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Ökonomie des Krieges

Wolfgang Kruse

/ 8 Minuten zu lesen

Der Erste Weltkrieg wirkte sich als totaler Krieg auch auf die Güterproduktion aus: Sie wurde dem Vorrang der Kriegsanstrengungen bedingungslos untergeordnet – mit fatalen Konsequenzen vor allem für die notleidende Bevölkerung.

Deutsche Zivilisten bei der Suppenvergabe 1916 in Berlin. (© picture-alliance, Everett Colle)

Zur Ökonomie des Krieges gehören grundsätzlich drei verschiedene Ebenen, die im Zeichen des industrialisierten Krieges ungeheure Herausforderungen mit sich brachten: Zum Ersten gehörte dazu die Produktion der an der Front benötigten Rüstungsgüter, also von Waffen und Munition, wie sie während des Krieges vorher nicht gekannte Größenordnungen erreichte. Allein im Jahre 1918 etwa wurden in Deutschland mehr als viermal so viele Geschütze produziert wie die gesamte Artillerieausstattung, die das deutsche Heer vor dem Beginn des Krieges 1914 aufgewiesen hatte. Und noch weit schneller wuchs der Bedarf an Munition, Granaten und Patronen, deren Verbrauch ins schier unermessliche stieg. Zum Zweiten war es notwendig, trotz des Vorrangs für die Rüstungsproduktion auch die Versorgung der Menschen an der Front wie in der Heimat mit Lebensmitteln und anderen Verbrauchsgütern sicherzustellen. Zum Dritten schließlich mussten die Finanzmittel aufgebracht werden, um die enorme Rüstungsproduktion finanzieren zu können. Auf knapp 160 Milliarden Reichsmark beliefen sich Ende 1918 die Kriegskosten des Deutschen Reiches, was etwa dem Vierfachen des gesamten deutschen Volkseinkommens im Jahre 1913 und der Hälfte des geschätzten Volksvermögens insgesamt entsprach.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Organisation der Kriegswirtschaft wurden vom Reichstag am 4. August 1914 mit einem "Ermächtigungsgesetz" verabschiedet, das den Bundesrat zu weitreichenden Eingriffen in das Wirtschaftsleben befugte. Doch trotz der vielfach beschworenen "deutschen Organisation" blieb die Kriegswirtschaftspolitik in zentralen Punkten lange eher ziellos und ungeordnet. Dazu trug zum einen der Föderalismus bei, zum anderen die Übernahme der zivilen Verwaltung durch die selbstständigen und ganz anders organisierten Militärbefehlshaber (Stellvertretende Generalkommandos) nach dem Gesetz über den Belagerungszustand. Erst 1916 wurde mit dem Kriegsamt überhaupt eine zentrale Leitungsbehörde ins Leben gerufen. Die politische Leitungsverantwortung der Militärs aber setzte sich immer stärker durch, und sie erwies sich gegenüber der parlamentarisch legitimierten zivilen Wirtschaftslenkung in England und Frankreich letztlich als unterlegen.

Rüstungswirtschaft

Frauen bei der Rübenernte. (© picture-alliance, Mary Evans)

Die Organisation der Rüstungsproduktion nahm ihren Ausgang bereits im August 1914 mit der Einrichtung einer Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium. Sie war angeregt worden von dem AEG-Direktor Walter Rathenau, der gemeinsam mit seinen Mitarbeiter Wichard von Moellendorff erkannt hatte, dass die englische Seeblockade schnell zu einem Mangel an rüstungswirtschaftlich notwendigen Rohstoffen führen würde. Unter der Leitung Rathenaus organisierte die Kriegsrohstoffabteilung mithilfe der für immer mehr Wirtschaftszweige geschaffenen Kriegsrohstoffgesellschaften als korporativen Zwangssyndikaten die Erfassung kriegswichtiger Rohstoffe und ihre Verteilung insbesondere an die großen Rüstungsunternehmen. Sie brachte die wissenschaftliche Entwicklung und Produktion von Ersatzstoffen auf den Weg, zu Anfang insbesondere in der Ersetzung des für die Herstellung von Schießpulver nötigen Salpeters durch ein Kunstprodukt nach dem Haber-Bosch-Verfahren. Und schließlich begann sie schon frühzeitig mit der Ausplünderung der von deutschen Truppen besetzten Territorien, insbesondere im wirtschaftlich hoch entwickelten Belgien.

