Rechtsextremisten in der DDR waren eigentlich undenkbar. Dass es sie dennoch gab, ließ sich in den 80er Jahren nicht mehr verheimlichen. Aber SED und Stasi versuchten neonazistische Gewalttaten als Rowdytum zu verharmlosen. Mit Neonazis aus dem Westen wurde sogar kooperiert.
Nazis in der DDR? Eigentlich undenkbar, wenn es nach der Propaganda der SED nach. Sie definierte die DDR als "antifaschistischen Staat" und hob hervor, Nazismus "mit Stumpf und Stiel ausgerottet" zu haben. Doch schon lange haben Rechtsextremismusforscher, wie der Berliner Historiker Harry Waibel nachgewiesen, dass es durch die Geschichte der DDR hindurch rechtsradikale Tendenzen gab. Sie wurden durch Aktionen von Gruppen und Einzeltätern sichtbar, die sich verdeckt oder offen zum Nationalsozialismus bekannten und Nazi-Ideologie verbreiteten, sei es durch Hakenkreuzschmierereien, selbstgefertigte Flugblätter oder Sprechchöre bei Konzerten oder Fußballspielen. Auch begegneten Ausländer in der DDR immer wieder rassistischer Gewalt, ebenso wie Menschen, die aus Nazi-Sicht als "undeutsch" galten. Dazu gehörten Punks ebenso wie Homosexuelle oder Menschen, die als Linke verortet wurden.
Auch Altnazis gab es in der DDR. Im Jahr 1954, so eine Berechnung des Historikers Jan Foitzik, waren 27 Prozent aller Mitglieder der SED zuvor in der NSDAP und 32,2 Prozent aller Angestellten im Öffentlichen Dienst der DDR ehemalige Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen.
Neben den Nazis gab es - so meine Alltagserfahrung - im Bürgertum der DDR auch andere Rechtsradikale, die aber nicht wegen Bekenntnissen zu Adolf Hitler, zur SS oder SA auffielen. Diese Rechtsradikalen im Geiste waren weniger in Gruppen organisiert. Sie lebten in einem rassistischen Deutschtum, das im Alltag auffiel, wenn Hass gegen Ausländer oder ein radikales Deutschtum in der Art von Herrenmenschentum ausgelebt wurde. Es gab abschätzige Bemerkungen und Hass-Sprüche gegen Juden. Russen wurden als "Untermenschen" und nicht nur als Besatzer abgelehnt. Polen wurden als "Polacken" verteufelt, Kubaner, Angolaner und Mosambikaner in der DDR gelegentlich als "Briketts" verhöhnt. Ausländer, die nach dem Bau der Mauer aus sozialistischen Bruderländern in die DDR kamen, um zu studieren oder zu arbeiten, blieben isoliert, das betraf auch viele Vietnamesen. Dabei erlitten sie auch Gewalt, die jedoch von DDR-Medien verschwiegen wurde. Wir erfuhren davon bei Ermittlungen der Kriminalpolizei.
Überfall auf Berliner Zionskirche als Wendepunkt
Ab 1988 erforschten Kriminologen und Soziologen sogar im Staatsauftrag das nazistische Milieu in der DDR, so in Leipzig, Weimar und in Berlin. Den Anstoß dazu gab ein spektakulärer Überfall von Neonazis auf rund tausend Besucher eines Punkkonzerts in der Ostberliner Zionskirche am späten Abend des 17. Oktober 1987, von dem auch Westmedien erfuhren. Denn neben der Ostberliner Punkband "Die Firma" waren auch Musiker der Westband "Element of Crime" aufgetreten. Die 30 angetrunkenen Angreifer stürmten mit Rufen wie "Skinhead Power!" "Juden raus aus deutschen Kirchen!", "Ihr roten Schweine!" und "Sieg Heil!" das Kirchenschiff und verletzten Beteiligte. Die Berichte darüber rüttelten auch die Parteioberen wach.
