(Es gilt das gesprochene Wort)
"I can't get no education...." lautet die Überschrift unserer Diskussion. Das Motto ist - wenn ich es richtig deute - eine Mischung aus "I can't get no satisfaction" – von den Rolling Stones aus dem Jahr 1967 und "We don't need no education" - von Pink Floyd aus "The Wall" von 1979: Aussagen, die nach 22 und 34 Jahren inzwischen älter sind als diejenigen, über die als "Jugend" verhandelt wird.
Dieses Motto ist meines Erachtens aus zwei Gründen nicht besonders glaubwürdig, um die gegenwärtige Situation der Bildung zu beschreiben: Zum einen ist die Abwehr der Zumutung, erzogen zu werden, ein "grundlegendes Element des Erwachsenenwerdens" (Albert Scherr) und damit eine zeitlos durchgehende Haltung der Jugendzeit. Diese Haltung entspricht meines Erachtens mehr der Einstellung von Jugendlichen, als der Wunsch, erzogen zu werden, wie es das eingangs zitierte Motto suggeriert. Diese Haltung scheint übrigens auch die Erinnerung an Pink Floyd lebendig zu halten, wie eine jüngst erschienene CD mit einer Live-Einspielung von "The Wall" in der Ergster Turnhalle durch eine Band der Ökumenischen Jugend Villigst belegt. Zum zweiten: Nie konnte man so viel Bildung kriegen wie heute. Im Gegenteil, der Zwang und die Zumutung lebenslang und lebenslänglich zu lernen, greift um sich.
Ist das Motto allerdings als Frage nach einer "zukunftsfähigen" Bildung und Bildungspolitik gemeint, stimmt es durchaus. Hierzu einige kurze Überlegungen und Thesen:
Eine längst überfällige Frage
Die Frage nach einer "zukunftsfähigen" Bildung und Bildungspolitik ist lange überfällig. Mit zunehmender Globalisierung, mit dem Prozess der europäischen Einigung, mit der Weiterentwicklung und Umstrukturierung der demokratischen, ökonomischen und sozialstaatlichen Grundlagen, mit der sich verändernden ökonomischen und politischen Sicht auf Zukunftsfragen tauchen nicht nur etliche schwerwiegende und ungelöste Probleme im öffentlichen Bewusstsein auf. Es werden auch zentrale Fragen ins Licht gerückt, bei denen es nicht mehr darum geht, Altes zu erhalten, sondern die eine offene Gestaltung der Zukunft fordern.
Nach dem Zukunftspessimismus der 80er Jahre vor dem Hintergrund von Ökokrisen, Problem- und Katastrophenszenarios, dem Einigungstaumel der 90iger, bei dem die deutsch-deutschen Probleme wichtiger waren als alles andere, ist jetzt bei der Frage, wie Zukunft gestaltet werden kann - aktiv und positiv - wieder die Jugend gefragt. Jugendliche, auch Kinder, werden wieder zum Thema Nummer eins derjenigen, die bislang bestimmten, wo es lang geht. Positiv gesehen haben sie endlich eingesehen, dass diejenigen, die es angeht, mitreden sollten. Negativ gesehen belasten sie die nächsten Generationen mit ihrer Hilflosigkeit.
Der Politikverdruss
Und sie wundern sich, dass die Jungen sich dabei nicht an die alten Spielregeln halten. Dass sie die Ideologien und Wertorientierungen der politischen Debatte nicht interessieren. Dass Jugendliche "mit dem Begriff Politik eine Landschaft von Parteien, Gremien und politischen Ritualien verbinden, der sie wenig Vertrauen entgegenbringen" (Arthur Fischer, Mitautor der Shell-Jugendstudie 2000) und dass sie die "ritualisierte Betriebsamkeit von Politikern als wenig relevant und ohne Bezug zum wirklichen Leben" (Fischer) empfinden. Daraus den Schluss zu ziehen, "die Jugend" - die es, wie wir wissen, ohnehin nicht gibt - bräuchte nur wieder die "richtige" Bildung und Erziehung, ist falsch und ohne Perspektive. Eine solche Einstellung verkennt die gesamtgesellschaftlichen Bewegungen, verkennt, dass Jugendliche mit ihren Suchbewegungen, Lebensexperimenten, ihrer Selbstsozialisation und auch ihrer Selbstbildung längst "in der Zukunft angekommen sind", wie die Shell-Studie vermerkt.
