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Rede von Thomas Krüger im Rahmen des 13. Deutschen Präventionstages am 2. Juni 2008 | Presse | bpb.de

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Rede von Thomas Krüger im Rahmen des 13. Deutschen Präventionstages am 2. Juni 2008

/ 15 Minuten zu lesen

Politische Bildung, wie wir sie heute verstehen, findet nicht mehr ausschließlich in Seminarräumen statt. In seiner Rede versucht Thomas Krüger einen Eindruck davon zu vermitteln, wo überall politische Bildung eine wirksame Präventionsmaßnahme sein kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich hier beim 13. Präventionstag und danke Ihnen für Ihr Interesse an meinem Thema: Politische Bildung, Prävention und Gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Lassen Sie mich direkt mit einer provozierenden Frage beginnen:

War die deutsche Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus etwa durch Zerfall bedroht, durch innere Konflikte und Desintegration? Oder zeichnete sich die nationalsozialistische Gesellschaft nicht vielmehr durch einen verhängnisvollen Zusammenhalt aus?

Sie ahnen wahrscheinlich, worauf ich hinaus will: Gesellschaftlicher Zusammenhalt alleine ist kein Wert an sich. Auch eine Diktatur kann geprägt sein durch gesellschaftlichen Zusammenhalt. Erst durch die Ergänzung "... in der freiheitlichen Demokratie" - Gesellschaftlicher Zusammenhalt in der freiheitlichen Demokratie" - werden Werte angesprochen, zu denen wir uns bekennen: Freiheit, Menschenrechte, Toleranz. Werte also, die wir mit Hilfe präventiver Maßnahmen schützen möchten.

Politische Bildung, wie wir sie heute verstehen, und über die ich hier heute sprechen möchte, ist ein Kind der freiheitlichen Demokratie. Ihr Selbstverständnis wurzelt in der Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, als politische Bildung eingesetzt wurde, um in Reaktion auf die nationalsozialistische Diktatur das demokratische Bewusstsein im deutschen Volk zu fördern und zu festigen. Sie hat sich im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu einer eigenständigen Profession entwickelt mit einem Selbstverständnis, das sich zwischen zwei Polen bewegt: Sie will einerseits unparteiisch Wissen und Kompetenzen vermitteln, die es den mündigen Bürgerinnen und Bürgern erlauben, sich ein eigenes Urteil zu bilden und selbstbestimmt Entscheidungen zu fällen, andererseits fußt sie aber auf der normativen Grundlage von Demokratie, Toleranz und Menschenrechten. Sie ist nicht wertfrei. Politische Bildung ist notwendiger Bestandteil der Demokratie und sie sollte deshalb gerade auch dort forciert werden, wo wir Gefahren für den Zusammenhalt der Gesellschaft in der freiheitlichen Demokratie ausmachen.

Zustandsbeschreibungen unserer Gesellschaft sind in der Regel von Begriffen bestimmt, die in der Tat eher zentrifugale denn Kohäsionskräfte beschreiben: Auflösung tradierter Familienstrukturen und sozialer Milieus, die Diversifizierung von Lebensstilen und Weltanschauungen, das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Zweidrittelgesellschaft, Ausbildung von Parallelgesellschaften, um nur einige der gängigen Urteile zu nennen.

Zivilgesellschaft

Wieviel Desintegration eine Gesellschaft aushält, ohne dass Gewalt und Extremismus überhand nehmen, ist schwer zu sagen. Aber eine Antwort auf die Phänomene, die ich beschrieben habe, deutet sich bereits in dem Schwerpunktthema dieses 13. Präventionstages an: "Engagierte Bürger – sichere Gesellschaft". Aus dieser Formulierung höre ich die Vision einer lebendigen Zivilgesellschaft heraus, denn sie impliziert, dass Gewalt und Unsicherheit abnehmen je engagierter die Bürgerinnen und Bürger im Gemeinwesen tätig sind. Daraus spricht die Vorstellung, dass eine Zivilgesellschaft:

1. viel an Integrationskraft entfalten kann, weil sie neue Möglichkeiten der Selbstverortung für den Einzelnen schafft und damit Gefühle der Orientierungslosigkeit und Entwurzelung reduzieren hilft und

2. starke Kräfte aus sich selbst heraus entwickelt, um sich aktiv gegen Anzeichen von Gewalt und Extremismus zur Wehr zu setzen.

