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Right-Wing Extremism in Germany | Presse | bpb.de

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Right-Wing Extremism in Germany Challenges for the Civil Society and the Government

/ 19 Minuten zu lesen

Was tun gegen Rechtsextremismus? Diese Frage beherrscht seit langem den gesellschaftspolitischen Diskurs in Deutschland. Zur Beantwortung dieser Frage geht Thomas Krüger auf die mittlerweile drei Debatten um Rechtsextremismus in den vergangenen zehn Jahren ein.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Einleitung

Meine Damen und Herren

ich darf mich sehr herzlich für die Einladung zu dieser spannenden Runde bedanken. Als der Verantwortliche einer Institution, die sich für die Befähigung zur politischen Partizipation und Stärkung des demokratischen Bewusstseins verpflichtet fühlt, liegt mir das Thema "Right-Wing Extremism in Germany - Challenges for the Civil Society and the Government" ganz besonders am Herzen.

Die politische Bildung in Deutschland ist in der Vergangenheit oftmals im Fahrwasser einer "schweren" sozialpädagogisierenden Richtung geschwommen. Mit ihren Strukturen und Inhalten wurden bildungspolitische Ewigkeitswerte geschaffen, kreative Ideen und Impluse mussten wiederholt zugunsten einer ihr zugebilligten Feuerwehrfunktion zurückstecken, frei nach dem alten Pädagogenwitz: Es treffen sich zwei politische Bildner, fragt der eine: "Wie spät ist es?" Sagt der andere: "Kann ich Dir nicht sagen, ich besitze keine Uhr." Worauf der erste politische Bildner erwidert: Ach, das macht gar nichts, nur gut, dass wir darüber geredet haben."

Angesichts der gravierenden Herausforderungen durch die Globalisierung haben sich diese Zeiten nachhaltig verändert. Ich möchte heute dieses Plenum nutzen, um Ihnen hier in den USA ein sachliches Bild sowie aktuelle Informationen und Fakten über den Rechtsextremismus zu vermitteln und die entsprechenden Reaktionen zu diskutieren - die mitgebrachten Folien stützen sich auf aktuelle Materialien, die uns vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt worden sind.

Was tun gegen Rechtsextremismus? Diese Frage beherrscht seit Wochen und Monaten den gesellschaftspolitischen Diskurs in Deutschland. Zur Beantwortung dieser Frage muss man etwas ausholen, denn die gegenwärtige Debatte um Rechtsextremismus ist bereits die dritte ihrer Art in den vergangenen zehn Jahren.

  • Die erste Debatte fand in den Jahren von 1991 bis 1993 statt.

  • Die zweite wurde nach den Landtagswahlen im Bundesland Sachsen-Anhalt im Jahr 1998 geführt;

  • Die gegenwärtige dritte Debatte markiert einen gewissen Höhepunkt, denn aufgeschreckt durch das Bombenattentat in Düsseldorf Ende Juli letzten Jahres auf Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, müssen sich die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit fragen lassen, wie es zu zu dieser erneuten Welle rechtsradikaler Gewalt kommen konnte.

1. Die erste große Rechstextremismus-Debatte (1991 - 1993)

Sie fand Anfang der neunziger Jahre als Folge der einsetzenden seriellen fremdenfeindlichen Gewalttaten und Anschlägen in den Städten Hoyerswerda, Rostock-Liechtenhagen und anderorts statt. Mit diesen Anschläge wurde zweifellos eine neue Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland demonstriert.

2. Die zweite große Rechtsextremismus-Debatte

Die zweite Welle setzte mit dem spektakulären Erfolg der rechtsextremen Partei, der DVU, bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Frühjahr 1998 ein. Sie war geprägt durch solche Themenschwerpunkte wie der wachsende Zulauf Jugendlicher zu rechtsextremen Parteien, die Schaffung "national befreiter Zonen", "rechter Musik", kurz: die Etablierung einer "rechtsextremen jugendlichen Alltagskultur" besonders in Ostdeutschland. Neben der "Ostlastigkeit" war für diese Debatte kennzeichnend, dass – im Unterschied zur Diskussion Anfang der neunziger Jahre – die Politik kaum Notiz von ihr nahm. Obwohl die damaligen Medienberichte denen von heute gleichen, war die "kritische Masse" der öffentlichen Diskussion offenbar zu gering, so dass die Impulse schnell verpufften und folgenlos blieben. Über mögliche Gegenstrategien wurde nicht (mehr) debattiert, pädagogische Projekte mussten um ihre Existenz kämpfen.

