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Rede von Thomas Krüger anlässlich der Tagung Clash of Realities an der Fachhochschule Köln | Presse | bpb.de

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Rede von Thomas Krüger anlässlich der Tagung Clash of Realities an der Fachhochschule Köln

/ 8 Minuten zu lesen

Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung spielt regelmäßig Computerspiele, bei den jüngeren Altersgruppen sind es bis zu zwei Drittel. Was sind die gesellschaftlichen und medienpädagogischen Realitäten von Computerspielen?

Sehr geehrter Herr Professor Metzner,
sehr geehrter Herr Professor Fritz,
sehr geehrter Herr Professor Kaminski,
sehr geehrter Herr Zeitner,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine ganz besondere Freude, hier in der Fachhochschule Köln im Rahmen einer Tagung, die sich mit den gesellschaftlichen und medienpädagogischen Realitäten von Computerspielen beschäftigen wird, zu Ihnen zu sprechen, verbindet doch die Bundeszentrale für politische Bildung und die FH Köln eine seit 1988 währende Tradition der Zusammenarbeit auf diesem Feld. Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte sich unter der Leitung von Tilman Ernst des Themas Computerspiele bereits in den späten 80er Jahren angenommen und in dieser Beschäftigung sehr bald den Kontakt zu Professor Fritz und der FH Köln gesucht. Dieser Kontakt mündete in eine Reihe von Publikationen, die – und das ist weniger ein Eigenlob als ein Lob für Professor Fritz und seine Kolleginnen und Kollegen – zu den ersten medienpädagogischen Orientierungsangeboten zu Computerspielen zu zählen sind und im Übrigen auch heute noch ihren Wert durch zahlreiche Zitationen belegen.

Waren Computerspiele in den 80ern nur für wenige Jugendliche eine relevante Freizeitbeschäftigung und dementsprechend für Medienpädagogen und -pädagoginnen nur ein Thema am Rande, stellt sich die Situation heute deutlich gewandelt dar. Heute spielt etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung regelmäßig Computerspiele, bei den jüngeren Altersgruppen sind es bis zu zwei Drittel. "Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", so schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Mai vergangenen Jahres unter der Überschrift "Computerspiele erobern das Wohnzimmer". Ich will die Verortung der Mitte der Gesellschaft in den bundesdeutschen Wohnzimmern nicht weiter kommentieren, wohl aber die These als solche einer näheren Betrachtung unterziehen. Wenn ich die öffentliche Diskussion des letzten Jahres, insbesondere zur Frage einer Verschärfung des Jugendschutzes und des Verbotes so genannter "gewaltbeherrschter" Computerspiele Revue passieren lasse, scheint mir eines unabweisbar: in der Mitte Deutschlands gibt es offenbar reichlich Raum für Kontroversen und vor allem erheblichen Bedarf. Der im Dezember vom Bundeskabinett verabschiedete Änderungsentwurf des Jugendschutzgesetzes markiert in dieser Hinsicht sicherlich nur einen Zwischenschritt. Die in dem FAS-Artikel postulierte Normalität im gesellschaftlichen Diskurs über Computerspiele scheint mir jedenfalls noch lange nicht Einzug zu halten. Und es gibt gute Gründe dafür, dass dies nicht so sein kann und nicht so sein sollte. Die Frage des Umgangs mit bestimmten Computerspielen wie der gesamte Jugendmedienschutz überhaupt wird gewissermaßen durchkreuzt von gleich einer ganzen Reihe miteinander konkurrierender Grundrechte und Werte. Hierzu zählen:

