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Vom Pathos nicht viel geblieben

Thomas Krüger

/ 4 Minuten zu lesen

Kaum ein zeitgeschichtlicher Topos ist so gut aufgearbeitet wie die DDR. Aber noch immer existieren verschiedene Typen der DDR-Verklärung, Ewiggestrige versuchen der Öffentlichkeit und sich selbst ein X für ein U vorzumachen. Eine Analyse von Thomas Krüger.

"Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce", so der Hegel-Kommentar von Marx zum Verlauf der Weltgeschichte im "18. Brumaire". Über die Tragödie in unserem Zusammenhang müssen wir nicht reden: Die DDR hat sich 1990 aus der Geschichte abgemeldet. Vom Pathos eines gerechteren Deutschland ist nicht viel mehr übrig geblieben als die Erinnerung an Mauertote, Stasi, Wahlfälschung und Wirtschaftskollaps. Mit dem Gestus, dieses Mal die Geschichte gründlicher aufzuarbeiten, haben Forschung und Journalismus Ernst gemacht. Kaum ein zeitgeschichtlicher Topos ist so gut aufgearbeitet, ja geradezu "überforscht" wie die DDR.

Thomas Krüger

Reden wir also von der Farce, den verschiedenen Typen von DDR-Verklärung. Ihnen ist gemeinsam, lieb gewonnene Ideologien zu reproduzieren, zu verteidigen oder zu verharmlosen. Die ewig-gestrigen Funktionäre versuchen der Öffentlichkeit und sich selbst ein X für ein U vorzumachen: War ja doch nicht so schlimm, wie der "Klassenfeind" immer behauptet. Ein Beispiel aus der "jungen Welt" vom 15.9.: Klaus Blessing, ehemals Staatssekretär im Erzbergbauministerium, tischt uns die These auf, dass die wirtschaftliche Lage 1989 doch nicht so schwerwiegend war, wie das "Schürer-Papier" nahe legt, denn Mitautor Schalck-Golodkowski habe die Reichtümer des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" nicht offengelegt. Gipfel seiner These ist die Bemerkung, dass nicht die DDR, sondern die Bundesrepublik über ihre Verhältnisse lebt und Schulden aufhäuft. Es gehört zur grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit, solchen Stuss veröffentlichen zu können. Dieser Typus von Verklärung ist nicht gefährlich, er ist nur lächerlich, eine Farce eben.

Ein zweiter Typus ist bei Protagonisten einer ideologisch zugespitzten Totalitarismustheorie vor allem westdeutscher Provenienz zu finden, die mit ihrer nicht selten linken und jetzt radikal "überwundenen" Vergangenheit auch bei einem Teil von in der DDR Verfolgten Anklang findet. Hier wird das Bild einer teuflischen DDR wie eine Monstranz gepflegt, als Unrechtsstaat, als "abgeschlossenes Sammelgebiet", als Leiche, die man immer weiter sezieren muss und deren Geschichte losgelöst von der Existenz der Bundesrepublik und dem internationalen Kontext gesehen wird. Kein Platz für selbstbewusste Menschen, die ihren Weg trotz Diktatur und Unfreiheit gemacht haben, die alternative Galerien gegründet, in autonomen Seminaren nachgedacht und wochenlang mit Transitvisa "unerkannt durch Freundesland" gereist sind. Die wissenschaftlich-empirischen Untersuchungen, die hier angeführt bzw. erstellt werden, vermitteln den Eindruck, schon vor der Befragung das Ergebnis zu kennen. Die DDR steht hier zudem nicht nur für den untergegangenen DDR-Staat, sondern nicht selten für all das, was aktuell als "links" in der Gegenwart identifiziert wird: Selbst die untergegangene DDR zersetzt, bzw. "verostet" noch die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Ein dritter Typus von Verklärung ist in den zahlreichen Formen medialer Banalisierung zu sehen. Ach wie war's doch lustig und geradezu witzig, sich im real existierenden Sozialismus an den Wohltaten der Nationalen Front zu laben oder den Häschern ein Schnippchen zu schlagen. Die DDR wird zum Unterhaltungsthema. Diese Form von Verklärung hat immerhin zwei Seiten. Zum einen gelingt aufgrund der Macht des Audiovisuellen und der Erschließung des alltagskulturellen Wirklichkeitsfelds ein DDR-Bild zu vermitteln, das Berufsvermittlern und Zeitzeugen oft nicht mehr abgenommen wird. Dieser Zugang kann Neugier wecken und ist nicht mehr nur Farce, sondern auch niedrigschwellige Aufklärung. Zum anderen verfällt man hier allzu oft politischer Weichzeichnung und Verkürzung. Verlustig gehen dabei letztlich das "gelebte Leben" und die "Wirklichkeitstiefe" der DDR.