In der Folgezeit wurden zahlreiche Skinheads "präventiv zugeführt" und verhört, aber Polizei und Stasi wussten anfänglich rechte und linke Skins kaum zu unterscheiden. Das Innenministerium der DDR initiierte daraufhin ein – von der Abteilung Sicherheit des ZK der SED genehmigtes – geheimes Forschungsprojekt, "AG Skinhead" genannt. Ich wurde als Oberstleutnant der Kriminalpolizei mit dieser Arbeit beauftragt und von der Humboldt-Universität wurde die Soziologin Loni Niederländer einbezogen. Der AG gehörten vier weitere Kripo-Offiziere an. In der Humboldt-Universität gab es eine kleine Forschungsgruppe, die wissenschaftliche Recherchen anstellte. In den Folgewochen wurden nach modernen Standards der Sozialforschung Strafakten und andere Unterlagen aus dem Bereich von Polizei und Justiz ausgewertet und viele Gespräche mit Rechtsradikalen geführt. Auch wurden Beobachtungen in verschiedenen Städten und Regionen ausgewertet. Es gab dabei einen Kontakt zur Jugendstaatsanwaltschaft. Doch unsere Tätigkeit wurde von einem Flügel eingeweihter Parteifunktionäre und dem MfS beargwöhnt und spürbar torpediert.
Denn die Ergebnisse von uns Kriminalisten und den beteiligten Wissenschaftlern waren ernüchternd für die Führung von SED und Stasi: etwa 6.000 Neonazis wurden DDR-weit erfasst, davon schätzten wir rund 1.000 als rückfällig dauergewaltbereit ein. Monatlich wurden 1988 bis zu 500 Taten aus diesem Milieu registriert. Darunter auch Gewalttaten aus eindeutig ausländerfeindlichen Motiven. So notierten wir 1988 in Berlin u.a. einen Überfall auf mosambikanische Bürger auf dem Alexanderplatz, auf polnische Bürger in einem Zeltlager und auf jemenitische Bürger in einem Kulturpark. Im sächsischen Großenhain wurden ebenfalls Mosambikaner überfallen und in einem sächsischen Ferienlager spanische Bürger. Außerdem wurden vermeintlich "Linke" attackiert, zum Beispiel Punker in ihrer Wohnung in Schöneiche im Bezirk Frankfurt/Oder oder Grufties in einer Kneipe in Berlin.
Der Einfluss von Neonazis aus dem Westen konnten wir nicht als "Existenzbedingung" für rechtsradikale Skinheads ausmachen – im Gegenteil, die Entwicklung erwies sich weitgehend als hausgemacht. Die meisten Neonazis kamen aus der "jungen Arbeiterklasse", waren gut in Schule, Lehre und Arbeit und stammten aus gutem, ja parteitreuem DDR-Elternhaus. Sie waren zu stabiler, effizienter Organisation und Netzwerkknüpfung fähig und lernten schnell, sich auszubreiten. Diese Neonazis waren nicht nur mit den besonders aktiven und oft brutalen Skinheads verbunden, sondern befanden sich in allen Jugendkulturen und dem Fußballhooliganmilieu. Sie alle einigte ihre Ideologie, auch wenn die Gruppen Unterschiede im Detail aufwiesen. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Neonazigruppen sich auf die staatliche Überwachung und Strafverfolgung eingestellt hatten. Dazu diente das Prinzip der ‚kleinen Gruppe‘, die sich in einem Zellennetzwerk selbsttätig handelnd einfügte. Daher konnten MfS, Volkpolizei und Justiz nur wenige Erfolge erzielen.
Alleine standen wir mit unseren Erkenntnissen nicht. Zeitgleich stellten Jugendforscher am Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung unter Walter Friedrich fest, dass rund ein Achtel der DDR-Jugendlichen die Auffassung vertrat, dass der Faschismus "auch gute Seiten" gehabt habe, rund zwei Prozent bekannten sich offen zur rechten Skinheadszene und weitere vier Prozent bekundeten, mit ihnen zu sympathisieren.
Erkenntnisse wanderten in Giftschrank
Doch wir Überbringer der schlechten Nachrichten wurden zum Stillschweigen verdonnert, solche Erkenntnisse kamen unter Verschluss und in Berlin wurde die "AG Neonazis" im Herbst 1988 alsbald wieder aufgelöst – und wir Mitarbeiter fortan vom MfS überwacht, das offenkundig einen Imageschaden für die DDR befürchtete. An der Humboldt-Universität erhielt die in Verantwortung von Professor Loni Niederländer am 30. November 1988 abgeschlossene Studie mit dem Titel "Planaufgabe Studie zur territorialen Ausbreitung von Skinheads und ähnlichen Grupierungen in der DDR 1986-1988 und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen zur Rückführung der Erscheinung" einen Sperrvermerk.
