Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, Sie auch im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung zu dieser Veranstaltung zu begrüßen.
Wir setzen damit unser Engagement für die Idee des Humboldt-Forums auf dem Schlossplatz fort, die seinerzeit in der Internationalen Kommission, die sich mit der Historischen Mitte Berlins – also dem Schlossplatz – befasste, geboren wurde.
Diese Idee gilt es mit Leben zu füllen. Denn die politische Entscheidung, den Schlossplatz wieder zu bebauen und sich mit Geschichte, Zukunft und Stadtraum auseinanderzusetzen, ist eine Riesenchance. Und die braucht eine gute Idee, um die ihr gebührende Wirkung zu entfalten.
Welche Stadt hat schon die – zugegebenermaßen aus der Tragödie geborene – Chance, ihre Mitte in der Zeitgenossenschaft des 21. Jahrhunderts neu zu erfinden? Die Bebauung des Schlossplatzes, meine Damen und Herren, ist ein Jahrhundertprojekt und unser Land kann sich eine billige, dem schnöden Mammon folgende und auf ökonomische Verwertung setzende Lösung nicht leisten. Die Privatisierung dieses exklusivsten aller öffentlichen Stadträume in Berlin und weit darüber hinaus, ist keine Idee – sie wäre eine dumme, einfältige, törichte und in negativer Weise unüberbietbare Bankrotterklärung. Dazu muss man nicht zwingend Anhänger einer kritischen Ökonomie sein, die dem Kapital eher einen viralen, denn einen vitalen Charakter zumisst. Die Latte am Schlossplatz hängt zu hoch für die Finanzmärkte und die Bürgerschaft der Stadt muss dafür Sorge tragen, dass das so bleibt. Die Idee des Humboldt-Forums ist so faszinierend und potenziell geladen, weil sie das Lebenswerk zweier für Berlin hoch bedeutender Brüder aus dem nachfrederizianischen Berlin des frühen 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert – wenn auch nicht eins zu eins – übersetzen kann. Ihr Charme liegt darüber hinaus gerade darin, dass Berlin an seiner prominentesten Stelle nicht der ihr so liebgewonnenen Nabelschau Tribut zollt, ja nicht einmal die nationale oder europäische Perspektive einnimmt, sondern den außereuropäischen Kulturen im Kontext des aktuellen Globalisierungsprozesses Rechnung trägt. Das aufkommende Großstadtbewusstsein der Berliner Klassik hat sich seinerzeit dialogbereit und liberal verstanden. Darin ist es dem Berlin nach dem Fall der Mauer verwandt, dass sich in einer aufkommenden zweiten Moderne den Weltbürgern als tabula rasa – als ein ungeschriebenes Stück Papier präsentiert und seine Texte permanent neu verhandelt.
Die Perspektive Alexander von Humboldts zu Beginn der Moderne hat nichts von ihrer Virulenz eingebüßt. Im Gegenteil! Sein Werk, seine Idee des Kosmos, wie seine forschende und sammelnde Energie kann heute Code und Chiffre des zeitgenössischen Diskurses um die Weltgesellschaft und Weltordnung sein. Alexander von Humboldt war als Europäer und Weltbürger einer der gefragten Vordenker seiner Zeit. Er hat sein forschendes Suchen und Fragen in das Selbstverständnis der europäischen Moderne eingeschrieben. Es kann nicht falsch sein, an diese offene, lernende und fragende Perspektive in einer Zeit zu erinnern, die selbst im Angesicht drängender Veränderungen dazu neigt, sich auf das zu verlassen, was man bereits kann.
