Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, heute Abend hier die Gelegenheit zu haben, vor einem Fachpublikum, das sich aus allen Sparten der politischen Bildung zusammensetzt, meine Gedanken zur Lage der politischen Bildung in Deutschland vortragen zu können. Das ist natürlich ein weites Feld, und ich werde mich bemühen, einen breiten Bogen zu spannen. Aber so vielfältig wie die politische Bildung ist, so vielfältig sind die Perspektiven, aus denen man sie betrachten kann. Das wird spätestens die anschließende Diskussion, in die Sie Ihre Ansichten einbringen werden, zeigen.
Die Lage der politischen Bildung ist meiner Ansicht nach als ambivalent zu beschreiben. Wir verfügen zum einen in Deutschland über eine historisch gewachsene plurale Struktur eines weit verzweigten Netzes an staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen, das im Ausland seinesgleichen sucht. Es ist im Großen und Ganzen – also noch mit Lücken – gelungen, diese Struktur im Zuge der deutschen Einheit auch auf die neuen Bundesländer auszudehnen. Es gibt eine etablierte Wissenschaftsdisziplin der Politikdidaktik und es ist im Jahr 1976 mit dem Beutelsbacher Konsens gelungen, einen Minimalkonsens über das Selbstverständnis der Profession herzustellen. Darüber hinaus gibt es einen virulenten Fachdiskurs über die aktuellen Herausforderungen. So gesehen ergibt sich das positive Bild einer lebendigen Disziplin. Allerdings: Das übersetzt sich nicht automatisch in den politisch-parlamentarischen Bereich.
Denn wie wir alle wissen, ist das nur ein Teil der Wahrheit. Wahr ist auch, dass die politische Bildung mit mangelnder finanzieller Ausstattung zu kämpfen hat, dass sie in Zeiten knapper Kassen von der Politik häufig in Frage gestellt wird und dass sie im schulischen Bereich mit einem geringen Stundenanteil und häufig fachfremd unterrichtenden Lehrkräften konfrontiert ist.
Obgleich seit PISA Bildungspolitik in aller Munde ist, hat sich die Bedeutung der politischen Bildung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich durchgesetzt. Das Ziel, durch bessere allgemeine Bildung die Produktivkraft der Wirtschaft zu stärken, rückt die politische Bildung hinter IT-Kenntnisse, Sprachkompetenzen usw. häufig in den Hintergrund.
Ambivalent ist aber auch die Haltung der Öffentlichkeit bzw. der Politik zur politischen Bildung. Implizit wird politische Bildung allerorten als Desiderat identifiziert, ohne dass es explizit ausgesprochen würde, geschweige denn, dass die entsprechenden Maßnahmen getroffen würden. Die Beschwörung der Zivilgesellschaft, die Bemühungen um Integration in der Einwanderungsgesellschaft und das Entsetzen angesichts der Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern sind jedoch implizite Forderungen nach mehr politischer Bildung. Wir müssen verdeutlichen, dass das Aufforderungen sind, in Erscheinung zu treten.
Politik- bzw. Politikerverdrossenheit wird in sämtlichen Jugendstudien diagnostiziert, aber ist die Politik nicht selber schuld, dass ihr Image in der Bevölkerung schlecht ist, wenn gerade in der Schule die Gelegenheit verpasst wird, um die Sensibilität für das Politische frühzeitig zu schärfen?
Lassen Sie mich zwei aktuelle Beispiele nennen, aus denen die implizite Forderung nach mehr politischer Bildung hervorgeht: Im Rahmen der Ratspräsidentschaft hat die Bundeskanzlerin das Vorantreiben des Verfassungsprozesses zu einem wichtigen Ziel erklärt. In ihrer Rede vor dem Bundesrat am 16. Februar 2007 fordert auch sie implizit mehr politische Bildung. Sie erwähnt in ihrer Rede den Schulprojekttag, der im Rahmen der Ratspräsidentschaft statt gefunden hat, und berichtet über ihren Besuch an einer Oberschule in Berlin-Hellersdorf. Dabei sagte sie die folgenden bemerkenswerten Sätze: "Ich habe gespürt: Schüler und Lehrer sind an Europa interessiert. Sie haben viele Fragen. Die Gesprächskultur ist offen. Dies sollten wir nutzen. Viele haben mir auch gesagt, sie fühlten sich über das, was in Europa stattfindet, noch nicht ausreichend informiert. Ich halte es für nachdenkenswert, an den Schulen mehr Wissen über Europa zu vermitteln."
