Sehr geehrter Herr Ressmann, sehr geehrter Herr Ruda, verehrte Damen und Herren,
vor zehn Jahren hatte ich anlässlich der Veranstaltung “30 Jahre Bürgerrundfunk in Deutschland – Eine Inventur” die Möglichkeit, ein Plädoyer für die offenen Kanäle zu halten. Ich habe mich über die Gelegenheit gefreut, heute hier erneut sprechen zu dürfen, um mit Ihnen noch einmal auf die Rolle des Bürgerjournalismus zu schauen. Damals habe ich Ihnen acht Thesen präsentiert, die die Bedeutung der Bürgermedien für unsere Gesellschaft unterstrichen haben. Dieses Mal werde ich mich auf drei Thesen beschränken, die auf manch drängende Fragen eingehen: Können Bürgermedien ihr Potenzial in der digitalen Medienlandschaft ausreichend ausschöpfen? Wie hat das digitale Zeitalter die Nutzung und ihr Profil verändert? Und nimmt die Zivilgesellschaft den Bürgerjournalismus heute als ihr Sprachrohr und Plattform für ihre Beteiligung in der Medienwelt wahr?
Schon vor zehn Jahren war es unbestreitbar, dass die sozialen Netzwerke das traditionelle Sender-Empfänger-Verhältnis grundlegend verändert haben. Weder die etablierten Medien noch der Bürgerjournalismus konnten und können diese Entwicklung ignorieren. Aber birgt sie neben der Gefahr, dass sie ihn schwächt oder verdrängt, nicht auch Chancen? Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen betont in einem aktuellen Essay die Notwendigkeit einer "Redaktionellen Gesellschaft", die durch gemeinsame Werte und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten öffentlicher Debatten geprägt ist. Der Begriff wird bereits seit einigen Jahren diskutiert, ist aber mit Blick auf Bürgermedien besonders interessant. Pörksen schlägt vor, den Weg des "dialogischen Journalismus" einzuschlagen, bei dem das Publikum nicht mehr passiv ist, sondern aktiv an einem fortlaufenden Gespräch nach Wahrheit, Relevanz und Sinn teilnimmt. Das Publikum bestimmt die Themenagenda und kann sogar in den Rechercheprozess einbezogen werden. Obwohl Pörksen hier wahrscheinlich nicht explizit an Bürgermedien denkt, lässt sich ihr Mehrwert für die Gesellschaft kaum besser als mit dieser Blaupause einer emanzipierten Öffentlichkeit beschreiben.
Bei allen Visionen einer mündigen und medienkompetenten Gesellschaft sieht die Realität noch etwas anders aus. Die Herausforderungen, die sich dem Bürgerjournalismus stellen, spitzen sich weiter zu. Zum Beispiel: Die fehlende Regulierung von Plattformen, auf denen Nutzerinnen und Nutzer ihre Inhalte für ein Millionenpublikum verbreiten können, führt zu einer Verbreitung von Falschinformationen oder jugendgefährdenden Inhalten. Trotz einer gewissen Konzentration von Informationskonglomeraten und Verbreitungswegen innerhalb digitaler Plattformen wie Google oder Meta/Facebook sowie großen Medienkonzernen wird die faktische mediale Vielfalt immer größer und differenziert sich weiter aus. Die Bürgermedien sind ein wichtiger Bestandteil dieser pluralen Medienlandschaft, in der unzählige Perspektiven Platz finden. Allerdings stellt eben diese Fragmentierung auch die Herausforderung dar, in der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie zu bestehen, um zum einen das gewünschte Publikum zu erreichen, aber auch um der politischen Medienbildung genügend Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Aus Sicht der politischen Bildung hat Medienbildung das Ziel, Freiheit und Gleichheit als Grundwerte unserer politischen Kultur zu vermitteln und Menschen die Teilhabe sowie eine qualifizierte politische Meinungsbildung zu ermöglichen. Dafür müssen sie nicht nur mit der Geschwindigkeit der digitalen Welt mithalten können, sondern auch analoge wie digitale Kanäle finden, um sich auszutauschen und auszudrücken.
Meine erste These setzt deshalb an der Stärkung des Demokratiebewusstseins der Bürgerinnen und Bürger an.
„Wir brauchen Bürgermedien, die physische wie digitale Räume schaffen, um den demokratischen Diskurs zu fördern.“
Die Demokratie braucht Räume für den Diskurs. Offene Kanäle können "ideale Orte informeller" Bildung“ sein, wie schon Josef Röll, Soziologe und emeritierter Professor für Neue Medien und Medienpädagogik, festgestellt hat. Diese Zuschreibung ist nach wie vor gültig. Denn sie stellen als institutioneller Rahmen Räume, konkrete Orte und eine Öffentlichkeit dar, die es braucht, um Reflexion, Diskussion und Aktion in Gang zu setzen. Damit haben sie laut Röll ein Alleinstellungsmerkmal.
