Sehr geehrte Damen und Herren,
es war ein kleiner absurder Paukenschlag: Anfang August verfasste der als Löffelverbieger bekannt gewordene Uri Geller einen offenen Brief mit der Überschrift: „This is a warning to Vladimir Putin“. Er werde jedes Molekül seiner Gedankenkraft aufwenden, um den russischen Präsidenten von einem Atomschlag abzuhalten. Da er realistischerweise einzusehen schien, dass dies gegebenenfalls nicht ausreichen könnte, rief er zudem „alle friedliebenden Menschen“ auf, es ihm gleich zu tun. So werde man Putins Computer abstürzen sowie seine Navigationssysteme versagen lassen und seine Raketen funktionsunfähig machen.
So wünschenswert dieses Szenario auch sein mag: Die wenigsten von uns glauben wohl daran, dass die Gedankenkraft von Uri Geller und seinen Fans die erwünschte Wirkung zeigen wird. Das Wissen, das wir zum Beispiel in der Schule oder in der Universität erworben haben – aber auch unsere grundsätzliche Lebenserfahrung – raten uns, unseren Gehirnschmalz besser für andere Dinge aufzuwenden. Bislang haben wir ja auch noch nichts über mysteriöse Systemcrashs in russischen Militärkommandos vernommen. Für Uri Geller beweist das jedoch keinesfalls die Unmöglichkeit seines Unterfangens: Es haben halt bloß zu wenige mitgemacht!
Diese Episode ist vielleicht nicht ganz typisch ist für aktuelle Erscheinungsformen politisch relevanter Esoterik: In esoterisch angehauchten Querdenkergruppen liegen die Sympathien meist ganz eindeutig auf Seiten Putins. Dennoch vereint sie einige Charakteristika, die wir als esoterisch wahrnehmen: Ein eingeweihtes Grüppchen glaubt an die Möglichkeit, die geläufigen Naturgesetze allein durch die Kraft ihrer Gedanken auszuhebeln und möchte dadurch der Welt Frieden schenken.
Doch Esoterik ist natürlich mehr als die Nutzung von Gedanken, um vermeintlich etwas zu erreichen. Spontan denke ich beim Schlagwort Esoterik an so unterschiedliche Dinge wie Schamanismus, Engelsglauben, Okkultismus, Wahrsagerei, Anthroposophie, Homöopathie, Verschwörungserzählungen, UFOs, Glaube an verborgene „Energien“ usw. Ist das alles demokratierelevant? Muss sich die Bundeszentrale für politische Bildung damit befassen? Auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt. Esoterik soll hier auch keinesfalls verteufelt werden. Niemand handelt immer wissenschaftsbasiert und richtet seine beruflichen und privaten Entscheidungen stets nach der Studienlage. Selbst staatliche Maßnahmen fußen manchmal nicht ansatzweise auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Warum sonst ist es den gesetzlichen Krankenkassen weiter erlaubt, anthroposophische oder homöopathische Behandlungen zu bezahlen, obwohl es keinen anerkannten Nachweis zu deren Wirkung gibt? Die Politik stellt mit solchen Entscheidungen – durchaus auf einem schmalen Grat wandelnd – einen Ausgleich her zwischen gesellschaftlichen Bedürfnissen oder Interessen und einer faktenbasierten politischen Gestaltung des Zusammenlebens. Auch manche Glaubenssätze oder Praxen der klassischen Religionen sind wahrscheinlich nicht besser begründbar als esoterische Vorstellungen. Kurzum: Der Glaube an Übernatürliches oder gar Widersinniges ist zutiefst menschlich – und in den meisten Fällen letztlich Privatsache.
Doch es gibt sie eben, die Momente, wenn das Private politisch wird: Wenn in der Querdenkerbewegung im großen Stil versucht wird, mit der Sendung von Energie die Gallionsfigur Michael Ballweg aus dem Gefängnis zu befreien. Wenn durch vermeintliches esoterisches Geheimwissen grundierte Verschwörungsmythen den Weg für Rassismus und Antisemitismus bereiten. Wenn esoterische Medizin Patientinnen und Patienten von einer lebensrettenden Behandlung abhält. Wenn sich eine Form des esoterischen Sozialdarwinismus durchsetzt, bei der jeder selbst für die eigene Gesundheit verantwortlich ist und Schwache und Gefährdete in diesem Weltbild keinen Platz haben. Wenn ganz allgemein die Schuld für negative Ereignisse – seien es Krankheit, Armut oder etwas anderes – an den Einzelnen delegiert wird. Wenn durch die Weigerung, sich impfen zu lassen oder in bestimmten Situationen eine Maske zu tragen, andere gefährdet werden. Wenn Angehörige und Freunde in esoterische Lebenswelten abdriften, daran finanziell und persönlich zugrunde gehen. Wenn all das in relevantem Maße geschieht – und das ist leider der Fall – dann muss sich die Gesellschaft mit Esoterik als vereinendem Band dieser Phänomene auseinandersetzen. Die Annahme, dass Einzelne erleuchtet sind und über ein „Geheimwissen“ verfügen, ist der perfekte Nährboden für autoritäres Denken.