  • der Schutz der Menschenwürde, Artikel 1 des Grundgesetzes

  • Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Artikel 2 GG

  • Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst, Artikel 5 GG

  • Erziehungsprivileg der Eltern, Artikel 6 GG

Sie sehen, hier ließen sich einige Stunden Politikunterricht füllen. Verbieten oder empfehlen? Schützen oder fördern? Die Menschenwürde des Kindes achten und jugendgefährdende Inhalte abwehren oder dem Kind, dem Jugendlichen ihre freiheitlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zugestehen? Die Dilemmata des Jugendmedienschutzes sind nicht wenige. Die Antipoden des Jugendmedienschutzes spiegeln auch zwei aktuelle politische Initiativen: auf der einen Seite der schon angesprochene Änderungsentwurf des Jugendschutzgesetzes. Auf der anderen Seite der vor zwei Wochen im Bundestag beschlossene Antrag der Koalitionsfraktionen zur Förderung qualitativ hochwertiger Computerspiele und Stärkung der Medienkompetenz, der die Bundesregierung auffordert, einen Preis für qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele zu initiieren. Bemerkenswert ist, dass dies unter anderem damit begründet wird, dass die öffentliche Förderung von Computerspielen "besonders auch hinsichtlich einer verbesserten Medienkompetenzentwicklung [...] eine wichtige Chance" böte. Andere Bundestagsfraktionen wie die Bündnisgrünen stoßen mit der Forderung nach einem Qualitätssiegel in ein ähnliches Horn. Übrigens, das nur als kleine Randnotiz an dieser Stelle: die Frage "Was spräche dagegen, wenn Politik Preise für virtuelle Welten vergeben würde, in denen Aufenthalte von Kindern wünschenswert sind?" hatten Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr schon 1997 gestellt, in ihrem Aufsatz "Gewalt, Aggressionen und Krieg. Bestimmende Spielthematiken in Computerspielen", erschienen im von der bpb veröffentlichten Handbuch Medien: Computerspiele.

Erleben wir nun also nach der von Alarmismus und einander überbietenden Verbotsforderungen geprägten Debatte des letzten Jahres, dass sich die Waage in Richtung vorbeugender Medienkompetenzentwicklung neigt. Wohl kaum und es wäre, das ist meine feste Überzeugung, nicht wünschenswert. Es gibt Grenzen, bei deren Überschreitung der Jugendschutz mit gutem Grund Verbote einsetzt. Man kann dabei vielleicht "klare" und "vorläufige" Grenzen unterscheiden. Bei den klaren Grenzen handelt es sich um die Abschirmung gefährdeter Kinder vor den Auswirkungen von strafbewährten Sachverhalten. Natürlich muss Kinderpornografie, muss offener Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit oder das Aufrufen und Organisieren von Straftaten sanktioniert werden.

"Jugendschutz in modernen Gesellschaften ist Risikomanagement. Im Zusammenwirken aller muss das höchste Schutzniveau erreicht werden, jedenfalls ein hinreichend hohes, um den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag gegenüber der Jugend zu erfüllen", so das Hans-Bredow-Institut in seinem Endbericht zum deutschen Jugendschutzsystem im Bereich der Video- und Computerspiele aus dem vergangenen Jahr.

Die Höhe des Schutzniveaus ist Ergebnis eines gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozesses und spiegelt die Werte und Normen, auf die sich eine Gesellschaft jeweils zu ihrer Zeit verständigt. Und sie versucht, diese mittels verschiedener, diverser Institutionen zu sichern. In unserer Zeit beobachten wir, ausgelöst durch einen enormen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozess, dass dieser Wertekanon quasi nur noch ad negativum existiert. Es gibt bestimmte Tabubereiche, die trotz des perforierten Werterasters öffentlich geächtet sind. Diese Tabubereiche werden zwar immer wieder auf ihre Haltbarkeit getestet, aber sie sind unzweifelhaft präsent. Und in diesem Sinn legitimiert sich dann auch ein Kinder- und Jugendschutz, denn vor tabuisierten Handlungen will die Gesellschaft ihre Kinder völlig zu Recht schützen.