Wie ich zu Beginn dargelegt habe, ist in unserer digitalisierten Mediengesellschaft politische Teilhabe wesentlich darauf angewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger ausreichend medienkompetent sind, um am politischen Diskurs teilhaben zu können. Bürgermedien bieten Möglichkeiten, genau dies zu erfahren, zu erlernen und zu erproben.
Mit der Partizipationsfunktion ermöglichen es Bürgermedien Laien, publizistische Angebote aufgrund eigener Relevanzerwägungen zu produzieren und zu veröffentlichen. Gerade angesichts rasanter technologischer Entwicklungen und wachsenden Spannungen in der Gesellschaft können Bürgermedien für viele Menschen ein Mittel sein, um– sprichwörtlich gesprochen – “vibrierende Drähte zur Welt” zu spannen, von denen der Soziologe Hartmut Rosa in seiner Resonanz-Theorie spricht. Was meint Rosa damit und wie kann das in Zusammenhang mit dem Bürgerjournalismus gebracht werden? Die Möglichkeit, sich selbst mit Ideen einzubringen und damit sowohl bei den qualifizierten Mitarbeitenden von Offenen Kanälen als auch bei einem Publikum auf nun buchstäbliche Resonanz zu stoßen , vermag es, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu schaffen und die individuelle Motivation zum Handeln mit unserer demokratischen Öffentlichkeit zu verknüpfen. Bürgermedien werden so zu wichtigen Agenten des In-Beziehung-Setzens von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrer Umwelt und der Schaffung von so genannten Weltbeziehungen.
Was zunächst etwas abstrakt klingt, bedeutet nichts anderes, als dass sich die Menschen im Sinne Rosas als wertgeschätzte, mündige und aktive Mitglieder unserer pluralen Gesellschaft begreifen und die Möglichkeit bekommen, diese mitzugestalten. Nicht zu unterschätzen ist dabei der persönliche Austausch vor Ort. Dies ist insbesondere dort dringend notwendig, wo durch Strukturwandel und andere sozioökonomische Entwicklungen zu einem Vakuum institutioneller Fürsorgepflichten führen und öffentliche Räume für Austausch und Miteinander schwinden.
Die Vernetzung der Bürgermedien mit einer Vielzahl verschiedener gesellschaftlicher Einrichtungen wie Universitäten und Schulen ist aus Sicht der politischen Bildung dabei von großem zusätzlichem Wert. Denn dabei docken Bürgermedien an die Lebensrealitäten der Menschen an und wecken dort Interessen am gelebten Medienhandeln, wo dieses vorher vielleicht im Verborgenen schlummerte oder gar nicht erst vorhanden war. Wir nennen diesen lebensweltlichen Ansatz in unserer Profession übrigens Aufsuchende Politische Bildung.
Überhaupt sehe ich viele Parallelen zwischen den Anliegen und aktuellen Bedarfen der politischen Bildung auf der einen und den Bürgermedien auf der anderen Seite, die mich nun direkt zu meiner zweiten These bringen:
„Wir brauchen Bürgermedien, die die Ausbildung der Medienkompetenz an den Bedürfnissen und den publizistischen Realitäten der Gegenwart orientieren.“
Wir leben in einer Zeit, in der jeder mit Zugang zum Internet und den entsprechenden Kenntnissen Inhalte veröffentlichen und potenziell eine große Anzahl von Menschen erreichen kann. Die sozialen Medien und Content-Anbieter haben diese Möglichkeit revolutioniert und fordern die traditionellen Medien als "Gatekeeper" mehr und mehr heraus. Doch auch wenn wir von dieser neuen Freiheit als Nutzer sowie immer öfter auch als Bildungsakteurinnen profitieren, stehen wir auch vor neuen Herausforderungen. Denn die Vielzahl an Quellen und Kanälen macht es für Rezipienten oft schwierig, den Überblick zu behalten und die Glaubwürdigkeit der Informationen zu überprüfen. Als weitere wichtige Akteure kommen Medienintermediäre wie Suchmaschinen und soziale Medien hinzu, die eine zentrale Rolle bei der Sichtbarkeit und Auffindbarkeit von Inhalten im Internet spielen. Ihre Algorithmen bestimmen, welche Informationen wir zu sehen bekommen und welche nicht. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass wir uns bewusst machen, wie diese Algorithmen funktionieren und welche Auswirkungen sie auf unsere Informationslandschaft haben. Denn Themen und Angebote, die sich nicht den "Spielregeln" der Plattformen unterwerfen wollen, sind zwar vorhanden, aber eben weniger sichtbar. Kurzum: Die Digitalisierung stellt hohe Anforderungen an die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer. Die Diskussion über den kompetenten Umgang mit Medien umfasst inzwischen viel mehr Aspekte als noch in den Gründerjahren der Bürgermedien. Neben der Fähigkeit, technische Geräte zu nutzen, ist es entscheidend, die Glaubwürdigkeit von Quellen einschätzen zu können und die Funktionsweise und die Regeln von Journalismus, sozialen Netzwerken, neuen Vermittlern und deren Mechanismen zu verstehen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, journalistische Leistungen von kommerzieller Kommunikation, Propaganda und Fälschungen unterscheiden zu können.
