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Internationale DDR-Forschertagung | Presse | bpb.de

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Internationale DDR-Forschertagung Einführung

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Die Aufarbeitung der deutschen Teilungsgeschichte ist auch 14 Jahre nach dem Fall der Mauer eine wichtige Aufgabe. In seiner Rede veranschaulicht bpb-Präsident Thomas Krüger, dass sie für die politische Bildung eine besondere Herausforderung darstellt.

Sehr verehrte Damen und Herren,

die Aufarbeitung der deutschen Teilungsgeschichte ist auch 14 Jahre nach dem Fall der Mauer eine wichtige Aufgabe für die politische Bildung. In einer Zeit, in der DDR-Fernsehshows Quotenerfolge erzielen und Ulkverlage umfassende "Wahrheiten" über den verflossenen SED-Staat darreichen, muss sich politische Bildung herausgefordert fühlen. Insbesondere bei den unter 20-Jährigen – in Ost wie West – sind die Kenntnisse über die DDR und die deutsche Teilung beklagenswert gering, wie wir auf vielen Tagungen, die mein Haus veranstaltet oder unterstützt, immer wieder feststellen müssen.

Natürlich war die DDR im Rückblick ein bizarrer Staat, selbstverständlich darf man heute befreiend lachen über die vielen Unzulänglichkeiten des Alltags, mit denen sich die Bürgerinnen und Bürger herumzuplagen hatten. Und gewiss war nicht alles schlecht. Aber es war eben vieles schlecht in einer Diktatur, die auch den Alltag zu beherrschen suchte – bis zur permanenten Rechtsunsicherheit, die kleinste Überschreitungen einer unsichtbaren, stets schwankenden Linie mit der berüchtigten Aufforderung ahnden konnte, "zur Klärung eines Sachverhaltes" der Volkspolizei zur Verfügung zu stehen. Vielleicht war diese Unberechenbarkeit des täglichen Lebens schlimmer als der erzwungene Konsumverzicht oder die Unmöglichkeit, in den Westen zu reisen.

Vor fast genau 14 Jahren, am 9. November 1989, an einem Donnerstagabend wie diesem, ungefähr zur selben Uhrzeit, zog Politbüromitglied Günter Schabowski jenen Zettel aus dem Jackett, der die politische Landschaft in Europa fundamental verändern sollte. Der dramatische Untergang der DDR ist noch weitgehend präsent, doch fragt man heute in Schulen oder Hochschulen nach der doppelten Staatsgründung, nach den langen Jahren der Teilung, nach Konrad Adenauer und Walter Ulbricht, nach Willy Brandt und nach dem unweit von hier, in Wiebelskirchen geborenen Erich Honecker, so erntet man nicht selten ratloses Schulterzucken. Der unerwartete Medienboom zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 hat immerhin dieses eine Datum dem Vergessen entrissen.

Meine Damen und Herren, die politische Bildung bedarf dringend der Ergebnisse Ihrer Forschungen. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in unzähligen Produkten von Ihren Forschungsleistungen profitiert, denken Sie nur an die überaus erfolgreiche Reihe "Zeitbilder", in der in den letzten Jahren griffige, reich bebilderte Gesamtdarstellungen von einzelnen Aspekten der SBZ/DDR-Geschichte präsentiert werden konnten. Die Autoren und Autorinnen stammen aus Ihren Reihen. Ich nenne stellvertretend nur Jens Gieseke, Jörg Roesler und Ilko-Sascha Kowalczuk. Die in Kooperation mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam realisierte Internetseite zum 17. Juni 1953 liegt nun als CD-Rom vor. Hier finden Sie eine einzigartige Mischung aus Originaldokumenten und Zeitzeugeninterviews: eine geradezu beispielhafte Kooperation zwischen politischer Bildung und Wissenschaft.

Schon vor 1990 wurden von der DDR-Forschung trotz des Mangels an Primärquellen beeindruckende Ergebnisse präsentiert, etwa auf den legendären Tagungen in Lehrbach und Bonn-Röttgen. Mir scheint, dass die kleine, aber ausgesprochen aktive "Community" im ersten Überschwang nach Öffnung der DDR-Archive häufig zu Unrecht und vor allem aus tagespolitischen Gründen kritisiert wurde: für eine angebliche "Schönfärberei" und Leisetreterei gegenüber einem Unrechtsregime. In Wirklichkeit gab es zahllose Veröffentlichungen, an denen nach dem Untergang der DDR kein Jota verändert werden musste, denken Sie etwa an die Arbeiten von Karl Wilhelm Fricke über die Staatssicherheit, selbstverständlich an Hermann Webers "Grundlagenforschungen" oder an die außergewöhnliche Leistung des Redaktionsteams des Deutschland Archivs. Und Peter Christian Ludz, dessen so genannter systemimmanenter Ansatz vom konservativeren Teil der DDR-Forschung viel gescholten wurde, hat zweifellos erheblich zur Verwissenschaftlichung der Disziplin beigetragen.