Dem stimmen wir natürlich zu und ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass das Wissen um die Bedeutung von politischer Bildung auch auf EU-Ebene durchaus vorhanden ist. So wird im Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik vom Februar 2006 – um die Rolle des Bürgers zu stärken – sogar explizit die Verbesserung der politischen Bildung als ein Hauptziel genannt. Hier heißt es: "Politische Bildung, die in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fällt, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Menschen ihre politischen und bürgerlichen Rechte ausüben und in der öffentlichen Sphäre tätig werden können." Und ich möchte noch ein weiteres Beispiel aus der derzeitigen aktuellen Diskussion nennen, in dem ein Mangel an politische Bildung öffentlich bedauert wird: Zur Zeit läuft der Prozess um die mutmaßlichen Misshandlungen von Rekruten am Bundeswehrstandort Coesfeld. In einer Stellungnahme in den Fernsehnachrichten zum Auftakt des Prozesses konnte man vom Wehrbeauftragten der Bundesregierung, Reinhold Robbe, hören, dass viele Rekruten das Prinzip von Befehl und Gehorsam falsch verstünden, dass sie über ihre elementaren Grundrechte nicht ausreichend informiert seien und dass er eine dringende Notwendigkeit darin sehe, dies zu ändern. Wenn das nicht der Ruf nach politischer Bildung ist?
So gesehen liegt es also an uns, an den Akteuren der politischen Bildung, deutlich zu machen, dass wir zur Verfügung stehen, dass wir dazu aber auch der finanziellen und strukturellen Ausstattung bedürfen. Wir müssen uns aktiver als Profession ins Gespräch bringen.
Ich brauche hier, vor Ihnen, nicht darüber zu sprechen, dass wir zur Bekämpfung von politischem Extremismus, zum Vorantreiben des europäischen Integrationsprozesses, zur Bewältigung der Folgen von Globalisierung und demographischem Wandel sowie wegen der Anforderungen der Mediengesellschaft politische Bildung brauchen. Uns ist das allen bewusst. Ich möchte im Folgenden meinen Blick vielmehr auf solche Betätigungsfelder werfen, in denen meines Erachtens die Chancen liegen, neue Infrastrukturen der politischen Bildung auf- und auszubauen. Pointiert gesagt, hat es meines Erachtens einige tektonische Verschiebungen in der Disziplin gegeben, deren wir uns bewusst sein müssen.
1. Partizipation
Im Zuge der Entwicklung hin zu einer lebendigen Zivilgesellschaft ist es heute beispielsweise für viele Kommunen ein wichtiges Ziel, die Bürgerinnen und Bürger an für das Gemeinwesen wichtigen Entscheidungen zu beteiligen. Die in den Jahren 2002-2004 von der TU Dresden durchgeführte Evaluation der Erwachsenenbildung kommt zu dem Ergebnis, dass sich viele Bildungsanbieter der Chancen und Möglichkeiten bewusst sind, sich vor Ort in diese Prozesse einzubringen.
Die qualitativen Erhebungen haben mehrere Dimensionen ergeben, in denen Praktikerinnen und Praktiker versuchen, sich hier zu betätigen. Sie begreifen sich als Forum der Begegnung, sehen sich zuständig für die Schaffung örtlicher und regionaler Netzwerke, für die Moderation des Spannungsverhältnisses zwischen Bürgerinteressen und Verwaltung, für die Agendaarbeit und die Etablierung von Bürgerrunden.