Gewinne (abzüglich Verluste) deutscher AG und GmbH nach Branchen

Diese Organisationsform, die sich zu einer Art militärisch-industriellem Komplex entwickelte, brachte vor allem den großen Rüstungskonzernen enorme Aufträge und Kriegsgewinne. Ein weiteres Problem der Rüstungsproduktion bestand in der Versorgung der bald ins riesenhafte anwachsenden Betriebe mit Arbeitskräften. Angesichts der Produktionsausweitung einerseits, der Einziehung großer Teile der qualifizierten Arbeiter an die Front andererseits, wurde es notwendig, andere Arbeitskräfte heranzuziehen. Manche hochqualifizierten, für die Rüstungsproduktion unbedingt erforderlichen Facharbeiter konnten vom Dienst als Soldaten freigestellt werden, doch reichte dies bei weitem nicht aus, um die großen Lücken zu füllen. Vor allem wurden dafür in großer Zahl jugendliche und weibliche Arbeitskräfte mobilisiert, die in den heruntergefahrenen, oft auch ganz schließenden Friedensindustrien keine Beschäftigung mehr fanden bzw. von der Schule direkt zur Arbeit in den Rüstungsbetrieben angeworben wurden, wo ihnen überdurchschnittliche Löhne winkten. Bald kam auch der Einsatz von geworbenen oder gepressten Ausländern und von Kriegsgefangenen hinzu.

Als die Dritte Oberste Heeresleitung im Spätsommer 1916 das "Hindenburgprogramm für die Erzeugung von Heeresbedarf" auflegte, um durch eine weitere außerordentliche Steigerung der Rüstungsproduktion den erhofften "Siegfrieden" erzwingen zu können, stand auch die allgemeine Einführung des Arbeitszwangs auf der Agenda der militaristischen Planer. "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", lautete die lapidare Formulierung in der Denkschrift, mit der Hindenburg im September 1916 von der Reichsleitung die Verabschiedung eines sog. Kriegsleistungsgesetzes forderte. Nach Widerspruch der Reichsleitung wurden Frauen allerdings vom Arbeitszwang ausgenommen, und das im Dezember 1916 verabschiedete "Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst" verfügte zwar die Arbeitspflicht für alle Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren. Doch nach dem Muster eines bereits Anfang 1915 in Groß-Berlin eingeführten Verfahrens blieb der Arbeitsplatzwechsel zur Erzielung von Lohnsteigerungen möglich. Geprüft wurde die Erteilung eines "Abkehrscheins", der zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle berechtigte, durch eine paritätisch von Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gebildete Kommission unter Vorsitz eines Militärs; erst einmal gezwungenermaßen, wurde so die Anerkennung der Gewerkschaften als Verhandlungspartner durch die großindustriellen Unternehmen durchgesetzt.

QuellentextSchreiben des Chefs des Generalstabs des Feldheeres v. Hindenburg an den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, 13.9.1916

(…) Die Fragen, wie

1. der Ersatz für das Feldheer gesichert bleibt und zugleich

2. die Kriegsindustrie – ohne Schädigung der Landwirtschaft – noch gesteigert werden kann, sind (…) überaus dringend und für den Ausgang des Krieges von entscheidender Bedeutung. Es erscheint schon jetzt ausgeschlossen, dass diese Fragen ohne einschneidende gesetzliche Maßnahmen erledigt werden können.

Die Frage zu 1. verlangt gebieterisch, dass alle wehrfähigen Männer – Ausnahmen siehe unter zu 2. – eingestellt werden. Dazu sind nötig:

I. Maßnahmen zur Einschränkung der Reklamationen, insbesondere eingehende Nachprüfung in jedem Fall

II. Einstellung aller zur Zeit Untauglichen, die an heilbaren Krankheiten usw., z. B. Herzschwäche, Sportherz, allgemeine Körperschwäche usw. leiden, in besondere Abteilungen, die an geeigneten Orten einer Gesundungskur unterworfen werden. Es kommt vor allem darauf an, die Großstadtjugend den gesundheitsschädigenden Einflüssen zu entziehen. Diese Maßregel hebt gleichzeitig die Volksgesundheit.