3. Die dritte große Rechtsextremismus-Debate: die aktuelle Situation

2000 / 2001: Jugendliche in Wismar, die der rechtsradikalen Szene zugerechnet werden, prügeln einen Obdachlosen zu Tode; der Anschlag auf die Trauerhalle der jüdischen Gemeinde in Potsdam Anfang diesen Jahres - Ereignisse, die die Nachhaltigkeit der vielen seit den neunziger Jahren initiierten Programme und Projekte hinterfragen. Inwieweit haben Aktionen und Initiativen nur einen Placebo-Effekt gehabt, inwieweit konnten sie tatsächlich präventiv wirken? Müssen wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus neue Wege gehen?

Fremdenfeindliche Übergriffe, Aufmärsche neonazistischer Organisationen, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien oder die Verbreitung von Rassismus im Internet sind nur einige Facetten, in denen Rechtsextremismus in Erscheinung tritt. Aktuell in Zahlen ausgedrückt leider mit Zulauf und wachsender Aktivität. Der Bericht des Deutschen Bundesinnenministeriums hält für das Jahr 2000 einen drastischen Anstieg der registrierten rechtsextremistisch, fremdenfeindlich und antisemitisch motivierten Straftaten fest. Die Zahl der gemeldeten Straftaten lag mit fast 16 000 um fast 60 Prozent höher als 1999. Unter diesen rechtsextremistisch orientierten Straftaten sind 998 Gewaltdelikte wie Mord, Totschlag, Körperverletzungen, Brand- und Sprengstoffdelikte registriert worden. Das sind 34 Prozent mehr als 1999. Die sogenannten Propagandadelikte machten 85 Prozent der rechtsextremistisch orientierten Straftaten aus. Die Anzahl rechtsextremistischer Homepages stieg 2000 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent.

4. Die Ost-West-Dimension des Rechtsextremismus

Bei allen Rechtsextremismus-Debatten in Deutschland wird immer wieder auf die Ost-West-Dimension des Problems hingewiesen und die Frage gestellt, inwieweit man von einer Verlagerung des Rechtsextremismus von West- nach Ostdeutschland sprechen kann. Bei einer vergleichenden Betrachtung fällt zunächst auf, dass das rechtsradikale Potenzial in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in den westlichen Bundesländern höher war. Bei den aktuellen Zahlen der rechtsextremen Gewalttaten je 100 000 Einwohner in den deutschen Bundesländern führen die ostdeutschen Länder die Statistik zwar an. Dennoch: Pauschal von einer allgemeinen Verlagerung des Rechtsextremismus von West- nach Ostdeutschland zu sprechen, wäre falsch. Rechtsextremismus muss als gesamtdeutsches und gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet werden, wenn auch bei der Bekämpfung unterschiedliche Konzepte und Vorgehensweisen anzusetzen sind.

Je stärker der Rechtsextremismus auf Aktionen, Parolen und Gewalt hin ausgerichtet ist, desto eher findet man derartige Handlungsformen in den neuen Bundesländern. Ablesbar ist dies am dortigen überdurchschnittlich hohen Anteil von Neonazis und Skinheads sowie an den rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten. Diese Unterschiede sind zwar nicht nur, aber auch durch die Alterszusammensetzung innerhalb der rechtsextremen Szene in Ost und West zu erklären: In den neuen Bundesländern gehören diesem politischen Lager im Durchschnitt eher Angehörige jüngerer Altersgruppen an. Im Westen manifestieren sich die Ausdrucksformen in politischer Agitation und aktiver Propagandapolitik. Diese finden sich bei einer vorwiegend älteren Generation.

Bei den Diskussionen um einen erstarkten Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern muss auch berücksichtigt werden, dass es rechtsextreme und fremdenfeindliche Strömungen bereits zu Zeiten des DDR-Regimes gegeben hat, diese nach Möglichkeit aber geleugnet und vertuscht wurden.

Falsch dagegen sind Behauptungen, dass speziell in Ostdeutschland rechtsextreme Gewalt existiert, weil es dort bereits zu Zeiten des DDR-Regimes ein Defizit an demokratischer Alltagskultur gegeben hat. Gerade weil es in der DDR lange Zeit keine demokratische Foren im öffentlichen Raum geben konnte und durfte, haben sich die Menschen andere Orte gesucht, die ihr Demokratiebewusstsein beförderten und eine kritisch-subversive Kontemplation ermöglichten: der Rückzug in den privat-nachbarschaftlichen Raum zum einen; zum anderen das Abtauchen in spezielle Bereiche der Alltagskultur: die Kirchen stellten nicht erst im Zuge der friedlichen Revolution 1989 Orte kritischer Diskussionen dar; die Literatur und das Theater vermochten oftmals auf spielerisch-versteckte Art und Weise politisch-bildnerisch zu wirken; und schließlich sollte man das heimliche Empfangen des westlichen Fernsehprogramms und seine aufklärerische politische Wirkung nicht unterschätzen.