Hier wird die Bildung mit Aktion verbunden. Die politische Bildung kann hier ganz konkrete Aufgaben wahrnehmen und sich positionieren, indem sie sich nicht nur für Bürgerbeteiligung qualifiziert, sondern stärker die Rolle der netzwerkaktivierenden und gleichzeitig neutralen Instanz einnimmt. Sie kann Prozesse in Gang setzen, moderieren und die geeigneten Orte der Begegnung zur Verfügung stellen. Natürlich bestehen und entstehen hier, das haben die Interviews der Erhebung auch gezeigt, Widersprüche, die gelöst werden müssen. Es bestehen Unsicherheiten darüber, ob ein solches Agieren noch als politische Bildung verstanden werden kann. Dies umso mehr als die Förderrichtlinien den Bildungsanbietern häufig enge Grenzen setzen und solche Aktivitäten nicht anerkennen. Durch den Überlebenskampf, den viele Einrichtungen derzeit zu bestehen haben, ergeben sich auch Konflikte zwischen ihren eigenen Institutioneninteressen und der Gemeinwohlorientierung. Ich sehe die Schwierigkeiten, die sich hier auftun, aber wir müssen das als Baustelle begreifen, an der wir zu arbeiten haben.
2. Politische Bildung wird wieder Staatsbürgerkunde
Auch die Diskussionen um die Einwanderungsgesellschaft zeigen, dass die politische Bildung zwar implizit gefordert aber nicht expressis verbis einbezogen wird. Wir bemühen uns derzeit, da um die Konzeption von Einbürgerungskursen gerungen wird, die politische Bildung ins Spiel zu bringen. Denn hier liegen die Kompetenzen, die entsprechenden Curricula zu entwickeln und schließlich auch die nötigen Maßnahmen anzubieten. Auch was die derzeit bereits bestehenden Integrationskurse angeht, in deren Rahmen ja 30 Stunden umfassende, sogenannte Orientierungskurse zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands absolviert werden, muss die politische Bildung, insbesondere die außerschulische Erwachsenenbildung stärker einbezogen werden. Das ist bislang nicht der Fall. Gerade die Träger der außerschulischen politischen Bildung verfügen über die Erfahrungen und Kompetenzen, die nötig sind, um Partizipation zu fördern und demokratisches Bewusstsein zu stärken. Wenn, wie jetzt geschehen, die Evaluation der Integrationskurse zu dem Ergebnis kommt, dass leider nur geringes Interesse bei Migrantinnen und Migranten besteht, an den Kursen teilzunehmen, dann deutet dies doch auf gravierende Defizite hin und es besteht akuter Handlungsbedarf. In die Diskussion dieser Defizite muss die außerschulische Bildung einbezogen werden. Sie muss ihre Mitwirkung aktiv einfordern.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Migrantinnen und Migranten im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen noch deutlich seltener an Angeboten der außerschulischen politischen Bildung teilnehmen, stehen wir aber auch vor der Herausforderung, generell für diese Zielgruppe attraktiver zu werden.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat eine Studie beim Europäischen Forum für Migrationsstudien in Bamberg in Auftrag gegeben, die u.a. Auskunft über eine ganze Reihe von Trägern gibt, die sich dieser Zielgruppe widmen, und deren Erfahrungen zusammenfasst. Die Erfahrungen dieser Träger zeigen, wie wichtig es ist, eine exakte Bedarfsanalyse im lokalen Umfeld durchzuführen, um Interessentengruppen aufzuspüren. Es müssen Informationen über Interessen, Bedürfnisse und auch Weiterbildungsbarrieren erfasst werden. Bei diesem Vorgehen ist die Zusammenarbeit mit lokalen Einrichtungen, die von Migranten und Migrantinnen aufgesucht werden, sowie mit Migrantenselbstorganisationen unerlässlich. Eine wichtige Funktion können auch so genannte Brückenmenschen mit Migrationshintergrund einnehmen. Diese können auch in der Durchführung der konkreten Angebote eine wichtige Ressource sein.
Die Kombination von politischen Inhalten mit anderen Elementen wie Sprachförderung, sozialem Austausch oder Freizeitaktivitäten wird als wirksamer Weg beschrieben, um politisch nicht stark interessierte Teilnehmer an politische Bildung heranzuführen. Auch eine Beschäftigung mit politischer Bildung im Schnittfeld zu Kunst und Kultur (z.B. mittels Film, Theater, Ausstellungen) kann neue Zielgruppen eröffnen. Die Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass der Erfolg von Angeboten nicht nur davon abhängt, ob passende Angebote vorhanden sind, sondern auch, ob diese Angebote auch vorteilhaft kommuniziert werden und bestehende Weiterbildungsbarrieren abgebaut werden können. Erfolgreich ist auch hier der Einsatz von "Brückenmenschen". Auch spielen Beratungsstellen oder Kulturzentren, die von Migranten aufgesucht werden, eine wichtige Rolle. In Anbetracht der Tatsache, dass sich viele Migranten nicht ausreichend über Bildungsmaßnahmen informiert und beim Suchen passender Angebote überfordert fühlen, sollte eine größtmögliche Transparenz der Angebote angestrebt werden. Auch hier ergibt sich das Problem der Entgrenzung politischer Bildung und der Übergänge zwischen Sozialarbeit und politischer Bildung. Damit müssen wir uns natürlich beschäftigen und das spezifisch Politische formulieren.