Trotz der vielen Probleme, die Intermediäre wie Google und soziale Netzwerke mit sich bringen, sind sie mit ihren neuen Ausdrucksformen und Codes als Realität innerhalb demokratischer Öffentlichkeiten anzuerkennen. Das Angebotsspektrum im Bereich der Fortbildung musste sich und hat sich deshalb im Laufe der Zeit verändert, auch wenn es den traditionellen Medien-Anbietern und sicher auch der politischen Bildung nicht immer leicht fällt, mit den rasanten Entwicklungen standzuhalten. Früher waren klassische journalistische, redaktionelle und technische Fähigkeiten entscheidend für die Qualität und Relevanz von Publikationen. Heutzutage sind jedoch auch andere Formen der Informationsvermittlung und des Storytellings hinzugekommen, die das Verständnis von Journalismus zumindest verschieben.
Manche dieser neuen Darstellungsformen werden von Personen in die Öffentlichkeit gebracht, die nicht im eigentlichen Sinne journalistisch arbeiten. Ein Beispiel dafür sind für mich die Millionen von "Get ready with me"-Videos auf Tiktok, in denen vor allem junge Creatorinnen und Creator oft banale Dinge aus ihrem Leben oder einfach nur Werbung verbreiten, während sie sich schminken oder zum Ausgehen fertig machen. Gleichzeitig werden darin mitunter auch wichtige gesellschaftliche Themen wie Rassismus und Klimawandel angesprochen. Man könnte in dem Zusammenhang vom “Trojanischem Journalismus” sprechen, bei dem Fakten und Analyse aufgrund der erfrischenden Darstellung selbst bei jenen verfangen können, die Nachrichten und seriöse Berichterstattung sonst scheuen.
Es gibt darüber hinaus spezialisierte Kanäle, die sich auf bestimmte Themen konzentrieren und auf unterhaltsame Weise über aktuelle Entwicklungen und Hintergründe informieren. Juristische Tipps, Sportnachrichten und Informationen zu den Rechten der LGBTIQ+-Community finden aufgrund ihres erfrischenden und persönlichkeitsorientierten Contents ein großes Publikum.
Hier soll es nicht darum gehen, bei jedem Meme mitzumachen. Die Vermittlung von Medienkompetenz in Offenen Kanälen kann jedoch mit Blick auf die Rezeptionsgewohnheiten vor allem junger Menschen anders aussehen, als wir es möglicherweise gewohnt sind. Neben den traditionellen Arbeitsweisen wie Recherche, Aufnahme, Schnitt und Ausstrahlung sollten die vielfältigen digitalen Medienpraktiken wie Kurzvideos auf Tiktok oder Youtube-Streams berücksichtigt werden. Es ist wichtig, diese Techniken kritisch zu reflektieren. Nicht jeder Trend passt zu jedem Medium oder jedem Thema. Finanzielle und zeitliche Ressourcen sollten bei der Redaktionsplanung realistisch berücksichtigt werden. Auch das aktuelle Trend-Thema Künstliche Intelligenz könnte im lokalen Kontext aufgegriffen werden, wie es bei manchem Offenen Kanal bereits in der Praxis angekommen ist und im September erfreulicherweise auf dem Lokaljournalismus-Kongress bereits intensiv diskutiert worden ist. Das Panel können sich übrigens alle Interessierten auf dem Youtube-Kanal von “ALEX Berlin” anschauen.
