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Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0 | Presse | bpb.de

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Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0

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In den vergangenen Jahren hat das Verhältnis der Medien zur Politik einen besonderen Platz eingenommen. In seiner Rede wirft bpb-Präsident Thomas Krüger die Frage auf, inwieweit man diese Beziehung verändern kann.

Ich darf Sie herzlich zu diesem Kongress "Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0" begrüßen.

Beginnen möchte ich mit einem Dank an alle an der Realisierung dieser Tagung Beteiligten: allen Referentinnen und Referenten, nicht zuletzt unseren internationalen Gästen, unserem Kooperationspartner, dem Adolf Grimme Insitut für die produktive Zusammenarbeit bei der Konzeption und Organisation dieser Veranstaltung und nicht zuletzt unserer Gastgeberin, der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren,

wer nur das für wirklich hält, was im Fernsehen gezeigt wird – oder in der Zeitung steht – hat ein Problem. Er muss nämlich all das, was sich sonst noch ereignet hat und über das nicht berichtet wurde in Zweifel ziehen. Er muss es bezweifeln, ob es sich wirklich auch ereignet hat – obwohl er selbst dabei war. Ein solches Problem hat aber die Politik heute, denn Politik vermittelt sich durch die Medien. Das, was wir für Politik halten, muss sich den Gesetzen der Medien aussetzen. Politik ist für viele nur das, was in den Medien stattfindet. Je stärker wir Politik medienvermittelt wahrnehmen, desto mehr drängt sich die Frage nach der Qualität einer Demokratie auf, die als unverzichtbarer Bestandteil diese Politik eigentlich prägen soll.

Mediendemokratie ist nur eine verharmlosende Bezeichnung für eine Entwicklung, in der wir uns gegenwärtig befinden. Medien sind notwendig für eine Massendemokratie – sie verändern sie aber auch. Die Frage, die diesen Kongress beschäftigt, lautet daher: Gibt es die Chance zu einer Neujustierung des Verhältnisses von Medien und Politik – jenseits des letztlich auf den Status Quo der etablierten Akteure und Diskurse fixierten "double binds"? (Den man auch als politisch-medialen Komplex bezeichnen könnte, zusammengehalten nicht zuletzt durch die immer wiederkehrenden Ereignisse gegenseitiger Schuldzuweisungen an den Miseren der jeweils aktuellen Situation.)

Kultur- und gesellschaftskritische Positionen sind ja nicht neu wenn es um das Verhältnis von Politik und Medien geht. Der Kongress nimmt in seinem Titel ausdrücklich auf eine bekannte Position der Frankfurter Schule aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Bezug. Und der Zusatz 2.0 unterstellt, dass die Position, die Jürgen Habermas 1961 formulierte, zutreffend ist, und wir uns nun auf einen zweiten Strukturwandel der Öffentlichkeit einzustellen hätten. Die Veränderung des Rezeptionsverhaltens der Zuschauer, Zuschauerinnen, Leser und Leserinnen durch neue Medien – Filme, Radio, Fernsehen – und durch deren Ökonomisierung war schon immer das zentrale Thema der Frankfurter Schule. Den extremsten Punkt formulierten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrem Buch "Dialektik der Aufklärung" im Jahre 1944. Aufklärung, die eigentlich die Mündigkeit und Handlungsfähigkeit des Menschen zum Ziel hat, würde sich selbst zerstören und in Mythologie zurückfallen, war ihre Generalthese. Diese These versuchten sie auch mit ihrer Diagnose der Kulturindustrie zu belegen. Die Medien, die sich der Kultur zum Zwecke ihrer Verbreitung unter den Massen bemächtigt hätten, würden nicht zur Aufklärung, sondern zur Verwandlung der Kultur in eine Ware beitragen. Das Publikum würde zum "Teil des Systems" werden, wie sie schreiben und nur noch zur "zerstreuten Rezeption" fähig sein. Manipulation sei das Ergebnis der "totalen Kapitalmacht".