"Eine selbstbewusste Gesellschaft kann viele Narren ertragen", so hat es einmal der amerikanische Schriftsteller, John Steinbeck, ausgedrückt.

Wenn man den Ansatz der lebendigen Zivilgesellschaft zu Ende denkt, ergibt sich folgendes Idealbild:

Alle Bürgerinnen und Bürger, oder zumindest eine Mehrheit von ihnen, finden jenseits ihrer beruflichen Situation und jenseits ihrer Familie einen Bereich im öffentlichen Raum, in dem sie sich engagieren und mit dem sie sich identifizieren können. Was für die einen die Mitarbeit in einer Partei oder Gewerkschaft ist, ist für den anderen das Mitmachen in einer Wohltätigkeitsorganisation, die ehrenamtliche Arbeit in einem Sportverein, das Engagement in einer Umwelt-Initiative, in kulturellen Aktivitäten oder der Kommunalpolitik. So unterschiedlich und individuell wie Menschen sind, so unterschiedlich sind die Aktionsräume, die sich in einer lebendigen Zivilgesellschaft besetzen lassen. Und indem alle an einer oder mehreren Stellen des gesellschaftlichen Miteinanders mitarbeiten und mitgestalten, fühlen sie sich integriert statt isoliert, anerkannt statt ausgegrenzt. Schon alleine in diesem Punkt liegt eine hohe Präventivkraft. Denn wie uns alle sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, ist die Ausprägung von extremistischen und demokratie-distanten Haltungen eng mit Desintegrationserfahrungen und mangelnden Teilhabechancen verknüpft. Also liegt der Umkehrschluss nahe, dass Teilhabe und Engagement den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

Die derzeitige Herausforderung besteht allerdings darin, dass sich möglichst alle sozialen Gruppen und Milieus an den Strukturen der Zivilgesellschaft beteiligen. Und hier gibt es Anlass zu der Sorge, dass die aktuelle Entwicklung geradezu gegenläufig ist. Die traditionellen großen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Wohlfahrtsverbände, kirchliche oder auch gewerkschaftliche Einrichtungen verzeichnen seit langem einen Rückgang ihrer Mitgliederzahlen. Das heißt aber nicht, dass es weniger Menschen gibt, die sich engagieren. Vielmehr kann man eine Zunahme an locker organisierten und/oder befristeten Zusammenschlüssen und Initiativen beobachten, die nicht mit festen Mitgliedschaften verbunden sind und offensichtlich besser zu modernen Lebensformen passen. Während aber in den traditionellen großen Verbänden häufig alle sozialen Schichten eingebunden und vertreten waren, deutet einiges darauf hin, dass das auf diese lockeren Initiativen und Zusammenschlüsse nicht mehr zutrifft. Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten heute sehr stark von der sozialen Lage abhängig ist, d.h. dass Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau und prekärer sozialer Lage unterrepräsentiert sind. Sollte sich diese Entwicklung verfestigen, würde dies zu einer sozialen und politischen Desintegration führen - kurz gesagt zu einer gespaltenen Gesellschaft und damit auch zu einem hohen Potential an Menschen, die für extremistische Einflüsse anfällig wären. Hier bedarf es präventiver Maßnahmen und dazu gehört Bildung im Allgemeinen und politische Bildung im Besonderen.

