"Politik interessiert mich nicht. Die sind doch eh alle korrupt." – diese Aussage kommt so oder ähnlich von vielen Bürgerinnen und Bürgern, häufig vor allem von jungen Leuten, die sich desillusioniert und genervt von der Politikkultur der Erwachsenen abwenden. Welche Werte vermitteln die Medien (jungen) Menschen in Deutschland zur Wahlkampfzeit? In den medialen Arenen treffen die politischen Kontrahenten aufeinander, jetzt warten alle auf das ultimative Duell der Giganten – schlagen wird sich der besser, der telegener mit der Kamera flirtet, entspannter auf dem Studiostuhl sitzt, die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit durch wohl dosierten Humor aufzulockern weiß, um das Ereignis für die Zuschauerinnen und Zuschauer attraktiver zu machen. Denn Politik ist unattraktiv, verdrießlich, langweilig, ihre Protagonistinnen und Protagonisten nicht glamourös genug für den Geschmack der politikfernen Spaßgesellschaft – oder?
Wie ist die Politik mit ihren teils verzwickten Inhalten, ihren manchmal schwierig zu durchschauenden Prozessen an den Mann, die Frau, vor allem aber an die Jugend zu bringen? Wie aktuelle, öffentliche Debatten wie die nach dem Attentat von Erfurt um die Suche nach Ursachen, Präventionsmöglichkeiten und der Frage nach den gesellschaftlichen Werten an sich? Nach den Ergebnissen der jüngsten Shell-Studie aus dem Jahr 2000, die nicht etwa eine Politikverdrossenheit der jungen Menschen diagnostiziert hatte, sondern vielmehr die Jugendverdrossenheit der Politik, machten sich Parteien, Fraktionen und Institutionen auf, diesem Missstand Abhilfe zu verschaffen – auch die Bundeszentrale für politische Bildung/ bpb. Seit ihrer Neustrukturierung im vergangenen Jahr geht sie zum Teil für die herkömmliche politische Bildungsarbeit recht unkonventionelle Wege, nutzt neue Kanäle, um dem erweiterten "Zielgruppenkatalog" – der jungen Generation – gerecht werden zu können.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den jungen Menschen, die bereits die Schule verlassen haben und weiter in ihren Peer Groups sozialisiert werden, deren Eltern oder Ausbilderinnen und Ausbilder den Generationengraben einer Sozialisation über Musik, Jugend- und Subkultur nicht mehr überwinden können. Hier versucht die bpb als Institution einzuhaken und junge Erwachsene da für die politische Bildung zu erreichen, wo sie sich in ihre Lebenswelten zurückgezogen haben. Mit diesen Herangehensweisen experimentiert die bpb und hat bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Den Elfenbeinturm eher akademisch ausgerichteter politischer Bildungsarbeit hat sie verlassen.
In Kooperation mit diversen Partnern veranstaltete die bpb beispielsweise im vergangenen Jahr das Festival HipHop Franco-Allemand im Rahmen der Musikfestspiele Saar. Vor dem Hintergrund zunehmender rechtsradikaler und rassistischer Einflüsse in Jugend- und Musikkulturen ist dieses deutsch-französische Festival eine wichtige Plattform für eine Jugendkulturszene, die Rassismus ablehnt und Selbstorganisation und Austausch praktiziert.
Mit dem Graffitti Contest "Arbeit, Freizeit, Angst", der im September 2001 lief, wollte die bpb das Potenzial künstlerischer Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen weiter erschließen und fördern, denn insbesondere für Jugendliche sind sie integraler Bestandteil ihrer Sozialisation. In seinen Ursprüngen ist HipHop international, selbstorganisiert und politisch. Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus sind im HipHop ebenso Thema wie das Leben in Deutschland als nicht-deutschstämmiger HipHop-Aktivist, Kommerzialisierung und "credibility". Das Motto "Arbeit, Freizeit, Angst" pointiert diese Themen und formuliert gleichzeitig zentrale Begriffe der politischen Debatte. Diese Themen in einem aus der Szene heraus entstandenen ästhetischen Medium wie Graffiti zu behandeln, eröffnet neue Formen der Diskussion über politische und soziale Erfahrungen. Zumal in einer Szene, die an den klassischen politischen Bildungsformaten und politischen Institutionen eher wenig Interesse hat.
Diese Aktivitäten entspringen einem Neuansatz der kulturellen politischen Bildung, der von einem erweiterten Politikbegriff ausgeht: Die Konzentration auf den politischen Prozess im engeren Sinne, auf den Staat sowie die Institutionen und Akteure des politischen Systems muss dahingehend erweitert werden, dass das Politische in der sozialen Alltagswelt, in der Arbeit und in der Freizeit sichtbar gemacht wird. Musik, Pop- und Jugendkultur können hier eine wichtige Rolle spielen, denn – wie Untersuchungen zeigen – wird die politische Sozialisation Jugendlicher mehr durch Pop- und Jugendkultur beeinflusst als durch die Angebote des politischen Systems.
Durch die Veränderungen im Arbeits- und Freizeitverhalten, in der Organisation von Information und Wissen sowie in der Wahrnehmung politischer und sozialer Verhältnisse sind in den vergangenen Jahren für die politische Bildung neue Handlungsfelder entstanden. Kultur ist als Katalysator gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse in besonderer Weise geeignet, diese neuen Potenziale zu erschließen. Der Zusammenhang von Bildung und Kultur, Wissen und Teilhabe spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Menschen für die öffentlichen Angelegenheiten zu interessieren, die sie betreffen. Deshalb wird politische Bildung mit kulturellen Strategien zukünftig einer der Schwerpunkte der Bundeszentrale für politische Bildung sein.