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Politische Bildung für Deutschland und Europa | Presse | bpb.de

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Politische Bildung für Deutschland und Europa Herausforderung und Aufgabe

/ 12 Minuten zu lesen

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Europa-Hauses Marienberg sprach Thomas Krüger über die Folgen des Terroranschlags vom 11. September 2001 auf Deutschland und Europa. In welchem ethischen, kulturellen und politischen Zusammenhang das Attentat mit seinen Folgen zu behandeln ist, stellt zentrale Herausforderungen und Aufgaben an die poltische Bildung.

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Europa-Hauses Marienberg

(Es gilt das gesprochene Wort)

Meine Damen und Herren,

über mein Thema heute abend "Politische Bildung für Deutschland und Europa – Herausforderung und Aufgabe" lässt sich nach dem 11. September nicht mehr losgelöst von der weltpolitischen Lage reflektieren. Slavoj Zizek hat vor einigen Wochen in der "Zeit" den "Einbruch des Realen" in die Scheinwelten beschrieben und von der "Wucht der Wirklichkeit" gesprochen. Die Katastrophenszenarios waren zwar alle schon in den Bilderwelten Hollywoods inszeniert worden, aber das wahr würde, was als fiction mehr oder weniger gute Unterhaltung bot, konnte sich niemand realiter ausmalen.

Völlig unvorhergesehen werden nun alle unsere liebgewonnenen, geleugneten oder abgelegten Ideologien ausgeleuchtet und im Licht einer weltweit transportierten Tragödie in die Einzelteile zerlegt. Wir werden lernen, diese Einzelteile wieder zusammenzusetzen. Wir werden lernen, mit neuen Verhältnisse zu leben, die ein für uns noch nicht fassbares Unsicherheitspotential in sich bergen.

Und schließlich - bezogen auf die politische Bildung - in den nächsten Wochen und Monaten wird die Öffentlichkeit eine breit angelegte internationale Debatte darüber führen müssen, in welchem ethischen und kulturellen und politischen, also letztendlich geistesgeschichtlichen Zusammenhang das Attentat mit all seinen Folgen zu stellen und behandeln ist. In diesem Kontext werden auf die politische Bildung ganz zentrale Herausforderungen und Aufgaben zukommen, um diesen Diskurs mitzubestimmen und zu begleiten – national, europaweit und global. Dabei werden Grenzziehungen immer kleiner, Trennlinien verlieren sich – politische Bildung für Deutschland ist gleichzeitig auch politische Bildung für Europa und umgekehrt.

Die politische Bildung stand immer im Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen.

Sicher, auch ohne die Terroranschläge vom 11. September waren die sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Umbrüche der jüngsten Zeit zahlreich und vergleichsweise tiefgreifend. Neue Konzepte und Strategien der politischen Bildungsarbeit waren schon lange gefordert angesichts gravierender Veränderungen im Rezeptions- und Perzeptionsvermögens der vor allem jugendlichen Zielgruppen. Die sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Einflüsse der Globalisierung, u.a. auf das Partizipationsverhalten in traditionellen lokalen Milieus, haben einen veränderten Zuschnitt und neue Methoden politischer Bildung notwendig gemacht.

Entscheidend ist, dass die geforderten Neuansätze von einer veränderten Wirklichkeit und einem erweiterten Politikbegriff ausgehen. Die Konzentration auf den politischen Prozess im engeren Sinne, auf den Staat, die Institutionen und Akteure des politischen Systems muss dahingehend erweitert werden, dass das Politische in der sozialen und kulturellen Alttagswelt, in der Arbeit, Freizeit und im "banalen" Alltag sichtbar gemacht wird. Die Erkennbarkeit dieser Alltagswelt des Politischen ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen überhaupt Interesse an politischen Fragestellungen entwickeln.

Von welchen Szenarien, welchen Realitäten müssen wir bei einer Aufgabenskizzierung der politischen Bildung ausgehen?

Pluralisierung der Lebensstile

"Anything goes" – alles ist möglich, es gibt keine Tabus mehr – damit lässt sich umschreiben, was die einen als Liberalisierung oder Deregulierung glorifizieren, was die anderen mit Werteverfall und der Erosion von traditionellen Strukturen und Milieus gleichsetzen. Der Prozess der Individualisierung der Gesellschaft hat zu einer Pluralisierung und Segmentierung von Lebensstilen geführt, gleichzeitig auch zur Aufkündigung eines wie auch immer hergestellten gesellschaftlichen (Nachkriegs-)Konsenses – diese "Pluralität pur" stellt grundsätzlich alles in Frage und fordert eine Differenzierung von Wissen und Meinungen ein. Sie ist allgegenwärtig erfahrbar, wirkt lebendig und leidenschaftlich auf den öffentlichen Diskurs und erhöht gleichzeitig die Anforderungen an die individuellen Lernprozesse.