Denn politische Bildung befähigt dazu, dass die eigene Situation reflektiert werden kann, dass Selbstverantwortung und Verantwortlichkeit für die Gesellschaft erkannt wird und Kompetenzen erworben werden, eigene Entscheidungen zu fällen und gestaltend auf Prozesse einzuwirken. Und gleichzeitig fußt sie, wie ich es eben bereits beschrieben habe, auf der normativen Grundlage von Demokratie, Toleranz und Menschenrechten. Seit einigen Jahren richten nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung, sondern auch viele andere politische Bildungsträger ihren Blick verstärkt auf Milieus, die man als bildungsfern bezeichnen muss. Diese bildungs- und häufig eben auch politikfernen Milieus sind überwiegend den sozialen Unterschichten zuzuordnen. Hier ist die Distanz zur Politik auf Grund von Ohnmachts- und Unterlegenheitsgefühlen besonders groß. Diese Gruppen sind mit den klassischen Angeboten politischer Bildung nicht zu erreichen. Sie können sich sicher vorstellen, dass es für Einrichtungen der außerschulischen Erwachsenen- und Jugendbildung, die auf die freiwillige Teilnahme ausgerichtet sind, ein schwieriges – fast paradox – anmutendes Unterfangen ist, bildungsferne Menschen zu erreichen. Aber wir stellen uns dieser Aufgabe, um gerade diesen Menschen mit niedrigschwelligen Angeboten Orientierung zu geben und sie stärker in das politische Gemeinwesen zu integrieren sowie ihre Fähigkeiten für selbstverantwortliches Handeln zu stärken.

Wie gesagt, mit klassischen Angeboten politischer Bildung, wie Seminaren oder Tagungen, sind sie nicht zu erreichen. Es ist notwendig, hier ganz neue Formate zu entwickeln und andere Zugänge zu finden. Hier befinden wir uns mitten in einem Lernprozess mit dem Ziel, Angebote politischer Bildung zu entwickeln, die auch im außerschulischen Bereich, der auf Freiwilligkeit beruht, wahrgenommen werden. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel in der Verknüpfung von politischer Bildung und Sozialarbeit. Vorhandene Strukturen der sozialen Arbeit besitzen oft das Vertrauen, das politischen Institutionen nicht entgegengebracht wird. Zudem sprechen Sozialprojekte Interessen an, die die Lebenswelt unmittelbar betreffen und konkrete Lebenshilfe leisten und damit einen unmittelbaren Nutzen versprechen. Denkbar sind aber auch – und das wird auch gemacht - Verknüpfungen mit Sport und Kultur. Es kommt hier also ganz entscheidend darauf an, einen interdisziplinären Weg zu gehen und politische Bildungsinhalte mit anderen Lernfeldern zu verknüpfen.

Ganz wichtig erscheint es mir, die Lust auf Engagement und Beteiligung schon sehr früh zu wecken, also Kinder und Jugendliche frühzeitig dafür zu sensibilisieren, dass sie selber etwas bewirken können. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat daher gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Deutschen Bundesjugendring unter dem Motto "Nur wer was macht, kann auch verändern!" in 2007 ein neues Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung gestartet. Es ist die Fortsetzung eines ähnlichen Partizipations-Projektes, das bereits in den Jahren 2003-2005 durchgeführt wurde. Das Aktionsprogramm verfolgt das Ziel, das gesellschaftspolitische Engagement von Kindern und jungen Menschen zwischen 6 und 27 Jahren zu stärken und ihre Stimme in Entscheidungsprozessen hörbar zu machen. Bis 2009 werden bundesweit jeweils unterschiedliche Projektbausteine umgesetzt. Und es wird ein besonderer Schwerpunkt auf Projekte gelegt, die mit bildungsfernen Jugendlichen arbeiten, sowie auf Projekte – und damit komme ich zum zweiten Punkt meiner Rede – die sich speziell an Jugendliche mit Migrationshintergrund wenden, um gerade auch ihnen frühzeitig einen Impuls für Engagement und Beteiligung zu geben.

