Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland im Zeitverlauf
Kerstin Völkl
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Allgemeine Wahlen sind die wichtigste politische Partizipationsform. Dennoch machen längst nicht alle von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Wie haben sich Wahlbeteiligung und Wahlverhalten entwickelt? Wo gibt es Unterschiede zwischen Ost und West?
Die Ausgangssituation 1990 und die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl
Am 2. Dezember 1990, zwei Monate nach der Wiedervereinigung, fand die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl statt. Insgesamt waren 60,4 Millionen Personen aufgerufen, ihre Stimme für die Wahl des zwölften Bundestages abzugeben. Abgesehen von den Bürgern der ehemaligen DDR (gut 11 Millionen), waren erstmals auch die West-Berliner (ca. 2,5 Millionen) wahlberechtigt. Eine weitere Besonderheit dieser Bundestagswahl war, dass die alten Bundesländer (einschließlich West-Berlin) und die neuen Bundesländer (einschließlich Ost-Berlin) jeweils ein Wahlgebiet mit separat zu berechnender Fünf-Prozent-Sperrklausel bildeten. Dadurch sollte gemäß einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts die Chancengleichheit der kleineren ostdeutschen Parteien gesichert werden.
Von den in Westdeutschland etablierten Parteien vollzogen CDU, SPD und FDP vor der Wahl eine formelle Vereinigung mit den ostdeutschen "Schwesterparteien". Lediglich die Grünen traten mit zwei getrennten Listen in den beiden Wahlgebieten an. Die ehemalige Staatspartei der DDR, die SED, hatte sich im Februar 1990 in PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) umbenannt (Breuer 2007; von Alemann/Erbentraut/Walther 2018: 85ff.).
Im Vergleich zu den elf vorangegangenen Bundestagswahlen, bei denen die Wahlbeteiligung durchschnittlich bei 87 Prozent gelegen hatte, fiel diese bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl mit 77,8 Prozent relativ gering aus. Insbesondere die Wahlberechtigten in den fünf neuen Ländern, aber auch in Bayern, haben am wenigsten Gebrauch von ihrem Wahlrecht gemacht. Ursächlich hierfür dürfte in Ostdeutschland unter anderem der Umstand gewesen sein, dass eine gewisse Wahlmüdigkeit eingetreten war, da es sich bereits um die vierte Wahl innerhalb von neun Monaten handelte (Hilbig/Steingrube 2019). Am 18. März 1990 war die Volkskammer der DDR erstmals frei, aber letztmalig gewählt worden. Darauf folgten am 6. Mai die ersten (und ebenfalls zugleich letzten) freien Kommunalwahlen in der DDR. Und am 14. Oktober, unmittelbar nach der Wiedervereinigung, waren die Ostdeutschen aufgerufen, ihre Landtage zu wählen. Hinzu kam, dass viele den Eindruck hatten, dass der Wahlausgang längst festzustehen schien und folglich die Motivation zur Stimmabgabe fehlte. Bei westdeutschen Anhängern von SPD und Grünen mag die Enttäuschung über die zu erwartende Wahlniederlage dazu beigetragen haben, der Wahlurne fernzubleiben (Gibowski/Kaase 1991: 9).
In der Tat glich das Ergebnis der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 weitgehend den Prognosen, die Demoskopen im Vorfeld der Wahl abgegeben hatten (Abbildung 1). Die Union erzielte bundesweit 43,8 Prozent der Zweitstimmen und ging als klarer Gewinner aus der Wahl hervor. Dank des guten Abschneidens der FDP (11 Prozent) konnte die schwarz-gelbe Bundesregierung fortgesetzt werden. Das Nachsehen hatte die SPD, die das dritte Mal in Folge Stimmeneinbußen bei einer Bundestagswahl hinnehmen musste und einen gesamtdeutschen Zweitstimmenanteil von 33,5 Prozent erreichte. Insbesondere in den neuen Ländern erhielt die SPD wenig Zustimmung (24,3 Prozent). Die Grünen scheiterten im Westen an der Fünf-Prozent-Hürde, zogen jedoch dank der Sonderregelung der getrennten Wahlgebiete mit der östlichen Listenverbindung Bündnis 90/Grüne in den Bundestag ein. Auch die SED-Nachfolgepartei PDS profitierte von der nach Wahlgebieten getrennt geltenden Fünf-Prozent-Hürde. Sie erzielte zwar bundesweit nur 2,4 Prozent der Zweitstimmen, erhielt allerdings im östlichen Wahlgebiet 12,9 Prozent.
