In einer Zeit, in der viel politische Aufgeregtheiten inszeniert werden, in einer Zeit, in der politischen Schwadroneuren und Marodeuren viel Publizität verliehen wird, in einer Zeit, in der in unheilvoller Anlehnung an Thesen von Carl Schmitt versucht wird, die eigene Machtanmassung als vermeintlichen Volkswillen zu kostümieren und gegen das politisch parlamentarische Mehrheitsverfahren und damit gegen die Verfassung zu wenden, in dieser Zeit ist politische Bildungsarbeit notwendiger denn je.
Wir können froh sein, dass mit der Bundeszentrale für politische Bildung eine Einrichtung besteht, die sich seit fünf Jahrzehnten vorgenommen hat, die Menschen zu ermutigen, ihr politisches Urteilsvermögen zu stärken, und den Wert der politisch-parlamentarischen Institutionen zu erkennen und anzuerkennen.
Bei ihrer Gründung im Jahre 1952 erhielt die "Bundeszentrale für Heimatdienst" den Auftrag, "den demokratischen und den europäischen Gedanken im deutschen Volk zu festigen und zu verbreiten". Damals, sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, war es für viele selbstverständlich, sich die Vereinigten Staaten von Amerika zum demokratischen Vorbild zu nehmen.
Theodor Litt, ein namhafter Pädagoge, griff im ersten Heft der damaligen Schriftenreihe einen Gedanken von John Dewey auf, als er über "Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes" schrieb: Die Demokratie sei eine "allumfassende Lebensform" und "für den Amerikaner die Lebensluft, die er atmet". Für die Deutschen, so Litt, müsse sie dies erst noch werden. Inzwischen ist die Demokratie auch hierzulande längst zu einem Lebenselement geworden, und die Bundeszentrale hat dazu – ebenso wie die Landeszentralen – einen wichtigen Beitrag geleistet.
Litt wäre kein Pädagoge gewesen, hätte er den Lesern vor fünfzig Jahren nicht auch eine Mahnung auf den Weg gegeben: "Demokratie", so schrieb er, "steht und fällt mit der Urteilsklarheit der Staatsbürger, die ihren jeweiligen Kurs zu bestimmen haben." Das gilt auch heute: Neben der Bereitschaft, Demokratie als Lebensform zu verstehen, gehören sachkundige Information und Urteilskraft zu den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens in einem freien Staat.
Die Bundeszentrale hat den Auftrag zur politischen Bildung, den sie seit 1963 auch im Namen führt, fünfzig Jahre lang erfolgreich in konkrete Angebote für die Bürgerinnen und Bürger umgesetzt. Publikationen wie die "Informationen zur politischen Bildung" oder das "Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte", die seit langem Inbegriff für grundlegendes und aktuelles Politikwissen sind, haben der Bundeszentrale ein beträchtliches Renommé verschafft. Mit ihrer Arbeit hat die Bundeszentrale sich stets auf politische und gesellschaftliche Veränderungen eingestellt und sie mit vollzogen. Die wachsende Bedeutung der Partizipation des Einzelnen am politischen Leben seit Mitte der 60er Jahre, die Einbeziehung neuer Medien, zu denen einst auch das Fernsehen zählte, und nicht zuletzt die Neuausrichtung der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit nach der Wiedervereinigung: Dies sind nur drei Beispiele für den Wandel der Zielsetzung politischer Bildung, ihrer Vermittlungsformen und ihrer Inhalte.
Anrede, im Vergleich zu den Anfangsjahren erscheinen die Themen politischer Bildungsarbeit heute in mancher Hinsicht komplexer. Viele Fragen sind nicht mehr im nationalen, oft selbst im europäischen Rahmen allein nicht mehr zu lösen. Die Globalisierung mit ihren wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Folgen weckt bei vielen die Sorge, einem undurchschaubaren Geflecht von wirtschaftlichen und politischen Machstrukturen ausgeliefert zu sein, die sie selbst nicht beeinflussen können. Politische Bildungsarbeit muß dem entgegenwirken und die Menschen zu ermutigen, sich um das zu kümmern, was sie angeht.
Dies gilt umso mehr, als das Interesse an traditionellen Formen der politischen Beteiligung – dem Engagement in Parteien, Verbänden oder Kirchen – eher abnimmt. Man darf das aber nicht mit der vielbeschworenen "Politikverdrossenheit" verwechseln. Denn viele Bürgerinnen und Bürger sind durchaus bereit, sich für konkrete Aufgaben in ihrem Umfeld zu engagieren. Darauf muss sich politische Bildungsarbeit einstellen. Sie muss ihre Adressaten da ansprechen, wo diese sich mit ihren Fragen und Bedürfnissen tatsächlich hinwenden. Sie muß aber zugleich versuchen, das Interesse der Menschen für das Politische jenseits von Partikularinteressen zu beleben.
