Nachdem das 'lange' 19. Jahrhundert seit der Französischen Revolution trotz aller Widersprüche und Gegentendenzen vor allem im Zeichen von Modernisierung, Fortschritt und Zivilisation gestanden hatte, schien sich diese optimistische Perspektive auf einmal in ihr Gegenteil zu verkehren: Alle Errungenschaften der Moderne wurden nun zu Instrumenten der Zerstörung. Das Ergebnis musste als Kulturbruch erscheinen: Allein etwa zehn Millionen tote Soldaten, eine noch weit größere Zahl von Verletzten und Krüppeln, dazu kaum zählbare Opfer durch mit dem Krieg verbundene Verbrechen und Leiden, darunter der erste große Völkermord des 20. Jahrhunderts, in dem die jungtürkische Regierung in den Jahren 1915/16 allein etwa eine Million Armenier umbrachte. Die moderne Zivilisation erlebte im Ersten Weltkrieg tatsächlich ihren Rückfall in die Barbarei.
Kulturpessimismus und moderne Kriegskritik
Ahnungen davon hatten den Prozess der Modernisierung von Anfang an begleitet. Während konservative Kulturkritiker die Auflösung vermeintlich organischer Lebensgemeinschaften und die zerstörerischen Wirkungen einer letztlich doch rein instrumentellen Rationalität beklagt hatten, setzten sich Pazifisten und kapitalismuskritische Sozialdemokraten mit den zerstörerischen Potentialen eines industrialisierten Krieges auseinander. Friedrich Engels etwa prognostizierte angesichts des modernen Imperialismus schon 1888 in seiner Einleitung zu Sigismund Bornheims Broschüre "Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten 1806-1807" einen "Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird…" Und der sozialdemokratische Lehrer Wilhelm Lamszus warnte kurz vor dem Kriegsbeginn 1912 noch einmal eindringlich vor dem modernen "Menschenschlachthaus", in das ein Krieg der Industriemächte Europa verwandeln würde.
Als der Krieg dann tatsächlich ausgebrochen war, beschrieb der holländische Sozialistenführer Pieter Jelles Troelstra die Folgen: "Himmel, Meer und Erde ein Schauplatz gegenseitiger Verwüstung. Die Welt eine Hölle, die Menschen wilde Teufel, wissenschaftliche Fortschritte und technische Möglichkeiten in den Dienst eines noch nie da gewesenen Barbarismus gestellt." Der Psychologe Siegmund Freud sah die Menschen nun "irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden"; sie fühlten sich "befremdet in dieser einst so schönen und trauten Welt." Und der Dichter Hermann Hesse ließ seine Romanfigur Klingsor nach Kriegsende in Bezug auf die Wirkungen des Krieges feststellen: "… unsere schöne Vernunft ist Irrsinn geworden, unser Geld ist Papier, unsere Maschinen können bloß noch schießen und explodieren, unsere Kunst ist Selbstmord. Wir gehen unter, Freunde…"
Der Krieg hinterließ tatsächlich nicht nur auf den Schlachtfeldern eine "zerbrochene Welt", sondern er rief auch eine tiefgehende Erschütterung zivilisatorischer Sinnvorstellungen, Wertordnungen und Deutungsmuster hervor. Es waren in erster Linie die Frontsoldaten, die unmittelbar mit der Monstrosität des modernen Krieges konfrontiert wurden. Vor allem in Bezug auf die junge, vom Kriegserlebnis geprägte Generation wurde schon bald von einer "verlorenen Generation" gesprochen - nicht nur weil ihre Angehörigen massenhaft fielen, sondern auch weil die Überlebenden dauerhaft beschädigt blieben und große Probleme hatten, in das zivile Leben mit seinen zivilisatorische Normen und Werten zurückzufinden. Besonders deutlich spiegelte sich die destruktive Kraft des Krieges auch in der modernen Kunst wider, die gerade daraus neue Innovationskraft zog und durch den Ersten Weltkrieg einen deutlichen Entwicklungsschub erlebte. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass große Teile der Kriegskunst gerade auch in ihrer propagandistischen Nutzung ausgesprochen traditionell orientiert blieben. Doch trotzdem waren es gerade die Vertreter der künstlerischen Moderne, die für die zerstörerischen Wirkungen des Krieges angemessene Gestaltungsformen fanden und damit auch die weitere Entwicklung der modernen Kunst entscheidend prägen konnten.