Mir gegenüber verkündete mein Kripo-Chef, dass Wissenschaft und Strategie nicht gefragt seien, „sondern die Macht“. Er führte dazu aus: "Es gibt eine Wissenschaftlichkeit und eine Parteilichkeit. Und wir sind parteilich." Kritik, die ich und andere daran übten, wurde sanktioniert. Aus meinen Stasi-Akten konnte ich später erfahren, dass ich 1989 sogar als "Träger der politisch-ideologischen Diversion" eingestuft wurde, ich wurde fortan verstärkt überwacht und in Konsequenz Anfang Juli 1989 sogar aus meinem Amt entfernt.
Was aber war für den Staat so beunruhigend, dass darüber nicht geredet werden sollte? Damals ausgewertet wurden von uns vor allem Gruppenaktivitäten und Straftaten aus rechtsradikalen Gruppierungen heraus. Die Erkenntnisse über das seinerzeit immer deutlich sichtbarer werdende rechte Skinheadphänomen wurde von SED-Funktionären aber nicht als alarmierend verstanden, sondern als reines Jugendproblem verniedlicht und weiterhin nicht besonders ernst genommen. Im antifaschistischen Staat durfte es schließlich keinen Nazismus geben. Wäre das anerkannt worden, wäre die ideologische Propaganda-Konstruktion der DDR zusammengebrochen. Die DDR war, so in der Propaganda, als "Diktatur der Arbeiter und Bauern" gegründet worden, um mit dem Nazismus konsequent aufzuräumen. Der Sozialismus sollte dafür der wahre Garant sein. Die Bundesrepublik dagegen wurde beschuldigt, dies nicht getan zu haben, weil die Verursacher des Faschismus, die "kapitalistischen Monopole" die Macht im Staate inne hätten und den Faschismus schützen und verbreiten würden.
Doch die Nazis in der jungen DDR-Generation, das ergaben unsere Untersuchungen, waren alle unter sozialistischen Verhältnissen aufgewachsen und nicht im Westen. Und sie wurden auch nicht durch Medieneinstrahlung von dort zu Nazis gemacht, wie es SED und Staatssicherheit gebetsmühlenartig behaupten. Aber aus Sicht der DDR-Propagandisten sollte alles Schlechte aus dem Westen und aus der Vergangenheit stammen: Kriminalität, Gewalt, Nazismus, Drogen. Gebetsmühlenartig wurden solche Behauptungen verbreitet, um eigene Probleme zu kaschieren und die sozialistische Wirklichkeit schön zu färben.
Dabei lagen dem MfS längst Meldungen vor, wie selbstbewusst und hasserfüllt sich Neonazis in der DDR gaben, selbst an Orten, von denen die Partei meinte, sie gut unter Kontrolle zu haben. Beispielsweise notierte am 9. Januar 1986 um 12.40 Uhr beim Lagedienst des MfS ein Stasi-Oberstleutnant Müller folgende Information mit der Kennziffer 9/86.02 aus der Mensa Nord der Humboldtuniversität in der Berliner Reinhardstraße. An einer Toilettentür war einem Informanten eine "Hetzlosung" mit "Schrifthöhe 2 cm" aufgefallen, mit folgendem Text: "Adolf Hitler ist mein großes Vorbild. Für mich ist der 20.4.86 ein großer Feiertag. An diesem Tag startet eine Aktion. Die SED soll sich fürchten. Hitler sagte damals: Die Juden müssen weg. Ich sage heute: Die SED-Bonzen müssen weg." Darunter, so der Stasiinformant aus der Humboldt-Universität, kritzelte der Täter einen "Davidstern mit den Buchstaben SED" (Quelle: BStU, Mfs, HA XX II 5530 S.65).