Pluralität pur
Der Prozess der Individualisierung der Gesellschaft bedeutet auch die Differenzierung von Wissen und Meinungen, die Erosion von traditionellen Strukturen und Milieus und die Auflösung eines - wie auch immer hergestellten - gesellschaftlichen Konsenses. Wir steuern auf "Pluralität pur" zu. Die drückt sich aber nicht mehr nur in einer Ausdifferenzierung von Lebensentwürfen, in unterschiedlichen Sozialformen oder im Widerstreit von Gruppeninteressen aus. "Pluralität pur" stellt grundsätzlich alles zur Disposition. Werteverfall ist das Stichwort der einen, Liberalisierung oder Deregulierung das der anderen - je nach geistiger Herkunft oder Diskussionszusammenhang.
Davor mag man erschrecken, weil nun - man sieht es an der Debatte um die Gentechnik - Dinge verhandelt werden, die man nicht zur Diskussion stellen möchte. Weil Gewissheiten in Frage gestellt werden, Sachlogik gegen Sachlogik steht, Entscheidungen abverlangt werden. Politiker, Kirchen und auch Pädagogen befürchten ein Befragen ihrer "theoretisch-normativen Grundlagen" (Peter Massing), auf denen sie zu argumentieren und arbeiten gewohnt sind. Seien dies der Rechtsstaat, ethische Grundsätze oder das Ziel einer demokratischen Erziehung.
Nun sind die Zweifel an bisherigen Gewissheiten, die sich mit zunehmender Individualisierung häufen und subjektiv erfahren werden, keineswegs nur subjektiver Art, sondern objektive Probleme, die bisher weitgehend strukturell - durch gesellschaftliche Institutionen wie Parteien, Ehe, Generationenvertrag zum Beispiel - geregelt waren. Sie mögen als Probleme der persönlichen Lebensentscheidung, der einzelnen Wissenschaft oder der je aktuellen Bildungspolitik erscheinen. In Wahrheit sind sie aber Ausdruck der Notwendigkeit, neue Formen der Entscheidungsfindung und Problemlösung zu finden, die jenseits traditioneller institutioneller Vorentscheidungen liegen.
Diese Erkenntnis setzt sich durch. Ich bleibe bei der Gentechnik. Als vor drei Jahren in der Bundeszentrale für politische Bildung der Plan diskutiert wurde, ein Buch zur Gentechnik aus dem Blickwinkel politischer Bildung zu machen, musste noch darum gestritten werden, ob dieses Thema überhaupt in unsere Zuständigkeit fällt. Zu Unrecht, wie man längst weiss. (Übrigens: Das Buch wurde von der BpB herausgegeben.) Denn in der aktuellen Gentechnik-Debatte wird deutlich, dass es sich dabei keineswegs um einen nur wissenschaftlichen Streit handelt. Auch nicht nur um die Frage der Reichweite von gesetzlichen Regelungen oder der gesellschaftlichen Grundordnung, sondern dass damit direkt Fragen des Zusammenspiels von persönlicher Freiheit und Lebensplanung mit gesellschaftlichen Entscheidungen berührt sind. Die Debatte zeigt, dass viele Menschen unmittelbar betroffen sind und dass sie ebenso als Experten in dieser Debatte gelten müssen wie Wissenschaftler und Politiker.
Schwierig wird die gesellschaftliche und politische Situation meines Erachtens erst dadurch, dass sich die mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung zu behandelnden Zukunftsfragen mehren, zugleich aber etablierte Einrichtungen und Verfahren der demokratischen Ordnung nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern auch an Wirksamkeit verlieren. Zu sehen ist das auch an der Einrichtung des Ethikrats. Die Einrichtung des Ethikrates ist bereits ein Reflex auf das erkannte Unvermögen, solche Entscheidungen allein an parlamentarische Verfahren zu binden.