Eine vierte, wirklich problematische Form der Verklärung – eine tragische Farce – begegnet in einer alltagsverankerten Verknüpfung von Nichtverknüpfbarem. Ich meine etwa den aus guten Gründen besorgten Vater aus Aschersleben, der seiner Tochter erklärt, dass in der DDR alle Arbeit hatten, er aber heute Morgen nicht wisse, ob er nicht abends arbeitslos sei. Statt die Gegenwart kritisch zu befragen, wird mit einem Übersprungsbezug Geschichte verklärt. Ein gefundenes Fressen für die populistischen Akteure der Linkspartei, denen es, wie Reinhard Mohr kürzlich treffend anmerkte, gar nicht so sehr auf linke Politik, sondern auf besitzstandsorientierten Wohlfühl-Widerstand ankommt.

Traditionelle linke Haltungen wie der zukunftsorientierte Fortschrittsglaube, die Modernisierung gesellschaftlichen Lebens und seiner individuellen Entwürfe, transnationale Politikbezüge und die an den künftigen Herausforderungen gemessene maximale Ausschöpfung von Freiheits- und Gerechtigkeitspotenzialen weichen einem linkskaschierten, reaktionären Nationalismus einer mit billiger Retrotaktik gewonnenen Ansammlung strukturkonservativer ehemaliger Linker. Zudem diagnostizieren wir bei der Linken ein doppeltes Retrovirus, wenn man die Lebenslügen der westdeutschen Linken, die die Voraussetzungen der Nachkriegsbundesrepublik systematisch ausblenden (NATO, Westbindung, EU) in Rechnung stellt. Diese Form von verklärender Geschichtsvermittlung ist nicht neu. Wir kennen sie aus dem informellen Umgang der beiden deutschen Nachkriegsstaaten mit der Nazizeit, deren Autobahnen und Sozialleistungen als "positive" Bezugspunkte benutzt wurden. Götz Aly hat mit seinem Buch "Hitlers Volksstaat" gezeigt, wen die Nazis für diese Volkssegnungen haben bezahlen und bluten lassen.

Genau diese aufklärende politische Bildung ist mit Blick auf die beiden sehr unterschiedlichen deutschen Diktaturen gefragt. Die DDR kann seriös im Kontext einer gemeinsamen deutschen Nachkriegsgeschichte mit Klessmann als "asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte" vermittelt werden. Von hier aus müssen Befunde wie die signifikant höhere Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland nicht zwingend mit DDR-hermetischen Argumenten wie der Pfeifferschen Töpfchenthese erklärt werden, sie gewinnen ihre Evidenz vielmehr im Kontext von Verflechtung und Transformation. Vorurteile und unreflektierte Kurzschlüsse jedweder Provenienz gehören hinterfragt. Eine mündige Demokratie braucht eine überparteiliche politische Bildung, die auf Kontroverse, Aufklärung und gute Argumente setzt und die dem Rezipienten ein belastbares Urteil ermöglicht. Dem Marxschen Geschichtsfatalismus darf man deshalb getrost den Hölderlinschen Hexameter: "Komm! ins Offene, Freund!" entgegensetzen.

Der Text ist erschienen in: Externer Link: Neues Deutschland, 2. Oktober 2008

Fussnoten