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Eröffnung des Kongresses "inter.kultur.politik" | Presse | bpb.de

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Eröffnung des Kongresses "inter.kultur.politik" Kulturpolitik in der multiethnischen Gesellschaft

/ 4 Minuten zu lesen

Der Kulturpolitik wird in unserer heutigen multiethnischen Gesellschaft eine hohe Bedeutung beigemessen. In seiner Eröffnungsrede zum Kongress "inter.kultur.politik" betont bpb-Präsident Thomas Krüger die Chancen und Ziele, die in einer solchen Politik liegen.

Berlin


Sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Frau Griefahn, sehr geehrter Herr Nooke, es freut mich außerordentlich, dass zwei so profilierte Kulturpolitiker zur Eröffnung dieses Kongresses gekommen sind.

Sehr geehrter Herr Dr. Knopp, sehr geehrter Herr Dr. Scheytt, sehr geehrte Damen und Herren,

die Aufgabe, die sich dieser Kongress stellt, ist keine leichte. Kulturpolitik in der multiethnischen Gesellschaft steht vor der großen Herausforderung, mit ganz unterschiedlichen kulturellen, politischen und religiösen Identitäten konfrontiert zu sein. Diese Identitäten sind nicht als einander ausschließende, sondern als sich überlappende - ich möchte sagen - als Identitätsoptionen zu verstehen. Denn Migration und Globalisierung haben eine Interaktion von lokalen und nationalen Kulturen mit einer sich oberhalb dieser gebildeten Weltkultur in Gang gesetzt, die uns in die Lage versetzt aus einer Vielzahl an Identitätsangeboten zu wählen. Man ist nicht unbedingt entweder Christ oder Muslim, nicht einfach nur deutsch oder pakistanisch, vielmehr integriert man in seine personale Identität unterschiedliche Aspekte verschiedener kultureller Identitäten.

Angesichts dieser Situation kann es nicht Ziel der Kulturpolitik sein, eine Homogenisierung zu bewirken und eine einheitliche Identität zu schaffen. Eine solche Komplexitätsreduktion erscheint zwar angenehm. Sie eröffnet dennoch keine Perspektive, um den Zusammenhalt, die Innovations- und Reflexionsfähigkeit und letztlich auch die Diskursfähigkeit einer Gesellschaft zu ermöglichen. Es geht hierbei auch immer um die Frage von Teilhabe und Gerechtigkeit. Politik muss dafür Sorge tragen, dass Kultur von, für und in allen Bevölkerungsschichten einen angemessenen Stellenwert, Raum, Ressourcen und natürlich Anerkennung erhält.

Zum Selbstverständnis der Bundeszentrale für politische Bildung gehört, dass die Disziplin der politischen Bildung die Verständigung darüber befördert, was die Gesellschaft zusammenhält. Sie ist dabei geleitet vom Gedanken des Gemeinwesens, setzt aber Heterogenität als Grundkonstante pluralistischer Gesellschaften voraus. Die demokratische - und gerechte - Einigung darüber, was Heterogenität ermöglicht und schützt ist Dauerthema jeder Demokratie und ebenso der politischen Bildung. Dabei darf der Willen und die Praxis der Einigung nicht unterlaufen werden. Wenn man so will ist die Kontroverse in den Grundkanon politischer Bildung eingeschrieben. Die Anforderungen an politische Bildung wie auch an die Kulturpolitik sind demnach hoch: Beide müssen sich daran messen lassen, ob sie Selbststärkung und Ermächtigung ermöglichen oder aber Zuschreibung und Fremdbestimmung befördern. Hin zur Selbstbestimmung und zur gesellschaftlichen Teilhabe, hin zu partizipativer Integration sollte eigentlich das Ziel sein. Lassen Sie mich zwei Aufgaben formulieren, die es meiner Ansicht nach zu bewältigen gilt, und zwar Aufgaben für eine lebendige Zivilgesellschaft und Aufgaben für die Politik.