5. Ursachen und Erklärungsansätze

Die breiten Diskussionen in den neunziger Jahren um Jugend und Rechtsextremismus in Deutschland bewirkten eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema sowohl seitens der Wissenschaft als auch eine stärkere Hinwendung seitens der Pädagogik und der Jugendarbeit. Gefragt bei allen Überlegungen ist eine ursachenbezogene Prävention und Intervention.

Seitens der verschiedenen Fachwissenschaften in Deutschland werden unterschiedliche und sich teilweise widersprechende Deutungsmuster und Entstehungsthesen propagiert. Zum einen lassen sich beispielsweise Zusammenhänge zwischen Desintegration und Arbeitslosigkeit feststellen; zum anderen liegt die Arbeitslosigkeit bei jugendlichen Gewalttätern aber nicht signifikant höher als im Durchschnitt der Bevölkerung.

Die empirische Rechtsextremismusforschung hat eine Reihe von Befunden ermittelt, die als Grundlage für die Entwicklung von Strategien gegen Rechtsextremismus dienen können. Darunter fallen u.a.:

  • Ausgrenzungserfahrungen in Kindheit und Adoleszenz, insbesondere in Familien, Schule und peer group;

  • ein rigider oder konflikthafter Erziehungsstil;

  • eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit;

  • hoher Leistungsdruck bei gleichzeitigen Versagensgefühlen;

  • Konsumorientierungen bei geringen Realisierungschancen.

All diese Faktoren führen erwiesenermaßen nicht automatisch zu rechtsextremen Denk- und Verhaltensweisen; sie begünstigen jedoch deren Entstehung und Verfestigung. Entscheidend in jedem Fall scheint die jeweils biografische Entwicklung im Spannungsfeld Individuum und gesellschaftliches Umfeld sowie peer group zu sein.

Pädagogische Strategien und Gegenmaßnahmen können dabei aber nur Element einer mehrdimensionalen Gesamtstrategie sein, die auf Nachhaltigkeit und Kontinuität setzt. Dazu lässt sich für Deutschland heute kritisch feststellen: Die pädagogische Arbeit unterliegt ähnlich wie die gesamte Rechtsextremismus-Debatte bestimmten Konjunkturen und Modewellen. Wir müssen daher leider von einer Theorie-Praxis-Lücke sprechen: die umfangreichen theoretischen und empirischen Analysen haben also nicht zu der erhofften Konsequenzen in der Prävention und Intervention geführt.

6. Der Staat und die Zivilgesellschaft sind gefordert

Beim Thema Rechtsextremismus berühren wir ein tiefergehendes zivilisatorisches Problem, das sich in vielen internationalen Wirtschaftsnationen zeigt. Auch in Skandinavien, in Frankreich, in Österreich – auch in den USA und andernorts, wo die genannten Faktoren in den gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen spürbar sind, gibt es eine Renaissance rechten, rassistischen, gewalttätigen und antisemitischen Gedankenguts.

Ich konzentriere mich hier auf die Verhältnisse in Deutschland, empfinde den internationalen Aspekt aber doch auch als äußerst wichtig. Denn die Einflüsse einer zunehmenden kulturellen und wirtschaftlichen Globalisierung wirken sich auch auf das Werte- und Einstellungsverhalten einer speziell jüngeren Generation nachhaltig aus.

Vor fast vier Jahrzehnten stimmte Wolf Biermann die Opposition in Ost und West mit dem Slogan "Was verboten ist, das macht uns gerade scharf" auf den zivilen Widerstand ein. Derzeit machen rechtsorientierte Jugendliche, unterstützt von rechtsradikalen Parteien, mit dem Motto ernst. Haben die 60er- und 70er-Jahre unter völlig verschiedenen Vorzeichen in Ost und West die Grundsteine für einen Demokratisierungsprozess gelegt, so steht heute die Widerstandsfähigkeit der Demokratie auf dem Prüfstand.

