Thomas Krüger
Europa steht vor wichtigen Entscheidungen. Der Post-Nizza-Prozess erschien zunächst vielen als eine nur notdürftig verhüllte Krise der EU. Diese Krise barg aber auch die Chance eines Lernprozesses in sich. Das wichtigste Ergebnis dieses öffentlichen Lernens war die Einberufung des EU-Verfassungskonvents. Erstmals diskutierten damit nicht nur Beamte und Regierungsmitglieder über die Zukunft der EU, sondern auch die Vertreter der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments. Und ein weiterer demokratischer Fortschritt ist zu vermerken: Auch die Beitrittskandidaten konnten mit sprechen und damit Einfluss nehmen. Mit dem Konvent gelangten die Kräfte, die mit der Erweiterung der EU auch deren Erneuerung anstrebten, in die Vorhand. Diese Konferenz wird sich genau den Ergebnissen dieses Prozesse widmen und nach dem Beitrag der Bürgerinnen und Bürger zur Zukunft Europas fragen.
Wenn man sich die jüngsten Auseinandersetzungen um eine gemeinsame Position Europas in dem Konflikt um den Irak ansieht, scheint allerdings die Krise der EU doch noch nicht überwunden zu sein. Der Weg der EU von einem gemeinsamen Binnenmarkt mit soliden Grenzmauern zu einer politischen Gemeinschaft, die auf globaler Ebene mit einer Zunge sprechen kann, ist noch weit. Zwar gingen von Europa für eine Kultur der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen schon einige Impulse aus. Zum Beispiel die Bemühungen um internationale friedliche Konfliktregelung oder die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes. Immer wieder aber gibt es innereuropäische Dissonanzen, wie zum Beispiel im Falle des von den USA formulierten Widerspruchs zwischen einem angeblich alten und neuen Europa.
Manche interpretierten diese Uneinigkeit als Ergebnis einer Manipulation durch die amerikanische Regierung. Andere sehen in der Zustimmung einiger Beitrittsländer zur jetzigen Linie der USA und Großbritanniens im Irak-Konflikt so etwas wie einen Verrat, zumindest als überflüssige Unterwerfungsgeste unter die einzig verbliebene Supermacht. Ungeachtet solcher Irritationen sollten wir im Westen aber vorsichtig sein mit einer vorschnellen Verurteilung der "Neuen" aus dem Osten oder gar mit der Drohgeste, Wohlverhalten als Preis für eine Aufnahme in die EU zu reklamieren. Was uns bisher fehlt ist nicht eine Anpassung des Ostens an irgendeinen anderen großen Staat des Westens, sondern eine überzeugende gemeinsame europäische Außenpolitik, die eine glaubwürdige und kräftige Alternative zu einer Konfliktregulierung mittels militärischer Gewaltandrohung darstellt. Damit die EU-25 nicht als vielstimmig und schwach erscheint, sind ein solideres Fundament gemeinsamer Werte und stärkere Institutionen der politischen Gemeinschaft erforderlich. Der EU-Konvent leistet gerade auf diesem Feld eine sehr beachtenswerte, von wenigen vorher für möglich gehaltene Arbeit des konstruktiven Neuanfangs und der Vertiefung der Grundlagen der Gemeinschaft.
Was kann politische Bildung auf diesem Feld leisten? Die Bundeszentrale für politische Bildung, beschreitet als Teil des europäischen Netzwerkes "politeia" auch mit dieser Tagung Wege zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements in den europäischen Angelegenheiten. Nach dem 2. Weltkrieg wurde unsere Institution gegründet, um den obrigkeitsfixierten Deutschen die Demokratie als eine politische Ordnung aktiver Bürger nahezubringen. Heute sind die Aufgaben natürlich andere: wir unterstützen interessierte Bürgerinnen und Bürger dabei, sich mit Politik zu befassen, sich in politischen und gesellschaftlichen Feldern zu engagieren. Wir wollen das Verständnis für politische Sachverhalte fördern, das demokratische Bewusstsein festigen und die Bereitschaft zur politischen Partizipation stärken. Und zunehmend geht es heute dabei nicht nur um eine Mitarbeit auf kommunaler und nationaler Ebene, sondern darüber hinaus im Kontext europäischer Fragen und Entwicklungen. Es geht um active citizenship. Bezogen auf Europa benötigen wir mehr als bisher die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Und wir benötigen eine Zusammenarbeit nicht nur im Rahmen der EU-15, sondern angesichts der bevorstehenden Erweiterung schon heute im Rahmen der EU-25 oder sogar darüber hinaus.
Diese Konferenz soll Zusammenarbeit fördern, Anstöße zu europäischem bürgerschaftlichem Engagement geben und möglichst auch neue Projekte auf europäischer Ebene anstoßen. Wir wollen einer der Orte sein, an dem die europäische Bürgergesellschaft den Konvent in seiner Arbeit kritisch begleitet.
Auf dem Konvent ist eine ganze Menge für die Stärkung der demokratischen Grundlagen der EU geleistet worden. Die Prozesse der Verfassungsdiskussion laufen in aller Öffentlichkeit ab. Die Dokumente des Konvents werden veröffentlicht. Die Entwicklung des institutionellen Dreiecks der EU aus Rat, Kommission und Parlament wird die Öffentlichkeit des Gesetzgebungsprozesse erheblich stärken. Besonders wichtig ist die Stärkung des Europäischen Parlaments, desjenigen Organs der EU, auf dessen Zusammensetzung die Bürgerinnen und Bürger Europas den größten direkten Einfluss haben. Auch Formen direkter Demokratie bei Entscheidung auf europäischer Ebene werden in Erwägung gezogen. Das sind bedeutsame Anzeichen für die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit. Es ist zu überlegen, auf welchen Wegen die Infrastruktur für die grenzübergreifende europäische Meinungsbildung gestärkt werden kann. Aktive europäische Bürgerinnen und Bürger benötigen den Austausch und den Vergleich über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus.
Ohne vielfältige zivilgesellschaftliche Netzwerkbildung wird Europa weder eine eigenständige Identität für seine Bürger annehmen noch genügend demokratische Legitimation erwerben können. In diesem Sinne soll unsere Tagung auch dazu beitragen, die Zusammenarbeit im Rahmen des europäischen Netzwerkes der politischen Bildung "politeia" zu fördern und Partner in den neuen Mitgliedsländern der EU dafür zu gewinnen. Ich möchte nicht schließen, ohne mich für die Unterstützung der Tagung durch eine Reihe von Initiativen, Universitäten, Stiftungen zu bedanken, die alle im einzelnen in unserem Programm erwähnt worden sind. Jetzt bleibt mir nur noch, uns allen einen lebendigen, streitbaren, produktiven Verlauf der Beratungen unseres Kongresses in Budapest zu wünschen.