3. Europa
Gleichzeitig muss die politische Bildung Präsenz zeigen, wenn es darum geht, den europäischen Austausch über die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft zu organisieren, sowie sie insgesamt an der Europäisierung ihrer Disziplin arbeiten muss. Die bpb ist seit einigen Jahren dabei, ein europäisches Netzwerk aufzubauen, das unter dem Namen Networking European Citizenship Education firmiert, und in dessen Rahmen regelmäßig europäische Konferenzen stattfinden. In diesem Jahr wird es am Veranstaltungsort Lissabon um das Thema politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft gehen, um den Austausch über unterschiedliche Konzepte von "civic education", aber auch um die Vorstellung von best-practice-Beispielen. Hier eröffnet sich nicht nur die Chance der Vernetzung von europäischen Akteuren, was hin führen soll zu mehr transnationalen Projekten, sondern auch die Möglichkeit zu erfahren, wie in anderen Ländern im Rahmen der civic education auf die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft eingegangen wird. Wir erwarten in Lissbabon zum Beispiel Gäste aus England, welche die dortigen Überlegungen darstellen werden, die Lehrpläne mit Blick auf die Kinder mit Migrationshintergrund zu ändern. Sie wollen in Zukunft in Politik und Geschichte einen stärkeren Bezug nehmen auf Sklaverei und Kolonialismus sowie außerdem die Errungenschaften der arabischen Welt in die Lehrpläne hinein schreiben. Auch in diesen Diskussionen muss die politische Bildung Präsenz zeigen.
4. Penetration bisher vernachlässigter Bildungsfelder
Um im Bereich der Schule zu bleiben: Ich sehe noch eine weitere Chance für die politische Bildung sich aktiv einzubringen. Ein zentrales Anliegen der derzeitigen Bildungsdebatte besteht darin, die Grenzen zwischen den Bildungsbereichen, insbesondere zwischen dem formalen und dem nicht-formellen Bildungsbereich, zu überwinden und zu einer umfassenden und dauerhaften Zusammenarbeit bei der Gestaltung des lebenslangen Lernens zu gelangen.
Der Auf- und Ausbau der Ganztagsschulen wird in allen Bundesländern umgesetzt. Die neu eingerichteten Schulangebote streben die Kooperation mit außerschulischen Partnern an. Durch die Zusammenarbeit von Schule, Kinder- und Jugendhilfe und weiteren Trägern soll sich ein neues Verständnis von Schule entwickeln.
Träger der politische Bildung müssen also ermutigt werden, diese Praxis aktiv mitzugestalten. Sie müssen sich in die politische Debatte und die organisatorische Ausgestaltung einmischen, bevor die Bedingungen dafür von Schulen – aber auch von anderen Bereichen der Jugendhilfe – festgelegt wurden. Sie muss sich einen Platz auf dem "Markt" der Ganztagsangebote sichern. Natürlich bin ich mir bewusst, dass auch hier strukturelle, wie finanzielle Hindernisse überwunden werden müssen, aber ich sehe die Notwendigkeit, sich diesen Schwierigkeiten zu stellen.
5. Neue Zielgruppen
Und ich möchte noch auf eine weitere Zukunftaufgabe eingehen. Wie die aktuelle sozialwissenschaftliche Forschung zeigt, machen soziokulturelle Milieus, in denen Bildungsbestrebungen generell und politische Bildung im Besonderen neutral bis negativ konnotiert sind, über 20 % der Bevölkerung aus. Diese bildungs- und politikfernen Milieus sind überwiegend den sozialen "Unterschichten" zuzuordnen und mit den klassischen Angeboten der politischen Bildung nicht zu erreichen. Gerade diesen Menschen mit neu zu entwickelnden, niedrigschwelligen Angeboten Orientierung zu geben und sie stärker in das politische Gemeinwesen zu integrieren, ist eine wichtige Zielsetzung der politischen Bildung.