Die fremdenfeindlichen Übergriffe in den letzten Wochen und Monaten sowie die vorliegenden Erhebungen belegen zwar einen Zuwachs an rechtsextremistischer Kriminalität in Deutschland. Sie sind aber nicht signifikant für eine brüchige Demokratie und den Verlust verfassungsstaatlicher Identität. Im Gegenteil. Nach wie vor findet der Rechtsextremismus in Deutschland - auch im europäischen Vergleich - Zuspruch nur bei einer kleinen Minderheit. Dennoch die Alarmsignale sind nicht zu übersehen und alle Verantwortlichen gefordert, nachhaltig gegenzusteuern - und zwar auf allen Ebenen, in Politik, Justiz, Bildung, Medien und Wirtschaft.

Bei den Möglichkeiten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus fällt immer wieder der Begriff der "wehrhaften Demokratie" in Deutschland. Insbesondere in der aktuellen Diskussion, die im Sommer/Herbst 2000 in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, rückte die Frage nach dem "starken Staat" in den Mittelpunkt der Debatte. Möglichkeiten staatlicher Repressionsmaßnahmen angesichts von politischem Extremismus und Gewalt (wie z.B. ein Parteienverbot, auf das ich im weiteren noch näher eingehen werde) sind zweifellos Bestandteil des Prinzips der wehrhaften Demokratie. Sie sind neben den Grundrechten auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit etc. durch entsprechende Paragrafen des Grundgesetzes legitimiert, um eine ernsthafte Gefährdung eben dieses Prinzips abzuwenden.

Gleichzeitig verstehen wir uns als Teil und als Motor einer modernen, aktiven und demokratischen Zivilgesellschaft. Alle extremistischen Bestrebungen mit dem Ziel, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen, manifestieren gleichzeitig einen Angriff auf die Zivilgesellschaft. Diese ist gefordert, ihre eigenen Kräfte dagegen zu mobilisieren.

Mit der Frage also, wie können Staat und Zivilgesellschaft den Herausforderungen des Rechtsextremismus wirksam entgegenzutreten, kristallisiert sich zwangsläufig das Dilemma einer modernen Demokratie heraus: Handelt der Staat nicht, kann die Gefahr bestehen, dass dem politischen Extremismus das Feld überlassen wird. Schöpft er alle Möglichkeiten der Bekämpfung aus, kann dies in langfristiger Konsequenz die Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie selbst zur Folge haben.

Die Bundesregierung wird - so der Deutsche Bundesminister des Innern, Otto Schily - "die Programme gegen den Rechtsextremismus mit der gebotenen Härte und Entschiedenheit fortsetzen." Dazu gehören der verstärkte Einsatz des Bundesgrenzschutzes, Aussteigerprogramme, die Bekämpfung rechtsextremer Internet-Kriminalität, Opferschutz und das Aktionsprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie".

7. Parteienverbot - der Königsweg zur Eindämmung des Rechtsrextremismus?

Ein weiterer Schritt - so scheint es - soll das Verbot der rechtsextremen Partei, der NPD, sein.

Zweifellos handelt es sich bei der NPD um eine rechte Partei, die in der Bevölkerung geradezu als Synonym für Neofaschismus und rechtsradikale Gewalt gesehen wird. Zwar ist sie – neben den Republikanern (Rep) und der Deutschen Volksunion (DVU) – die kleinste der drei rechtsradikalen Parteien in Deutschland, aber auch die älteste. 1964 als Sammelbecken einer Vielzahl rechter Kleinparteien und Kameradschaftsvereine gegründet, war sie Mitte der sechziger Jahre in sieben Landtagen vertreten und gewann bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1968 knapp zehn Prozent der Stimmen. Mit dem "Aussterben" der Altnazis und den antifaschistischen Kampagnen der studentischen Protestbewegung in den späten sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre verlor die NPD ihren politischen Einfluss nahezu vollständig.

Erst nach der Wiedervereinigung erwachte die NPD erneut zu politischem Leben und baute vorwiegend im Osten starke Ortsgruppen auf, wobei sie gezielt die hohe Arbeitslosigkeit ausnutzte und den sozialen Unmut in rassistische Bahnen leitete. Seit Mitte der neunziger Jahre sammeln sich in ihren Reihen und in ihrem Umfeld rechtsradikale Schläger und Skinheads, die durch äußerste Brutalität gegenüber Ausländern in Erscheinung treten. Es gibt viele Hinweise dafür, dass die NPD als politischer Deckmantel für rechte Gewalttäter fungiert und diese mit Geld und Logistik versorgt.

