Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude im Rahmen dieser Tagung zu Ihnen zu sprechen. Der dreifache Schwerpunkt Soziale Ungleichheit – Medienpädagogik – Partizipation dieses Fachkongress hätte nicht treffender gewählt werden können, um ein Megathema der bundesdeutschen Gesellschaft zu beleuchten: Welchen Beitrag können die Disziplinen der Medienforschung und Medienpädagogik, der Pädagogik allgemein, leisten, um in einer von sozialen Disparitäten bestimmten Mediengesellschaft eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, die von Marginalisierung und Prekarisierung bedroht oder sogar betroffen sind?
Nicht erst die globale Finanzkrise der letzten Wochen, hat dieses Thema auf die politische Tagesordnung gehoben. Wir kennen die Diskussion seit längerem. Die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung von TNS Infratest erarbeitete Studie Gesellschaft im Reformprozess stellte bereits im Juli 2006 fest, dass Verunsicherung zur "dominanten gesellschaftlichen Grundstimmung" geworden sei. Im Zuge der Diskussion dieser Befunde zeigt sich, dass "die soziale Frage weniger denn je ein exklusives Problem 'sozialer Randschichten'" ist, wie der Soziologe Klaus Dörre in einem kürzlich erschienenen Essay in der bpb-Publikation Aus Politik und Zeitgeschichte feststellte. In der Studie wird unterschieden zwischen der Bezeichnung Prekariat als Beschreibung für die Situation von Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und der Bezeichnung "Abhängiges Prekariat". Damit ist ein über die Qualität des Beschäftigungsverhältnisses hinausgehendes Gefühl der Unsicherheit gemeint, das sich auf die gesamte Lebenssituation und -perspektive erstreckt und damit zur Chiffre des Milieus wird. Zum Prekariat im engeren Sinne sind nicht nur Angehörige der sozialen Unterschichtenmilieus zu zählen, sondern ebenso der Mittelschicht, beispielsweise in akademischen Berufen Tätige mit Zeitarbeitsverträgen oder in vergleichbaren Beschäftigungsformen. Gesprochen wird von der "Erosion am Rande der Mitte". Gemeint ist damit die Beobachtung, dass auch Angehörige der Mittelschicht (objektiv) von sozialem Abstieg bedroht sind und weite Teile dieser sozialen Gruppe von einem (subjektiven) Gefühl der Verunsicherung hinsichtlich ihrer Zukunftsperspektiven erfasst werden.
Dieses Gefühl der Verunsicherung wird natürlich durch gesellschaftlichen Krisen wie zum Beispiel die aktuelle verfestigt und verstärkt. Dabei ist es unerheblich, ob die gehegten Befürchtungen denn auch tatsächlich eintreten. Eine "subjektiv verunsicherte Mitte der Gesellschaft" stellt auch dann "ein sozial ernstzunehmendes Problem" dar, wenn der soziale Abstieg nicht erfolgt, wie Nicole Burzan in der bereits genannten Ausgabe Aus Politik und Zeitgeschichte sehr anschaulich erläutert. Burzan führt weiter aus, dass die Soziologie ihr Modell über Ungleichheit und deren zentrale Merkmale grundsätzlich überdenken müsse. Ich halte es zudem für unerlässlich, diese Diskussion auch aus einer politischen Perspektive und einer Bildungsperspektive zu führen. Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat fehlende Bildung als Armutsrisiko herausgestellt und unter anderem auf den sozial selektiven Charakter des deutschen Schulsystems hingewiesen. Eine Diskussion, die nicht neu ist, aus der aber systematisch keine Konsequenzen gezogen werden. Eine gute Bildung und der sozialen Mitte qua Geburt anzugehören, bietet eben nach wie vor noch einen Schutz vor Arbeitslosigkeit und Armut.
Aus Sicht der politischen Bildung hat das Konsequenzen: Verunsicherung stellt die Bereitschaft zur Partizipation am politischen System auf die Probe. Wo aufgrund einer Enttäuschung über die als mangelhaft wahrgenommenen Leistungen des Staates das Vertrauen in die grundlegenden Werte, Normen und Strukturen der politischen Ordnung schwindet, kann es zu einer Verweigerung der politischen Teilhabe führen. Dies gilt insbesondere für Milieus, die nach Einkommen und Bildung dem unteren sozialen Drittel zuzurechnen sind, seien es die konsummaterialistischen oder hedonistischen Milieus aus der Freizeitforschung oder das "Abgehängte Prekariat" aus der politischen Milieu-Typologie von TNS Infratest. Gemeinsam ist diesen Milieus eine Auffassung des Staates als eines eingreifenden Staates, der die soziale Absicherung der Bürger und die Herstellung von Chancengleichheit zu sichern habe. Besser gebildete Milieus stellen in der Regel weniger paternalistische Forderungen an den Staat.