Einwanderungsgesellschaft

In Deutschland leben über 15 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln. Dazu zählen Migrantinnen und Migranten sowie Bürgerinnen und Bürger, die mindestens einen Elternteil haben, der zugewandert ist. Mit anderen Worten: fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. In wenigen Jahren werden etwa 40 % der Menschen in Deutschlands Großstädten einen Migrationshintergrund haben. Schon heute ist innerhalb dieser Gruppe die Zahl der deutschen Staatsangehörigen mit 8 Millionen etwas größer als die der Ausländer (7,3 Millionen).

Durch Migration wird die kulturelle Pluralisierung unserer Gesellschaft vorangetrieben. Die zunehmende Vielfalt an Kulturen, Religionen, Lebensstilen und Weltanschauungen birgt aber auch ein zunehmendes Konfliktpotential und Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dazu kommt, das muss man auch sehen, der internationale islamistische Terrorismus, der das Misstrauen gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe schürt und ein Nährboden für Vorurteile ist. Ich möchte hier nicht den Islamismus verharmlosen. Auf dieses Problem werde ich später noch eingehen. Aber Integration wird doch zweifelsfrei erschwert, wenn die Ablehnung der extremistischen Haltungen einer Minderheit auf die Gesamtgruppe übertragen werden.

Verantwortung für die Gestaltung der Integration tragen beide Seiten: sowohl die Migrantinnen und Migranten als auch die Mehrheitsgesellschaft. Deshalb sieht auch die politische Bildung Handlungsbedarf im Hinblick auf beide Seiten.

Blicken wir zunächst zu den Migrantinnen und Migranten:

Ein wichtiges Anliegen besteht darin, die in Deutschland lebenden Migranten stärker an der Zivilgesellschaft zu beteiligen. Engagement wird auch im Nationalen Integrationsplan als wichtiger Faktor bei der Integration von Migranten angesehen. Denn bürgerschaftliches Engagement, so heißt es hier, schaffe sozialen Zusammenhalt und wirke als erfolgreicher Katalysator für Integration. Die Bundesregierung kündigte an, eine bessere Beteiligung von Migranten in zivilgesellschaftlichen Organisationen zu unterstützen und die Einbindung von Migranten stärker bei der Gewährung von Fördermitteln zu berücksichtigen. Auch wir in der Bundeszentrale für politische Bildung arbeiten daran, Migrantenorganisationen so zu beraten, dass sie als Träger der politischen Bildung anerkannt und gefördert werden können.

Darüber hinaus arbeiten wir aber auch daran, Menschen mit Migrationshintergrund mit Bildungsangeboten besser zu erreichen. Denn politische Bildung ist eine wichtige Voraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen nehmen aber Migrantinnen und Migranten noch deutlich weniger an Angeboten der außerschulischen politischen Bildung teil. Wir stehen also vor der Herausforderung, generell für diese Zielgruppe attraktiver zu werden. Ich möchte hier beispielhaft nur ein Projekt nennen, das wir initiiert haben.

Seit Juni 2007 bemüht sich die bpb in einem groß angelegten Modellprojekt zum Thema 'Jugend, Religion, Demokratie: Politische Bildung mit jungen Muslimen' um die Erprobung von neuen Methoden und Ansätzen in Stadtteilen mit einem hohen Anteil bildungsferner, sozial benachteiligter, muslimischer Bürgerinnen und Bürger. Das Projekt zielt auf eine frühe Prävention von Radikalisierungstendenzen und eine verstärkte Integration der Jugendlichen in die politische Bildungsarbeit. Das Projekt hat eine Laufzeit bis 2010. Gemeinsam mit schulischen und außerschulischen Trägern werden stadtteilnahe Bildungsangebote entwickelt und erprobt. Dabei werden örtliche Initiativen von jungen Muslimen sowie von Moscheen und anderen Vereinen in die Projektarbeit einbezogen. Neben der Bildungsarbeit mit Migrantenjugendlichen ist ein weiteres Ziel des Projektes Multiplikatoren in Schule, Jugendarbeit, Vereinen und kommunaler Verwaltung für das Problemfeld zu sensibilisieren und ihnen die erforderlichen Kenntnisse und interkulturellen Kompetenzen zu vermitteln. Hier ist politische Bildung besonders wichtig.