Insgesamt kann die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl als Plebiszit über die deutsche Einheit gedeutet werden (Hilbig/Steingrube 2019: 47): CDU und FDP, die eine schnelle Umsetzung der deutschen Einheit befürworteten, zählten zu den Wahlgewinnern. SPD und Grüne, die Vorbehalte gegen eine schnelle Umsetzung der Einheit hatten, waren die Wahlverlierer. Die optimistischen Wirtschaftsprognosen und die von Helmut Kohl in Aussicht gestellte rasche Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West kamen bei den ostdeutschen Wählern deutlich besser an als die Kritik des SPD-Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine an der Umsetzung der Einheit und seiner Warnung vor den Kosten (Tischner 2019). Zudem wurde der CDU ein deutlicher Kompetenzvorsprung bei der Lösung der wichtigsten Probleme zuerkannt.
Die FDP profitierte wiederum von ihrem populären Außenminister und Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher. Das Thema Atomausstieg, auf das die Grünen im Wahlkampf gesetzt hatten, sprach dagegen kaum Wähler an. Die PDS konnte mit ihrem neuen Programm "Demokratischer Sozialismus" in den ostdeutschen Ländern einen nennenswerten Teil des Wahlvolks für sich gewinnen. Anders als bei vergangenen Bundestagswahlen, wo sie eine wahlentscheidende Rolle gespielt hatten, übten traditionelle Parteibindungen aufgrund des beherrschenden Themas der deutschen Vereinigung bei der Wahl 1990 kaum einen Einfluss auf die Stimmabgabe aus (Hilbig/Steingrube 2019: 46f.). Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das vereinte Deutschland 1990 nicht grundsätzlich anders gewählt hat als die "alte" Bundesrepublik (Tischner 2019; von Alemann/Erbentraut/Walther 2018: 86).
Wer geht zur Wahl und wer nicht? Die Wahlbeteiligung bei gesamtdeutschen Bundestagswahlen
Obwohl allgemeine Wahlen die wichtigste politische Partizipationsform darstellen (siehe hierzu auch den Beitrag "Partizipation im Wandel"), machen längst nicht alle Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Durchschnittlich haben sich an den acht gesamtdeutschen Bundestagswahlen zwischen 1990 und 2017 gut drei Viertel der Wahlberechtigten bundesweit beteiligt – exakt 76,8 Prozent. In Westdeutschland war es ein Prozentpunkt mehr (77,8 Prozent), in Ostdeutschland waren es 4,3 Prozentpunkte weniger (72,5 Prozent). Im Zeitverlauf betrachtet fällt auf, dass die Wahlbeteiligung bereits seit den 1970er Jahren, in denen sie bei knapp über 90 Prozent lag, bei Bundestagswahlen abnimmt (Abbildung 2). Abgesehen von einem kurzfristigen Anstieg 1994 und 1998 ging die Wahlbeteiligung von Wahl zu Wahl zurück und erreichte 2009 ihren historischen Tiefststand von 70,8 Prozent in Gesamtdeutschland. Seitdem nahm die Wahlbeteiligung wieder zu und lag 2017 bei 76,2 Prozent. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Wahlbeteiligung im internationalen Vergleich in der Bundesrepublik relativ hoch ausfällt (International IDEA 2018). Vergleicht man die Beteiligungsraten in West- und Ostdeutschland über die Zeit, zeigen sich nahezu parallele Entwicklungsverläufe. Allerdings fällt der Nichtwähleranteil in Ostdeutschland immer höher als in Westdeutschland aus.
