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Eröffnung des Kongresses "Kunst und Demokratie"

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Kunst entsteht in gesellschaftlichen Bezugssystemen. Aber nicht unter kontrollierten Bedingungen, sondern als autonomer Impuls. Mit dieser kritische Bestandaufnahme über das Verhältnis von Demokratie und Kunst hieß bpb-Präsident Thomas Krüger das Auditorium des Kongresses willkommen.

Eine Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik in der Akademie der Künste Berlin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung möchte ich Sie herzlich zu dieser kritischen Bestandsaufnahme über das Verhältnis von Kunst und Demokratie willkommen heißen.

Ich will den Diskursen, die in den nächsten Tagen hier zu führen sein werden nicht vorgreifen, aber doch die Diskussion mit folgender These eröffnen:

"Wir leben in einem Zeitalter der subventionierten Revolte!"

Das Wort vom "Zeitalter der subventionierten Revolte" stammt von Gustave Flaubert. In meinen Augen ist es mehr als eine gelungene Provokation. Es balanciert die ganze Fragestellung sozusagen auf der Spitze der Schreibfeder:

Im Verhältnis von Kunst und Demokratie kann es nicht zum besten stehen, meine Damen und Herren. Wenn doch, dann steht es wirklich schlimm.

Okwui Enwezor und seine Kuratoren haben die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen künstlerischer Produktion zu einem zentralen Thema der elften Documenta gemacht. Diese Documenta ist zugleich die erste des 21. Jahrhunderts und ihre thematische Orientierung ist ein Indiz für das Ausmaß der Spannungen, die sich da aufbauen.

Wie wirken die wirtschaftliche und kommunikative Globalisierung, der technologische Progress, die Expansion des Wissens? Welche Effekte haben sie auf den Einzelnen und auf das Zusammenleben? Wie verändern sie die gesellschaftliche Willensbildung?

Und: Was bedeutet das alles für die Kunst – oder, vielleicht besser: Was wird uns in dieser Situation von der Kunst bedeutet?

Mehrere Indikatoren sind erkennbar: Die Wirksamkeit überlieferter und allgemein gültiger Sinn- und Verpflichtungssysteme schwindet. An ihre Stelle tritt eine Pluralität der Möglichkeiten. Wir wählen und wechseln zwischen verschiedenen, oft kommerziell gestalteten, Lebensumfeldern. Für den Einzelnen bedeutet das nicht zuletzt: Er muss in neuem Umfang Entscheidungen und Verantwortlichkeiten selbst übernehmen.

Schwindende Sicherheit prägt auch die Wirklichkeitswahrnehmung: Integrative Weltbilder haben angesichts der Flut von Wissen und Information keinen Bestand mehr. An ihre Stelle treten Fakten und Eindrücke die sich nicht länger kohärent in Beziehung setzen lassen.

Nicht einschätzbar und damit bedrohlich wirkt auch die zunehmende Verflechtung von ökonomischen und politischen Prozessen: Zu den 100 größten Ökonomien weltweit zählen neben 49 Staaten auch 51 privatwirtschaftliche Unternehmen.

Zugleich schwindet auf globaler wie lokaler Ebene die Transparenz. Die Vorstellung, als Einzelner an politisch-gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen teilzuhaben, erscheint nicht Wenigen auf einmal naiv. Stattdessen drängt sich bisweilen der Eindruck auf, zur Dispositionsmasse verschiedenster "Global Player" zu gehören.

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die globalen Zukunftschancen, die Entwicklungsperspektiven der Gesellschaft und die Erfolgsaussichten einer Beteiligung am demokratischen System, scheint sich bei den Bürgerinnen und Bürgern die umgekehrte Wahrnehmung durchzusetzen: "Nicht zu beeinflussen".

Die Komplexität der Macht- und Repräsentationsstrukturen, die ökonomischen Automatismen und die erlebnisorientierte und individualisierte Perspektive der Bürger - all das ruft nach neuen Ansätzen.

Offensichtlich ist aber auch: Es führt nicht weiter, in dieser Situation den Blick vor allem auf die Parteien zu richten. Sie sind – wenigstens heute - in die Akzeptanzprobleme der Politik in der Gesellschaft zentral involviert. Der Bundespräsident hat diese Problematik im Zusammenhang mit der Ausfertigung des Zuwanderungsgesetzes in aller Klarheit thematisiert.

Das heißt, meine Damen und Herren, wir brauchen vielfältige Diskurse über die Visionen für die Ausgestaltung eines künftigen lebenswerten Miteinanders. Das ist unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit der Demokratie.

Die politische Bildung will diese Diskurse mit ihren methodischen und inhaltlichen Kompetenzen aktiv mitgestalten. Deshalb beteiligen wir uns als Mitveranstalter dieses Kongresses zum Verhältnis von Kunst und Demokratie.