Neue Anforderungen
Alles dies ist keine neue Erkenntnis. Wo Gewissheiten, Autoritäten und Instanzen an Deutungsmacht und Akzeptanz verlieren, wird auf lange Sicht auch Entscheidungsmacht substantiell unterhöhlt. Sie ist nur begrenzt durch Formen und Symbole aufrecht zu erhalten. Ins Praktische übersetzt heißt das: Mag die Politik ruhig Entscheidungen treffen - wo sie dies ohne Akzeptanz der Wählerinnen und Wähler tut, verweigern die irgendwann ihre Zustimmung. Und da alle Teil des Systems sind, Regierung wie Opposition, wird dann gar nicht mehr gewählt. Diese "hochpolitische Politikverweigerung" (Ulrich Beck) betrifft ja schon lange nicht mehr nur die Jugend. Angesichts der dramatisch geringen Wahlbeteiligung dürfte sich Tony Blair als kluger und vorausschauender Politiker über seinen Wahlsieg nur bedingt gefreut haben.
Damit ist eine große demokratische Aufgabe umrissen: Die Erkenntnis muss Platz greifen, dass grundlegende strukturelle Veränderungen notwendig sind, um neue Entscheidungs- und Partizipationsformen zu ermöglichen. Statt über das mangelnde Engagement von Bürgerinnen und Bürger zu klagen, sollte deutlich werden, dass Engagement- und Partizipationsmöglichkeiten zunächst neu geschaffen werden müssen. Und zwar auf allen Ebenen, ob in Parteien, Vereinen, im Stadtteil, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Solche Möglichkeiten gibt es noch nicht in ausreichender Weise. Sie müssen erst noch "von unten" erstritten werden. Für die Bundeszentrale für politische Bildung ist dies jedenfalls ein kardinaler Ansatzpunkt.
Herausforderungen
Das alles hätte man schon früher wissen können. Die UNESCO wusste es spätestens 1992 mit der Rio-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung. Im dort verabschiedeten Schlussdokument ging es nur indirekt um Klimaprobleme oder Müll. Die "Agenda 21" und das darin postulierte Prinzip der Nachhaltigkeit von Zukunftsentscheidungen ist vielmehr ein Forderungskatalog an die Zivilgesellschaft:
1) Zukunftsgerechte Lösungen gibt es nicht "von oben". Auch wenn man sich innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin, eines politischen Lagers, zwischen den Generationen darum streitet: Recht zu haben hat niemand gepachtet. Nach diesem Modell hat eine Sache mindestens drei Seiten: eine ökonomische, eine ökologische und eine sozial-kulturelle. Und nur wenn die in Einklang zu bringen sind, kann von einer "nachhaltigen Entwicklung" gesprochen werden - schwere Zeiten für Missionare, Experten und Blockdenker. Demokratie ist eben in diesem Sinne eine diskursive, eine partnerschaftliche Angelegenheit.
2) Nachhaltige Entwicklung ist nicht von oben zu verordnen. Sollen Entscheidungen tragfähig sein, sollen sie praktisch umgesetzt werden, müssen sie breite Akzeptanz finden, von möglichst vielen getragen werden. Das werden sie nur, wenn möglichst viele daran mitgewirkt haben. Sowohl aus dem Blickwinkel eines steigenden Individualismus als auch aus dem einer erstarkenden Zivilgesellschaft ist jede und jeder dort gefragt, wo es um die eigenen Lebensbedingungen geht. Für sein Leben und seine Bedürfnisse ist jeder Experte.