Das vorliegende Material belegt die eindeutig verfassungsfeindliche Zielsetzung der NPD. Die Verfassungsfeindlichkeit wird deutlich mit der Propagierung eines "völkischen Kollektivismus"; dieser steht dem Primat der individuellen Grundrechte im Grundgesetz diametral entgegen. Die Programmatik und Agitation ist von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geprägt. Damit wird eine Affinität zur Ideologie des Nationalsozialismus deutlich. Die Jugendorganisation der NPD übernimmt – zum Teil sogar wörtlich – die Terminologie des "25-Punkte-Programms" der NSDAP von 1920.

Das Vokabular, das man bei der Skizzierung der ideologischen Ausrichtung dieser Partei verwenden muss, spricht bereits für sich und offenbart die gefährliche Nähe zwischen alter und neuer Rechte. Aber an dieser Stelle möchte ich dem Urteil entgegentreten, das oftmals zu vorschnell gezogen wird: Die aktuelle Rechtsextremismus-Debatte hat nicht unmittelbar etwas mit der Holocaust-Debatte und der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit durch die deutsche Bevölkerung zu tun.

Deutschlands Verhältnis zum Holocaust und zur Erinnerung daran ist ja nicht ein für allemal gegeben, sondern muss, wie jedes Verhältnis zwischen einem Kollektiv und seinen Erinnerungen, ständig neu überdacht und neu verhandelt werden, selbstverständlich ohne dass es aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs in Deutschland verschwindet, dieser findet nur auf unterschiedlichen Ebene statt: Er wird beispielsweise bei den Kontroversen um die Thesen von Norman Finkelstein und Daniel Goldhagen ausgetragen. Die sehr unterschiedlich ausgefallene Rezeption beider Bücher in Deutschland spiegelt in gewisser Art und Weise die ambivalente öffentliche Meinung: Goldhagens These von dem den Deutschen "irgendwie" inhärenten Antisemitismus traf in der Tat eine Aussage über das deutsche Volk, die Deutschen fühlten sich direkt angesprochen, wurden nachdenklich oder wehrten sich heftig; Norman Finkelstein spricht vor allem über die amerikanischen Juden, sie sind sein Angriffsziel, nicht die Deutschen. Dass vor allem die Deutschen die "Financiers" einer vermeintlichen "Holocaust-Industrie" sein würden, ist bei Finkelstein kein vorrangiger Aspekt, ein Aspekt freilich, der in Deutschland die Antisemiten auf den Plan ruft. Dieser Befund hat in der Bundesrepublik Deutschland in den wenigen öffentlichen Diskussionen eine wichtige Rolle gespielt und dürfte ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der veröffentlichten Meinung sein.

Zurück aber zur eigentlichen Fragestellung, die auch die aktuelle Debatte in Deutschland beim Thema Rechtsextremismus beherrscht: Stellt ein NPD-Verbot den Königsweg zur Eindämmung des Rechtsextremismus dar?

Ein Parteienverbot in einer Demokratie hat auch immer einen faden Beigeschmack. Fühlt sich die Demokratie nicht stark genug, ihren Widersachern die Stirn zu bieten? Fehlt es ihr an Selbstbewußtsein? Ist die allgemeine Lage schon so ernst, dass dieses Mittel eingesetzt werden muss oder ist die Forderung, die NPD zu verbieten nicht mehr als eine dramaturgische Spirale im politischen Sommertheater?

Wenn nun heute eine Partei wie die NPD verboten werden soll, darf man sich keiner Illusion hingeben. Anhänger dieser politischen Richtung wird es auch in der Zukunft geben. Und sie werden sich vermutlich in neuen Organisationsformen zusammenfinden. Ein Verbot ist sogar risikovoll. Denn Parteien, die aus der Illegalität agieren, sind der öffentlichen Kontrolle und Gegenwehr in gewisser Weise entzogen.

Auf der anderen Seite löst die Verbotsdiskussion und der öffentliche Druck Verunsicherung in der rechten Szene aus. Das hat immerhin den Effekt, dass die Aktivitäten der NPD und der von ihr beeinflussten rechten Szene in einer vergleichsweise labilen politischen Umbruchsituation beeinträchtigt und zurückgedrängt werden. Kein Mensch weiß jedoch heute, ob der jetzt ausgeübte Druck nicht später mit um so größerer Wucht wieder zurückschlägt.

Natürlich darf die NPD und ihr Umfeld nicht verharmlost werden. Staat und Gesellschaft sind herausgefordert, diesem undemokratischen und verfassungsfeindlichen Gedankengut alle Kraft entgegenzusetzen. Dabei müssen sowohl die repressiven Möglichkeiten von Polizei und Justiz optimal ausgeschöpft werden, als auch vorbeugende Anstrengungen auf breiter Ebene unternommen werden.

