Sehr geehrter Herr Prof. Soyinka, sehr geehrter Herr Dr. von Weizsäcker, sehr geehrte Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
ich freue mich, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind, um mit uns gemeinsam unseren dreijährigen Afrikaschwerpunkt: Africome 2004-2006 zu eröffnen.
Deutschland sei endlich – wie einst Dornröschen – nach 100 Jahren aus seinem Schlaf erwacht. Das jedenfalls hat ein nigerianischer Zuhörer, der schon viele Jahre in Deutschland lebt, anlässlich einer von der Bundeszentrale für politische Bildung am 12. Januar im Stuttgarter Staatstheater veranstalteten Lesung und Podiumsdiskussion zum 100. Jahrestag des Hereroaufstandes gesagt. Endlich würde Deutschland über das Tabuthema seiner kolonialen Vergangenheit diskutieren, würden wichtige afrikanische Gegenwartsfragen in die öffentliche Wahrnehmung zurückkehren, würde Deutschland beginnen, seine postkoloniale Verantwortung wieder in den Blick zu nehmen. Auf eine solche Revolution hätten viele Afrikaner und auch schwarze Deutsche sehr lange gewartet.
Dieser Kommentar, meine Damen und Herren, hat bestätigt, dass es richtig ist, Afrika zu einem unserer Schwerpunkte in den kommenden Jahren zu machen: für uns Deutsche, aber auch und vor allem für die gut 300.000 Afrikanerinnen und Afrikaner, die in Deutschland leben.
Um herauszufinden, wie derzeit der Umgang mit afrikanischen Themenstellungen in Deutschland aussieht, vor allem wie Afrika in der deutschen Bevölkerung wahrgenommen wird, hat die Bundeszentrale für politische Bildung vor gut eineinhalb Jahren begonnen, sich intensiv mit diesem Thema zu befassen. Auf drei Ergebnisse unserer Recherchen und Überlegungen möchte ich heute besonders hinweisen.
Der erste Punkt betrifft die Kenntnisse der Bundesbürger und -bürgerinnen über Afrika. Man kann es gar nicht deutlich genug sagen: Das Wissen breitester Teile der Bevölkerung – ob nun historisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell, oder einfach nur länderkundlich – ist äußerst dürftig, geht geradezu gegen Null. Und vor allem: Es lassen sich kaum Unterschiede in den Altersgruppen oder Bildungsschichten ausmachen. Entwicklungen werden in Deutschland oberflächlich oder gar nicht zur Kenntnis genommen. Eine nennenswerte analytische Dimension, zum Beispiel eine Reflexion der sich entwickelnden Zukunftschancen des Kontinents – die ja die Basis zu einer Standortbestimmung deutscher Politik sein könnte – gibt es in der Öffentlichkeit faktisch nicht. Statt dessen bestimmen Pauschalurteile das Bild. Daran ändert auch der durchaus rege Afrika-Tourismus nichts.
Fragen wir uns nach den Ursachen dieses Befundes, so sind aus Sicht der Bundeszentrale für politische Bildung vor allem zwei Aspekte hervorzuheben: zum einen die völlig unzureichende Vermittlung afrikanischer Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im Schulunterricht und an den Universitäten und zum anderen das Bild von Afrika, das in den deutschen Medien vermittelt wird.
Im normalen Schulunterricht kommt Afrika kaum vor. Die Lehrpläne lassen dafür so gut wie keinen Raum. Lehrerinnen und Lehrer sind, wenn nicht ein persönliches Engagement vorliegt, mit dem Thema nicht oder wenig vertraut. In Schulbüchern und anderen Lehr- und Lernmaterialien finden sich zudem vielfach völlig überholte Darstellungen und Analysen. Das Ergebnis ist klar und außerordentlich bedauernswert: Schüler und Schülerinnen halten Afrika für ein "Land", dessen Hauptstadt Johannesburg sei. Es dominiert die Vorstellung, das tägliche Leben in Afrika spiele sich überhaupt nur in dörflichen Gemeinschaften, in Kraals und Clans ab. Armut, niedriger Bildungsgrad und Defizite in allen Bereichen werden selbstverständlich mit Afrika assoziiert. Technisches Know-How, moderne Lebensstile, kulturelles Erbe und eine gehobene Bildung hingegen werden überhaupt nicht mit Afrika in Ver-bindung gebracht. Diese Einschätzung wurde dann auch beim jüngsten Schulprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung und des Südwestrundfunks bestätigt, bei der Tour Kap-Kairo.