Welche Kompetenzen sind weiter für eine zeitgemäße Medienbildung erforderlich – neben dem Bewusstsein für die zeitgenössischen Praktiken der digitalen Welt? Es ist wichtig, Sach- und Reflexionskompetenz zu haben, um Produktionsprozesse, Routinen und die professionellen Werte des Journalismus zu verstehen. Man sollte auch wissen, wie Medien funktionieren, insbesondere denke ich da an die normativen Regeln und Auswirkungen öffentlicher Kommunikationsangebote wie die Filter Bubble. Zum Verständnis unserer Medienlandschaft gehört auch eine Sensibilität für Eigentumsformen insbesondere großer Medienhäuser, sowie Kenntnisse darüber, wie Digitalunternehmenpersönliche Daten verwenden und Informationen aufbereiten.
Auch die Nutzungskompetenz ist von großer Bedeutung, um geeignete Angebote in der öffentlichen Kommunikation zu finden. Man sollte wissen, wie man aktiv in der Medienproduktion tätig werden kann und wie Beiträge zur öffentlichen Kommunikation inhaltlich erstellt werden. Es ist auch wichtig, die eigene Rolle und die entsprechenden Regeln als Kommunikator/-in und Teilnehmer/-in an öffentlichen Kommunikationsprozessen zu verstehen. Darüber hinaus sollten Bürgerinnen und Bürger die Relevanz der Medienpolitik erkennen und verstehen, wie sie Einfluss auf den politischen Prozess nehmen können.
All das sind Qualifikationen, die eine Schnittmenge medienpädagogischer und politisch-bildnerischer Ziele formen. In diesem Sinne verstehe ich die Bürgermedien als potente Alliierte der politischen Bildung, die höchst interessante komplementäre Zugangswege bereit halten.
Bürgermedien könnten Formate entwickeln, die diese Kompetenzen fördern und journalistische, medienkritische und medienedukative Inhalte bieten. Das Prinzip der Co-Creation war ein prägendes Strukturelement des Bürgerjournalismus, lange bevor es etwa in der politischen Bildungspraxis als vielversprechender Zugang erkannt worden ist, um Motivation und Durchhaltevermögen der Zielgruppen zu stärken. Um Menschen noch effektiver anzusprechen, müssen Bürgermedien meiner Meinung nach noch stärker als es bisher geschieht mit attraktiven und interessensorientierten Angeboten herausstechen. Das führt mich zu meiner dritten These:
„Wir brauchen Bürgermedien, die ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft erhöhen - und das insbesondere im ländlichen Raum.“
In den vergangenen Jahren hat sich eine bemerkenswerte Entwicklung abgezeichnet: Die Rückbesinnung auf das Lokale gewinnt wieder an Bedeutung. In einer Zeit der Unsicherheit und Veränderung erfüllt der Lokaljournalismus eine entscheidende Rolle als Anker und Wegweiser. Kein anderes Medium vermag es so gut wie er, die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort zu verstehen und zu vermitteln. Und kein anderes Medium vermag es so gut, durch regionale Präsenz Orte der Begegnung herzustellen, in denen auch ein Austausch über das Vertrauen in Medien entstehen kann. Der Medienpluralismus und die zunehmende Flut an Informationen können dennoch leicht zu Unsicherheit und Überforderung führen, die einen Nährboden für Falschnachrichten und Propaganda bilden. Das Bild vom Journalismus als Gegenspieler und Kontrollorgan der Politik und der Mächtigen teilen überraschend viele Bürgerinnen und Bürger inzwischen nicht mehr. Stattdessen werden Medien als Teil der zu kontrollierenden Elite betrachtet. Wir alle kennen den Ruf "Lügenpresse", so unangebracht er auch ist, Desinformation und stille, unsichtbare Radikalisierung sind ohne Zweifel ebenfalls Teil dieser digitalen Öffentlichkeiten und sie entfalten auch dort ihre Wirkung, wo sie unwidersprochen bleiben. Umso wichtiger ist es daher, das Vertrauen in seriöse Medien- und Nachrichtenanbieter zu stärken. Investigative Recherchen und Berichterstattungen, sind unabdingbar für die Meinungsbildung und Positionierung in einer Demokratie. Das zeigen die Demonstrationen der letzten Tage und Wochen als inzwischen über eine Millionen Menschen in ganz Deutschland als Reaktion auf die Berichterstattung von Correctiv auf die Straße gingen.
Hier sehe ich insbesondere lokale Rundfunkangebote und Bürgermedien als wichtige Akteure. Sie knüpfen unmittelbar an die Lebenswelt der Menschen an und sind glaubwürdig. Lokalredaktionen sind Teil der örtlichen Gemeinschaft, sie schaffen Plattformen und gestalten lokale Räume und Diskussionen mit. Bürgermedien bieten wertvolle Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger und machen sichtbar, was die Menschen vor Ort bewegt. Sie haben das Potenzial, Themen sichtbar zu machen, einen produktiven Diskurs zu starten und können als Gegengewicht und zumindest stellenweise als Korrektiv zu traditionellen Medien dienen.