Aufmerksame Kirchen
In dieser Phase wurden auch die Kirchen auf den sich ausbreitenden Neonazismus aufmerksam, wichtigster Auslöser war der Überfall auf die Zionskirche 1987. Der DEFA-Regisseur Konrad Weiß veröffentlichte knapp zwei Jahre später im August 1989 eine elfseitige Studie mit dem Titel: "Die neue alte Gefahr/Junge Faschisten in der DDR". Er konstatierte "immer stärker rechtsradikale und neofaschistische Strömungen", sei es unter Berufsschülern ("zwei bis drei Rechtsradikale pro Klasse"), jungen Arbeitern und Volksarmisten, die sogar heimlich "Wehrertüchtigungs-Camps" organisierten. Ihr Ziel sei die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1938. Vor allem auf 14- bis 15-Jährige übe die rechte Szene "starke Anziehungskraft" aus, um Opposition zum DDR-Staat zu zeigen. Weiß mahnte an, dass nur „wahrhafte Demokratie auf Dauer die Jugend unseres Landes gegen faschistisches Gedankengut immunisieren kann."
Damals im Kirchenumfeld tätige antifaschistische Gruppen analysierten sehr treffend die Lage und erkannten ähnlich wie Weiß einen Zusammenhang zwischen DDR-Diktatur, ihrem despotischen Charakter, dem Nazitum und einem grassierenden Nationalismus in der Bevölkerung. Doch die Stasi rückte vorrangig nicht die Neonazis in ihren Focus, sondern eher die kirchlichen Antifagruppen, denen sie eine "feindlich-negative", staatsfeindliche Haltung unterstellte.
Zunehmende Szenemilitanz
Obendrein tat die Staatssicherheit alles, um das Nazitum in der DDR nicht öffentlich werden zu lassen. Sie untersuchte zwar naziverdächtige Straftaten und brachte Täter vor Gericht und in Stasigefängnisse. Jedoch wurden manche Straftat und manches schwere rassistische Verbrechen – die heute noch aufzuklären sind – , darunter Tötungen von Afrikanern, Brandanschläge, pogromartige Aktionen an Ausländerunterkünften, Angriffe auf sowjetische Truppen, Gewalt gegen Abtrünnige oder angehende Terrorgruppen abgewiegelt oder ganz unter den Tisch gefegt. So wurde in der Nähe von Eberswalde durch die Terrorabwehr des MfS eine Gruppe festgestellt, die die Sowjetischen Streitkräfte ausspähte und einen Militärkonvoi in einen Hinterhalt bringen wollte. Im Südharz hatte sich eine Gruppe formiert, die sich mit terroristischen Fähigkeiten und Material ausgestattet hatte. Und in Cottbus agierte eine Wehrsportgruppe, aus der später die "Deutsche Alternative" hervorging. Solche Erkenntnisse wurden der Öffentlichkeit verschwiegen – mit Folgen. 1988 entstand mit der "Bewegung 30. Januar" eine militante Gruppe in Berlin mit Waffenverstecken. Sie besetzte nach dem Fall der Mauer 1990 einen Häuserkomplex in Berlin Lichtenberg, der zu einem zentralen Treffpunkt und Gewalt-Schulungsort für Neonazis wurde, mit Besuchern und Bewohnern aus Ost und West.
Westen übernahm "Rowdy"-These
Unsere damals in den Giftschrank weggesperrte Analyse "Erkenntnisse der Kriminalpolizei zu neofaschistischen Aktivitäten in der DDR" sowie weitere, nach 1990 aufgefundene Akten der SED, des MfS oder der Deutschen Volkspolizei geben einen ungeordneten aber deutlichen Eindruck über die Geschehnisse und den Ausgangspunkt, von dem aus die DDR ihren Nazinachwuchs in das gemeinsame Deutschland einbrachte. Dokumente daraus stellte ich zusammen.