Gerade wenn es um die Rolle der Religion geht, um das Verhältnis von Staat und Religion, aber auch um die Frage der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, müssen wir den Dialog suchen und dieser Dialog muss von Menschen geführt werden, deren Haltung geprägt ist durch Toleranz, die aber gleichwohl mit Festigkeit für demokratische Grundrechte Position beziehen können.

Aber, wie ich schon sagte, für eine gelungene Integration bedarf es beider Seiten. So muss auch die Mehrheitsgesellschaft in den Blick genommen werden. Sie spielt insofern eine wesentliche Rolle, als ihre Bereitschaft, Migrantinnen und Migranten zu integrieren, zunehmenden Pluralismus zu akzeptieren und vor allem den zugewanderten Bevölkerungsgruppen soziale Anerkennung zu zollen, großen Einfluss auf die Motivation der Migrantinnen und Migranten hat. Wir wissen aus der wissenschaftlichen Forschung, dass eine Anfälligkeit für Radikalisierungstendenzen nicht nur mit einer wirtschaftlich ungünstigen Lebenssituation und mit geringer Bildung korreliert, sondern auch – und das ist in diesem Zusammenhang wichtig – mit der subjektiven Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung. Zu diesem Ergebnis kommt u.a die vom BMI beauftragt Studie "Muslime in Deutschland". Ich möchte kurz auf diese Studie eingehen, weil sie einige weitere interessante Ergebnisse hat, die unter anderem auf einer Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Jahrgangsstufe basieren.

Ob jugendliche Muslime islamisch-autoritaristische Haltungsmuster entwickeln, ist offenbar eng verbunden mit der Frage, ob sie starke als ausländerfeindlich erlebte Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Gleichzeitig kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass etwa ein Fünftel der nichtmuslimischen Jugendlichen eindeutig negative Vorurteile in extremer Form gegenüber Muslimen vertritt, indem diese pauschal als intolerant und gewalttätig etikettiert werden. Etwa ein Drittel der Jugendlichen befürwortet Segregationstendenzen, d.h. sie sind der Meinung, die Muslime sollten sich in ethnisch- kulturell segregierte Nischen zurückziehen.

Offenkundig werden somit jugendliche Zuwanderer seitens der einheimischen Gleichaltrigen in nicht unerheblichem Maße mit zurückweisenden ausgrenzenden Haltungen konfrontiert.

Wenn wir diese beiden Ergebnisse zusammen betrachten, wird deutlich, dass die Fragen, wie sich die deutsche Aufnahmegesellschaft Muslimen gegenüber darstellt und welche Exklusionserlebnisse von dieser Gesellschaft ausgehen mit Blick auf das Problem von Radikalisierungspotenzialen von eminenter Bedeutung ist.

Wenn ich mir die Ergebnisse dieser Schülerbefragung anschaue, so spricht daraus doch ein sehr hoher Bedarf an politischer Bildung. Es geht zum einen darum, Generationen von Kindern und Jugendlichen, die in die Demokratie hinein geboren wurden, zu verdeutlichen, dass diese Demokratie keine Selbstverständlichkeit und kein Selbstläufer ist, sondern der aktiven Beteiligung bedarf. Und zum anderen zeigt sich doch auch - wenn man die pauschale Verurteilung von Muslimen als intolerant und gewalttätig betrachtet – ein Mangel an Medienkompetenz, der zu einer unkritischen Verallgemeinerung von Bildern führt, die über Medien vermittelt werden. Ein Manko also, dem die politische Bildung durch ausgereifte Bildungskonzepte entgegen treten kann.