Der zweite Aspekt, der im Hinblick auf die geringen Kenntnisse von Afrika genannt werden muss, ist die Vermittlung afrikanischer Themen durch die Medien. Dieser Aspekt, meine Damen und Herren, scheint mir besonders wichtig zu sein. In den deutschen Medien findet eine intensive Auseinandersetzung mit afrikanischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themen Afrikas in tagesaktuellen Redaktionen einfach nicht statt. Die Berichterstattung richtet sich in erster Linie nach dem Nachrichtenwert, der bei skandalträchtigem Inhalt und Negativmeldungen am größten ist. Durch den streng am Markt orientierten Nachrichtenfilter wird so ein Bild des afrikanischen Kontinents transportiert, das schlichtweg die Wirklichkeit reduziert. Reportagen und Dokumentationen, die gut recherchiert sind und an Qualität nichts zu wünschen übrig lassen, werden selten während der Hauptsendezeiten ausgestrahlt. Sie landen vielmehr in den weniger beachteten dritten Programmen oder füllen – verdienstvoll – das Programm von Phoenix und 3sat mit ihren besonders interessierten und bereits bestens informierten Zuschauern.
Als zweites Ergebnis unserer Recherche ist ein in breiten Teilen der Bevölkerung vorherrschender Afrikapessimismus zu konstatieren, der inzwischen jedwede Bemühung konterkariert, zu Interesse oder gar Engagement zu motivieren. Fast alle karitativen Einrichtungen beklagen, dass sie mit ihren Anliegen gegen ein Image der Hoffnungslosigkeit kaum noch ankommen, das in das kollektive Bewusstsein der Deutschen eingebrannt ist. Entsprechend ist die Spendenbereitschaft erheblich gesunken. Die Überzeugung, Spenden für Afrika seien "heraus geworfenes Geld", das in den Taschen der Eliten verschwinde, muss aufgebrochen werden, auch wenn das ein langer und schwieriger Prozess zu werden scheint. Zugleich müssen jene Menschen neu für ein Interesse an Afrika motiviert werden, die besonders gute Chancen haben, Meinungsbilder zu verändern, Interesse zu wecken und Engagement in die richtigen Bahnen zu lenken: die klassischen Multiplikatoren und Multiplikatorinnen in Schule, Ausbildung und Beruf. Dass dabei der Politik eine besondere Verantwortung zukommt, braucht wohl kaum betont zu werden und Hoffnungszeichen gibt es ja. Mit Gerhard Schröder immerhin war vor eineinhalb Wochen nach acht Jahren zum ersten Mal wieder ein deutscher Bundeskanzler in Afrika.
Das dritte Ergebnis unserer Recherche war zu unserer großen Freude ein positives: Nämlich die Erkenntnis, dass es zugleich ein enormes Potenzial an Menschen in Deutschland gibt, die sich im Grunde für Afrika interessieren und auch engagieren würden. Es gibt sogar eine erstaunliche Vielfalt von einsatzfreudigen Bildungsträgern, Nichtregierungsorganisationen, Vereinen, Kulturzentren und Stiftungen, die sich in den verschiedensten Bereichen von Bildung, Politik, Wirtschaft, Kultur und Informationsvermittlung betätigen. Viele unter Ihnen, den heute hier Anwesenden, meine Damen und Herren, arbeiten selbst in diesem Bereich. Besonders engagieren sich auch afrikanische Menschen und schwarze Deutsche, um in oft aufreibender, ehrenamtlicher Tätigkeit ein realistischeres und differenzierteres Bild vom afrikanischen Kontinent zu vermitteln. Es ist zu hoffen, dass dieses Potenzial in den nächsten Jahren gestärkt werden kann, dass es die nötige Unterstützung von allen politischen Kräften erfährt, aber auch von den Medien mehr als in der Vergangenheit wahrgenommen wird.