Die Enttabuisierung und Partikularisierung weiter Lebensbereiche geht einher mit der Ausprägung der

Medien- und Eventgesellschaft.

Tatsächlich werden inzwischen alle Bereiche der Erfahrung von medialer Kommunikation und den ihr jeweils spezifischen Mustern der Selektion und der Inszenierung durchdrungen. Die modernen Kommunikationsmittel konkurrieren dabei mit den Maßnahmen der politischen Bildung: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien", so Niklas Luhmann.

Politik wird von den meisten Menschen nur noch über die Massenmedien erfahren. Sie werden zum Ort politischer Sozialisation und Identitätsbildung. Gleichzeitig ist die gegenwärtige Medienkultur immer stärker zu einer Entertainment-Kultur geworden. Pop- und Jugendkultur spielen hier eine wichtige Rolle. In der Popkultur spiegeln sich soziale Trends, Bruchlinien, Konflikte wider und werden zu kollektiven Erlebnissen verarbeitet. Insbesondere die politische Sozialisation Jugendlicher wird vermutlich mehr durch Pop- und Jugendkultur beeinflusst als durch die Angebote des politischen Systems.

Mit dem Internet hat sich zudem eine neuartige Form des Informationszugangs und Informationsvermittlung besonders bei Jugendlichen durchgesetzt. Es gehört mittlerweile zu einem Kernelement der Alltagserfahrung und Alltagsästhetik, e-mails und Internet haben neue Partizipationsmechanismen begründet und die sozialen und kulturellen Bindungen neu definiert. Globalisierung

"Was aber geschieht mit dem Gefühl der Empathie, wenn immer mehr gelebte Erfahrung in die simulierten Welten des Cyberspace wandern, wo sie zunehmend als Kulturwaren gehandelt werden? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Mitglieder einer Generation, die vor dem Bildschirm oder in virtuellen Welten aufwächst, sich ausreichend in andere Geschöpfe oder Menschen hineinversetzen können? Kann es in simulierten Welten überhaupt Empathie geben?" (Rifkin)

Die Beantwortung dieser Fragestellungen ist eng mit der Frage nach der Zukunft der Globalisierung verbunden. Die schier grenzenlosen Chancen einer vernetzten deregulierten Wirtschaft, die neuen mobilen Möglichkeiten und schnellen Formen der Kommunikation haben zu grundlegend veränderten Machtverhältnissen geführt. Der Weltmarkt führt aber nicht von selbst zu einer Weltgemeinschaft. Die Globalisierung hat eine zunehmende Aufsplitterung in immer begrenztere Gemeinschaften bewirkt. Die nationalen Gemeinschaften bilden nicht länger den natürlichen Horizont unseres Lebens: Deshalb werden sie nach und nach durch andere Bindungen ersetzt: religiöse Zugehörigkeiten, Sekten, Nicht-Regierungsorganisationen, aber auch Unternehmensidentitäten sind neue, nützliche, oftmals aber auch gefährliche Antworten auf das von den traditionellen Strukturen immer weniger befriedigte Bedürfnis, zu wissen, wohin man gehört.

Seattle und Genua haben radikal vor Augen geführt, dass neben der New Economy-Euphorie und dem vermeintlich zivilisiertem Weltbürgertum eine neue stark politisierte Bewegung entstanden ist, die sehr weit gefächert ist, die keine zugrunde liegende gemeinsame Theorie und Zielsetzung, keine Manifest und keine Identifikationsfigur hat. Wir haben die Ausmaße dieser Bewegung bislang unterschätzt.

Extremismus

Sie artikuliert nachdrücklich die Machtlosigkeit und die Unterlegenheit vieler Menschen und Länder in der Globalisierung. Denn ihre wirtschaftlichen Seiten haben auch zu einem sozialen Gefälle geführt, haben die Arbeitsbeziehungen verändert und neue Randgruppen entstehen lassen. Global verzweigte Netzwerke führen kulturell zu einer Rückbesinnung und Wiederbelebung lokaler Zusammenhänge. Vermischt mit den weit reichenden Ängsten und Verunsicherungen werden diese lokalen Zusammenhänge aber auch oft symbolisch überhöht und aufgeladen. Selbstbewusstsein verkürzt sich auf diese Weise zur Selbstbehauptung und in vielen Fällen zur Intoleranz, Radikalität und Gewalt.