Besondere Reserven sehe ich im präventiven Bereich. In den letzten Jahren hat sich der öffentliche Ruf nach mehr Prävention in dem Maße verstärkt, wie durch die öffentliche Hand Mittel in den präventiven Handlungsfeldern gekürzt wurden. Die durchaus vielfältigen Ansätze der Jugend- und Bildungsarbeit dürfen ihren Stellenwert in der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht verlieren. Jugendarbeit und politische Bildungsarbeit müssen ermutigt werden, neue aktions- und handlungsorientierte Wege zu gehen. Und dies muss auch durch eine langfristige finanzielle Planungssicherheit unterstützt werden und nicht immer nur dann, wenn es bereits zu spät ist.

Fazit

Die Verbotsforderung ist nun aber in der Welt. Ich will mich deshalb nicht mehr gegen sie aussprechen. Jetzt Abstand davon zu nehmen, ist nämlich ebenso leichtsinnig, wie es leichtsinnig war, die Forderung überhaupt öffentlich zu erheben. Die rechte Szene würde davon nur um so mehr profitieren und sich bestätigt fühlen.

Die zivilen und demokratischen Potentiale des wiedervereinten Deutschlands sind in ihrem Kern herausgefordert. Wer heute meint, sich flotte Schuldzuweisungen, schnelle Sprüche und eine laxe Grundhaltung noch leisten zu können, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Demokratie ist leider kein Erbgut. Sie muss auch in einem wachen und freiheitlichen Land immer wieder erstritten und erarbeitet werden.

Nach wie vor behält die Feststellung von Alexis de Tocqueville Gültigkeit: "Der Zustand der Demokratie muss dauernd überwacht werden. Er ist weder gut noch böse, sondern ständiger Korrektur bedürftig".

8. Politische Bildung in der Zivilgesellschaft

Sie sind hier in den USA in der Diskussion um Chancen und Grenzen der Zivilgesellschaft viel weiter als wir in Europa. Bei aller Kontroversität, die es ja auch hier um den Zustand des Bildungssystems gibt, kann man aber auch gleichzeitig sehr vielversprechende neue pädagogische Konzepte erkennen. Die Idee, Schüler, Lehrer, Eltern und Organisationen der Gemeinschaft in einer Partnerschaft zusammenzubringen, in der sie gemeinsam Lehrpläne erstellen und Lernerfahrungen sammeln, zielt auf einen fortschrittlichen ganzheitlichen Ansatz. Zivile Erziehung als Mischung aus traditionellen, wissensvermittelnden Lernformen, praxisnahem Unterricht und systematischen Problembearbeitungen schafft eine Beziehung zwischen Klassenzimmer und sozialer Gemeinschaft, die eine zentrale integrierende Wirkung erzielen kann.

Wir führen in Deutschland zurzeit auch eine offene Debatte um die Chancen und Grenzen der Zivilgesellschaft. Bürgerschaftliche Traditionen sind in Deutschland - im Gegensatz zu den USA - vergleichsweise noch unterentwickelt. Solange das System zwischen Wohlfahrt und Wohlstand, also zwischen Staat, Wirtschaft und Familie, gut austariert erschien, war von bürgerschaftlichem Engagamenent nicht oft die Rede. Mit den fundamentalen globalen Veränderungen hat sich dieses Dreiecksverhältnis aufgelöst und einen tiefgreifenden Wandel bewirkt. Die Ökonomie verändert sich durch die partielle Entkopplung von realer Arbeit und Kapital sowie durch die digitalen Techniken substanziell. Die Menschen mit all ihren Fähigkeiten und Kompetenzen sind um ein enormes Maß mobiler geworden, daduch prallen ihre Prägungen oft unvermittelt aufeinander.

Die neuen globalen Netzwerke führen auf der anderen Seite zu einer Rückbesinnung und Wiederbelebung lokaler Zusammenhänge. Vermischt mit den weitreichenden Ängsten und Verunsicherungen werden diese lokalen Zusammenhänge aber auch oft symbolisch überhöht und aufgeladen. Selbstbewusstsein verkürzt sich auf diese Weise zur Selbstbehauptung und in vielen Fällen zur Intoleranz und Gewalt. Extremismus ist kein nationales, deutsches Problem, Formen des Fundamentalismus und Totalitarismus blühen weltweit.