Als eine Erklärung für das Ost-West-Gefälle bei der Wahlbeteiligung wird die unterschiedliche politische Sozialisation angeführt. Das heißt, die Bewohner beider Teile Deutschlands haben im Laufe ihres Lebens verschiedenartige Kenntnisse, Werte, Fähigkeiten, Einstellungen und Handlungsmöglichkeiten erworben, die maßgeblich für das gesellschaftliche Zusammenleben sind (Meyer 2013). Dies drückt sich in einer geringeren Parteibindung und einem geringeren Wahlpflichtgefühl der Ostdeutschen aus (Rohrschneider/Schmitt-Beck/Jung 2013). Darüber hinaus ist aus der Nichtwähler-Forschung bekannt, dass insbesondere politische Einstellungen, soziale Merkmale und die Einbindung in soziale Netzwerke verantwortlich dafür sind, ob sich eine Person an einer Wahl beteiligt oder nicht (Stövsand/Roßteutscher 2019). Zu den politischen Einstellungen zählen beispielsweise die bereits genannten Faktoren einer Parteibindung und eines Wahlpflichtgefühls, aber auch die Zufriedenheit mit der Demokratie und das Politikinteresse. Außerdem variiert die Wahlbeteiligung in Abhängigkeit von sozialen Eigenschaften wie Alter, Bildung, Erwerbstätigkeit und Einkommen. Auch soziale Netzwerke gelten als wichtige Faktoren zur Erklärung der Wahlbeteiligung. Von Bedeutung sind hier die Häufigkeit, mit der politische Gespräche im Bekannten- und Freundeskreis geführt werden, und die Einschätzung der Wahlbeteiligung des sozialen Umfeldes.
Im Folgenden wird am Beispiel der Bundestagswahl 2017 gezeigt, welchen Einfluss die genannten Faktoren auf die Entscheidung der Bürger hatten, ihre Stimme an der Wahlurne abzugeben oder der Wahl fernzubleiben. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, verfügen Nichtwähler seltener über eine Parteibindung als Wähler. Auch fällt der Anteil derer, die eine starke oder sehr starke Parteibindung angeben, unter Nichtwählern deutlich geringer aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Demokratiezufriedenheit: Wer mit der Demokratie zufrieden oder sehr zufrieden ist, ist unter Nichtwählern nur etwa halb so häufig vertreten wie unter Wählern. Auch das Politikinteresse und die Überzeugung, dass die Teilnahme an Wahlen zu den Pflichten eines jeden Bürgers zählt, sind bei Nichtwählern deutlich geringer ausgeprägt.
Aber nicht nur bei politischen Einstellungen finden sich Unterschiede zwischen Wählern und Nichtwählern, sondern auch bei sozialen Merkmalen. So verfügen fast doppelt so viele Nichtwähler über ein formal niedriges Bildungsniveau als Wähler. Ebenso sind Arbeiter und Arbeitslose sowie Geringverdienende unter Nichtwählern deutlich zahlreicher. Neben politischen und sozialen Merkmalen bildet auch die Einbindung in soziale Netzwerke die Ungleichheit in der Wahlbeteiligung ab. Nichtwähler führen seltener politische Gespräche in ihrem sozialen Umfeld als Wähler. Dieser Befund deckt sich mit der Beobachtung, dass Nichtwähler sehr viel weniger als Wähler davon ausgehen, ein Großteil ihrer Nachbarn werde sich an einer anstehenden Wahl beteiligen.
Wer wählt welche Partei? – das Wahlverhalten bei gesamtdeutschen Bundestagswahlen
Nicht nur die Wahlbeteiligung ist zwischen Ost- und Westdeutschland unterschiedlich, sondern ebenso sind es die Wählerpräferenzen zugunsten bestimmter Parteien. Um einen Überblick über die Unterschiede zu erhalten, wird zunächst das Abstimmungsverhalten an den acht gesamtdeutschen Bundestagswahlen von 1990 bis 2017 im Mittel betrachtet. Wie Abbildung 4 zeigt, nehmen die Plätze eins und zwei sowohl in West- als auch Ostdeutschland die Union und die SPD ein, in Ostdeutschland allerdings auf geringerem Niveau als in Westdeutschland. In Westdeutschland votierten vier von zehn Wählern für die Union und ein Drittel für die SPD. In Ostdeutschland lag die CDU bei den vergangenen acht Bundestagswahlen auf dem West-Niveau der SPD, die ihrerseits im Osten lediglich ein Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte.