Extremismus ist kein nationales, deutsches Problem, auch wenn wir - angesichts steigender Zahlen fremdenfeindlicher Übergriffe - im letzten Jahr erneut eine große öffentliche Debatte um die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland führen mussten. Formen religiöser Militanz, des Fundamentalismus und Totalitarismus blühen und eruptieren weltweit. Die Qualität des Terrors hat mit dem Anschlag auf das World Trade Center aber eine neue Furcht erregende Dimension angenommen, wieder Kriegs- und Zukunftsangst entstehen lassen, und es ist nicht absehbar, wie sich die militärische, aber auch kulturelle und politische Auseinandersetzung weiter entwickeln wird. Für das zukünftige lebenswerte Miteinander der Gesellschaften, Kulturen und Religionen aber wird es von existenzieller Bedeutung sein, einen Diskurs über die Hintergründe und Zusammenhänge, die dazu mit beigetragen haben, zu beginnen – politische Bildung sollte diesen mit ihren methodischen und inhaltlichen Kompetenzen aktiv mitgestalten.

Politische Bildung vor neuen Aufgaben

Die von mir skizzierten Kontexte wirken nicht isoliert nur aus sich heraus. Sie stehen zueinander in Abhängigkeit, sie sind aber auch gleichzeitig wirkenden, dabei offene, vielschichtige gesellschaftspolitische Entwicklungsprozesse. Politische Bildung heute ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung und Formulierung nachhaltiger Antworten und Wertvorstellungen, die gegen die Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt bestehen können.

Neue ganzheitliche Bildungskonzepte und Maßnahmen zielen darauf ab, Kreativität und Visionen freizusetzen sowie persönliche Fähigkeiten schulen. Denn diese Ansätze verlangen von jeder Gruppe, jedem Individuum ein hohes Maß an Kompetenzen, um bei den unterschiedlichsten Problemstellungen "mitreden" zu können:

  • Man braucht ein Problembewusstsein, muss Informationen einholen, Wissen organisieren, Komplexität reduzieren, vorausschauend denken, verschiedene Möglichkeiten einbeziehen, sich eine Meinung bilden - über ein Problem reflektieren können.

  • Man muss interdisziplinär arbeiten können, Entscheidungs-Dilemmata aushalten können, Kompromisse ertragen, sich verständigen und einigen können.

  • Man muss Bezüge herstellen können, über den Tellerrand gucken, kooperieren, vernetzen, planen können.

  • Man muss abstrahieren können von eigenen Bedürfnissen, die Wirkung auf andere erkennen und - solidarisch sein können.

  • Man muss sich und andere immer wieder motivieren können, auch wenn es schwierig wird.

  • Man muss Ideen haben können, spinnen, kreativ sein, mutig sein, entscheidungsfreudig, und fehlerfreundlich - man muss gestalten können.

Kurz: Man benötigt "Gestaltungskompetenz" (Gerd de Haan) und Differenzierungsvermögen. Beides zusammengenommen befähigt dazu, langfristiges Wissen von flüchtigem, nützliches von unnötigem, gesichertes von spekulativem, Interesse geleitetes von polyperspektivischem, disziplinäres von interdisziplinärem, Expertenwissen von allgemein zugänglichem, veraltetes von neuwertigem, handlungsleitendes von theoretisch-modellhaftem zu unterscheiden. Es wird darauf ankommen, zu strukturieren, auszuwählen, zu verbinden, zu vergleichen, in Relation zu setzen, um schließlich Lösungen zu formulieren, Ängsten und Vorurteilen entgegenzuwirken, zu partizipieren und zu entscheiden.

Ist das eine Vision? Oder gar eine Utopie? Gestaltungskompetenz hat man nicht einfach so, Differenzierungsvermögen ist auch nicht angeboren. Man muss sie erlangen, einüben und schulen, braucht dafür Voraussetzungen und Bedingungen. Und darum bezeichnet die Agenda 21 Bildung als Schlüssel für die gemeinsame Lösung der Zukunftsprobleme. Bildung, nicht Information, auch nicht Wissen, auch nicht Bewusstsein oder guten Willen - Bildung als Oberbegriff, der verschiedene Qualitäten und Kompetenzen erfasst. Diese Kompetenzen sind ganz unterschiedlich zu erlangen, in verschiedenen Bildungszusammenhängen, mit verschiedenen Zugängen, Inhalten und Methoden. Und die politische Bildung nimmt dabei ein ganz entscheidende Rolle ein, denn sie setzt – frühzeitig - mit der Sozialisation des Einzelnen ein und bildet die Schnittmenge zwischen beruflicher, kultureller und allgemeiner Bildung.