Was aber kennzeichnet die Zivilgesellschaft, welche Kräfte kann sie mobilisieren, um präventiv gegen fremdenfeindliche und antisemitische Gewalt zu wirken? Und welche Position nimmt die politische Bildung dabei ein?

Das Konzept der Zivilgesellschaft sucht nach Wegen einer demokratischen Selbstorganisation der Gesellschaft mit dem Ziel, dass sich möglichst viele Menschen einbringen können mit ihren Fähigkeiten, Interessen und Leidenschaften - und möglichst wenige ausgegrenzt werden.

Staatliche Repression darf in diesem Sinne nur als flankierende Maßnahme betrachtet werden. Sie kann, wie staatliche Maßnahmen schlechthin, demokratische Orientierungs- und Verhaltensmuster nicht selbst erzeugen, sondern diese zentrale Ressource muss aus der liberalen Gesellschaft selbst erwachsen.

9. Aufgaben einer Bundeszentrale für politische Bildung

Aus diesem Grundgedanken läßt sich die Existenz, Notwendigkeit und Zielrichtung politischer Bildung ableiten. Die Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik, wie auch die Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung sind ja historisch eng mit dem Gedanken der Abwehr von politischem Extremismus – insbesondere Rechtsextremismus – durch Befähigung und Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft verknüpft.

Beeinflusst durch das Leitbild der Reeducation, einen dauerhaften politisch-kulturellen Wandel durch die Befähigung der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie als Lebensform zu bewirken, entwickelte sich die politische Bildung der fünfziger Jahre vor dem Hintergrund der unbewältigten Vergangenheit. Der Grundgedanke, eine Wiederholung der Geschichte unmöglich zu machen, die Demokratie zu verbreiten und zu festigen, lag auch dem Entschluss zu Grunde, eine zentrale Institution staatlicher Bildung zu schaffen. Mit der Gründung einer Bundeszentrale für politische Bildung - wie sie bislang in der Welt wohl einmalig ist - sollten staatliche Maßnahmen um das Element eines "vorbeugenden Verfassungsschutzes" ergänzt werden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat der Auseinandersetzung mit dem Extremismus von jeher eine hohe Bedeutung zugemessen. Sie hat dabei, unabhängig von tagesaktuellen Debatten, immer wieder konkrete, solide und hoch qualifizierte Angebote unterbreitet. In der Bundeszentrale hat sich mittlerweile ein Paradigmenwechsel vollzogen: neue mediale Sehwelten erfordern neue Lernmodule und zielgruppenspezifische Formate. Die Bundeszentrale versteht sich dabei als Motor einer engagierten Zivilgesellschaft. Sie sieht sich zum einen als Aktivposten im Geflecht der unzähligen Initiativen, Maßnahmen und Projekte gegen den Rechtsextremismus und wird damit ihren bundespolitischem Auftrag durch Vernetzung, Förderung, Beratung und Unterstützung gerecht. Zum anderen beteiligt sie sich aktiv an dem Förderprogramm der Regierungsinitiative gegen den Rechtsextremismus.

Sie setzt dabei u.a. auf folgende Akzente:

  • Wissen organisieren und neu verteilen: Das breite, fast unüberschaubare Wissen zur politischen Bildung muss strukturiert und systematisiert werden, indem unterschiedliche Formen der Aneignung und der Verbreitung ermöglicht werden. Die neuen Möglichkeiten des Internets sind dabei auf eine benutzerfreundliche Weise zu nutzen.

  • Lokale Netzwerke unterstützen: An die Stelle der Belehrung kann die Befähigung treten, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Aktions- und handlungsorientierte politische Bildung unterstützt demokratische Initiativen, indem sie berät, qualifiziert und Dienstleistungen bereitstellt.

  • Den Sport als Medium entdecken: Dieser Bereich mit seiner breiten Infrastruktur bietet sich an, um dort aktiv politisch-bildnerisch tätig zu werden und sportliche Identifikationsfiguren für eine aufklärerische Bildungsarbeit zu nutzen.

  • Vernetzung mit beruflicher Bildung: Jugendliche bei ihrem Einstieg ins Berufsleben begleiten und ihre Ausbildung mit politischen Inhalten ergänzen, damit kann die politische Bildung in einem entscheidenden Lebensabschnitt zu einem wichtigen Weggefährten werden und Einflüsse der peer group kanalisieren.

  • Mädchen und junge Frauen erreichen: Die rechte Kultur ist eine patriarchalische männliche Jugendkultur. Mädchen und junge Frauen werden vor diesem Hintergrund zu einer wichtigen Zielgruppe. Sie können mit ihrer viel stärkeren Werteorientierung großen Einfluss auf männliche Jugendliche ausüben.