Bei den nachfolgenden Plätzen treten klar unterschiedliche Wahlpräferenzen der Bürgerinnen und Bürger in beiden Landesteilen zu Tage. Während in Westdeutschland Liberale, Grüne und AfD mit deutlichem Abstand auf Christdemokraten und Sozialdemokraten in der Wählergunst folgen und durchschnittlich unter 10 Prozent liegen, existieren in Ostdeutschland mit der Partei Die Linke (ehemals PDS) und der AfD zwei Parteien, die bei den vergangenen gesamtdeutschen Bundestagswahlen durchschnittlich 20,5 bzw. 13,9 Prozent der Wählerstimmen erzielten. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die AfD erst bei den letzten beiden Bundeswahlen angetreten ist. Mit deutlichem Abstand folgen FDP und Grüne mit einem mittleren Stimmenanteil von 6,9 bzw. 5,2 Prozent zwischen 1990 und 2017.
Im Zeitverlauf wird erkennbar, dass sich das Abstimmungsverhalten der Bürger in West- und Ostdeutschland zwischen 1990 und 2017 innerhalb von knapp dreißig Jahren sichtbar verändert hat (Abbildung 5). Konnte die Union bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 noch über 40 Prozent der Wählerstimmen in beiden Landesteilen auf sich vereinen, entschieden sich für sie bei der Wahl 2017 gerade noch gut ein Drittel der Wähler im Westen und gut ein Viertel der Wähler im Osten. Deutlich weniger als 30 Prozent der Zweitstimmen hatte die Partei in den ostdeutschen Ländern bereits bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 erhalten, sodass es sich 2017 nicht um einen einmaligen Vorgang handelt. Lediglich 2013 gelang es der Union kurzfristig, an alte Erfolge anzuknüpfen.
Drastischer als bei der Union fallen die Verluste der SPD im Zeitverlauf aus. Nach einem vor allem in Ostdeutschland mäßigen Ergebnis bei der Einheits-Wahl 1990 stieg ihr Rückhalt bei den Wählern in Westdeutschland bis 1998 auf über 40 Prozent und in Ostdeutschland bis 2002 auf knapp 40 Prozent an. Danach ging der Zweitstimmenanteil der SPD in beiden Landesteilen kontinuierlich zurück und lag zuletzt bei 21,9 Prozent im Westen und 13,9 Prozent im Osten.
Nutznießer dieser Entwicklung sind in West- und Ostdeutschland die Grünen, die FDP, die Linke und seit 2013 die AfD in unterschiedlichem Ausmaß. Während sich die Grünen in Westdeutschland, ausgehend von knapp 5 Prozent 1990, bei ungefähr 10 Prozent seit 2002 halten konnten, liegen sie in den ostdeutschen Ländern stetig bei etwa 5 Prozent. Einer Berg- und Talfahrt gleicht das Abschneiden der FDP, allerdings auf niedrigerem Stimmenniveau in Ostdeutschland als in Westdeutschland. Dem sehr guten Abschneiden bei der Bundestagswahl 2009, das die Partei vor allem dem Zuspruch in Westdeutschland verdankte, folgte 2013 der Absturz auf deutschlandweit unter 5 Prozent, was das Ausscheiden aus dem Bundestag bedeutete.
Ein den Liberalen ähnliches Auf und Ab in der Wählergunst erfuhr die Linkspartei in den ostdeutschen Ländern. Abgesehen von einem kleinen Einbruch 2002 gewann sie seit 1990 kontinuierlich an Zustimmung bei Bundestagswahlen unter ostdeutschen Wählern. 2009 erzielte sie mit 28,5 Prozent Zweitstimmenanteil ihr bestes Ergebnis. Seitdem verliert sie an Rückhalt im Osten. Im westlichen Landesteil war die Linke bei den ersten vier gesamtdeutschen Bundestagswahlen nahezu bedeutungslos, sie erzielt seit 2009 allerdings auch hier Ergebnisse, die über 5 Prozent liegen.