Wenn Sie so wollen, haben wir damit eine Art Kerncurriculum. Dieses ist nicht einseitig ökonomisch, politisch oder sozial bestimmt. Es kennzeichnet das "Handwerkszeug", das Erwachsene wie nachkommende Generationen benötigen, um selbst zu bestimmen, wo es lang gehen soll. Es ist nicht normativ außer darin, dass Entscheidungen abgewogen sein müssen und nicht einseitig die eine Generation über die nächste, die Verwaltung über die Bürger, die Wissenschaft über die Politik, die Politik über den Umweltschutz oder die westlichen Industrieländer über die sog. "Dritte Welt" bestimmen. Um es mit einem neudeutschen Wort zu belegen: in der politischen Bildung ist "Cross-Over" angesagt.

Lust auf eine positive Zukunft wecken

Es sind nicht viele Menschen, für die politische Bildung Urteilsfähigkeit, politische Handlungskompetenz oder die Stabilität der Demokratie schon als solche das zureichende Motiv für die Teilnahme an Veranstaltungen der politischen Bildung darstellen. Für die allermeisten muss ein persönlicher benefit dabei herauskommen – eine Gewinn bringende Kombination aus Spaßfaktor und beruflichem Kompetenzgewinn.

Politische Bildung hat das inzwischen in weiten Teilen begriffen. Not gedrungen. Denn in der außerschulischen Bildung wird mit den Füßen abgestimmt. Sind die Angebote nicht attraktiv, kommt keiner. Will man, dass jemand kommt, muss man wissen, was interessiert. So einfach ist das. Dabei ist der Trend eindeutig: Weg von dauerhaften Bindungen in Organisationen und Parteien, weg von langfristigen Grundsatzdiskussionen, hin zu punktuellen Aktivitäten und Aktionen und lebensweltlichen, akuten Anliegen. Bildungseinrichtungen machen sich zu Anlaufstätten, die man nutzen kann für eigene Interessen und Aktivitäten, je nachdem, wie man es gerade braucht. Konkret, lebensweltorientiert und kleinschrittig, ambulant, temporär, abnehmerorientiert, gemeinwesenbezogen und in hohem Maß von der Selbsttätigkeit der Beteiligten abhängig sind die Angebote. Rein kognitive und rein erfahrungsorientierte Ansätze verfehlen die Komplexität. Geboten ist eine Kombination aus Wissen, Erfahrung und persönlicher Begegnung.

Politische Bildner haben auch begriffen, dass Entgrenzung angesagt ist. Löste bisher mal das Primat der Praxis das Primat der Experten ab, gelten jetzt Verschränkung, Austausch und Verständigung als Meilensteine. Dazu gehört auch eine Entgrenzung der Disziplin. Politische Bildung ist auch soziale, berufliche, kulturelle oder ökologische Bildung. Dabei ist eine neue Kultur der Vernetzung und der Zusammenarbeit zu entdecken: Bildungsstätten werden Koordinierungsorte für kommunale Agendaprozesse, Schulen zur Beratungsinstanz eines Stadtteils, Jugendtreffs zu Schmieden jugendlicher Unternehmen.

Meine Damen und Herren,

Sie haben mich als Repräsentanten einer Institution der staatlich organisierten politischen Bildung eingeladen. Ich möchte daher auch noch kurz auf unsere neuen Wege in der politischen Bildungsarbeit eingehen. Denn die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich erst vor kurzen einem Paradigmenwechsel unterzogen und ihre Positionen in der politischen Bildungslandschaft neu definiert. Wie bereits skizziert erfordern veränderte mediale Sehwelten neue Lernmodule und zielgruppenspezifische Formate. Die Bundeszentrale setzt nachhaltige Akzente in folgenden Bereichen:

  • Wissen organisieren und neu verteilen: Das breite, fast unüberschaubare Wissen zur politischen Bildung muss strukturiert und systematisiert werden, indem unterschiedliche Formen der Aneignung und der Verbreitung ermöglicht werden. Die neuen Möglichkeiten des Internets sind dabei auf eine benutzerfreundliche Weise zu nutzen.

  • Lokale Netzwerke unterstützen: An die Stelle der Belehrung kann die Befähigung treten, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Aktions- und handlungsorientierte politische Bildung unterstützt demokratische Initiativen und den Dritten Sektor, indem sie berät, qualifiziert und Dienstleistungen bereitstellt.