Das stellte ich am 28. Dezember 1989 den Medien vor und hielt damit im Juni 1990 einen Lagevortrag im BKA Meckenheim. Doch unsere Lageeinschätzung ging im Trubel der Friedlichen Revolution unter, blieb in Politik und Sicherheit in der Vereinigungsfreude weitgehend unbeachtet und wurde auch von unseren Zuhörern beim BKA nicht sonderlich ernst genommen. Dort überwog überraschenderweise die Sichtweise, die SED-Bezirkszeitungen über Gewaltvorfälle im Osten geprägt hatten, wenn sie ab und zu über "Rowdytum" oder "Störer" berichteten. Auch jene Neonazis, die 1987 die Zionskirche stürmten, waren anschließend von DDR-Gerichten nur wegen "Rowdytum" verurteilt worden. Nicht aber wegen Neonazigewalt. Unsere BKA-Gesprächspartner schlossen daraus ahnungslos, dass solche Täter deswegen keine Neo-Nazis sein konnten.
Im Frühjahr 1991 fand eine neuerlich Tagung der Kommission Staatsschutz in Schliersee (Bayern) statt. Doch unser Lagevortrag des Gemeinsamen Landeskriminalamtes der neuen Bundesländer (GLKA) tauchte anschließend im Protokoll nicht mehr auf, obwohl er eine deutliche Warnung vor der damals bereits absehbaren Gewaltwelle gegen Ausländer ab 1991 enthielt. Es wurde, so mein Eindruck, aktiv gegen eine solche Lagebewertung agitiert und die Situation verharmlost, eine Linie, die sich bis 1999 durchzog. Derlei ignorantes Verhalten führte zu fatalen Fehleinschätzungen, die aus meiner Sicht die spätere rechtsradikale Gewaltwelle gegen Ausländer ab 1991 und den späteren Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mit ermöglichten.
Folgendes hatten wir referiert: Nach unseren Unterlagen bildete sich in den 1980er Jahren unter den Augen des MfS über insgesamt fünf Phasen der Radikalisierung ein nazistisches Netzwerk, das in allen Teilen der DDR präsent war. Die in unterschiedlichen Kombinationen radikalen Gruppen waren aus Prinzip – wegen der Konspiration vor Staatssicherheit und der Polizei – klein, sie umfassten jeweils nicht mehr als zehn Leute. Sie waren über ausgewählte Personen mit anderen verbunden und konnten sich schnell untereinander verständigen. Es gab unauffällig geplante Großaktionen aus Veranstaltungen heraus. Fußballaufläufe und Volksfeste waren dafür geeignet. Selbst die Staatssicherheit war auf derartige Aktionen nur selten vorbereitet. Der Stasichef Erich Mielke wurde 1988 beim Besuch des DDR-Fußballpokalendspiels mit SA-Liedern und Nazi-Randale begrüßt und seine Stasitruppe angegriffen. Um seinem Klub herum, dem BFC Dynamo, bildete sich ein Geflecht von Nazi-Skinhead- und Nazi-Hooligan-Gruppen, die als besonders radikal und gewalttätig galten. In den Knästen verbreitete sich der Nazitrend. Nazisein galt für junge Leute mitunter als schärfste Form der Opposition zum SED-Staat, mehr noch als Punk. Offen wurden auch Nazigrößen verehrt. So meldete das MfS im Raum Rostock 1989 die Verhaftung von neun "Jungerwachsenen", die ihre Gruppe mit dem Namen eines Generals der Waffen-SS benannt hatten: "SS-Division Walter Krüger".
Zum Ende der Ende DDR wurden auch vermehrt jüdische Friedhöfe geschändet, Taten, die die Staatssicherheit allerdings nur mit mäßigem Engagement aufzuklären schien. DDR-Staatschef Erich Honecker musste sich international deswegen rechtfertigen. Doch selbst das Politbüro wurde vom MfS nicht über die wirkliche Entwicklung des Neonazismus informiert und befasste sich erst unter dem Druck der Ereignisse in einer Sitzung am 2. Februar 1988 damit. Es ging in der Runde aber nicht darum, Rechtsradikalismus als Systemproblem zu begreifen. Er wurde als ‚Jugendproblem‘ eingestuft. Deshalb sollte die Freien Deutschen Jugend federführend berichten. Im Lagepapier der FDJ war dann noch lediglich von ‚Skinheads, Punks und Heavy Metals‘ die Rede, in anderen Parteidokumenten allenfalls abstrakt von "rowdyhaften Jugendlichen".