Sein Bruder Wilhelm von Humboldt hat – ebenfalls an der Wiege der Moderne – vor allem mit seinem Manifest von 1809 der öffentlichen Relevanz von Bildung aufgeholfen. Er hat damit den Weg für eine breite gesellschaftliche Bedeutung und Wirkung von Bildung und trotz seines Bestehens auf der Staatsferne der Bildung letztlich doch der staatlichen, oder vorsichtiger gesagt, öffentlichen Verantwortung für die Bildung geebnet. Seine Verdienste um die Universität als öffentlichen Ort und sein Begriff der Bildsamkeit als bürgerliche Tugend und zu verfolgendes Ideal haben den modernen Erziehungswissenschaften, denen an der Humboldt-Universität endlich wieder der adäquate Platz zugekommen ist, den Weg bereitet und sie, so Dietrich Benner, als die Geisteswissenschaft begründet, die mit ihrem Praxisanspruch für eine veränderbare Gesellschaft einsteht. Wilhelm von Humboldt setzt bei seinem Verständnis von Bildung den besonderen Akzent auf das Dialogische, den ständigen Austausch und das ständige Verstehen und Nichtverstehen des Gegenübers. Bildung ist für ihn immer ein Prozess, keine statische Wissensskulptur.
Die Humboldt-Brüder stehen für originäre Antworten auf ein heute noch virulentes Merkmal der Moderne, dass man vielleicht am besten mit dem Begriff der Entgrenzung beschreiben kann. Der progressive Zerfall von Grenzen verschiedenster Provenienz gehört zu den Grunderfahrungen der Moderne – gerade auch in Berlin – und öffnet zugleich Räume für ihr irreversibles Fortschreiten. Die Humboldtschen Antworten des Forschens, Fragens und Suchens, sowie des Dialogs, das jegliches Gegenüber in einem freiheitlich liberalen Geiste akzeptiert und an dem Diskurs partizipieren lässt, stehen für die besten Traditionen und Triebkräfte Berlins und sollen es auch in Zukunft.
Vielleicht können Sie deshalb verstehen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung, die sich der Autonomie der Urteilsbildung ihrer Nutzerinnen und Nutzer verschrieben hat und alles andere ist als eine Anstalt für die Vermittlung staatlich sanktionierten Politwissens, so fasziniert von der Idee des Humboldt-Forums ist und sich auch in der Zukunft gerne an dieser Baustelle engagieren will.
Apropos Entgrenzung: Meine Damen und Herren, wer heute unter der programmatischen Flagge des "Humboldt-Forum" über die Nutzung des Schlossplatzes im 21. Jahrhundert nachdenkt, der kann und darf sich nicht darauf beschränken, die evidente öffentliche Nutzung dieses Ortes mit den geronnenen Ideen des 20. Jahrhunderts zu highjacken. Wir brauchen kein Humboldt-Forum, hinter dem sich der Objektfetisch einer Museumsnutzung, ein besser ausgestatteter Hörsaal einer Universität oder eine ehrenrührige Kathedrale der Gutenberg-Galaxis verbirgt. Wer heute etwas über das Humboldt-Forum lesen will, stößt nur auf die Quadratur der Stimmen der Institutionen. Der Anspruch des Humboldt-Forums muss von einem interdisziplinären, offenen und diskursgetriebenen Selbstverständnis her gedacht werden. Oder um es zuzuspitzen: Museum, Bibliothek und Universität müssen zu Dienstleistern und Sklaven dieser Idee des Humboldt-Forums werden, um sie überhaupt aufleben zu lassen. Es geht um nichts mehr, aber auch nichts weniger, als die Neuerfindung der erprobten Kulturtechniken für die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Wer ehrlich genug ist und die autopoetischen und retroaktiven Kräfte subventionierter Kulturinstitutionen kennt, muss gewarnt sein. Keine Macht den Institutionen! Alle Macht und vor allem Zeit der Idee! Es wäre jammerschade für den Schlossplatz und Berlin, wenn erst einmal die geldhungrigen Text- und Labelmaschinen der Marketingagenturen aus der Idee des Humboldt-Forums nichts weiter als ein Stück Seife für die Ideen von vorgestern gemacht haben.
Deshalb meine Damen und Herren, nutzen Sie diese exklusive Möglichkeit der Humboldtgespräche, um die Idee für die Mitte der Stadt zu entwickeln, um für Berlin einen herausragenden Ort in der Wissens- und Weltgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu gewinnen. Die Idee braucht eine lebendige Bürger- und Zeitgenossenschaft, die den nackten ökonomischen, aber auch den partikularen Institutioneninteressen etwas Vorausdenkendes, Antizipierendes entgegensetzt, das vor allem zweierlei leisten muss: Überzeugen und Anstecken.
− Es gilt das gesprochene Wort −