  • Den Sport als Medium entdecken: Dieser Bereich mit seiner breiten Infrastruktur bietet sich an, um dort aktiv politisch-bildnerisch tätig zu werden und sportliche Identifikationsfiguren für eine aufklärerische Bildungsarbeit zu nutzen.

  • Einrichtung von interdisziplinären nationalen und internationalen Diskursplattformen: Austausch und Begegnung mit Experten unterschiedlichster Disziplinen, politische und soziale Trends erkennen und diskutieren – der think tank-Gedanke lässt politische Bildung zum Agendasetter werden und sorgt für kontinuierliche Neupositionierung und Orientierung.

  • Implementierung des Gender Mainstreaming-Prozesses als internes und gesamtgesellschaftliches politisches Handlungskonzept sowie persönliche Kompetenzschulung. Das zugrunde liegende Prinzip der diversity umfasst die Möglichkeit, Unterschiede und verschiedene Perspektiven einzubeziehen, Vielfalt wertzuschätzen und sich nicht zwangsläufig tradierten Wertmaßstäben zu unterwerfen.

  • Pädagogen professioneller unterstützen: Modulartig aufbereitetes und vor allem fächerübergreifendes pädagogisches Material kann in den häufig auftretenden Überforderungssituationen der Lehrer sowohl Anregungen als auch Entlastungen schaffen.

  • Schließlich: Lobbying für politische Bildung auf europäischer Ebene.

Europa braucht politische Bildung.

Denn die politische Agenda der Europäischen Union wird in den nächsten Jahren von zwei zentralen Themen beherrscht werden: Erweiterung und – damit notwendigerweise eng verbunden – institutionelle Reform der Union. Auch eine mögliche Verabschiedung einer europäischen Grundrechtscharta als Teil eines EU-Vertragswerks und eine dadurch notwendige Verfassungsdebatte steht nach wie vor im Raum. Die Kontroversen um diese Politikbereiche werden schon länger geführt, von der gegenwärtigen weltpolitischen Lage zurzeit ins Abseits gedrängt, aber dadurch nicht gelöst. Denn die bisherigen Diskussionen haben doch eins wieder einmal ganz deutlich werden lassen: Europa leidet nach wie vor unter Demokratie-Defiziten, und dieser Mangel ist eng mit dem Fehlen einer kritischen aber aufgeklärten europäischen Öffentlichkeit verbunden. Ausschließlich im Rahmen politischer Institutionen lassen sich diese Defizite nicht überwinden. Eine stärkere Bindung der europäischen Exekutive an das Europäische Parlament reicht dabei auch nicht aus; wenn ein Europa-Parlamentarier beispielsweise in Deutschland ca. 800.000 Menschen vertritt, handelt er notgedrungen bürgerfern. Außerdem sind parlamentarische Debatten generell nicht dafür geschaffen, ganz neue Perspektiven einzubringen; ihre Aufgaben liegen eher in der Selektion und Dignifikation schon bekannter Argumente.

Eine erfolgreiche politische Integration aber braucht den Rückhalt in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit – diese Interdependenz stellt eine unverzichtbare Bedingung für die Entstehung einer europäischen Bürgergesellschaft dar. Sie gehört zu den Kernaufgaben der politischen Bildung in und für Europa.

Bildungsstätten wie das Haus Marienberg haben dazu einen jahrzehntelangen sehr erfolgreichen und unverzichtbaren Beitrag geleistet und nachhaltige Impulse in die europäischen Institutionen hineingetragen – jetzt wird es aber auch Zeit – und damit möchte ich schließen, meine Damen und Herren –, dass die europäischen Institutionen die signifikante Bedeutung politischer Bildung in und für Europa verstärkt anerkennen, herausstellen und befördern, konkret indem sie beispielsweise die politische Bildung explizit in ihren europäischen Bildungsprogrammen als Förderkriterium benennen.

Europa erklärt Bildung zur föderalen Angelegenheit und fördert sie damit nicht direkt, nur infrastrukturell usw. oder wenn es den Arbeitsmarkt betrifft. Nach dem 11.9. und vor dem Hintergrund des Einstiegs in die Wissensgesellschaft muss gefragt werden, ob das nicht Rezepte aus der Gutenberg-Galaxis sind. Wer Globalisierung und Europa buchstabiert, darf sich nicht scheuen, auch Bildung (nicht Wissen, nicht Information) im Sinne von Lernprozessen beim Namen zu nennen. Die Förderstrategie muss sich ändern, ganz im Sinne von Jean Monnet: Wenn ich nochmal mit Europa beginnen könnte, würde ich mit Kultur (wohl auch Bildung) anfangen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fussnoten