Nihilismus und Zynismus
Der Krieg brachte erst einmal vor allem radikalisierte Gewalt- und Zerstörungserfahrungen mit sich, die der bürgerlichen Kultur und ihren Werten zutiefst widersprachen. Die vor allem an der Front allgegenwärtige Destruktion brachte nihilistische Orientierungen mit sich, die von Verzweiflung, aber auch von Zynismus geprägt waren. "Die Sonne fällt zum Horizont hinab./ Bald wirft man mich ins milde Massengrab", so lautete der gedämpfte Sarkasmus, mit dem der 1914 gefallene expressionistische Dichter Alfred Lichtenstein bei Kriegsbeginn seinen Soldatenabschied verarbeitete. Die realen Erfahrungen an der Front sperrten sich indes gegen einfache Distanzierungen und riefen oft Verzweiflung hervor. "Alle Straßen münden in schwarze Verwesung", so ließ der als Sanitäter eingezogene expressionistische Dichter Georg Trakl Ende 1914 sein Gedicht über die Schlacht bei Grodek enden, bevor er sich das Leben nahm. In ganz anderer Weise von nihilistischen Tendenzen geprägt waren die Kriegsverarbeitungen von Walter Flex, der das berühmte Lied "Wildgänse rauschen durch die Nacht" schrieb, und von Ernst Jünger, der in seinen Kriegstagebüchern dazu überging, das Erlebnis der modernen Schlacht von allen humanitären Betrachtungsweisen zu lösen und in radikaler Weise zu ästhetisieren. Am Ende entstand hier ein vom industrialisierten Krieg geprägtes neues Menschen- oder besser soldatisches Männerbild, das zu einer Grundlage der faschistischen Kultur werden sollte. "Dieser Krieg ist nicht das Ende, sondern der Auftakt der Gewalt", stellte Jünger fest. "Er ist die Hammerschmiede, in der die neue Welt in neue Grenzen und neue Gemeinschaften zerschlagen wird. Neue Formen wollen mit Blut gefüllt werden, und die Macht will gepackt werden mit eiserner Faust. Der Krieg ist eine große Schule, und der neue Mensch wird von unserem Schlage sein."
Aber die künstlerische Auseinandersetzung mit der kriegerischen Gewalt konnte auch gegenläufige Tendenzen hervorbringen. Im liberaleren politischen Klima Westeuropas konnten sich kriegsgegnerische Tendenzen in der Kunst unbehinderter entfalten als im autoritären Deutschland. "Wir erschaffen eine neue Welt", betitelte etwa der englische Maler Paul Nash 1918 voller Sarkasmus eine seiner von Zerstörung geprägten Kriegslandschaften. Christopher Nevinsons Darstellung eines im Stacheldrahtverhau verendeten Soldaten mit dem Untertitel "Wege des Ruhms" überschritt allerdings die Grenzen und fiel auch im liberalen England der Zensur zum Opfer. In Deutschland konnte sich offen kriegsgegnerische Kunst nur jenseits der Öffentlichkeit entwickeln. Von unmittelbaren persönlichen Kriegserfahrungen gelöster, waren es vor allem Bildhauer wie Käthe Kollwitz, Wilhelm Lehmbruck oder Ernst Barlach, die eindringliche Ausdrucksformen für die leidende Kreatur fanden. "Saatfrüchte sollen nicht zermahlen werden", lautete die klare Konsequenz, die Kollwitz aus dem Schicksal der "verlorenen Generation" des Ersten Weltkrieges zog. Ihr Denkmal zur Erinnerung an ihren in Belgien gefallenen Sohn zeugt davon ebenso wie Lehmbrucks Skulpturen "Sitzender Jüngling" oder "Der Gestürzte", die ohne konkreten Bezug auf Krieg und Kampf doch die zerstörenden Wirkungen der Gewalterfahrung in noch heute beeindruckender Weise zum Ausdruck bringen.