Um diese zu erreichen, müssen Widerstände, die sich in diesen Gruppen gegen Bildung und Bildungsanbieter aufgebaut haben, erkannt und überwunden werden. Es müssen Einsichten darüber gewonnen werden, mit welchen Inhalten und Methoden ihr Interesse geweckt werden kann, und schließlich müssen neue Projekte entwickelt, erprobt und auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Eine Möglichkeit diese Gruppe zu erreichen, besteht sicherlich in der Verknüpfung von politischer Bildung und Sozialarbeit. Vorhandene Strukturen der sozialen Arbeit besitzen oft das Vertrauen, das politischen Institutionen nicht entgegengebracht wird. Zudem sprechen Sozialprojekte Interessen an, welche die Lebenswelt unmittelbar betreffen und konkrete Lebenshilfe versprechen. Das Potential solcher Verbindungen ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Durch die Schaffung gemeinsamer Projekte und den Ausbau bestehender Programme und Strukturen sollten in der Zukunft mehr Jugendliche und junge Erwachsene erreicht werden. Gerade hier eröffnet sich uns die Chance zu beweisen, dass auch politische Bildung nachhaltige Persönlichkeitsbildung und Lebenshilfe sein kann!
Ohnehin betrachte ich es nach wie vor als wichtige Aufgabe der Selbstvermarktung politischer Bildung, dass es ihr besser gelingen muss, zu vermitteln, inwiefern sie Schlüsselkompetenzen, wie sie beispielsweise von der OECD formuliert werden, fördert: nämlich "Interagieren in sozial heterogenen Gruppen", "selbständiges Handeln" und "interaktive Nutzung von Instrumenten und Hilfsmitteln". Sie schafft damit für die Teilnehmenden an Angeboten der politischen Bildung einen Mehrwert über die inhaltlichen Kenntnisse hinaus.
Die bpb beschäftigt sich sehr intensiv mit politk- und bildungsfernen Zielgruppen. Nicht nur durch eine eigens gegründete Projektgruppe "politikferne Zielgruppen" in der bpb, sondern auch in einem neuen, groß angelegten Projekt:
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die bpb und der Deutsche Bundesjugendring haben unter dem Leitmotiv "der Wert von Jugendlichen in unserer Gesellschaft" ein "Aktionsprogramm Jugendbeteiligung" ins Leben gerufen. Das Fortsetzungsprogramm von Projekt P, das von 2007 bis 2009 unter dem Motto "Nur wer was macht, kann auch verändern" läuft, motiviert Kinder und Jugendliche, ihre Vorstellungen, Änderungswünsche und Bedürfnisse in den politischen Prozess einzubringen. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf Projekte gelegt, welche die Situation von Kindern und Jugendlichen in Wohngebieten mit besonderem Förderbedarf in den Blick nehmen.
6. Verändertes Rezeptionsverhalten der Kundinnen und Kunden der politischen Bildung
Natürlich muss die politische Bildung in allem, was sie tut, auch auf die sich verändernden Rezeptionsgewohnheiten ihrer Kundinnen und Kunden Rücksicht nehmen. Dazu gehört im Bereich von Print-Publikationen, dass der Einsatz von Bildern und eine ansprechende grafische Gestaltung an Bedeutung gewinnt, oder zum Beispiel auch, dass der feststellbare Bedarf an Überblickswissen berücksichtigt wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Bedeutung von Online- und AV-Formaten wächst und dass Veranstaltungen eine zielgruppengenaue Diversifizierung erfahren müssen. Interaktive Formate, Konferenzen, Seminare oder Peer-Teachings können den jeweils unterschiedlichen Bildungsgewohnheiten und -interessen gerecht werden.