Horkheimer und Adorno wenden sich in ihrem "schwärzesten Buch" – wie es einmal Jürgen Habermas ausgedrückt hat – subtil gegen Walter Benjamin, der in seinem Kunstwerkaufsatz rund zehn Jahre zuvor die These der totalen Manipulation nicht teilen wollte. Benjamin schrieb dem Publikum im Film eine "begutachtende Haltung", eben die Rolle eines zerstreuten Examinators zu. Während Benjamin noch Elemente einer kreativen Medienaneignung entdeckte, sehen Adorno und Horkheimer nur noch einen totalen Verblendungszusammenhang.

Zwischen diesen Polen bewegt sich seitdem die Debatte und hat sich in den letzten 15 Jahren sowohl in der postmodernen Rezeption wie auch in der empirisch soziologischen Forschung eher auf die Seite Benjamins geschlagen. Der Begriff der Medienkompetenz steht hier im Grunde Pate. Jürgen Habermas, der anerkannte Statthalter der Frankfurter Schule, hat in seiner Untersuchung zum Strukturwandel der Öffentlichkeit die Positionen Adornos und Horkheimers aufgenommen und die Frage der Wirkungsweisen von Massenmedien auf Öffentlichkeit und Demokratie in den Mittelpunkt gestellt. Auch Habermas hat eine Entwicklung hin zur konsumierenden Haltung des Publikums entdeckt. Je mehr die Medien ökonomischen Gesetzen unterworfen werden und zu Massenmedien werden, desto weniger taugen sie für eine politisch anspruchsvolle Öffentlichkeit. Sie sind nicht mehr der Ort eines Austausches von rationalen Argumenten für und wider einer Sache und für transparente und unvoreingenommene Meinungsbildung. Die Massenmedien haben zwar die Sphäre der Öffentlichkeit weiter ausgedehnt, sie habe aber durch ihre Kommerzialisierung Privatinteressen Tür und Tor geöffnet. Die Öffentlichkeit, so Habermas, hat ihren Charakter verändert. Sie ist ein Teil des Warenverkehrs geworden. Abzulesen sei dies auch an der Dominanz der Werbung und der gezielten Meinungslenkung durch public relations. Auch bei Habermas ist Öffentlichkeit nicht mehr der Ort der Aufklärung und des Diskurses über allgemeine Interessen. 30 Jahre später (1990) gibt Habermas unter dem Eindruck einer erstarkenden Zivilgesellschaft doch Benjamin recht. Er habe das Verhalten des Publikums unterschätzt, vor allem seine "Resistenzfähigkeit" und die "kritischen Potenziale", die sich in einem Feld der "multiplen Codes" und "hegemonialen Werte" reorganisieren. Neue und vielfältige Werthaltungen hätten sich ausgebildet und auf der Seite der medialen Öffentlichkeit hätte sich neue Entwicklungen ergeben, die seinen totalen Pessimismus nicht mehr rechtfertigen würden.

Wie könnte ein "Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0" aussehen? Der nicht mehr ganz pessimistische Habermas kann uns für die Antworten auf diese Frage eine Annäherung liefern. Er fordert von einer politischen Öffentlichkeit solche Kommunikationsbedingungen bereit zu stellen, damit sich die demokratische Willens- und Meinungsbildung eines Publikums von Staatsbürgern rational, offen, zwanglos und unvoreingenommen vollziehen kann. Es ist ein langer Weg – angesichts einer doppelten Krise, die das heutige Verhältnis von Medien und Politik prägt: Wir sind Zeitzeugen einer Struktur- und Legitimationskrise der Medien und einer Gestaltungskrise der Politik.