Identitätszertrümmerungen und zerbrochene Welten
Das Kriegsgeschehen selbst mit seinen vielfältigen, simultanen Sinneseindrücken erwies sich in vieler Hinsicht als eine Überforderung und Überwältigung für menschliche Individuen, deren Darstellung besondere künstlerische Gestaltungsformen erforderte. Bei Kriegsbeginn war es vor allem der 1915 gefallene expressionistische Dichter August Stramm, der mit seiner begrifflich verdichteten Wortkunst angemessene Ausdrucksformen für diese überwältigenden Erfahrungen fand. In der Malerei trat besonders Otto Dix hervor. "Künstler sollen nicht bessern und bekehren. Nur bezeugen müssen sie", lautete sein künstlerisches Credo. "Ich male auch Träume und Gesichte; die Träume und Gesichte meiner Zeit, die Träume und Gesichte aller Menschen!" Ähnlich wie die roboterhaften Kriegsgestalten des Engländers Wyndham Lewis, zeichneten auch die vom Wahnsinn des Krieges zeugenden Soldatenbilder von Dix die Entwicklung von der Identitäts- und Wertezertrümmerung des modernen Krieges zur generellen Auflösung von eindeutigen Identitäten und Weltbildern in der weiteren Entwicklung moderner Kunst vor.
Dada, oder: ein Narrenspiel aus dem Nichts
Die radikalste Auflösung traditioneller Kunstformen praktizierte schließlich die Bewegung "DADA". Im Züricher "Cabaret Voltaire" fanden sich seit 1915 geflüchtete Kriegsgegner aus verschiedenen Ländern wie die Rumänen Tristan Tzara und Marcel Janko, die Deutschen Hugo Ball und Richard Huelsenbeck, der Elsässer Hans (bzw. Jean) Arp und seine Frau Sophie Teuber zusammen und entwickelten die Kunst mit den Worten ihres Vordenkers Hugo Ball als ein ganz neuartiges, von der Aufbrechung aller Formen und dem Experimentieren mit neuen Gestaltungsformen geprägtes "Narrenspiel aus dem Nichts".
Den Schrecken des Krieges meinten sie nur noch als Groteske gestalten zu können. Dafür brachen sie mit allen überkommenen, auf identifizierbare Realitäten bezogenen Gestaltungsformen und konzipierten eine ganz eigene, ihrer inneren Logik folgende Welt der künstlerischen Freiheit. Mit anarchistischem Unsinn und gezielten Provokationen wurde hier ebenso hemmungslos experimentiert wie mit der Fusion unterschiedlicher künstlerischer Gattungen und Materialien. Künstlerische Happenings entstanden, aber auch Lautmalerei, Sprachexperimente, Kollagenkunst und surrealistische Gestaltungsformen. Insbesondere über den Kölner DADA-Ableger mit Jean Arp und Max Ernst ergaben sich auch direkte Übergänge zum Surrealismus der 1920er Jahre, während DADA-Berlin nach der Revolution 1918 mit George Grosz und Raoul Hausmann sowie den Brüdern John Heartfield und Wieland Herzfelde nicht nur durch sogenannte DADA-Messen die bürgerliche Öffentlichkeit provozierte, sondern auch eine radikale Politisierung im Umfeld der frühen KPD durchlief.
Ausgewählte Literatur:
Modris Ecksteins, Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg, Reinbek b. Hamburg 1990 (Orig. Boston 1989).
Paul Fussel, The Great War and Modern Memory, Oxford 1975.
Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996.
Hans Richter, Dada – Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln 1973.
Aviel Roshwald u. Richard Stites (Hg.), European Culture in the Freat War. The Arts, Entertainment, and Propaganda, 1914-1918, Cambridge 1999.
Rainer Rother (Hg.), Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges, Berlin 1994.
Uwe Schneider u. Andreas Schumann (Hg.), Krieg der Geister. Erster Weltkrieg und literarische Moderne, Würzburg 2000.
Klaus Vondung (Hg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und Deutung der Nationen, Göttingen 1980.