Alle Arbeitsgebiete, die ich bis hierher genannt habe, werfen jedes für sich Fragen und Probleme auf, insbesondere die der Entgrenzung der politischen Bildung. Wo hört politische Bildung auf und wo fängt Sozialarbeit, Kulturförderung etc. an? Welche Kernkompetenzen vermittelt nur die politische Bildung? Solche Fragen wirken sich auf das Selbstverständnis der politischen Bildung und ihrer Akteure aus. Auf der einen Seite bestehen Befürchtungen, dass die politische Bildung ihr Profil verliert, auf der anderen Seite ist der Entgrenzungsprozess eine Realität, der wir uns stellen müssen. Ich möchte hier kurz skizzieren, wie die bpb damit umgeht. Wir fördern über 300 Einrichtungen der politischen Bildung. Natürlich liegen dieser Förderung Richtlinien zu Grunde. Aber Richtlinien lassen auch immer Interpretationsspielräume offen. Wir entwickeln in ständiger Diskussion mit den Trägern gemeinsam Kriterien, die es den Trägern erlauben, Schnittstellen zu kulturellen oder alltagsbezogenen Themen herzustellen unter Beibehaltung eines Kerns, eines roten Fadens der politischen Bildung. Wir machen dabei die Erfahrung, dass die Träger produktiv und engagiert an diesem Qualitätssicherungsprozess mitarbeiten. Die Verschiebungen in der Disziplin fordern allen Beteiligten Interaktion ab. Die Bundeszentrale für politische Bildung kann hier die Rolle eines Motors spielen, der Prozesse in Gang setzt, die sich dann dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend auf anderen Ebenen fortsetzen.
Dies führt auch dazu, dass die Träger ihre Arbeit stärker zielgruppenspezifisch ausrichten und damit einen wichtigen Schritt zum Marketing vollziehen. Eine Ausrichtung der politischen Bildung am Markt, am Teilnehmerinteresse, heißt ja gerade nicht, dass sie nur noch die Themen aufgreift, für die ohnehin ein Interesse vorhanden ist und damit wichtige, eben nicht marktkonforme Anliegen vernachlässigt. Bildungsmarketing bedeutet vielmehr, dass es durch innovative und zielgruppenspezifische Angebote gelingt, Interesse dort zu wecken, wo es nicht vorhanden ist. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass gerade in den alten Bundesländern das Wissen und das Interesse an der Geschichte der deutschen Teilung und der Geschichte der DDR gering ist. Wir müssen es aber als zentrale Aufgabe der politischen Bildung begreifen, zu einem gesamtdeutschen Geschichtsverständnis beizutragen. Also müssen Formate entwickelt werden, die das Interesse an diesem Thema wecken. Das gelingt aber nur, wenn jeweils eine fest umrissene Zielgruppe identifiziert wird, deren alltagsästhetische Kommunikationsgewohnheiten bei der Konzeption des Bildungsangebotes berücksichtigt werden und die man schließlich über die für sie spezifischen Kanäle erreicht, um das Angebot auch bekannt zu machen.
Neben diesen Anstrengungen, die wir unternehmen, um unsere Zielgruppen zu erreichen, sehe ich es auch als wichtige Aufgabe an, Lobbyarbeit für die politische Bildung als Profession zu betreiben, also dafür zu sorgen, dass sie im politisch-parlamentarischen Raum stärker wahrgenommen wird. Die Bundeszentrale für politische Bildung plant aus diesem Grund zukünftig in regelmäßigen Abständen, ca. alle 2-3 Jahre, einen "Report zur Politischen Bildung" herauszugeben. Der Band soll in leicht lesbarer, abwechslungsreicher Form Orientierung über die politische Bildung im 21. Jahrhundert geben. Er soll ein Beitrag sein, um die politische Bildung sichtbar zu machen, sie auf die Agenda der Politik zu setzen und Rechenschaft über ihre Relevanz abzulegen.
Um nun zum Schluss zu kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die politische Bildung sollte sich meines Erachtens die folgenden Ziele setzen: Sie sollte ihr Profil einer zukunftsorientierten, unverzichtbaren Profession schärfen und gleichzeitig hohe Flexibilität unter Beweis stellen. Sie sollte sich offensiv in neue Bildungsmärkte einbringen und sich auf diese Weise eine einflussreiche Lobby aufbauen, die dafür eintritt, dass die ambivalente Haltung zur politischen Bildung in eine eindeutige Parteinahme für die überparteiliche staatliche politische Bildungsarbeit übergeht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
- Es gilt das gesprochene Wort -