Die Medienlandschaft der westlichen Welt erlebt eine tiefgreifende Strukturkrise: die Erosion ihrer Geschäftsgrundlage, im direktesten Sinne dieses Wortes. Die auf Werbung und Anzeigen aufbauenden Wertschöpfungsketten der etablierten privaten Medien (Zeitungen, Rundfunk, TV) sind durch die neuen Technologien, nicht zuletzt des Internet, und dem mit ihnen verbundenen Änderungen der Mediennutzung einer radikalen Neubestimmung ausgesetzt. Die gegenwärtige Rezession hat das nur beschleunigt. Neue Geschäftsmodelle werden gesucht, sind aber noch nicht etabliert. Neue Player tauchen auf.

Auch die öffentlich-rechtlichen Medien sind leider in einem kritischen Zustand bzw. haben sich selbst dort hinein begeben. Zwar steht die Struktur ihrer Finanzierung noch, sie steht aber in den Augen einer breiter werdenden Öffentlichkeit auch zunehmend in Frage. Die Legitimationskrise ist ante portas, die Frage "Wofür" stellt sich für viele Gebührenzahler und -zahlerinnen immer mehr. Und das nicht nur, weil ihnen ein wohlfeiler Populismus der privaten Konkurrenz das suggeriert Der verstorbene Reporter der Süddeutschen Zeitung, Herbert Riehl-Heyse, hat diese Veränderung der Medien zu einem Wirtschaftsgut so zusammengefasst: "Wir Träumer und Idealisten hatte doch gehofft, dass es einen Unterschied geben müsse zwischen der Herstellung von Dachpappe (...) und der Produktion von Meinung in Wort, Schrift und Bild. (...) Inzwischen wäre man froh, wenn mancher Sender mit dem Ernst und dem Sachverstand seriöser Dachpappenhersteller geführt würde." Es gibt klare Symptome, dass der öffentlich-rechtliche Medienkomplex von den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Sowohl was die Neubestimmung des Bildungsauftrages in einer auf digitalen Medien aufbauenden Wissensgesellschaft angeht, als auch z.B. bei der Berücksichtigung der veränderten, multiethnischen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2003. In den beiden vorangegangenen Tagungen, die wir in diesem Jahr mit dem Adolf Grimme Institut durchgeführt haben, wurde das sehr deutlich.

Aber auch die etablierte Politik nimmt sich gegenwärtig ihre akute Krise, ich würde sie eine Gestaltungskrise nennen. Hier steht unter anderem die Frage im öffentlichen Raum, ob und wie die national organisierte staatliche Politik nachhaltige, mittelfristige Lösungen für akute gesellschaftliche Probleme realisieren kann. Und das in einem zunehmend von globaler Dynamik geprägten Handlungsfeld. Die Skepsis ist dabei mindestens ebenso groß wie die Hoffnung, dass es doch noch gelingen möge. Diesem eher retro-passiven Fatalismus (es wird schon irgendwie gutgehen, ging es doch bis jetzt auch immer) entkommt man nur, wenn man die eigentümliche Qualität des Politischen neu entdeckt: offen über offene Fragen zu streiten, und die Unsicherheit der Situation offensiv anzunehmen. Was wir gegenwärtig beobachten ist ja der schmerzhafte, öffentliche Abschied des politischen Establishments von den Lebenslügen der bundesdeutschen Gesellschaft (die Rente ist sicher, Deutschland ist kein Einwanderungsland, WIR sind das Land der Dichter und Denker und also per se die Bildungsavantgarde etc.). "Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0" hieße für die politischen Akteure dann im besten Fall, der Versuchung neuer Lebenslügen zu widerstehen. Und statt dessen den viel weiter gehenden, weil durch tägliche Erfahrung angereicherten Realismus der Massen zum politischen Moment des eigenen, auch kommunikativen Handelns zu machen.

Bei der vor uns liegenden zweitägigen Diskussion werden wir zwischen den Symptomen der Krise und den durchaus widersprüchlichen, gegensätzlichen Ansätzen ihrer Überwindung sondieren können, ob von dem Versprechen eines "Strukturwandels der Öffentlichkeit 2.0" – als einer re-Politisierung öffentlicher Netzwerke – mehr bleibt als nur eine Überschrift.

Fussnoten