Wir sehen uns unmittelbar gefordert, wo es darum geht, neue gesellschaftliche Diskurse zu Realität und Perspektiven des Zusammenlebens zu initiieren, fördern und mitzugestalten. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger zur Auseinandersetzung mit politischen Themen anregen und die Lust zur Einmischung, zum Nachdenken, zum Austausch und zur aktiven Gestaltung unserer Gesellschaft fördern.

Das verlangt einen neuen, an der aktuellen Situation orientierten Begriff des politisch-kulturellen Prozesses im Sinne einer Entgrenzung unseres Fachs.

Es bedeutet, dass wir das "Cross-over" von politischen, sozialen und künstlerischen bzw. kulturellen Aspekten in der Lebenswirklichkeit der Menschen aufgreifen müssen, wenn wir als bpb dynamische gesellschaftliche Diskurse fördern wollen.

Politische Bildung ist auch soziale und kulturelle Bildung. Wir setzen auf eine neue Kultur der Vernetzung und der Zusammenarbeit. Das heißt aber auch – und damit wird die Wichtigkeit dieses Kongresses für uns offensichtlich - wir müssen die aktuellen Mechanismen und Leitmotive dieses "Cross-Over" kennen und verstehen lernen.

Kunst hat immer wieder vehement den Anspruch verfochten, über das Politische und Soziale hinaus Wirklichkeit zu revolutionieren. Den Anspruch, die Condition Humaine insgesamt zu verändern und ihre Qualität zu heben. Und in der Tat ist es ihr immer wieder gelungen, die gesellschaftliche Atmosphäre in provozierend neue, oft verstörende, aber zugleich auch zukunftsorientierte Realitätsentwürfe zu destillieren.

Dennoch kann die Dynamik des Globalisierungsprozesses Zweifel wecken: Gibt es überhaupt noch einen Standpunkt außerhalb des laufenden Betriebs?

Kann Kunst mit den Mitteln der Ästhetik die Selbstgewissheit der technisierten Machbarkeitsgesellschaft noch erschüttern? Gelingt es ihr noch, in die hermetischen Notwendigkeits-Argumentationen einzubrechen, mit denen sich diverse gesellschaftliche Subsysteme immer deutlicher von einer gemeinsamen Sinnhaftigkeit entfernen?

Oder ist die Provokation durch die Künstler o.k.? Ist Kunst längst Teil des großen Systems und erfüllt affirmative Aufgaben? Haben sich Politik und Gesellschaft mit dem widerständigen Anspruch eingerichtet? Ist Provokation der Job, für den die Kunst ja schließlich gefördert und finanziert wird. Und: Macht sie diesen Job auch effizient?!

So einfach ist es nicht.

Kunst stellt dem Nützlichkeits- und Verwertbarkeitsdenken etwas fundamental anderes entgegen. Als "Gegenentwurf zur Gesellschaft" (Adorno) will und fordert sie ein Recht der Menschen auf Ganzheitlichkeit. Und sie gibt sich bei dieser Forderung nicht zufrieden mit einer Ganzheitlichkeit von Körper, Sinnen, Geist und Emotionen.

Es geht auch und gerade um das Recht auf Eigensinn und Extreme, das Recht auf Anti-Perfektes und Unsinniges, das Recht auf Enigmatisches und Widersprüche, das Recht auf Zweckfreiheit und Verwirrung, Versuch und Irrtum.

Irritationen, Brüche, Ambivalenzen und Unschärfen gehören zu ihrem Instrumentarium. Die Debatte um Martin Walsers neuesten Roman hat unlängst vorgeführt, welche Energie da freisetzbar ist.

Kunst entsteht in gesellschaftlichen Bezugssystemen. Aber nicht unter kontrollierten Bedingungen, sondern als autonomer Impuls. Das entzieht ihre gesellschaftlichen Wirkungen prinzipiell der Kontrolle.

Sie reklamiert einen ungeregelten Freiraum, um Neues zu schaffen, das mit dem Vorhandenen nicht harmoniert, das Überlebtes demaskiert und das die Blickrichtung ändert.

Kunst lässt sich nicht erfolgreich in den globalisierten laufenden Betrieb integrieren. Nicht durch die Wirtschaft und auch nicht durch ein demokratisches Staatswesen. Sie lässt sich ebenso wenig instrumentalisieren, wie man das Licht eimerweise ins Rathaus bringen kann.

Kunst ist ein fundamentales Risiko für das Bestehende. Man muss sie riskieren! Aktiv riskieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Demokratie ist dieses Riskieren meiner Ansicht nach ein unverzichtbarer Teil ihrer eigenen Zukunftsfähigkeit!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Fussnoten