Die vom Politbüro verordneten Maßnahmen – verstärkte Indoktrination über den Jugendverband und staatliche Gewalt – liefen jedoch an der realen Entwicklung im Land vorbei. Verstärkt wurde zwar auch die Strafverfolgung, allerdings ohne soziale Re-Integrations-Strategie und nur auf Gefängnis und Abschreckung der Einzelnen setzend. Auf diese Weise bot der Strafvollzug ideale Voraussetzungen zur weiteren Vernetzung und nazistisch geprägten Integration der Szene, wie auch die Einheiten der Nationalen Volksarmee, in die junge wehrpflichtige Neonazis gesteckt wurden und sich dort überregional im DDR-Gebiet verbinden konnten.
Auch viele Jugendklubs der FDJ wurden zu ‚Basis-Stationen‘ von DDR-Neonazis, die sich als ebenso hilflos wie "wegschauend" erwiesen, einerseits aus Unkenntnis, mitunter aber auch aus stiller Sympathie. Dies gab es auch in Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) und den Volkspolizei-Bereitschaften. Dort gab es eine Vielzahl schwerer Vorkommnisse, die aus nazistischem Geist von Soldaten und Offizieren entstanden, ohne dass dies Vorgesetzte unterbanden. Gründe dafür mögen auch deutliche Überschneidungen in ideologischen Positionen von stalinistischen SED-lern und Neonazis sein. Der fiktionale (national)sozialistische Deutsche und deutsche Kommunist wurden über eine biologisch geprägte "kulturelle Wesensart" definiert. Ihnen gegenüber stand als "Undeutscher" der Sozialismusfeind, der "Unsozialistische". Für Nazis waren dies auszugrenzende "Volksfeinde" und in den Kategorien des MfS waren es "negativ-dekadente" Personen, die es für die Ausspähung, Verfolgung und zerstörende "Zersetzung" zu listen galt.
Es gab bei uns in der Kripo sogar Hinweise, dass zwei sogenannte „Kunstgruppen“ existierten, die vom MfS kreiert worden waren. Diese seien auch in Angriffe auf ‚Linke‘ verwickelt, möglicherweise gewollt. Auch in Gedächtnisprotokollen über die Polizeieinsätze am 7. Oktober 1989 gibt es Hinweise, dass Skinheads mit Stasiausweisen im Einsatz gewesen seien, in Dresden fiel das ebenfalls auf. Doch verifizieren ließ sich dieser Verdacht bislang nicht. Leider waren auch die Akten, die ich in der Stasi-Unterlagen-Behörde einsehen konnte, nicht vollständig. Doch für eine kriminalistische Recherche wäre es notwendig, Unterlagen auch ungeschwärzt zu sichten und Dokumente der Volkspolizei und des DDR-Innenministeriums hinzuzuziehen. Aus höchsten Kreisen des MdI ist mir noch das das Frohlocken im Ohr, dass auch Skinheads Linke jagten („gegenseitig ausrotten“).
Kooperation mit Neonazi aus dem Westen
Somit blieb die Haltung der "Sicherheitsorgane" in den 1980er Jahren diffus und unentschlossen. Die Diensteinheiten des MfS verfolgten in Sachen Neonazis auffallend unterschiedliche Ansätze der "Bewertung der Lage", die Terror-Abwehr kooperierte sogar mit ostdeutschen und west-deutschen Neonazis als IM, um über gesteuerte Gruppen und Personen langfristig an Erkenntnisse zu kommen, auch über internationale Verbindungen wissend. So wurde der westdeutsche Naziterrorist Odfried Hepp durch das MfS als IM "Friedrich" eingesetzt, nachdem er sich dem MfS aus "nationalrevolutionärer" Überzeugung angeboten hatte. Hepp war mit der "Wehrsportgruppe Hoffmann" in einem Ausbildungslager im Libanon und bombte mit seiner Gruppe gegen Ausländer und amerikanische Militärangehörige. Er war 1982 zeitweilig in der DDR untergetaucht. Die Stasi stellte ihm auf den Namen "Dieter Kersten" sogar einen gefälschten Pass für Reisen in Ausbildungslager im Nahen Osten aus, wo er dann Offizier einer Palästinensischen Terrorgruppe wurde.