Meine Damen und Herren, von diesen drei Befunden ausgehend, hat die Bundeszentrale für politische Bildung einen auf drei Jahre angelegten Afrika-Schwerpunkt, "Africome 2004-2006" konzipiert. Dabei können wir selbstverständlich nicht all das aufholen, was in den vergangenen Jahren in den Bereichen Bildung und Informationsvermittlung versäumt wurde oder eine falsche Richtung genommen hat. Und schon gar nicht können wir alles selbst tun. Unsere Initiative ist daher als ein Impuls für Bildungsträger, Vermittlungsinstitutionen unterschiedlichster Art, Kulturinitiativen etc. zu verstehen, wirklichkeitsfremde, einseitige Wahrnehmungen Afrikas durch realistischere, moderne und perspektivisch angelegte Bilder zu ersetzen.
Wir wollen in den kommenden drei Jahren erreichen, dass Afrika stärker ins Zentrum der Bemühungen politischer Bildung in Deutschland rückt. Wir wollen das Interesse für den Kontinent in breiten Bevölkerungsschichten neu wecken, Wege aufzeigen und Anregungen schaffen, wie die Öffentlichkeit für die politischen, ökonomischen und historischen Fragestellungen Afrikas wieder sensibilisiert werden kann. Der Afrikaschwerpunkt der bpb soll dazu beitragen, das gegenwärtig vorherrschende Bild vom "einheitlichen, perspektivlosen Afrika" zu widerlegen, Vorurteile aufzubrechen und die positiven Aspekte der Entwicklungen in Afrika aufzuzeigen, ohne allerdings dabei die Probleme des Kontinents zu verschweigen. Schließlich soll unsere Initiative als Beitrag zur Diskussion über die Globalisierung verstanden werden, da die zunehmende Vernetzung der Welt Verständnis für fremde Kulturen statt Abschottung voraussetzt.
Die bpb hat als überparteiliche Institution aus ihrem Selbstverständnis heraus den Auftrag, geschichtliche und gesellschaftspolitische Zusammenhänge in der gesamten deutschen Bevölkerung zu vermitteln. Diesen Auftrag hat sie in der Vergangenheit durch ein breites Spektrum von Publikationen, Seminaren und Kongressen vornehmlich für Multiplikatoren und Multiplikatorinnen der schulischen und außerschulischen politischen Bildung erfüllt. Seit wenigen Jahren wendet sie sich nun mit neuen Ansätzen stärker auch an Meinungsführer und -führerinnen aller gesellschaftlicher Gruppen und versucht mit neuen Partnern, wie auch bei "Africome", konstruktiven Einfluss auf die Agenda der politischen Diskussionen in Schule, Beruf und Freizeit zu nehmen. Wir wollen wichtige Themen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, national und international, nicht einfach nur dem "Bildungs-Markt" überlassen, sondern durch "Bündnisse der Engagierten" ergänzen.
Die Veränderung der Freizeitbedürfnisse unserer Gesellschaft in den 90er Jahren und insbesondere der deutlich sichtbare Trend zur Erlebnisorientierung haben in der gesamten Bildungslandschaft der Bundesrepublik ein radikales Umdenken erforderlich gemacht, um die Menschen weiterhin zu erreichen. Herkömmliche Veranstaltungsformate mussten durch neue, attraktive Angebote ergänzt werden, die geeignet sind, die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, sich ausgerechnet mit Fragestellungen der politischen Bildung auseinander zu setzen oder sich gar unter erheblichem Zeit- und Kraftaufwand in Prozesse einzuschalten, in denen es um Mitgestaltung und Übernahme von Verantwortung geht.