Solche Inhalte können natürlich zum einen im Unterricht vermittelt werden. Die bpb hat viele Materialien in ihrem Angebot, die für den Einsatz in der Schule gedacht sind. Aber darüber hinaus hinterlassen Projekte, die mit aktivem Handeln verbunden sind, häufig nachhaltigere Lerneffekte. So unterstützen wir beispielsweise die bundesweite Initiative "Schule ohne Rassismus". Die an diesem Projekt beteiligten Schulen versuchen, durch gezielte Maßnahmen und Veranstaltungen das soziale Klima in der Schule zu verbessern und ihr Engagement auch in die nichtschulische Local Community zu tragen. Das ist aktive politische Bildungsarbeit sowohl für die Schülerinnen und Schüler, die solche Maßnahmen und Veranstaltungen konzipieren und durchführen und dabei sehr viel lernen, als auch für die Teilnehmenden, an die sich diese Veranstaltungen richten.

Extremismus

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum letzten Punkt meines Beitrages kommen. Bislang habe ich über Prävention gesprochen, die weit im Vorfeld von Gewalt und Extremismus stattfindet. Also über das, was Prävention eigentlich leisten soll: nämlich noch nicht bestehende Probleme zu verhindern. Aber meine Ausführungen führen mich jetzt natürlich auch zu manifestem politischem Extremismus und der Frage, wie man diesem begegnen kann. Die virulenteste Gefahr der letzten Jahre geht vom Rechtsextremismus sowie von islamistischem Extremismus aus, aber natürlich setzen wir uns auch mit Linksextremismus auseinander.

Wir als Bildungseinrichtung gehen den politischen Extremismus als Bildungsproblem an. Wir fragen in diesem Sinne nach den Bildungszusammenhängen beim Entstehen extremer Meinungen, Weltbilder und Haltungen und nach Bildungswegen, um verfestigte extreme Haltungen zu verändern, sowie auf der anderen Seite nach Bildungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Kräfte, damit diese die aktive Auseinandersetzung mit extremen Meinungen konstruktiv und erfolgreich bestehen können.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung nennen, das sehr erfolgreich ist:

Seit 2001 ist die bpb Partnerin in einem Projekt, in dessen Rahmen mit inhaftierten Rechtsextremisten in den Gefängnissen des Landes Brandenburg gearbeitet wird. Mittlerweile wurde dieses Projekt auf insgesamt 8 Bundesländer ausgeweitet und seit 2007 werden auch entsprechende Maßnahmen mit straffälligen Muslimen durchgeführt, die islamistische Denk- und Handlungsmuster erkennen lassen.

Dieses Programm, es heißt "Abschied von Hass und Gewalt", befasst sich mit Jugendlichen, die sich aufgrund einer schweren Gewalttat in Haft befinden und diese Tat mit rechtsextremen, ethnozentristischen oder kulturell-religiösen Begründungen erklären. Zielgruppe sind also jene, die aus einer Überbewertung und Überhöhung der eigenen Gruppe oder des eigenen Kulturkreises Rechtfertigungen für Gewalttaten gegenüber anderen, die dieser Gruppe nicht angehören, ableiten. Dem im Laufe des Projektes konzipierten Ansatz liegt die Annahme zu Grunde, dass sich eine stabile Verhaltensänderung am ehesten durch die Förderung von Empathievermögen und durch das Hinterfragen und Reflektieren des Bisherigen herstellen lässt: also durch kognitiven und emotionalen Erkenntnisgewinn. Die zugrunde gelegte Annahme erfordert, dass sowohl das Gewaltverhalten als auch dessen Einbettung in politische Überzeugungen und dazu passende Gruppenzusammenhänge hinterfragt werden müssen. Dies geschieht durch die Koppelung von Anti-Gewalt-Arbeit und politischer Bildung, die sich an den Alltagserlebnissen der Teilnehmer orientiert. Auch bei diesem Projekt spielt Interdisziplinarität eine große Rolle. Hier findet ein produktives Zusammenspiel von Sozialpsychologie, allgemeiner Pädagogik, Resozialisierungs-Facharbeit und politischer Bildung statt. Das Projekt wird kontinuierlich evaluiert und entsprechend weiterentwickelt. Die Bekämpfung von Extremismus darf aber nicht dem Staat alleine überlassen werden. Hier schließt sich der Kreis meiner Ausführungen und ich komme wieder auf die Zivilgesellschaft zurück. Die Zivilgesellschaft muss sich selber organisieren und positionieren, indem lokale Initiativen und auch individuelle alltägliche Zivilcourage entstehen, die dem Extremismus vor Ort entgegentreten. Damit solche Initiativen und Netzwerke entstehen und arbeiten können, bedarf es aber ebenfalls der politischen Bildung.

