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Neues Selbstbewusstsein der MfS-Kader? Thomas Krüger über moralischen Rigorismus und Rechthaberei

/ 3 Minuten zu lesen

Thomas Krüger spricht im Interview mit Karlen Vesper im "Neuen Deutschland" vom 13. April 2006 über moralischen Rigorismus und Rechthaberei.

ND: Haben Sie auch wie die Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, den Eindruck eines "erstarkenden Selbstbewusstseins" der ehemaligen MfS-Kader?

Krüger: Die Stasi Kader haben immer schon unter einem übersteigerten Selbstbewusstsein gelitten. Das war damals nicht anders als heute. Oder um etwas weiter auszuholen: Karl Marx hat einmal gesagt, erst kommt die Tragödie, dann kommt die Farce.

ND: Welche Gefahr könnte der Bundesrepublik denn aus der Ecke der Ehemaligen drohen?

Krüger: Im Grunde gar keine. Alte frustrierte Männer haben es bei Konterrevolutionen noch nie weit gebracht. Sorgen würde mir eher machen, wenn eine geschichtsvergessene Gesellschaft solchen absurden Revivals nicht widerspricht.

ND: Was hat der Berliner Senator Thomas Flierl aus Ihrer Sicht an jenem 14. März in der Berliner Gedenkstätte Hohenschönhausen falsch gemacht?

Krüger: Aus seiner Sicht gesehen hat er wahrscheinlich nichts falsch gemacht. Er hat seiner Klientel opportunistisch zugehört, anstatt ihnen gehörig in die Parade zu fahren.

ND: Ja, aber wie sollte man mit den ehemaligen Kadern umgehen? Ausweisen? Per Dekret den Mund verbieten?

Krüger: Wo kommen wir denn da hin! Wir werden doch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich kann hier nur einen Vorschlag pro domo machen. Politische Bildung, politische Bildung, politische Bildung, um es mit der Leninschen Rhetorik zu sagen.

ND: Ist es nicht verständlich, dass, wer stetig geprügelt wird, zurückschlägt? Und was ist aus solch kruden Veranstaltungen zu lernen wie der Lesung von Opferverbänden jüngst im Berliner Abgeordnetenhaus, wo gar gegen den "Kreml-Agenten" Egon Bahr und die "Moskau-hörigen" Schröders, Lafontaines und Gysis gewettert wurde und Walter Momper von "Stasi-Schergen", "Stasi-Pöbel", "Folterknechten" sprach? Das eine logische Folge des anderen? Zum Schaden des inneren Friedens im Lande?

Krüger: Jetzt übertreiben Sie aber. Solche Debatten finden doch in inner circles statt. Auch wenn der moralische Rigorismus der Stasiopfer historisch nachvollziehbar ist, so macht sich diese Community lächerlich, wenn sie blindwütig auf die Entspannungspolitik und die Sozialdemokratie einschlägt.

ND: Es sind dieser Tage auch schon die Interessenverbände der Ehemaligen aus der DDR mit Nachkriegs-Hilfsvereinen der SS verglichen worden? Sind das nicht gefährliche Analogien?

Krüger: Da gibt es zweifellos Parallelen. Auch die PDS ist zurecht mit dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten verglichen worden, der an Regierungen beteiligt war. Aber im Zuge voranschreitender Integration differenzieren sich die Positionen. Wer zurückbleibt und nur rechthaberische Geschichtsrevision betreibt, schließt sich selbst aus. Eine mögliche Alternative dazu ist die staatstragende Sanierung der öffentlichen Finanzen in Berlin, quasi als selbstkritischer Wiedergutmachungsbeitrag.

ND: Was hat hier das Eine mit dem Anderen zu tun? Wollen Sie PDS und Stasi in eins setzen?

Krüger: Vergleichsweise wenig. Die PDS musste lernen, sich ihren Platz zu suchen. Dabei hat sie sich, wenn man so will, verwestlicht. Aber Kontinuitäten sind nicht zu übersehen. Was ist denn das Schweigen von Thomas Flierl anderes als Parteiräson? Die PDS/Linke befindet sich eben in einer tragikomischen Doppelrolle. Auf der einen Seite trösten sie die alten Kader in den neuen Staat, auf der anderen Seite verteilen sie staatstragend die Kosten des DDR-Bankrotts in Berlin und Schwerin. In bester postideologischer Manier auch nach unten!

ND: Sie haben unangenehme Erfahrungen mit der Stasi gemacht. Groß war sicher Ihre Enttäuschung über Ibrahim Böhme, der mit Ihnen die SDP 1989 gegründet hatte und später als IM enttarnt worden ist. Wie groß war oder ist Ihr Rochus auf die MfSler? Oder müssen Sie naturgemäß als Theologe verzeihen und vergeben?

Krüger: Na klar! Jeder und jedem, die oder der bei mir um Verzeihung bittet, würde ich auch vergeben. Das macht das Leben aller leichter. Aber Sie werden sicher verstehen, dass ich mich heute nicht um die Freundschaft zu meinen Inoffiziellen Mitarbeitern und ihren Führungsoffizieren bemühe. Darüber hinaus hätte ich jedoch gerne meine Geruchsproben zurück, um sie nicht im geschichtlichen Gedächtnis oder in den Aktenschränken von Marianne Birthler verduften zu lassen.

Fragen: Karlen Vesper
Quelle: Neues Deutschland, 13.04.2006

Fussnoten