Im Parlamentarischen Rat
Im Sommer 1948 wird Helene Wessel im Landtag von Nordrhein-Westfalen zusammen mit Johannes Brockmann für die Zentrumspartei in den Parlamentarischen Rat gewählt. Sie ist Schriftführerin, Mitglied im Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung und im Geschäftsordnungs-
ausschuss, nimmt aber auch an den Sitzungen anderer Ausschüsse teil, sofern spezifische Interessen der Zentrumspartei berührt werden.
Als Grundlage dient ihr u.a. ein von Carl Spiecker unter ihrer Mitwirkung entworfenes verfassungspolitisches Programm. Bei den Grundrechten möchte sie vor allem das Elternrecht im Sinne der Grundvorstellungen der katholischen Kirche verankert wissen. Zudem tritt sie für eine starke sozialstaatliche Ausrichtung des Grundgesetzes ein. In der Wahlrechtsfrage fordert sie ein reines Verhältniswahlsystem und propagiert die Aufnahme von Volksbegehren und Volksentscheid. Die Einflussmöglichkeiten der Parteien auf die Mandatsträger möchte sie durch rechtliche Vorkehrungen begrenzen, um deren Gewissensfreiheit zu sichern.
Ihre Vorstellungen zu Ehe und Familie sind traditionell bestimmt, so dass sie die Initiative zur Gleichberechtigung der Geschlechter den beiden weiblichen SPD-Abgeordneten Elisabeth Selbert und Friederike Nadig überlässt. Die ihrer Auffassung nach unzureichende Berücksichtigung christlicher Wertvorstellungen und das Fehlen betont sozialstaatlicher Grundrechte veranlassen sie, das Grundgesetz bei der Schlussabstimmung vom 8. Mai 1949 abzulehnen.
Biografie
Geboren am 6. Juli 1898 in Dortmund, gestorben am 13. Oktober 1969 in Bonn, römisch-katholisch.
Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitet Helene Wessel von 1913-1915 als Stenotypistin. Seit 1915 Parteisekretärin der Zentrumspartei in Dortmund. Zunächst stark in der Jugend- und Frauenarbeit tätig, ab 1922 Vorsitzende des Landesverbands der Parteijugendorganisation (Windthorstbund), 1923/24 zusätzlich Ausbildung zur Jugend- und Wohlfahrtspflegerin. Ab 1925 Mitglied des Reichsvorstands der Zentrumspartei. 1928-1933 Abgeordnete des Preußischen Landtags, hier sozialpolitische Sprecherin und Repräsentantin des linken Parteiflügels. 1929-1930 Zusatzqualifikation zur Diplomwohlfahrtspflegerin in Berlin.
Zählt im Mai 1933 zu den drei Abgeordneten ihrer Fraktion, die im Landtag dem preußischen "Ermächtigungsgesetz" ihre Zustimmung verweigern, wobei sie als einzige von den Dreien in der Sitzung anwesend ist. In der Folgezeit zunächst ohne dauerhafte Beschäftigung, ab Frühjahr 1939 Tätigkeit im katholischen Fürsorgewesen.
Unmittelbar nach Kriegsende maßgeblich an der Wiederbelebung der Zentrumspartei beteiligt, im März 1946 zur Mitvorsitzenden gewählt. 1946 Mitglied des Beratenden Westfälischen Provinzialrats, 1946-1950 Abgeordnete des Nordrhein-Westfälischen Landtags, 1947/48 Mitglied des Zonenbeirats der Britischen Zone. 1949-1953 Mitglied des Deutschen Bundestags, hier Vorsitzende der Zentrumsfraktion sowie später der mit der Bayernpartei gebildeten Föderalistischen Union (bis Anfang 1952). 1951 zusammen mit Gustav Heinemann Gründerin der außerparlamentarischen Notgemeinschaft für den Frieden Europas, Ende 1952 nach dem Ausscheiden aus der Fraktion gemeinsame Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP).
In der Folgezeit wegen der Ablehnung der Wiederbewaffnung einer massiven Kampagne seitens eines Großteils der Medien ausgesetzt. Weigerung ihrer Kirche auf Weiterbeschäftigung in der katholischen Fürsorge. Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der DGB-Bezirksleitung Düsseldorf. Nach der Selbstauflösung der GVP im Frühjahr 1957 Eintritt in die SPD. 1957-1969 erneut Mitglied des Deutschen Bundestags, nunmehr für die SPD, Hauptbetätigungsfeld: Sozialpolitik.
Nachlass: Archiv der sozialen Demokratie, Bonn.