Das alles ist nicht unproblematisch und höchst widersprüchlich. Vier Bemerkungen oder besser Fragenkomplexe dazu:

  1. Wann ist ein Kind oder Jugendlicher noch besonders zu schützen? Kann man eigentlich angesichts der starken Individualisierungsschübe und den diversen entwicklungspsychologischen Befunden an belastbaren Altersgrenzen noch festhalten, wenn, sagen wir ein 12-jähriger Junge ein bestimmtes USK-16 gekennzeichnetes Spiel spielen kann, ohne gefährdet zu werden oder Schaden zu nehmen. Dürfen wir die Freiheit dieses 12-Jährigen im Namen aller 12-Jährigen, denen man so etwas eher nicht zumuten kann, einschränken? Wie soll der Jugendmedienschutz eigentlich mit den Massen von 12- bis 15-Jährigen umgehen, die sich nicht an die Regeln halten, sich vielleicht sogar lustig machen über Altersgrenzen, die von aus ihrer Sicht von "alten Säcken" festgelegt werden, die sich irgendwelche Sorgen machen? Unsere Gesellschaft hat einen gewissen Analphabetismus in Sachen Kindheit und Jugend zu beklagen. Wir brauchen deshalb definitiv eine neue faire Debatte über Kindheit und Jugend in Deutschland. Auf der einen Seite genießen 12-Jährige Scheckkartenfähigkeit, soll die Strafmündigkeit von 14 Jahren weiter gesenkt werden und die Wahlmündigkeit von 18 Jahren, beziehungsweise 16 Jahren bei einigen Ländern für Kommunalwahlen ebenfalls nach unten korrigiert werden. Auf der anderen Seite werden beim Jugendschutz, insbesondere dem Jugendmedienschutz zusätzliche Schutzvorkehrungen verlangt. Wie soll das zusammengehen?

  2. Wie weit darf überhaupt die Gesellschaft, die Politik, der Staat den Kinder- und Jugendschutz betreiben? Bisher steht das Elternprivileg noch. Eltern müssen demnach die Freiheit zu einer von ihnen selbst gewählten Erziehung nach den von ihnen selbst für richtig erachteten Werten haben. Soll überhaupt und vor allem wie weit soll diese Freiheit eingeschränkt werden, weil das Kindeswohl durch bestimmte Medienprodukte Schaden zu nehmen droht? Darf der Staat Verbote in den Familienzusammenhang hinein aussprechen – eine Frage, die beim Züchtigungsverbot, für dass sich der Gesetzgeber ausgesprochen hat, stark umstritten war. Die unzweifelbare Relevanz der grundgesetzlich geschützten und auch für Kinder geltenden Menschenwürde wirft hier einen Zielkonflikt auf, der konsequent zu Ende gedacht ein ganz anderes Gesellschaftsbild ins Spiel bringt.

  3. Gibt es überhaupt objektive und belastbare Kriterien, an denen Schädigungen und Gefährdungen festzumachen sind? Sicher, es gibt Anhaltspunkte und bestimmte verallgemeinerbare Erfahrungen. Aber umgekehrt gibt es auch Befunde, die zeigen, dass junge Menschen gerade bezüglich der Medien eine enorme Verarbeitungs-, Reflexions- und Aneignungskompetenz aufbauen und Gefahren in Stärken und Chancen verwandeln. Aktuelle Studien von Andreas Hepp und Waldemar Vogelgesang oder Robert Seifert und Sven Jöckel kommen in ihren Untersuchungen von LAN-Parties und Online-Rollenspielen zu überraschenden Porträts von kommunikativen, mehr an Freundschaft und sozialen Kontakten als am Ballern interessierten Gamern. Lassen wir den erregten Alarmisten, die auf der Klaviatur von Fürsorgeängsten spielen, vielleicht zuviel Raum? Wie willkürlich dürfen also Schutzgrenzen gesetzt werden?