Die Bundeszentrale hat es verstanden, sich dementsprechend neu aufzustellen. Sie hat ihre Produkte modernisiert und das Veranstaltungsangebot zeitgemäß fortentwickelt – im engen Kontakt mit den rund 300 freien Bildungsträgern, deren dankenswertes Engagement wesentlich zum Erfolg der Bildungsarbeit der Bundeszentrale beiträgt. Diese Zusammenarbeit mit den Freien Trägern wurde auf eine neue Grundlage gestellt; neue Kooperationspartner wurden hinzugewonnen. Und für junge Erwachsene gibt es neu gestaltete, attraktive Publikationen und ein umfangreiches Informationsangebot im Internet.
Besonders wichtig scheint mir, dass die Bundeszentrale neben dem üblichen Bildungsangebot heute bereit und in der Lage ist, auch aktuelle Themen kurzfristig aufzugreifen. Mit den neu gebildeten Projektgruppen hat sie hierfür ein flexibles Instrumentarium geschaffen. Beeindruckend war auch die Schnelligkeit und Gründlichkeit, mit der nach dem 11. September 2001 der Öffentlichkeit Informationen über islamistisch motivierten Terrorismus und zugleich differenzierte Kenntnisse über den Islam und die islamische Kultur bereitgestellt wurden. Im übrigen hat die Bundeszentrale durch strukturelle Reformen in den vergangenen beiden Jahren veraltete Hierarchien abgebaut, Verwaltungswege verkürzt und die Nutzung der vorhandenen Ressourcen optimiert.
Es gibt also viele gute Gründe, der Bundeszentrale für politische Bildung zu ihrem 50-jährigen Bestehen zu gratulieren, allen voran ihrem Präsidenten, Herrn Thomas Krüger, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Besonders zu danken ist auch dem Vorsitzenden des bisherigen Kuratoriums, Herrn Enders, und dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, Herrn Professor Vorländer.
Dank und Anerkennung gilt ebenso den vielen Partnern der Bundeszentrale, vor allem den bewährten freien Bildungsträgern. Ich danke Ihnen allen für ihre Arbeit und wünsche der Bundeszentrale für die Zukunft weiterhin viel Erfolg. Bevor ich nun den zweiten Preisträger bekannt gebe, möchte ich im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung den Partnern und Sponsoren des "Bürgerpreises Deutsche Einheit" danken: insbesondere der Deutschen Telekom, ohne deren großzügiges Engagement es nicht möglich gewesen wäre, diesen Preis zu stiften und entsprechend zu dotieren.
In der Kategorie "Gestaltung in der Einheit" geht der Einheitspreis an die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat sich in der alten Bundesrepublik seit 1958 zu einem bedeutenden Träger bürgerschaftlicher Selbsthilfe entwickelt. Im November 1990 erfolgte der Zusammenschluss mit dem kurz zuvor noch in der DDR entstandenen Verein "Lebenshilfe". Heute sind in den fünf östlichen Landesverbänden 137 lokale Vereinigungen organisiert, die für ein breites Angebot der Behindertenhilfe sorgen: Frühförderstellen, Krippen und Kindergärten, Werkstätten für behinderte Menschen, Wohn- und Freizeitangebote, familienentlastende Dienste.
Sehr rasch haben sich enge Partnerschaften zwischen den örtlichen Vereinigungen und den Landesverbänden in Ost und West entwickelt. Dieses Netzwerk fachlicher Kooperation und persönlicher Kontakte sowie das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen in allen Bundesländern haben entscheidend dazu beigetragen, in ganz Deutschland einen Wandel des Bildes von geistig behinderten Menschen herbeizuführen: Wir haben gelernt, den Menschen von seinen Möglichkeiten her zu sehen und nicht von seinen Behinderungen.
Die Jury ehrt mit dem Preis die Arbeit der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. und ihrer Mitglieder, weil sie in besonderer Weise der Leitidee des Einheitspreises entspricht: Sie begreift "Gestaltung in der Einheit" nicht als Vereinheitlichung, sondern als Aufgabe, für alle Menschen in unserem Land gleichwertige, aber individuell angepasste Entwicklungschancen zu schaffen. Daran arbeitet die Lebenshilfe e.V. in ganz besonderer und vorbildlicher Weise mit. Stellvertretend für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Lebenshilfe e.V. wünsche ich dem Vorsitzenden, Herrn Antretter, für die weitere Arbeit die notwendige Unterstützung sowie Lebensmut und Zuversicht.