Das aber, so heißt es auch in der Agenda 21 klar und deutlich, ist nicht einfach zu haben. Das verlangt von jeder Gruppe, jedem Individuum ein hohes Maß an Kompetenzen, um "mitreden" zu können:
Man braucht ein Problembewusstsein, muss Informationen einholen, Wissen organisieren, Komplexität reduzieren, vorausschauend denken, verschiedene Möglichkeiten einbeziehen, sich eine Meinung bilden - über ein Problem reflektieren können. Man muss interdisziplinär arbeiten können, Entscheidungs-Dilemmata aushalten können, Kompromisse ertragen, sich verständigen und einigen können. Man muss Bezüge herstellen können, über den Tellerrand gucken, kooperieren, vernetzen, planen können. Man muss abstrahieren können von eigenen Bedürfnissen, die Wirkung auf andere erkennen und - solidarisch sein können. Man muss sich und andere immer wieder motivieren können, auch wenn es schwierig ist und wird. Man muss Ideen haben können, spinnen, kreativ und mutig sein, entscheidungsfreudig, und fehlerfreundlich. Man muss gestalten können.
Kurz: Man benötigt "Gestaltungskompetenz" (Gerd de Haan).
Wissensgesellschaft
Diese Reihe von Anforderungen - die sicher nicht vollständig ist - entspricht im Übrigen in den Grundzügen dem, was Bildungsexperten als adäquate Ausstattung für die sogenannte Wissensgesellschaft ansehen.
Es wird nicht darum gehen, so prognostizieren sie, Wissen anzuhäufen, sich darüber zu streiten, welches Wissen das richtige und welches das falsche ist, nicht darum, unentwegt zu lernen und zu verlernen. Es geht darum, langfristiges Wissen von flüchtigem, nützliches von unnötigem, gesichertes von spekulativem, interessegeleitetes von polyperspektivischem, disziplinäres von interdisziplinärem, Expertenwissen von allgemein zugänglichem, veraltetes von neuwertigem, handlungsleitendes von theoretisch-modellhaftem zu unterscheiden. Es wird darauf ankommen, zu strukturieren, auszuwählen, zu verbinden, zu vergleichen, in Relation zu setzen. Um ein ganz altes, vergessenes Wort der emanzipatorischen Erziehungswissenschaft zu verwenden: Es gilt, Kritikfähigkeit zu schulen, bedeutetet doch Kritik = Krinein (griech.) "unterscheiden".
Kerncurriculum
Stichwort Kerncurriculum - ist das eine Vision? Oder gar eine Utopie? Gestaltungskompetenz hat man nicht einfach so. Man muss sie erlangen, einüben, braucht dafür Voraussetzungen und Bedingungen. Und darum bezeichnet die Agenda 21 Bildung als Schlüssel für die gemeinsame Lösung der Zukunftsprobleme. Bildung, nicht Information, auch nicht Wissen, auch nicht Bewusstsein oder guten Willen - Bildung als Oberbegriff, der verschiedene Qualitäten und Kompetenzen erfasst. Diese Kompetenzen sind ganz unterschiedlich zu erlangen, in verschiedenen Bildungszusammenhängen, mit verschiedenen Zugängen, Inhalten und Methoden. Das ist eine Art Kerncurriculum. Dieses ist nicht einseitig ökonomisch, politisch oder sozial bestimmt. Es kennzeichnet das "Handwerkszeug", das Erwachsene wie nachkommende Generationen benötigen, um selbst zu bestimmen, wo es lang gehen soll. Es ist nicht normativ außer darin, dass Entscheidungen abgewogen sein müssen und nicht einseitig die eine Generation über die nächste, die Verwaltung über die Bürger, die Wissenschaft über die Politik, die Politik über den Umweltschutz oder die westlichen Industrieländer über die sog. "Dritte Welt" bestimmen. Um es mit einem neudeutschen Wort zu belegen: "Cross-Over" ist angesagt.
Die Jugend ist schon angekommen
So oder so ist die Jugend schon angekommen - irgendwie. Ob in der Verweigerung etablierter Bildungsinstitutionen, in der Verballhornung traditioneller Symbole, in der Enthaltsamkeit bei Vereinen und Wahlen oder in der Euphorie über digitale Welten - die Suchbewegungen und Lebensexperimente der jungen Menschen sprechen Bände über mögliche Alternativen. Problemlos ist offensichtlich das "Cross-Over" von Lebenswelten, Einstellungen und Interessen: Pfadfinderinnen, die HipHop Fans sind, Computerfreaks, die helfen, den Schulgarten anzulegen oder die Jugendliche inländisch-ausländischer Herkunft, die Polizist werden wollen.