Die bpb sieht ihre Aufgabe ganz besonders darin, gerade die zivilgesellschaftlichen Akteure zu fördern und zu unterstützen. Dies geschieht natürlich zum Einen, indem wir Informationen zur Verfügung stellen. Es gibt inzwischen ein sehr umfangreiches Rechtsextremismus-Dossier auf unserer Website www.bpb.de, das eine Fülle von Hintergrundinformationen und Argumentationshilfen zur Verfügung stellt – und außerdem ein umfassendes Angebot an Büchern und Arbeitshilfen.

Darüber hinaus versuchen wir aber auch die vorhandenen Kräfte der Zivilgesellschaft – Vereine, Kirchen, Sport, Gewerkschaften, Verbände, Kultureinrichtungen usw. zu motivieren, wo nötig zu qualifizieren, um Aktionen gegen rechtsextreme Erscheinungen zu veranlassen.

Im Zusammenhang mit islamistischen Tendenzen wird daran gearbeitet, die zivilgesellschaftlichen muslimischen Organisationen in gleicher Weise zu aktivieren, dem islamistischen Extremismus entgegen zu treten.

Wenn der Zulauf zu rechtsextremen Parteien zunimmt, wie beispielsweise in Mecklenburg- Vorpommern, wenn sich Straftaten mit extremistischem Hintergrund mehren oder auch verstärkt Freizeitangebote extremer Organisationen entstehen, die auf diese Weise Jugendliche ködern wollen – dann müssen solche Anzeichen von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort ernst genommen werden und zu aktiven Gegenmaßnahmen führen. Die bpb engagiert sich zur Zeit in einer Modellregion, in der virulente rechtsextremistische Kräfte am Werk sind und unterstützt die zivilgesellschaftlichen Kräfte vor Ort dabei, diese insbesondere mit Mitteln der politischen Bildung zurück zu drängen. Die Erfahrungen aus dieser Region sollen dann anderen Regionen weiter vermittelt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, anhand all dieser Beispiele wollte ich Ihnen verdeutlichen, wie breit das Betätigungsfeld der politischen Bildung ist. Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wo überall politische Bildung eine wirksame Präventionsmaßnahme sein kann. Politische Bildung, wie wir sie heute verstehen, findet nicht mehr ausschließlich in Seminarräumen statt, wie sich das der eine oder andere vorstellen mag. Sie bewegt sich aktiv an die Orte, wo sich ein hoher Bedarf feststellen lässt und geht vielfältige Kooperationen mit anderen Bildungsbereichen ein.

Zum Schluss möchte ich aber auch sehr eindringlich einem möglichen Missverständnis vorbeugen: Politische Bildung darf nicht gleich gesetzt werden mit Prävention. Sie ist ein eigenständiger Bildungsbereich mit dem positiven Effekt, dass sie präventiv wirken kann. Politische Bildung ist ein wichtiger Bestandteil unseres humanistischen Bildungskanons. Ich als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung würde sogar sagen, sie ist der wichtigste Bestandteil unseres Bildungskanons.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

− Es gilt das gesprochene Wort −

Fussnoten