Zum einen, denke ich, brauchen wir so etwas wie einen "Bürgersinn für interkulturelle Verständigung", d.h. ein zivilgesellschaftliches Engagement, das sensibilisiert ist für die Problemstellungen, die sich aus dem Aufeinandertreffen heterogener kultureller Identitäten ergeben. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die sich für ein gleichberechtigtes Miteinander der Kulturen engagieren. Das setzt interkulturelle Kompetenz voraus. Hier ist die Politik gefordert, denn der Erwerb solcher Kompetenzen setzt geeignete Lernorte voraus. Die im Rahmen der Delphi-Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung befragten Expertinnen und Experten setzen interkulturelle Kompetenz an erster Stelle der in der Schule zu erwerbenden zentralen Kompetenzen. Lernorte sollten neben der Schulen aber auch die Institutionen der Kultur und der Künste sein, also Museen, Theater, Kinos, Konzertsäle ebenso wie Kulturzentren und Kulturhäuser.

Zum zweiten sollte "Kulturpolitik ästhetische Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen helfen", so fordert es Oliver Scheytt in einem kürzlich in der von der bpb herausgegebenen Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte" veröffentlichten Aufsatz. Aufgabe einer sich interkulturell verstehenden Kulturpolitik sollte sein, Erfahrungsmöglichkeiten so zu gestalten, dass sie Heterogenität und Differenz zulassen und produktive Impulse für die Gesellschaft generiert werden.

Heute gilt es erneut, Bedingungen zu schaffen, die lösungsorientierte Ansätze und Debatten ermöglichen – und zwar jenseits alter vergangener Grabenkämpfe zwischen Anhängern einer imaginierten Leitkultur und Befürwortern des 'kulinarischen Multikulturalismus'. Lassen Sie mich aber hinzufügen, dass dort, wo das selbstbewusste Beharren auf Diversität zu einer politisch aufgeladenen Ethnizitäts- und Religionspolitik bestimmter Gruppen führt, der deutliche und energische kritische Einspruch einer demokratischen Zivilgesellschaft gefordert ist. Es kommt darauf an, Bedingungen zu schaffen, die in den ethnisch geprägten Wohnvierteln insbesondere jungen Menschen die Chance geben, eigene Brücken zur Integration in die "Mehrheitsgesellschaft" zu bauen. Hier ist es Aufgabe der Kulturpolitik, sich für eine kritische Weiterentwicklung und Auseinandersetzung mit den bestehenden ja durchaus vielfältigen und nicht unbeträchtlich geförderten Ansätzen einzusetzen: hier mehr Qualität und Standards zu entwickeln sollte ein Ziel öffentlicher Einrichtungen sein, das beispielsweise sich auch die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrer Projektgruppe Migration zur Aufgabe gemacht hat.

Der Umgang mit "Interkulturellem", besser: das Zusammenleben in einer sozial, kulturell, ethnisch, weltanschaulich, politisch divergenten Gesellschaft entscheidet wahrscheinlich über die Überlebensfähigkeit unserer Politik und Gesellschaft. Dieser Kongress ist insofern als ein Anfang für die Ausgestaltung einer interkulturellen Kulturpolitik zu werten, dem weitere Bausteine folgen müssen. Ich plädiere hier vehement dafür, die praktischen Auswirkungen im Blick zu behalten und eine Nachhaltigkeit über diese Veranstaltung hinaus in Gang zu setzen.

Der Kulturpolitischen Gesellschaft danke ich herzlich, dass sie diesen Anfang angestoßen hat und hierfür eine Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung eingegangen ist. Eine Kooperation, die übrigens nicht nur von gutem Geist getragen war, sondern sich von Anfang an auch als eine inhaltliche und nicht nur finanzielle verstanden hat. Danken möchte ich auch dem Haus der Kulturen der Welt, das den passenden und angemessenen Ort für diesen Kongress zur Verfügung gestellt hat. Dank gilt auch allen Referentinnen und Referenten, Moderatorinnen und Moderatoren, dass Sie zu diesem Kongress beitragen. Uns allen wünsche ich einen anregenden, produktiven und nachhaltigen Kongressverlauf.

Fussnoten