III. Erhöhung der Lebensaltersgrenze für die Wehr- bzw. Landstrumpflicht. Ich erachte es für angängig, damit bis auf 50 Jahre heraufzugehen. Wenn auch der Gewinn an Wehrfähigen zwischen 45 und 50 Jahren nicht sehr groß sein wird, so erhalten wir doch eine große Zahl von Garnisondienstfähigen, die zur Ablösung Felddienstfähiger rückwärts der Front dienen können-

IV. Energische staatliche Ausbildung der männlichen Jugend von 16. Lebensjahre an für den den Militärdienst. Die ist nur möglich, wenn dafür eine entsprechende Entlastung in sonstiger Arbeit (in Fabriken, Fortbildungs- und höheren Schulen usw.) eintritt.

Zu 2. Zur Schaffung von Arbeitskräften bleibt das wirksamste und gerechteste Mittel ein Kriegsleistungsgesetz, wie es bereits früher vorgeschlagen ist.

Es ist möglich, dass innenpolitische Rücksichten dagegen sprechen. Der bittere Ernst der Lage zwingt aber dazu, und ich hoffe, dass bei einer sachlich ruhigen Aufklärung das Volk nicht zögern wird, die gewiß nicht gering einzuschätzenden Pflichten zu übernehmen. Ein Kriegsleistungsgesetz gibt

a) die Möglichkeit, Arbeiter aus fast stillstehenden Industriezweigen (Textilbranche usw.) zu verpflanzen;

b) das Personal der gesamten Nichtkriegsindustrie (Warenhäuser usw.) einzuschränken und anders zu verwenden;

c) die Arbeitskraft jedes einzelnen voll auszunutzen.

Ich bemerke, dass ein Kriegsleistungsgesetz vor allem auch ein Akt der Gerechtigkeit ist. Es ist namentlich in Anbetracht des allgemeinen Wahlrecht schreiend ungerecht, dass ein Teil der Männer (und zwar durchschnittlich die kräftigsten und für den Staat wertvollsten) Leib und Leben vor dem Feinde einsetzt und beruflich auf das schwerste geschädigt wird, während die andern in Sicherheit daheim sitzen und leider vielfach nur für ihren Gewinn arbeiten. Wenn auch bei einem großen Teil des Volkes höchste Opferwilligkeit herrscht, so sind andere Teile noch weit entfernt davon.

Arbeit für das Allgemeinwohl ist jetzt Pflicht für alle und gibt keinen Anspruch auf besondere Rechte, sondern ist höchstens ein Grund für die Existenzberechtigung.

Ausdehnung des Kriegsleistungsgesetzes auch auf die abkömmlichen Frauen ist nötig. Es gibt ungezählte Tausende von kinderlosen Kriegerfrauen, die nur den Staat Geld kosten. Ebenso laufen Tausende Frauen und Mädchen herum, die nichts tun oder höchst unnützen Berufen nachgehen. Der Grundsatz ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘ ist in unserer jetzigen Lage mehr denn je berechtigt, auch den Frauen gegenüber. Außer- bzw. innerhalb des Kriegsleistungsgesetzes kommt in Betracht:

I. Aufnahme eines Verzeichnisses aller Facharbeiter nach englischem Muster mit genauer Spezifizierung ihres besonderen Ausbildungszweiges. Die Maßregel hat sich auch auf die zum Heeresdienst eingezogenen Männer zu erstrecken.

II. Zwangsweise, staatliche Ausbildung und Verwendung der Kriegsbeschädigten in der Kriegsindustrie und Landwirtschaft. In gleicher Weise würden die aus stillliegenden Industriezweigen freiwerdenden Arbeitskräfte für die Kriegsindustrie nach Bedarf auszubilden sein.