Der innere Spitzelapparat der Hauptabteilung XX folgte dagegen der Vorstellung, dass es keine solchen internationalen Verbindungen gäbe und die Neonazis eigentlich nur Schläger und politische angestrichene ‚Träger der politisch-ideologischen Diversion‘ und dabei nur ‚negativ-dekadente Jugendliche‘ seien. Die Untersuchungsabteilung der Staatssicherheit teilte im wesentlich diese Ansicht, wusste aber über viele Kerngruppen und ihre nazistischer Radikalität Bescheid und verfügte über zahlreiche Informationen, die sie aus gezielten Strafverfahren herausgezogen hatten.
Dies brachte durchaus gegensätzliche Lagebilder des MfS hervor, die verschiedene politische Interessen zu berücksichtigen hatte. Um die SED-Führung zu besänftigen, setzte sich als Verharmlosungsargument durch: Rechtsradikale seien spielerische Jugendliche unter Westeinfluss.
Reale Ost-West-Verbindungen wurden wiederum kaschiert. Denn es bestanden auch recht stabile Verbindungen zwischen Ost und West über Treffen im Ostblock besonders die CSSR und Ungarn. Auch einreisende Neonazis aus dem Westen waren in der DDR aktiv. Der Grenzverkehr in Berlin war ein beständiger Teil des Transfergeschehens. So gab es schon 1984 einen Parteitag der nazistischen FAP in Berlin-Treptow, ironischerweise durchsetzt mit IMB des MfS und V-Leuten vom Verfassungsschutz aus West-Berlin. Auch der US-Geheimdienst hielt verschlüsselt über die Grußbörse des RIAS Berlin Kontakte zu einzelnen Rechtsradikalen, fand die DDR-Kriminalpolizei heraus. In Berlin wurden durch das MfS Verbindungen nach Hamburg ausgeforscht, in denen ebenfalls Geheimdienstkontakte vermutet wurden.
Am Ende Neonazis instrumentalisiert
Maßgeblich blieb das Problem eines wachsenden Neonazismus in der DDR aber hausgemacht – ohne, dass dies als Konsequenz überzeugende, soziale Gegenstrategien zur Folge hatte. Genaugenommen versagte die Staatssicherheit als Diktaturinstrument ebenso wie die SED, beide erfüllten nicht ihren selbst erhobenen Anspruch, einem überzeugenden Antifaschismus zu dienen. Stattdessen wurden demokratisch Gesinnte verfolgt, die nachhaltige Gegner des Nazis waren und Vorstellungen von der Freiheit und Würde jedes einzelnen Menschen verteidigten.
Dennoch wurde Antifaschismus bis zum Ende der DDR instrumentalisiert. Am 28. Dezember 1989 wurden großflächige antirussische und nazistische Schmierereien am Sowjetischen Ehrenmal in Ostberliner Stadtbezirk Treptow entdeckt. Auf acht Sarkophagen und am Denkmalssockel standen Parolen wie "Besatzer raus!", "Volksgemeinschaft statt Klassenkampf" und "Nationalisten für ein Europa freier Völker". Aufgeregt wurde für den 3. Januar 1990 zu einer großen antifaschistischen Kundgebung aufgerufen. Rund 250.000 Menschen, vor allem aus dem Umfeld der SED nahmen teil und mehrere Redner, darunter der Parteireformer Gregor Gysi forderten einen "Verfassungsschutz" für die DDR. Damit wurde die Schändung des Denkmals für die Zukunfts-Debatte der Stasi instrumentalisiert, um Stimmung zu machen, dass die Geheimpolizei oder ihre Nachfolgebehörde, das "Amt für Nationale Sicherheit" (AfNS) nicht aufgelöst, sondern zwecks Extremismusbekämpfung unter neuem Etikett fortgeführt werden soll.