  • Pädagogen professioneller unterstützen: Modulartig aufbereitetes und vor allem fächerübergreifendes pädagogisches Material kann in den häufig auftretenden Überforderungssituationen der Lehrer sowohl Anregungen als auch Entlastungen schaffen.

Aus unserer aktuellen konkreten Arbeit zur Bekämpfung des Rechtsextremismus seien als Beispiele hier genannt:

  • Eine bundesweite Plakataktionen gegen Rechtsradikale und Fremdenfeindlichkeit.

  • Wir gehen mit eigenen Beiträgen in die Kinos und bieten dort ein Forum für Unterhaltung und Diskussion an.

  • Wir unterstützen Initiativen wie "Schule ohne Rassismus". Dieses Großprojekt zielt darauf ab, dass die Schülerinnen und Schüler sich selbst eine auf Toleranz und Demokratie orientierte Schulordnung geben – sie tatsächlich formell beschließen – und jedes Schuljahr erneuern. Und wir wollen uns verstärkt auch den jungen Eltern zuwenden, die in ihrer Erziehung transportieren müssen, dass es für Gewalt und Radikalismus in der Demokratie keinen legitimen Platz gibt.

  • Durchführung eines aktuell im März durchgeführten Kongresses mit mehr als 1 000 Multiplikatoren aus Schule und Erwachsenenbildung zu "Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus in der Gesellschaft". Damit haben wir den Verantwortlichen im Bildungssektor eine nachhaltige Plattform geboten, die den Erfahrungsaustausch und die zukünftige Projektarbeit befördern wird.

  • Wir werden lokale Netzwerke mit mobilen Teams beraten und in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus unterstützen.

  • Wir werden mit eigenen und bisher noch nicht versuchten Projekten der "Jugendgerichtshilfe" unter die Arme greifen, denn es kommt entscheidend darauf an, straffällig gewordene Jugendliche dem Einfluss der Rechtsradikalen zu erziehen.

Der Schwerpunkt aller Maßnahmen – oder das strategische Ziel – wird es sein, die Jugendlichen, die jungen Erwachsenen und die jungen Eltern zu befähigen und zu motivieren, die Auseinandersetzung im Alltag zu führen. Das ist der zutiefst zivilisatorische Ansatz – es ist aber auch der erfolgsversprechendste Weg.

Schlusswort

Lassen Sie mich schließlich auf ein bemerkenswertes Buch, "Access" - Das Verschwinden des Eigentums" von Jeremy Rifkin, verweisen. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass im Sog der Kommerzialisierung ein Verlust der tradierten kulturellen Vielfalt auf dem Spiel steht und dieser verheerende Folgen für die zukünftigen sozialen Beziehungen haben wird.

Er sieht an dieser Stelle ganz klar die Verantwortung der Zivilgesellschaft und mit ihr die Verpflichtung zu einer nachhaltigen politisch-kulturellen Bildung, um "den Schülern den Zugang zu ihrer gemeinsamen Kultur zu öffnen, auf dass sie aktiv an ihr teilnehmen können." Denn so definiert er: "Zivile Erziehung heißt, die Identität der Schüler zu vertiefen, damit sie eine Beziehung zur Kultur entwickeln können. Erziehung sollte soziales Vertrauen und Empathie pflegen und Nähe zu anderen fördern - zu nahen Mitmenschen wie zu Fremden - und den Lernenden die wichtige Rolle bewusst machen, die die Kultur für die Erhaltung des zivilen Lebens spielt."

In der Weltgemeinschaft werden es gerade diese kulturellen Netzwerke sein, die für die Integrität und die Festigung der sozialen Beziehungen von zentraler Bedeutung sein werden und extremistischen Strömungen entgegensteuern können. Kennzeichen einer engagierten Zivilgesellschaft sind Mut sowie die Fähigkeit und die Bereitschaft, Probleme in der Demokratie auch selbst anzugehen und nicht nur darauf zu warten, dass sie vom Staat gelöst werden. Eigenverantwortung, aktive soziale und politische Partizipation, dies werden die zukünftigen Schlüsselqualifikationen und diese der Zivilgesellschaft ans Herz zu legen, sie dafür kompetent zu machen und zu Engagement anzuregen, ist Aufgabe aller Bildungsinitiativen, speziell aber der aktivierenden global denkenden und handelnden politischen Bildung – Empowerment heißt das Konzept, mit dem wir auch im Kampf gegen den Rechtsextremismus erfolgreich sein können.

Fussnoten