Diese Maßregel ist in geringem Umfange eingeleitet, sie bedarf zu ihrer erfolgreichen Durchführung des Zwanges. Im übrigen ist bei der technischen Veranlagung unsers Volkes und seinem hohen Bildungsstande in kurzer Zeit Erhebliches zu leisten.

III. Schließung von Universitäten, Seminaren usw., soweit es das unabweisbare Bedürfnis der einzelnen Berufe (Ärzte) zuläßt. Im übrigen sind z. B. Studenten der Chemie und technischen Berufe in Fabriken usw. zu verwenden. Auch dies ist ein Gerechtigkeitsakt, da jetzt nicht wehrfähige Männer und Frauen den im Felde stehenden kämpfenden Studenten usw. den Rang ablaufen und in Zukunft die Stellen wegnehmen. Es kommt schon jetzt im Interesse der Volksvermehrung darauf an, dafür zu sorgen, dass den zurückkehrenden jungen Männern die Gründung einer Familie möglichst erleichtert wird.

Ich zweifle nicht, dass unser Volk, wenn ihm der Ernst der Lage klargemacht wird – und das muß geschehen -, sich willig fügt. Täte es dies nicht, so wäre Deutschland nicht des Sieges wert.

Es ist zudem höchste Zeit, dass unberufenen Schreiern und Hetzern, ebenso wie der stellenweise herrschenden unwürdigen Gewinn- und Vergnügungssucht endlich das Handwerk gelegt wird, und das kann nur geschehen, wenn die berufenen Stellen energisch aufklärend und, soweit nötig, strafend durchgreifen. Das ganze deutsche Volk darf nur im Dienste des Vaterlandes leben. (…)



Aus: Erich Ludendorff (Hg.), Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18, Berlin 1921, S. 65-67

Das Hindenburgprogramm brachte mit der ungebremsten Auftragsvergabe durch die Militärs noch einmal eine enorme Ausweitung der Rüstungsproduktion, doch es rief auch eine konjunkturelle Überhitzung und ein enormes wirtschaftliches Chaos hervor. Die Finanzwirtschaft lief mit einem dynamischen Anwachsen der Schulden nun immer deutlicher aus dem Ruder, und die immer stärker ausgebrannte Bevölkerung wurde einer gravierenden materiellen Mangelsituation ausgeliefert, die zu Hunger, Not und Aufbegehren führte.

Mangelbewirtschaftung der Lebensmittel

Von Kriegsbeginn an setzte die deutsche Politik für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung vorrangig nicht auf Anbau und Produktion von Grundnahrungsmitteln, sondern auf organisierte Mangelbewirtschaftung. Angesichts rasch auftretender Engpässe und Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel wurden nach lokalen und regionalen, oft chaotische Verhältnisse hervorbringenden Eingriffen seit Anfang 1915 für immer mehr Lebensmittel reichsweite Beschlagnahmungen verfügt. Es wurden zudem Höchstpreise festgesetzt und schließlich ein umfassendes System der Rationierung über Lebensmittelkarten eingeführt, das zu langen Warteschlangen vor den Ausgabestellen, den sog. "Lebensmittelpolonaisen" führte. Die Höchstpreise erwiesen sich in der Realität zunehmend als Mindestpreise, denn die Produzenten versuchten, ihre Güter dem staatlichen Zugriff zu entziehen und auf dem parallel anwachsenden Schwarzen Markt zu veräußern, der weit höhere Gewinne ermöglichte. Hier konkurrierten nicht nur die mehr oder weniger besser gestellten Bevölkerungsschichten miteinander, sondern auch die großen Rüstungsbetriebe und selbst militärische Stellen, die sich für ihre Beschäftigten um Bedarfsgüter bemühten. Die Verknappung der Güter setzte so eine Spirale in Gang, die auf der einen Seite zu einer massiven Herabsetzung der Rationen, auf der anderen Seite zu immer deutlicher ausgeprägten Steigerung der Schwarzmarktpreise führte und die Versorgungslage insbesondere der ärmeren Bevölkerungsschichten nachhaltig verschlechterte.