Seit 1990 hat die DDR-Forschung einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Die meisten Staats- und Parteiakten der DDR sind frei zugänglich. Fast 8000 einschlägige Titel sind seit 1989 erschienen. Als gut erforscht gelten mittlerweile die Herrschaftsgeschichte und die Geschichte von Opposition und Widerstand. Auch in der Alltags- und Sozialgeschichte sind bemerkenswerte Ergebnisse vorgelegt worden. Das Thema Diktaturenvergleich ist nach heftigen Debatten Anfang der neunziger Jahre kein Tabu mehr: Zur Frankfurter Buchmesse erschien als Schriftenreihe-Band in meinem Haus der von Günther Heydemann und Heinrich Oberreuter herausgegebene Reader über "Diktaturen in Deutschland"; ich habe einige Exemplare für Sie mitgebracht.

Jürgen Kocka mahnte zuletzt anlässlich des 75. Geburtstags von Hermann Weber eine breitere internationale Vernetzung der DDR-Forschung an. Eine Verortung der DDR und der deutschen Teilungsgeschichte im europäischen und welthistorischen Kontext verspricht in der Tat reiche Forschungserträge. Die Geschichte von Demokratie und Diktatur in Europa, die Spätfolgen der Spaltung der europäischen Arbeiterbewegung, die Spannung zwischen staatlicher Planwirtschaft und der dritten industriellen Revolution, das Verhältnis von staatlicher Gängelung und individueller Kreativität, das Scheitern eines Sozialstaats und die Folgen für die heutige Debatte – Kocka hat Recht, wenn er betont, dass für all diese Themen die DDR "ein einzigartiges Untersuchungsfeld" bereitstellt.

Meine Damen und Herren, Ihre Forschungsleistungen sind keine "l´art pour l´art". In der DDR-Forschung werden nicht zuletzt die klassischen Multiplikatoren und Multiplikatorinnen ausgebildet, die wir in der politischen Bildung so dringend benötigen: Lehrer/innen, Hochschullehrer/innen, Journalisten/innen, "Kulturschaffende". Wie ist jüngeren Generationen zu vermitteln, dass es sich lohnt, für demokratische Grundüberzeugungen und für Menschenrechte einzutreten? Geschichte wiederholt sich nicht, aber aus der Geschichte sind Lehren zu ziehen. Dabei geht es nicht um den erhobenen Zeigefinger. Politische Bildung muss die Sprache derer sprechen, die sie erreichen will. Im Mittelpunkt steht nicht allein der historische Erkenntnisgewinn, sondern vielmehr und vor allem eine Sensibilisierung für Gefahren und Gefährdungen der aktuellen Demokratie und ein Aufruf zum aktiven Mitwirken in der Gesellschaft.

Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt auch in diesem Jahr wieder die Internationale DDR-Forschertagung nach Kräften, weil ich davon überzeugt bin, dass dieses jährliche Treffen in einer wunderbaren Tagungsstätte ganz wichtige Impulse vermittelt und ungezählte Kontaktmöglichkeiten bietet, die es nur umzusetzen gilt. In den von Heiner Timmermann herausgegebenen Tagungsbänden ist nachzulesen, welche Leistungen hier vollbracht werden. Bestechend finde ich die Mischung aus Sektionsarbeit, wo vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vielleicht zum ersten Mal der Öffentlichkeit ihre Forschungsergebnisse präsentieren, hochkarätig besetzten Plenarveranstaltungen und spannenden Befragungen von Zeitzeugen/innen.

Meine Damen und Herren, Sie sind ein "Think Tank" im besten Sinne des Wortes. Ich freue mich sehr, diese Veranstaltung eröffnen zu dürfen, und wünsche Ihnen anregende und spannende Tage.

Die Rede wurde gehalten anlässlich der Internationalen DDR-Forschertagung in Otzenhausen am 6. November 2003.

Fussnoten