Ginge es nach den ostdeutschen Wählern, wäre die AfD bereits 2013 in den Bundestag eingezogen; sie scheiterte deutschlandweit jedoch knapp an der 5-Prozent-Hürde. 2017 stieg der Zweitstimmenanteil der AfD in beiden Landesteilen deutlich an, fiel in Ostdeutschland mit 21,9 Prozent aber mehr als doppelt so hoch aus als in Westdeutschland mit 10,7 Prozent. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, in welche Richtungen sich die Wählerpräferenzen in Zukunft entwickeln.
Von Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Bürger bei Bundestagswahlen ist eine Reihe von Faktoren, die sich von Wahl zu Wahl als mehr oder weniger erklärungskräftig erweisen. Hierzu zählen Wertorientierungen, Einstellungen und subjektive Wahrnehmungen von Wählern. Dabei handelt es sich sowohl um kurzfristig wirksame Faktoren, die sich auf die konkrete Situation einer Wahl beziehen, als auch um langfristig wirksame Faktoren, die aus historisch weit zurückreichenden sozialstrukturellen Hintergründen erwachsen (Schmitt-Beck 2019). Zur Gruppe der Kurzfristfaktoren gehören beispielsweise die Einstellungen gegenüber Spitzenkandidaten, die Wahrnehmung der eigenen und allgemeinen wirtschaftlichen Lage, aber auch die Einschätzung der Leistung einer Regierung sowie Koalitionspräferenzen der Wähler. Kurzfristfaktoren haben in der Regel eine direkte Auswirkung auf das Wählerverhalten. Langfristfaktoren, zu denen sozialstrukturelle Merkmale wie die Religionszugehörigkeit und der Beruf, aber auch die Parteibindung und die ideologische Links-Rechts-Einstufung der eigenen Person sowie von Parteien zählen, schreibt man hingegen nur eine mittelbare Bedeutung für das Wählerverhalten zu.
Abschließend wird am Beispiel der Bundestagswahl 2017 erläutert, welche Faktoren für das Abstimmungsverhalten der Wähler in Gesamtdeutschland zugunsten bestimmter Parteien bedeutsam gewesen sind (Scherer 2019). Zwecks besserer Übersichtlichkeit wird dabei lediglich auf Faktoren eingegangen, die sich als erklärungskräftig erwiesen.
Den größten Einfluss auf die Wahlentscheidung übte jeweils die emotionale Bindung eines Wählers an eine Partei aus, wobei vor allem bei den Wählern der SPD, der Union und der FDP dieser Effekt von besonderem Gewicht war. Die Motivation, für die AfD zu votieren, war bei vielen Wählern wiederum ideologisch bedingt. Das heißt, je größer die ideologische Nähe eines Wählers zur Position der AfD ausfiel, desto höher war eine Wahlwahrscheinlichkeit zugunsten der AfD. Auch die Wahl der Union lässt sich relativ gut durch die ideologische Nähe der Wählerschaft zu dieser Partei erklären. Bei allen Parteien, denen 2017 der Einzug in den Bundestag gelang, übte außerdem eine positive Beurteilung des jeweiligen Spitzenkandidaten einen positiven Effekt auf die Wahl der Partei aus. Insbesondere Christian Lindner (FDP) und Angela Merkel (CDU) erwiesen sich hierbei als Zugpferde für ihre Parteien.
Eine positive Bewertung der Arbeit der Bundesregierung nutzte zwar der Union, nicht aber der SPD. Offenbar war es der SPD nicht gelungen, ihren eigenen Anteil an der Regierungsarbeit ihren Wählern erfolgreich zu vermitteln. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn anstelle der Regierungsleistung die Parteileistung in der vergangenen Legislaturperiode als Erklärungsfaktor herangezogen wird. So erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit einer SPD-Wahl, wenn die Leistungen der SPD positiv bewertet wurden. Der gleiche Effekt ist bei einer Wahlentscheidung zugunsten der Linkspartei festzustellen. Bestimmte Koalitionspräferenzen spielten 2017 nur für das Abstimmungsverhalten von Wählern von Union, SPD und FDP eine Rolle.
Dr. Kerstin Völkl ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft & Japanologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören qualitative und quantitative Methoden empirischer Sozialforschung, Partizipations- und Wahlforschung, Politische Einstellungen/Politische Kultur, Politische Kommunikationsforschung und Politische Psychologie.
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