Rückgang der deutschen Agrarproduktion in den Jahren 1914 und 1918 (1913=100%) und Lebensmittelrationen 1916/1918 in Prozent des Vorkriegsverbrauchs (1913=100%)

Die Obrigkeit reagierte auf diese Entwicklungen mit immer schärferen Eingriffen, die von breiten Teilen der Bevölkerung als "Zwangswirtschaft" empfunden und abgelehnt wurde. Die Bauern wurden ebenso streng reglementiert, überprüft und ggf. juristisch verfolgt wie die Händler, dasselbe galt für die darbende Stadtbevölkerung bei ihren "Hamsterfahrten" auf das Land. Trotzdem sahen sich die Behörden angesichts der teilweise dramatisch sinkenden offiziellen Lebensmittelrationen schließlich gezwungen, die Versorgung auf dem Schwarzen Markt in ihre Planungen einzubeziehen. Effizient waren diese Verfahren allerdings nicht, und sie brachten gravierende gesellschaftliche Probleme mit sich. Der Stadt-Land Konflikt nahm durch die Verteilungskonflikte an Schärfe zu, und ideologische Erklärungsmuster wie der Antisemitismus verbreiteten sich. Vor allem aber verlor der offensichtlich bei seiner Aufgabe, die Bevölkerung zu versorgen, scheiternde Interventionsstaat bei weiten Bevölkerungsteilen an Ansehen und Legitimität.

Kriegsfinanzierung

Der industrialisierte Krieg benötigte nicht nur Menschen, Produktionskapazitäten und Material, zu seiner Finanzierung mussten auch ungeheure Finanzmittel aufgebracht werden. Da die Kriegsfinanzierung in Deutschland fast ausschließlich über Kredite und Anleihen organisiert wurde, wuchs die Verschuldung des Reiches bis zum Ende des Jahres 1918 auf über 150 Milliarden Reichsmark an. Sie lag damit mehr als dreißig Mal so hoch wie vor Beginn des Krieges und betrug etwa die Hälfte des geschätzten Volksvermögens insgesamt. Allein der Zinsdienst für diese enorme, nach Kriegsende schnell weiter anwachsende Schuldenlast verbrauchte im letzten Kriegsjahr 90 % des ordentlichen Reichshaushaltes.

QuellentextDer Staatssekretär im Reichsschatzamt Karl Helfferich über die Finanzpolitik bei Kriegsbeginn

Hunderte von Millionen, ja Milliarden neuen Geldes ergossen sich also in den ersten Wochen des Krieges über die Volkswirtschaft. Alles, was für das Heer zu liefern hatte, wurde bar bezahlt. Auf dem Wege über die Arbeitslöhne und die Gebührnisse der Offiziere und Mannschaften drang der neue Geldstrom bis in die kleinsten Kanäle des Verkehrs. Die Geldklemme der ersten Kriegstage wurde bald durch eine wachsende Geldflüssigkeit abgelöst. Wenn einer bedenklichen Inflation vorgebeugt werden sollte, dann musste durch eine Änderung der Geldbeschaffung der allzu reichlich fließende Quell der papiernen Scheine verstopft und die Hochflut neuer Zahlungsmittel aufgesaugt werden.



Aus: Karl Helfferich, Vom Kriegsausbruch bis zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg, Berlin 1919, S. 141f.

Da bei Kriegsbeginn unmittelbar große Geldsummen benötigt wurden – allein die erste Mobilmachungswoche kostete ca. 750 Millionen Reichsmark – , stand dem Staat anfangs nur die Notenpresse zur Verfügung. Um die aus dem vermehrten Geldumlauf resultierende Inflationsgefahr in den Griff zu bekommen, gab es theoretisch zwei Möglichkeiten: die Erhebung von Steuern und die Aufnahme von Krediten. Anders als England, das erhebliche Teile der Kriegskosten über Steuern auf Kriegsgewinne aufbrachte, setzte das Deutsche Reich fast ausschließlich auf Kredite und Anleihen. Eine Kriegssteuer auf Unternehmensgewinne wurde erst im Frühjahr 1917 eingeführt, und sie wurde von den Unternehmern überwiegend in die weitgehend unkontrollierte Preisgestaltung integriert, so dass die Öffentliche Hand selbst dafür aufkommen musste.