Mit ihrem Schwerpunkt "Africome 2004-2006", meine Damen und Herren, hat die bpb selbst methodisch Neuland betreten. Wir werden uns in den vor uns liegenden drei Jahren bemühen, mit sehr unterschiedlichen Formaten möglichst viele gesellschaftliche Gruppen anzusprechen. Da wir der festen Überzeugung sind, dass wir unsere Ziele nur gemeinschaftlich mit sachkundigen Initiativen und Institutionen erreichen können, haben wir im letzten Jahr einen Ideenwettbewerb veranstaltet.
Mein Dank gilt den Partnern, die wir durch diesen Wettbewerb gewonnen haben und die mit uns schon seit geraumer Zeit an der Umsetzung dieser Ideen arbeiten. Eine detaillierte Übersicht mit Terminen und Orten unserer gemeinsamen Afrika-Aktivitäten werden wir demnächst veröffentlichen, eine Übersicht finden Sie auch in Ihren Mappen. Nur auf eines möchte ich Sie schon jetzt hinweisen: Heute abend werden Sie die Gelegenheit haben, die erste Veranstaltung im Rahmen des "Urban Africa Club" zu besuchen. Ab 20.00 Uhr findet im Hebbel am Ufer, HAU 2, unsere Kwaitonacht mit der südafrikanischen Band Bongo Maffin statt.
Ergänzt wird der Afrika-Schwerpunkt, der seinen Ausgangspunkt methodisch im kulturellen und künstlerischen Bereich hat, durch eine Reihe von Publikationen für die Schule, die Erwachsenenbildung, aber auch für die breite Öffentlichkeit sowie durch ein aktuelles Onlineangebot.
Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, das Kulturradio SWR2 als Medienpartner für "Africome 2004-2006" zu gewinnen, der die Tour Kap-Kairo mit der Anbindung der verschiedenen Schulen erst möglich gemacht hat. Der Südwestrundfunk wird der bpb aus seiner dreiwöchigen Schwerpunktreihe zum Thema Afrika, die Ende vergangenen Jahres gesendet wurde, zudem Mitschnitte von Sendungen auf CD-ROMs für die Verwendung in Schulprojekten zur Verfügung stellen.
Lassen sie mich zum Schluss nochmals auf einen mir besonders wichtigen Aspekt zu sprechen kommen: Wesentlich für die Beseitigung von Vorurteilen, für ein besseres Verständnis der Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent und für den Integrationsprozess schwarzer Menschen in Deutschland muss und wird es sein, unsere Projekte mit Afrikanerinnen und Afrikanern gemeinsam zu gestalten. Wir haben daher mit einem Pilotprojekt noch vor dieser Auftaktveranstaltung begonnen, Dozenten und Studierende aus Kamerun, Nigeria, Kongo und der Elfenbeinküste als Afrikaexpertinnen und -experten einzubinden.
Für die kommenden drei Jahre wünsche ich mir, dass wir in Deutschland mit engagierten Menschen wie Ihnen Afrika in seiner Vielfalt und Komplexität wahrzunehmen lernen, und dass wir einen neuen Dialog anstoßen können. Der Bundeskanzler hat mit seiner Afrikareise den neuen Geist der Partnerschaft und Entwicklung in den Beziehungen Afrikas zu Europa und der internationalen Gemeinschaft beschworen. Treten Sie mit uns dafür ein, dass das Ziel gemeinsamer Bemühungen, den Völkern Afrikas ein ehrlicher Partner zu sein und sich mit ihnen für regionale Zusammenarbeit, Frieden und nachhaltige Entwicklung zu engagieren, auch in der Bevölkerung der Bundesrepublik ihren Widerhall findet. Unser Schwerpunktthema "Africome 2004-2006" wird, so hoffen wir, dabei ein Beitrag sein, die Menschen in Deutschland auf diese aufrichtige Partnerschaft mit Afrika vorzubereiten, Unsicherheiten auszuräumen und neue Kräfte zu mobilisieren.
Vielen Dank.