So zeichnen sich die Redaktionen privater und öffentlich-rechtlicher Medienhäuser durch eine mangelnde Diversität aus, was dazu führt, dass bestimmte Perspektiven in der Berichterstattung überhaupt nicht oder nur spärlich auftauchen. 63% der Verlage beobachten in den letzten fünf bis zehn Jahren eine Abnahme in der Breite ihres Informationsangebots. Der Bürgerjournalismus kann das Informationsangebot traditioneller Redaktionen ergänzen und wichtige Sprachrohre für Teile der Gesellschaft sein, die sonst wenig oder kaum gehört werden oder etwa Nischenthemen bespielen.
Indem sie ihre Rolle als echte lokale oder regionale Alternative ernst nehmen, können Bürgermedien den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit geben, jenes Handwerkszeug zu erlernen, das für eine ausgewogene, kritische und realitätsnahe Berichterstattung nötig ist. Denn so werden Bürgerinnen und Bürger darin geschult, sich vielseitig zu einem Umstand zu informieren und dieses Wissen aktiv weiterzutragen – zivilgesellschaftliches Engagement par excellence.
Wahrscheinlich wurde noch nie so stark nach medienorientierten Schlüsselkompetenzen gerufen, wie es aktuell der Fall ist. Meiner Meinung nach können sich viele Bürgermedien in Deutschland in dieser medienpolitischen Atmosphäre noch stärker als medienpädagogische Lern- und Kompetenzzentren profilieren. Wie das gelingen soll? Ein Patentrezept habe ich für sie leider nicht, zumal entsprechende Bemühungen an personelle und damit finanzielle Ressourcen gekoppelt sind. Ein Weg könnte sein, noch stärker als bisher Partnerschaften mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren zu suchen. Hier gilt es, ihre Stärken und Mehrwerte für Zielgruppen und Publikum deutlich zu machen. Wahrscheinlich ist auch das Potenzial bei der Erschließung digitaler Kanäle noch nicht gänzlich ausgeschöpft. Am Ende nur ein kleines Publikum zu erreichen oder nur ein vermeintliches „Nischenthema“ zu bespielen, sollte dabei nicht als Nachteil gesehen werden. Denn Kreativität kann sich besonders dort entfalten, wo sie nicht vom Einfluss des Zeitgeists oder wirtschaftlichen Erfordernissen zur Anpassung und Effizienz gezwungen wird. So sehe ich Bürgermedien als ein weit vernetztes Labor medialer und gesellschaftlicher Entwicklungen, womit sie eine Ausstrahlung in die Bevölkerung als zukunftsweisende Einrichtungen gewinnen können.
„Was braucht es also, um erfolgreich in der digitalen Welt zu bestehen? “
Unabhängig von Größe und Reichweite stehen Medienschaffende, Medienbildung und politische Bildung heute vor vielfältigen Herausforderungen. Bürgermedien müssen ihre Strukturen und Konzepte an die technischen Entwicklungen sowie die Rezeptionsgewohnheiten von Nutzerinnen und Nutzern anpassen. Um die unterschiedlichen Zielgruppen auf den neuen digitalen Kanälen zu erreichen, müssen bildungsrelevante Formate entwickelt werden, die auf die Nutzungsgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger zugeschnitten sind.
Wie der Journalist Werner Lauff in dem großen Band der Medienanstalten zu Bürgermedien zurecht schreibt: "Nur wenn sie ehrlich die veränderten Bedingungen beim Namen nennen und daraus dann auch offensiv Maßnahmen ableiten, behalten Offene Kanäle ihre Legitimation. Nur dann sind sie ein Zukunftsmodell."
Abschließend ermutige ich Sie und uns alle, mit neuen Formen der Ansprache zu experimentieren und verstärkt partizipative, kollaborative Formate in unsere Bildungsarbeit zu integrieren. Der Bürgerjournalismus hat das Potenzial, nicht nur als Informationsquelle zu dienen, sondern auch als Motor für demokratische Teilhabe und Medienkompetenz. Es liegt an uns, ihre Weiterentwicklung und Anpassung an die digitalen Herausforderungen zu unterstützen, um echte Impulse für eine medienkundige, emanzipierte – von mir aus auch redaktionelle – Gesellschaft geben zu können. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die politische Medienbildung zu stärken und Menschen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um in der digitalen Welt souverän agieren zu können.
Die Zukunft beginnt jetzt, wie es so schön heißt. Wenn es nach mir geht: Auch für die Bürgermedien und vor allem: mit ihnen.
Vielen Dank