Während des Krieges wurden neun Kriegsanleihen aufgelegt, die mit einem enormen Propagandaaufwand insgesamt einen Erlös von 97 Milliarden Reichsmark einbrachten. Da der Reichstag Kriegskredite in Höhe von insgesamt über 160 Milliarden Reichsmark bewilligte und der Geldumlauf entsprechend ausgeweitet wurde, waren dies volkswirtschaftlich betrachtet allerdings "Kriegsanleihewunder aus der Notenpresse" (Adolf Lampe). Und insbesondere in der zweiten Kriegshälfte wuchs die durch Kriegsanleihen nicht gedeckte Reichsschuld rapide auf weit über 50 Milliarden an. Zugleich trieb der steigende Geldumlauf (ca. 30 Milliarden Reichsmark im Jahre 1918 gegenüber sieben Milliarden vor Kriegsbeginn) die Inflation in wachsende Höhen und bestärkte darüber hinaus die Entwicklung des hochinflationären Schwarzen Marktes.

Außerordentlicher Haushalt nach den Reichshaushaltsrechnungen 1914-1918 (in Mill. Mark)

Die Kriegsfinanzierung auf dem Schuldenwege hatte gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen. Die Forschung ist heute übereinstimmend der Auffassung, dass der sich 1923 zur Hyperinflation steigernde Prozess der Geldentwertung mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges seinen Anfang genommen hat, und spricht von einem "Inflationsjahrzent" der Jahre 1914 bis 1923/24.Während des Krieges konnte die Inflation durch die staatliche Zwangswirtschaft mit ihren Beschlagnahmungen, Höchstpreisverordnungen und Rationierungen zwar noch eingegrenzt bzw. überdeckt werden. Doch nach Kriegsende entwickelte sie sich immer schneller. Getilgt werden sollte der riesenhafte Schuldenberg eigentlich durch die vermeintlich besiegten Kriegsgegner, die, wie der Staatssekretär im Reichsschatzamt Karl Helfferich im August 1915 vor dem Reichstag erklärt hatte, das "Bleigewicht der Milliarden (…) durch die Jahrzehnte schleppen" sollten, "nicht wir." Tatsächlich stellte sich die Situation nun andersherum dar: zu den stetig wachsenden Kriegsschulden traten noch die Reparationsforderungen der Sieger hinzu.

Ausgewählte Literatur:

Hans Gotthard Ehlert, Die wirtschaftliche Zentralbehörde des Deutschen Reiches 1914-1919.

Das Problem der "Gemeinwirtschaft" in Krieg und Frieden, Wiesbaden 1982

Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914-1918, Berlin und Bonn 1985

Ders., The Great Disorder. Politics, Economics and Society in the German Inflation 1914-1924, New York u. Oxford 1993

Otto Goebel, Deutsch Rohstoffwirtschaft im Weltkrieg einschließlich des Hindenburg-Programms, Stuttgart u. a. 1930

Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg 1914-1918, München 1973 (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2)

Carl-Ludwig Holtfrerichs, Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und folgen in internationaler Perspektive, Berlin u. New York 1980

Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Berlin 1967

Anne Roerkohl, Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen während des Ersten Weltkriegs, Stuttgart 1991

August Skalweit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft, Stuttgart u. a. 1927

Manfred Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München u. Zürich 1994, S. 415-33

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Apl. Prof. Dr. Wolfgang Kruse, geb. 1957, ist Akademischer Oberrat und außerplanmäßiger Professor im Arbeitsbereich Neuere Deutsche und Europäische Geschichte am Historischen Institut der Fernuniversität Hagen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des Ersten Weltkriegs, die Geschichte der Französischen Revolution, Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und die Geschichte des politischen Totenkults. Von Kruse ist u.a. erschienen: Wolfgang Kruse: Der Erste Weltkrieg, Darmstadt 2009 (Geschichte Kompakt der WBG).