Herausforderungen ermöglichen
Jugendliche lieben Herausforderungen. Noch mehr lieben sie es, sie "gewinnbringend" zu meistern. Dabei passt es derzeit ins System, wenn sie dies tatsächlich ökonomisch "umsetzen". Der Begriff des "Unternehmergeistes" hat auch in die bildungspolitische Debatte Einkehr gehalten. Die Akteure der "New Economy" gerieren sich wie Gründerpioniere des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Geschichten von 19-jährigen Schülern, die nebenher eine Softwarefirma mit Angestelltenzahlen in zweistelliger Höhe und Millionenumsätzen betreiben, geistern durch die Medien und begeistern diejenigen, die diese Kids als Beispiel einer Elite und als Vorbilder sehen. Ich behaupte dagegen: Ob jemand mit 17 eine Softwarefirma gründet oder einer Jugendmesse vom Bungeeturm springt, signalisiert strukturell das Selbe: Herausforderung, eigenes Erleben, Risiko.
Kriegt man das im Netz?
"Jedem Einzelnen wird in Zukunft abverlangt, in unternehmerischer Freiheit und Verantwortung zu entscheiden, ob er Altes aufgibt und Neues aufnimmt. Dieser neue Typus von Lebens- und Wissensunternehmern investiert nicht nur neue Kenntnisse und Kompetenzen, sondern auch und vor allem in sich selbst. Kapitalisierung seiner Arbeitskraft, seines Wissens und Vermögens," schrieb Daniel Dettling - noch keine 30 - im Tagesspiegel vom 6.Juni. Und pries den scheinbar mühelosen Erwerb von Informationen, Wissen und Zugangschancen durch das Internet: "Im Gegensatz zum Frontalunterricht bietet das Internet eine individualisierbare Lernarbeit. Jeder lernt, so schnell er kann. Digitale Medien ermöglichen es jedem, seinen eigenen Weg zum Lernen zu finden."
Ist das wirklich so? Wir müssen aufpassen, dass das, was wirtschaftlich erwünscht ist, nicht zur Maßgabe jugendlicher Lebensgestaltung gemacht wird, indem es die berechtigten Bedürfnisse und Potentiale Jugendlicher aufnimmt und durch Medien und Jugendkultur zur Norm erhebt. Die Vorstellung, man könne allein, aber kreativ und selbstbewusst vor der Kiste sitzen und "nur das lernen, was interessiert und etwas bringt" suggeriert, dass diese Lernkultur voraussetzungslos zu haben sei und stellt schnell all diejenigen ins Abseits, die das nicht schaffen.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen - ich halte den Zugang zu den digitalen Technologien für eine wesentliche Voraussetzung, gleiche Bildungschancen für möglichst viele zu schaffen. Aber so, wie die Bibliothek allein noch keinen klug und der Fernseher niemanden dumm macht, werden Computer und Internet so nützlich und schädlich sein, wie man damit umgeht. Das aber will gelernt sein. Durch die flächendeckende Ausstattung mit PCs in Bildungseinrichtungen und Schulen wird das Problem nicht gelöst. Die wichtigen Investitionen kommen erst danach. Damit sind nicht die Investitionen in die technische Fortbildung des Lehrpersonals gemeint, die sicherlich auch erheblich sein müssen. Was wir brauchen, ist mehr Wissen über die persönlichen Voraussetzungen für ein Lernen mit Neuen Medien. Wir brauchen mehr Wissen über die Lernerfolge und über notwendige pädagogische Unterstützung. Die Vorstellung, mit dem technischen Zugang könne man nun jedem Einzelnen die Verantwortung für seine Bildung auflasten - möglichst lebenslang -, individualisiert und privatisiert soziale und wirtschaftliche Probleme und entlastet nur scheinbar Politik und Gesellschaft von ihrer Verpflichtung zur Steuerung und Problembewältigung. Auch hier kommt es wieder auf Partnerschaften an oder auf Interaktion, um in der Sprache der Neuen Medien zu bleiben. Der Empfänger der Wissensangebote muss eben auch selber als Sender ins Spiel kommen. Eine Vision, die Berthold Brecht schon in den 30er Jahren entwickelte.