In den Sozialen Medien wurde der Bundeszentrale für politische Bildung im Vorfeld der Veranstaltung natürlich sofort in einigen Kommentaren vorgeworfen, mit der Esoterik nun ein neues Feindbild im Rahmen einer Kampagne gegen Andersdenkende aufzubauen. Das ist selbstverständlich mitnichten der Fall. Wir möchten niemandem den Blick ins Horoskop verleiden und wer an Schamanismus-Workshops teilnehmen möchte, soll das bitte tun. Doch das im Titel der Fachtagung ausgemachte Spannungsverhältnis zur Demokratie besteht ja durchaus – die eben genannten Beispiele unterstreichen dies. Als Bundeszentrale für politische Bildung möchten wir mit der Veranstaltung Denkanstöße geben und Reflexionsprozesse anregen, die dann schlussendlich – hoffentlich – zu einem differenzierten Bild beitragen.
Die politische Bildung als Profession hat das Themenfeld der Esoterik zu lange vernachlässigt. Abgesehen von einigen wenigen, meist hoffnungslos veralteten Unterrichtsmaterialien, findet sich nicht viel. Dabei bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte dafür, sich politisch-bildnerisch mit Esoterik auseinander zu setzen. Die Attraktivitätsmomente esoterischer Weltdeutungen sind altbekannt: das Versprechen von Liebe und Frieden, Naturverbundenheit, Reduzierung von Komplexität, die Erfahrung (vermeintlicher) Selbstwirksamkeit. Politische Bildung kann diese Motivationen aufgreifen, reflektieren und problematisieren. Politische Bildung lebt von Kontroversität. Gerade die Fragestellungen, die sich rund um das Thema Esoterik ergeben, müssten das Herz jeder politischen Bildnerin und jedes politischen Bildners also höherschlagen lassen: Wie ist eine solche wissenschaftsfeindliche Strömung demokratietheoretisch zu beurteilen? Müssen demokratische Entscheidungen stets auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen werden? Und wann gilt eine wissenschaftliche Erkenntnis eigentlich als anerkannt? Im Rahmen dieser Fachtagung wird es morgen eigens einen Workshop dazu geben, in dem gemeinsam erarbeitet wird, wie Esoterik in der politischen Bildung thematisiert werden kann. Insbesondere den Vertreterinnen und Vertretern unseres Berufszweigs kann ich die Teilnahme daran nur dringend ans Herz legen.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Fragen der Energiesicherheit sowie eine lange nicht gesehene Geldentwertung haben das Thema Corona in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verdrängt. Und damit auch die Aufmerksamkeit, die wir den Maßnahmengegnerinnen und -gegnern widmen. Doch dürfen wir nicht unterschätzen, dass das antidemokratische Protestpotential, das in der Corona-Krise gewachsen ist, gefestigt bleibt und nun genau diese neuen Themen aufgreift. Wenn Sie sich die Diskussionen in öffentlichen Querdenkergruppen bei Telegram mal anschauen – Kleiner Disclaimer: Spaß macht das nicht – so werden Sie sehen, dass sich je nach Gruppe nur noch rund die Hälfte der Mitteilungen um die Themen Corona und Impfgegnerschaft dreht. Diese Gruppen haben die Mobilisierungskraft des Krieges gegen die Ukraine und seiner Folgen klar erkannt und wollen damit neue Proteste vorantreiben. Mittendrin befinden sich jede Menge Esoterikerinnen und Esoteriker. Es lohnt sich also, am Thema dran zu bleiben.
Ich schlage vor, dass Sie die Kraft ihrer Gedanken an den kommenden beiden Tagen also etwas anders nutzen als von Uri Geller vorgeschlagen und wünsche Ihnen eine anregende und spannende Fachtagung in Fulda – und natürlich auch online!