Die Erwartungshaltung der politik- und bildungsfernen Milieus geht einher mit einer deutlich dichotomischen Haltung á la "Die da oben machen, was sie wollen, und wir hier unten müssen es ausbaden". Das senkt natürlich die Bereitschaft zur politischen oder zivilgesellschaftlichen Partizpation zusätzlich. In dieser Lebenswelt fehlt auch fast vollständig die Erfahrung von "gelingendem Leben", von "geglückter Demokratie", wie Wolfrum es nennt. Bildung ist meines Erachtens die wichtigste Grundlage, um sein Leben erfolgreich in die Hand nehmen zu können und Anerkennung zu erhalten. Bundesbildungsministerin Schavan hat es in einer Ringvorlesung an der Humboldt-Universität in Berlin zur "Zukunft der Menschen" gesagt: "Bildung in der Schule und Bildung durch Wissenschaft sollen Chancen für ein gelingendes Leben eröffnen." Leider müssen wir noch allzuoft konstatieren, dass dies nicht gelingt, weil die Bildung die Menschen nicht erreicht, Bildungsangebote nicht angenommen werden:
1. Jugendliche haben sich häufig schon selbst aufgegeben und sich oftmals mit der Fortsetzung einer familiär vorgegebenen Sozialhilfetradition arrangiert.
2. Lernangebote sind falsch konzipiert und folgen einer Didaktik, die keinerlei Anschluss an die Alltagswirklichkeit erlaubt.
3. Es fehlen materielle Ressourcen.
4. Es gibt in jugendlichen peer-groups oftmals keine Kultur der positiven Anerkennung von Bildung. Wenn wir Jugendliche erfolgreich in Bildungsprozesse involvieren wollen, müssen also andere Wege beschritten werden, andere Lernsettings und Didaktiken entworfen werden. Aufgerufen wird hier sofort der Begriff des informellen Lernens. Informelles Lernen im Sinne eines handlungs- bzw. problemorientiertes Lernens, das die konkrete Lösung einer Aufgabe oder eines Problems der persönlichen Lebenswelt erreichen will, nicht aber ein vorgegebenes Lernziel außerhalb dieser Alltagswirklichkeit. Medien sind in der Lebenswelt Heranwachsender zunehmend Orte oder Gelegenheiten dieses informellen Lernens. Insbesondere elektronische Medien sind mittlerweile integraler Bestandteil jugendlichen Alltagslebens geworden. Nicht hinreichend geklärt war bisher die Frage, ob sich mit diesen Gelegenheiten des informellen Lernens auch weitere Bildungsprozesse verbinden können, ob sich Lernprozesse einstellen, die über den informellen Kontext, die Alltagswelt hinausweisen.
Mit der hier vorgestellten Studie Medienhandeln in Hauptschulmilieus scheint mir aber ein klärender Befund vorzuliegen. Ich war jedenfalls erfreut bei der Lektüre der Studie Sätze wie diese zu lesen:
Medienhandeln ist integriert in Freizeit und Vergnügen, aber ebenso in die soziale Lebensführung und in Ausbildung und Arbeit. In dieser Veralltäglichung liegen Ansatzpunkte für Bildungsprozesse, die an den Perspektiven und Fähigkeiten von Jugendlichen ansetzen und auf Erweiterung ihrer Kompetenzen und ihres Horizonts zielen im Hinblick auf einen selbstbestimmten Umgang mit Medien und im Hinblick auf einen partizipativen Zugang zur gesellschaftlichen Realität, die von den Medien mit konstituiert ist.
Und:
Die interaktiven Medien mit ihren Feedbackstrukturen bieten viele Ansatzpunkte, Anerkennung zu bekommen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu steigern und Selbstbewusstsein zu erlangen. Diese Basis trägt auch für weitere Bildungsprozesse und kann für neue Inhalte aufschließen.
Die Studie resümiert, dass ihre Befunde es ermöglichten "Ansatzpunkte für pädagogisch organisierte Bildungsprozesse zu markieren". Mit diesem Ergebnis ist sie für die Profession der politischen Bildung, für die Bundeszentrale für politische Bildung insbesondere, ein wertvolles Ergebnis. Die bpb hat seit einiger Zeit die Gruppe der bildungs- und politikfernen Jugendlichen sehr dezidiert in den Blick genommen und einen eigenen Fachbereich eingerichtet, der Strategien und Angebote zur Erreichung dieser Zielgruppe entwickelt. Dabei steht vor allem auch das jugendliche Medienhandeln im Fokus. Insofern werden die Ergebnisse der Studie sowie dieses Fachkongresses mit den heute und morgen folgenden Vorträgen, Workshops und Diskussionen unsere Arbeit sicherlich mit wertvollen Hinweisen bereichern.
Hierfür danke ich den Veranstaltern, dem JFF und der PH Ludwigsburg sehr herzlich und wünsche Ihnen allen einen erfolgreichen Verlauf!
- Es gilt das gesprochene Wort -