Bildungsaufgabe
Gegen ein "Curriculum des Ertragenlernens" (Bernhard Koring) setze ich ein Curriculum der Gestaltungskompetenzen. Und dafür liegt der tatsächliche Lernbedarf noch vor uns allen. Vor allem auch vor den Pädagogen und vor den politischen Bildnern. Diese müssen nun nicht mehr die Jugendlichen "da abholen, wo sie stehen" - wie ein altes Sozialpädagogenwort meint- , um sie dann "dorthin zu bringen, wo sie nicht sein wollen" - wie die sarkastische Fortsetzung lautet -, sondern sie müssen, um im Bild zu bleiben, gemeinsam gehen.
Politische Jugendbildung
Politische Bildung hat das inzwischen in weiten Teilen begriffen - notgedrungen. Denn in der außerschulischen Bildung wird mit den Füßen abgestimmt. Sind die Angebote nicht attraktiv, kommt keiner. Will man, dass jemand kommt, muss man wissen, was interessiert. So einfach ist das. Dabei ist der Trend eindeutig: Weg von dauerhaften Bindungen in Organisationen und Parteien, weg von langfristigen Grundsatzdiskussionen, hin zu punktuellen Aktivitäten und Aktionen und lebensweltlichen, akuten Anliegen. Bildungseinrichtungen machen sich zu Anlaufstätten, die man nutzen kann für eigene Interessen und Aktivitäten, je nachdem, wie man es gerade braucht. Konkret, lebensweltorientiert und kleinschrittig, ambulant, temporär, abnehmerorientiert, gemeinwesenbezogen und in hohem Maß von der Selbsttätigkeit der Beteiligten abhängig sind die Angebote. Rein kognitive und rein erfahrungsorientierte Ansätze verfehlen die Komplexität. Geboten ist eine Kombination aus Wissen, Erfahrung und persönlicher Begegnung.
Politische Bildner haben auch verstanden, dass Entgrenzung angesagt ist. Löste bisher mal das Primat der Praxis das Primat der Experten ab, gelten jetzt Verschränkung, Austausch und Verständigung als Meilensteine. Dazu gehört auch eine Entgrenzung der Disziplin. Politische Bildung ist auch soziale, berufliche, kulturelle oder ökologische Bildung. Dabei ist eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu entdecken: Bildungsstätten werden Koordinierungsorte für kommunale Agendaprozesse, Schulen zur Beratungsinstanz eines Stadtteils, Jugendtreffs zu Schmieden jugendlicher Unternehmen.
Visionen
Die konkreten Visionen sollten diejenigen haben, die sie noch leben können und müssen. Das beste, was wir tun können, ist, ihnen zu helfen, Visionen entwickeln zu können, und dieses fair, solidarisch und friedlich zu tun. "Teachers - leave us kids alone" - so geht der Song von Pink Floyd weiter. Bloß nicht! möchte man heute einwerfen. Unterstützen, ermöglichen, zeigen, sich reiben - aber dann allein lassen. Im besten pädagogischen Sinne sich überflüssig machen und als gleichberechtigte Partner neu begegnen. Das ist übrigens auch heute noch viel schwieriger, als zu sagen, wo es lang gehen soll. Und das ist keine Spezialaufgabe von und für Pädagogen. Das ist ein Gesellschaftsprojekt. Aber keines, vor dem man kapitulieren und in alte Muster zurückfallen sollte. Es gibt noch genug zu tun, bevor man sagen könnte, man sei mit einem solchen Projekt gescheitert.