamtpersönlichkeit führte zu einem sorgfältig ausdifferenzierten Bild von Menschen, die ins Visier des MfS gerieten. "Die Aufklärung des Täterbildes" zielte – so das "Wörterbuch zur politisch-operativen Arbeit", auf
die Persönlichkeitsentwicklung in ihren verschiedenen Lebensbereichen und zeitlichen Etappen,
das soziale Verhalten ... (Beruf, Freizeit, Öffentlichkeit, gesellschaftliche Arbeit),
Verbindung zu Personen und Institutionen ...,
die materiellen und sozialen Lebensverhältnisse,
die politisch-ideologische Einstellungen, die sich in ihnen widerspiegelnden ideologischen Einflüsse und geistige Reife."
Dass es hierbei keinerlei Schutz persönlicher Daten oder der Privatsphäre gab, versteht sich von selbst.
Wirksamkeit der Feindbilder
Doch letztlich waren die von SED und MfS propagierten Feindbilder nicht nur wirkungslos, sie waren auch kontraproduktiv, d.h. sie erreichten das Gegenteil der erhofften Wirkung. Dies begann mit den erwähnten Filmen über die Kundschafter im "Operationsgebiet", d.h. in der BRD oder anderen westlichen Staaten. Allein die Bilder des westlichen Lebens – gar wenn die Aufklärer ihre gefährliche Tätigkeit in Paris oder Rom nachgingen – ließen dem DDR-Publikum Schauer des Entzückens den Rücken herunter laufen. Da sich dem Filmstoff nach westliche Geheimdienstbosse vor allem im Halbweltmilieu – in Stripteaselokalen oder anrüchigen Nachtklubs – bewegten, erhöhte das noch den optischen Reiz dieser an sich belanglosen
Das von SED und MfS verinnerlichte Feindbild auf einer Propaganda-Schautafel der Stasi: der Gegner verkörpert das Böse schlechthin, aber die "imperialistischen Spione und Agenten" scheitern prinzipiell an der "Wachsamkeit unserer Werktätigen und des MfS". (© BStU, Außenstelle Magdeburg)
Andererseits kann man davon ausgehen, dass die in Schulungskursen und Parteiveranstaltungen vermittelten Feindbilder von den Angehörigen des MfS tief verinnerlicht wurden. Noch in der Phase der Auflösung des Stasi-Apparates konnten sich viele Mitarbeiter den Umbruch nicht anderes vorstellen, als ein Resultat eines Verrats der Sowjetunion, einer westlichen Verschwörung und der Aktivitäten von geheimdienstlich gesteuerten Feindorganisationen und Medien innerhalb der DDR.
Zerbröckelnde Feindbilder
Auf der anderen Seite erkannte die Stasiführung im Zuge der Friedlichen Revolution auch, sich mit ihrer starren Feindbildideologie verrannt zu haben. In der Hoffnung darauf, ihre Arbeitsplätze in einen "Verfassungsschutz der DDR" retten zu können, wurden im Spätherbst 1989 neue Argumentationsrichtlinien "nur für berechtigte Angehörige des AfNS" (Amts für Nationale Sicherheit) ausgegeben. In einer intern verteilten, hellblauen Broschüre "Material für die Öffentlichkeitsarbeit 3/89" wird hervorgehoben: "Andersdenkende dürfen nicht als Feinde betrachtet und behandelt werden. Politische Erscheinungen sind nur mit politischen Mitteln zu lösen". Eine zu späte Erkenntnis. Denn zugleich wird bedauert, dass "Dialogbeauftragte des MfS/AfNS" in Debatten gestört und nicht ernst genommen werden, weil ihnen offenbar die Glaubwürdigkeit für ihren plötzlichen Meinungswandel fehlt, "dafür haben wir kein Verständnis, das erfüllt uns mit Sorge".
Interner Link: MfS-Argumentationsmaterial Ende 1989 pdf
Aber vieles klingt nach wie vor sehr verhärtet und nur wenig vom neuen Standpunkt überzeugt. So gibt am 17.11.89 im Zuge des geplanten Imagewandels Stasi-Generalmajor Wilfried Müller, Chef der MfS-Bezirksverwaltung Magdeburg, der dortigen Partei-Tageszeitung "Volksstimme" erstmals ein Interview. Er wird gefragt "Was sind innere Feinde?" und antwortet: "Als innere Feinde betrachte ich die, die wir noch nicht gefunden haben, also die nicht enttarnten Spione und Diversanten, die die imperialistischen Geheimdienste in allen Bereichen der DDR haben. Und ich lege mich fest: ein innerer Feind ist nicht ein Andersdenkender." Ein Stückchen Wandel - auf Anweisung.
Der Historiker Stefan Wolle ist Mitarbeiter des Externer Link: Forschungsverbund SED-Staat der Externer Link: Freien Universität Berlin und leitet das DDR-Museum in Berlin. Er hat zahlreiche Grundsatzbücher über das Herrschaftssystem in der DDR verfasst, auch veröffentlicht von der bpb. Z.B.: Aufbruch nach Utopia: Alltag und Herrschaft in der DDR 1961–1971. bpb, 2011, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989, bpb 1099
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!