Damals entdecken SED und MfS das Thema Rechtsextremismus für den von ihnen geplanten "Verfassungsschutz der DDR" sogar als vorrangigen Aufgabenbereich. Ende Dezember 1989, Anfang Januar 1990 entstanden in der Normannenstraße mehrere solcher Argumentationspapiere. So ging aus dem Büro der Leitung am 20. Dezember 1989 ein Brief von Generalmajor Engelhardt an die Leiter aller Diensteinheiten für eine "erste Aufgabenstellung zur Aufklärung und Bekämpfung neofaschistischer Erscheinungen in der DDR". Die Aufgabe, "alle Tendenzen und Erscheinungen" auf diesem Gebiert "offensiv" anzugehen, hätten "Regierung der DDR und Genosse Modrow persönlich" erteilt.
Auch AfNS-Chef Wolfgang Schwanitz ließ sich seinerzeit unter dem Titel "Dem Neonazismus keine Chance" ein internes Redemanuskript verfassen (BStU, MfS HA XX/AKG 191, S.8). Darin wurden Gefahren durch Rechtsextremisten plötzlich erkannt und Vorfälle beim Namen genannt. In seinem Vortragstext erwähnte Schwanitz beispielsweise, "dass am 20.4.89, dem Hitler-Geburtstag, 5 Personen auf einer ehemaligen Mülldeponie im Kreis Strausberg Trinksprüche auf den Massenmörder" ausgerufen haben und eine "selbstgefertigte Nazifahne" hissten. Und in Wolgast sei im Juni 89 eine Gruppe 18-36jähriger ausgehoben worden, "die faschistische Rituale pflegte, entsprechende Uniformteile herstellte, ein Luftgewehr gestohlen hat und sich elektrische Viehtreiber besorgte". Diese habe sie "bei der gewaltsamen Einschüchterung einzelner Bürger" einsetzen wollen. Dies alles seien "zweifellos extreme Einzelfälle", Erkenntnisse über eine "organisierte neonazistische Szene in der DDR" gebe es allerdings noch nicht.
Die propagandistisch hochgespielten Schmierereien aus dem Treptower Park kamen da wie gerufen, um zu suggerieren, dass diese Gefahr nun durch die seit dem 9. November 1989 offene Grenze bestand. Aufgeklärt wurde die Tat nie vollständig. Das MfS konzentrierte sich auf Spuren, die angeblich zu zehn Ostberlinern im Alter zwischen 20 und 25 Jahren führten, die sich im Dunstkreis der Westberliner Republikaner befänden. Diese würden Pläne für eine Machtergreifung in der DDR hegen. Die Abteilung Extremismus im Zentralen Kriminalamt der DDR griff unter dem letzten Innenminister Peter Michael Diestel 1990 die Recherchen noch einmal auf und kam dagegen zu dem Schluss, dass Tatverdacht gegen das MfS bestehe. Der Historiker Stefan Wolle formulierte daher sogar den Verdacht, dass die Stasi hier entweder Mitwisser war oder eigennützig die "Urheberschaft" an der Denkmalsschändung hatte, um sich eine Zukunft zu rechtfertigen. Im Kontext der seinerzeit fieberhaften Bemühungen, dem ehemaligen MfS noch irgendwie eine Zukunft zu bescheren, eine recht plausible Sicht.
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Weiß, Konrad (1988): Die neue alte Gefahr. Junge Faschisten in der DDR. In: Kontext (5)
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Schmidt, Ines Schmidt, Wilhelm Heitmeyer, Bernd Wittich et al. Köln: PapyRossa-Verl. (Neue kleine Bibliothek, 23)
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Dr. Bernd Wagner, Diplom-Kriminalist, war Kriminalpolizist in der DDR und im vereinten Deutschland (Ausländer-, Wirtschafts-, Jugend- und Gewaltkriminalität, Staatschutzkriminalität, Kriminologie). Wissenschaftliche Begleitung des Bundesprogramms "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt Jugendlicher in den neuen Bundesländern", Mobiles Beratungsteam Brandenburg, Gründung und Leitung des Zentrums Demokratische Kultur mit den Initiativen EXIT-Deutschland, HAYAT-Deutschland, DNE-Deutschland, Community Coaching gegen freiheitsfeindliche Bewegungen, Institute for the Study of Radical Movements (ISRM) sowie der Zeitschrift Journal EXIT. Promotion zum Thema "Rechtsradikalismus in der Spät-DDR – Zur militant-nazistischen Radikalisierung. Wirkungen und Reaktionen in der DDR-Gesellschaft". Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
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