Lieber Frank Bösch als Organisator des heutigen Tages, Liebe Gäste,
bald 79 Jahre ist das Ende des zweiten Weltkriegs her, und 75 Jahre die Gründung der beiden so unterschiedlichen deutschen Staaten: Die Bundesrepublik, gegründet am 23. Mai 1949, die DDR knapp fünf Monate später am 7. Oktober.
Das eine Deutschland wuchs unter dem Druck der Sowjets aus der Diktatur wieder in eine Diktatur, das andere mit viel „Nachhilfe“ zu einer vielfältigen Demokratie.
Dass in diesem Prozess drei Jahre später, also 1952, auch der Grundstein der Bundeszentrale für politische Bildung gelegt wurde, ist ebendiesem und keineswegs einfachem Demokratiewerdungsprozess geschuldet:
Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland fühlten auf Grund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur und dem, was in der DDR an stalinistischen Entwicklungen zu beobachten war, eine besondere Verpflichtung, die Entwicklung eines sich auf Demokratie, Toleranz und Pluralismus gründenden politischen Bewusstseins zu fördern.
Das ist bis heute ein unermüdlicher Kampf geblieben, weil wir alle sehen, wie leicht es nach wie vor Feindbildideologen von Rechtsaußen und Linksaußen fällt, auf populistische Weise Anhänger für antidemokratische Positionen zu gewinnen, darunter beunruhigenderweise immer mehr junge Leute.
Manch einem schwant, dass wir als Demokratiebildner dabei gegen ausgesprochen stabile Windmühlen kämpfen, ich sehe das aber mehr als eine dauerherausfordernde Sisyphusarbeit, die uns fast täglich kreativ neu fordert, wirksame Rezepte zu entwickeln und Denkanstöße zu formulieren.
Dazu gehört es eben auch, viel aus dem, was war, zu lernen um alte Fehler nicht neu zu wiederholen, und sich darauf zu besinnen, wo wir herkommen und aus aller üblen historischen Erfahrung heraus eigentlich hin wollen. Eigentlich zu einem immer attraktiveren, demokratischen Rechtsstaat!
Allein um einmal zu zeigen, wie engagiert, aber auch mühselig der Start der beiden Deutschländer im Aufbaujahr 1949 war, haben wir im Vorraum dieses Saales - wo sie nachher einen Imbiss finden - fünf Mustertafeln einer umfangreichen historischen Zeitreise für sie aufgehängt.
Sie sind Vorboten einer Open-Air-Ausstellung der bpb, die ab 23. Mai zunächst in Berlin neben dem Bahnhof Friedrichstraße, dann in Bonn, Görlitz und Leipzig im öffentlichen Stadtraum zu sehen sein wird.
In Wort und Bild erzählt werden 75 „Gründungsgeschichten“ aus 75 Orten in Ost und West. Sie verknüpfen Blicke in den Alltag von Bundesrepublik und DDR im Jahr 1949 und zeigen in Bildüberblendungen die gleichen Orte in der Gegenwart. Von der Stalinallee in Berlin bis zum kargen Tagungsraum der literarischen Gruppe 47 im bayrischen Marktbreit, der heute, 75 Jahre später, ein stattlicher Hochzeitssaal ist.
Erarbeitet wurden die Ausstellungstafeln von dem Berliner Fotografen Alexander Kupsch und der Historikerin Elke Kimmel im Auftrag unserer Redaktion Deutschland Archiv der bpb.
Inhaltlich im Mittelpunkt steht auch immer wieder das, was damals unüberwindbar schien, aber eben doch überwunden werden konnte. Die Sorgen und Nöte der langen Anfangszeit. Und auch das, was im Kalten Krieg das Geschehen in den beiden deutschen Nationen bestimmte – der Systemwettstreit miteinander, durchgehalten bis 1989, als in der DDR Stagnation, Revolution und politisches Vakuum zusammenfielen, und die sichtbare Mauer, die noch 100 Jahre halten sollte, blitzschnell verschwand. Nur leider die nicht in vielen Köpfen. Die zu knacken, bleibt eine Mehrgenerationenaufgabe. Deutschland hat das Geschehen in 1989/90 in seinen beiden Teilen verändert. Und diese Veränderung dauert an, geprägt von Fortschritten und Rückschritten gleichermaßen. Das lässt manchmal auch das Gefühl des Stillstands entstehen.
Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört, hat Willy Brandt einst gedeutet, aber damit auch vorhergesagt, dass das ein sehr langwieriger Prozess des Zusammenwachsens wird, mit vielem unkontrollierten Wuchern und Verdorren gepaart und keineswegs blühenden Landschaften auf einen Schlag.
Jetzt sind es fast 35 Jahre später und wir merken, dass wir damals zu euphorisch, zu einäugig, zu zweckoptimistisch waren. Und auch dachten, dass es ohne Kalten Krieg in Europa immer friedlich bleibt.
Welch Ernüchterung.
Die Faszination autoritärer Traditionen ist gewachsen, die Gewaltbereitschaft, der Rassismus und die Hetze gegen Demokrat*innen. Die Dialoglosigkeit. Und uns gehen die Erfolgsnarrative aus. Umso mehr werden uns unsere Versäumnisse immer klarer. Dazu gehört auch, dass wir die Alltagssorgen vieler kleiner Leute aus dem Blick verloren haben, denen beispielsweise nicht einleuchtet, im Osten nach wie vor schlechter bezahlt zu werden als im Westen, auch für gleiche Jobs.
Nahezu ohnmächtig trieben wir auch Debatten nicht woran, was zu neuer stärkerer Identifikation breiter Kreis mit der Demokratie nach 75 Jahren führen könnte? Vielleicht ein gemeinsam renoviertes Grundgesetz? Oder eine neue Hymne, wie die Kinderhymne von Bert Brecht, für die Wolf Biermann unermüdlich trommelt? „Daß ein gutes Deutschland blühe Wie ein andres gutes Land.“ Heißt es darin. Und: „Und weil wir dies Land verbessern, Lieben und beschirmen wir's.“
Ich freu mich, dass heute etliche Expertinnen und Experten hier sind, die nun nüchtern analytisch zurückblicken in die Zeit deutsch-deutscher Zweisamkeit in der „Bonner Republik“…
…und dann in die Gegenwart der „Berliner Republik“ mit ihrer nicht endenden Gesellschafts-Transformation. Wo sehen Sie überall noch Verbesserungsbedarf? Denn das „vereinte“ Deutschland ist noch längst nicht das geeinte. Wie aber kann es das werden? Nach einem Anlauf von 75 Jahren?
Ich bin auf die Antworten gespannt, die unsere Gäste uns in den folgenden zwei Diskussionsrunden geben werden, moderiert von Kerstin Brückweh und Frank Bösch, der zunächst einen Impuls geben wird.
Witzigerweise hat er hier in der bpb für die APuZ vor vier Jahren einen Essay verfasst unter der Überschrift: „Im Bann der Jahrestage“.
Darin warnt er davor,
„dass die derzeit groß zelebrierten runden Jubiläen ein verengtes Geschichtsverständnis fördern….Der Alltag in Diktatur und Demokratie verschwindet ebenso wie Erklärungen für langfristige Veränderungen.“
Aber, das sagt er auch:
„Jahrestage sind ein wichtiger Kitt in unserer fragmentierten Gesellschaft. Das mit ihnen verbundene Pathos schafft einigende Momente, ebenso die mitunter aufblitzenden Kontroversen um sie….
…Wünschenswert ist dabei mehr Spielraum für brisante Themen, die keinen Jahrestag haben, aber eine historische Einordnung benötigen. Offensichtlich gibt es wie beim persönlichen Lebensrhythmus ein Bedürfnis, dieses Erinnern mit runden Jubiläen zu binden. Dieses Bedürfnis ist jedoch produktiv zu wenden, um nicht in Erstarrung zu verfallen und das Interesse an Geschichte einzuschläfern.“ Ich bin gespannt, wie Ihnen das heute gelingt und wünsche Ihnen allen viele Denkanstöße und lohnende Horizonterweiterungen dabei.
Herr Bösch, Sie und das ZZF haben als Gast der bpb ab jetzt hier die Saalhoheit und das Wort!