  4. Wie wirkungsvoll sind überhaupt die Grenzen, die auf moralischen Konsensen basierend von Politik und Gesellschaft gesetzt werden? Werden sie nicht massenhaft umgangen, weil sich sowieso niemand darum schert - am wenigsten übrigens die Eltern? Das JFF, Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis hat als Ergebnis der durchgeführten Teilstudie zur Evaluation des geltenden Jugendmedienschutzes die alltagspraktische Effektivität der Altersfreigaben in Zweifel gezogen. Angeführt werden u.a., dass Mediennutzung heute zum geringeren Teil im öffentlich kontrollierten Raum stattfindet, sondern privat und individualisierter. Hinzu kommt die Bedeutung der jugendlichen Peergroup: jugendschutzrelevantes Medienhandeln innerhalb von Peerstrukturen, so das JFF, unterlaufe den Jugendmedienschutz und entziehe sich weitgehend der Kontrolle des erwachsenen sozialen Umfeldes.

Meine Damen und Herren, die restriktive Komponente im Jugendmedienschutz ist und bleibt relevant. Und da wo die gerade durchgeführte Evaluation Präzisierungen oder Optimierungen in den gesetzlichen Bestimmungen und im Vollzug erkennt, sollten diese sorgfältig erwogen werden. Insbesondere der Bereich der Telemedien, die zunehmende Konvergenz – Stichwort Online-Gaming – stellt die Praxis des Jugendschutzes vor Herausforderungen, denen mit ziemlicher Gewissheit mit deutschen Gesetzen allein nicht zu begegnen sein wird. Wir sollten uns darüber klar werden, dass dem restriktiven Jugendmedienschutz Grenzen gesetzt sind, Grenzen, die seine Wirksamkeit beeinträchtigen. Auch Verbote, insbesondere in einer demokratisch verfassten Gesellschaft müssen überzeugen, müssen Einsicht bei den Konsumenten finden und transparent erscheinen. In einer sich immer weiter dynamisierenden und konvergierenden Medienwelt werden gesetzliche Regelungen den Status quo nie einholen können. Präventiver Jugendmedienschutz, sprich medienpädagogisch angeleitete und beförderte Medienkompetenzentwicklung, ist hier der bissigere – oder zumindest weniger zahnlose – Partner einer notwendigen Allianz.

Es geht also um weit mehr als um Empfehlungen. Nicht der Informationstransfer, welche Angebote man eigentlich nutzen sollte oder eben nicht, ist die Pointe des präventiven Jugendmedienschutzes, sondern die durch Wissenstransfer unterstützte Aktivierung zu einem kompetenten Mediennutzer oder sogar kreativen Medienproduzenten. Gesellschaftspolitisch ausgedrückt geht es dem präventiven Jugendmedienschutz um nicht mehr, aber auch nicht weniger als "empowerment". Mit Blick auf computerspielende Jugendliche bedeutet dies vor allem den defizitorientierten Blickwinkel auf diese Mediennutzer und -nutzerinnen einzutauschen gegen den eines medienpädagogischen Ethnologen, der nach den Potenzialen im jeweiligen Medienhandeln forscht, um diese zu stärken und zu entwickeln. Ziel ist es, Jugendliche zu selbstverantwortlich und selbstbestimmt handelnden Medienkonsumenten und -konsumentinnen zu ermächtigen ("empowern"), die ebenso virtuos die sensomotorischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Herausforderungen des Computerspiels meistern, als auch die moralischen und politischen Implikationen verstehen und in ihrem Handeln berücksichtigen.

Ein anspruchsvolles Ziel, ohne Zweifel. Aber ebenso alternativlos wie ein auch mit Verboten agierender Jugendmedienschutz. Präventiver und restriktiver Jugendmedienschutz bedürfen einander und legitimieren einander. Beide zusammen bilden den Rahmen, in dem jugendliches Medienhandeln erfolgreich möglich wird. In diesem Sinne:

Let the games begin!­

− Es gilt das gesprochene Wort −

Fussnoten