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Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung? | Presse | bpb.de

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Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung? Grußwort von Thomas Krüger bei der Fachtagung "Die Stadt und ihr Gedächtnis – Zur Zukunft der Stadtmuseen" am 24.04.2009 in Berlin

/ 8 Minuten zu lesen

Die Initiative schule@museum soll der deutschen Museums- und Schullandschaft Impulse geben, damit gemeinsam Projekte durchgeführt werden können.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Aus der historischen Entwicklung des Föderalismus in Deutschland heraus, haben die Städte in den vergangenen Jahrhunderten immer einen bedeutenden Einfluss auf die politischen Identitäten der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger gehabt. Dass diese Identitäten einen wesentlichen Bestandteil der politischen Kultur Deutschlands bildeten und bis heute bilden, ist allen Regierenden in Vergangenheit und Gegenwart bewusst. Nicht erst Wilhelm II hat den Einfluss der Stadtarchitektur als symbolische Politik erkannt. Die Gestaltung der Stadt im Deutschen Kaiserreich – unter Wilhelm allerdings erstmals Angelegenheit einer für Repräsentationsbau zuständigen Reichsbauabteilung – diente immer auch der Klärung der Frage, was "deutsch" sei und bemühte sich um Anknüpfung an die Traditionen vergangener Jahrhunderte, die das Hohenzollernreich mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation in eine direkte Verbindung bringen sollten. Ikonographisch am deutlichsten dokumentieren diese Geschichtsklitterei die Gemälde im Foyer der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Auch und gerade das fast 50jährige Ringen der DDR-Regierungen um ein Repräsentationsgebäude für den ostdeutschen Staat und um Städtebau, der sowohl dem "realistischen" Anliegen als auch dem Wunsch der Menschen nach Identifikation mit ihrer Stadt (= mit ihren Staat) gerecht wird, zeugen von der besonderen Bedeutung der Städte für die politische Legitimität von Regierungsmacht in der Vergangenheit.

Wie stark Städte und Stadtgestaltung Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker bewegen, davon zeugt die Vehemenz der Streitigkeiten um die Hauptstadtfrage, um den Abriss des Palastes der Republik oder um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses.

Die deutschen Städte sind lebendige Museen, soziale Gedächtnisse, Zeugen von Jahrhunderten wechselvoller Geschichte. Viele sind bis in die Jetztzeit vom 2. Weltkrieg und der selbstzerstörischen Energie des nationalsozialistischen Regimes gekennzeichnet. Einige lassen dagegen Rekurse bis in die römische Antike zu. Stadtmuseen haben den Auftrag, den Bürgerinnen und Bürgern diese Geschichte zu vermitteln, sie verstehbar zu machen, Zusammenhänge aufzudecken und Implizites auszudrücken. Wo Städte in ihrer Gewachsenheit je mit historischpolitischen Identitäten korrespondieren, dienen Stadtmuseen der Bewusstmachung dieser Identitäten und der Auseinandersetzung mit ihnen. Die Beschäftigung der jugendlichen und erwachsenen Museumsbesucher/innen mit den spezifischen Artefakten der Stadtmuseen – den Kulturprodukten und dem kulturellen Erbe der Gesellschaft – eröffnet Räume für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen, die Gegenwart und Zukunft betreffen.

In dieser Hinsicht trägt die Arbeit der Stadtmuseen zur Persönlichkeitsbildung sowie zur kulturellen und politischen Bildung bei. Idealerweise ermächtigt sie die Besucherinnen und Besucher, eine an selbstentwickelten Maßstäben orientierte Beziehung zwischen Herkunft, Gegenwart und Zukunft herzustellen. Obwohl Museen eine Vielfalt von Funktionen wahrnehmen, sind sie aus der Sicht der politischen Bildung insbesondere als Kulturbetriebe interessant, die ihre Vermittlerrolle, d.i. die auf die Gesellschaft bezogene Kommunikations- und Bildungsfunktion, ernst nehmen. Wie funktioniert das?

Karl Ermert, Direktor der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, klärt die zur Beantwortung der Frage notwendigen Voraussetzungen, die ohne weiteres auf die Tätigkeit der Stadtmuseen übertragbar sind. Er bezieht sich dabei auf Anne Bamford, die hinsichtlich der Rolle der Künste in Bildung und Erziehung unter dem Titel "The Wow Factor" zwei Zugänge zur "Arts Education" unterscheidet, welche dem Ziel dient, das kulturelle Erbe einer Gesellschaft an die folgenden Generationen weiter zu geben: "Education in art" umfasst dabei die Spielarten der herkömmlichen Kunsterziehung mit dem Ziel, dass Menschen gebildet und auch kritisch am Kulturbetrieb teilhaben können, und "Education through art". In Deutschland gebe es – so Ermert – eine vergleichbare Formulierung: "Bilden mit Kunst". Damit sei die Behauptung impliziert, dass Kunstvermittlung die Menschen ermächtigen soll, sich im Medium der Künste mit "Welt" auseinander zu setzen und dafür auch sozusagen "Welt" in die Kunstvermittlung hinein nehmen muss. Ermert formuliert als Anspruch, was auch aus der Sicht der politischen Bildung der entscheidende Faktor ist: Kunstvermittlung muss verstanden werden als Bilden mit Kunst bzw. durch Kunst.

Unbeschadet der Auffassung, dass Kunst- und Kulturprodukte in ihrer ästhetischen Aussage auch um ihrer selbst willen geschätzt oder mindestens respektiert werden müssen, geht also die politische Bildung einen Schritt weiter und stellt die Hypothese auf, dass die Auseinandersetzung mit diesen kein rein ästhetischer Akt ist. Vielmehr impliziert die kognitive, affektive oder evaluierende Beschäftigung mit den Kunst- und Kulturprodukten bereits die Teilnahme an einem kulturellen Diskurs der Gesellschaft und somit kulturelle Teilhabe. Denkt man – und dies ist in der politischen Bildung üblich – die unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe derer mit, die sich mit den musealen Objekten auseinandersetzen, ihre je nach kulturellem Hintergrund verschiedenen Erinnerungskulturen, so wird deutlich, dass die Stadtmuseen hinsichtlich ihrer Ausstellungstätigkeit und ihrer museumspädagogischen Aktivitäten zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in einer Gesellschaft beitragen können, für die dieses Thema zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen geworden ist.

Die Betonung liegt auf dem "können". Ähnlich wie die Institutionen der politischen Bildung müssen auch die Stadtmuseen im 21. Jahrhundert ihre Konzepte an eine sich permanent transformierende Weltgesellschaft anpassen. Deren "Zukunft", folgt man dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan bei der Eröffnung der Weltkonferenz Urban 21 am 4. Juli 2000, "liegt (zwar) in den Städten", aber nur ein Teil der Menschen profitiert von den positiven Seiten der Metropolisierung. Dies ist in Europa und Deutschland noch nur ansatzweise erkennbar. Von den dreißig weltweit größten Megacities liegen zwanzig allein in Asien und Lateinamerika. Berlin belegt mit knapp dreieinhalb Millionen Einwohner/innen Platz 53 der Weltrangliste der Millionenstädte und knackt damit gerade mal die allerweiteste Definition von "Megastadt". Hamburg liegt mit rund 1,8 Millionen Einwohner/innen auf Platz 130 und München mit unter 1,4 Millionen auf Platz 204 der größten Städte. Das Rhein-Ruhr-Gebiet rangiert mit seinen 12 Millionen Einwohner/innen in der Kategorie "megaurbaner Raum". Von den in Werken zeitgenössischer Literatur und Filmkunst motivisch wiederkehrenden Szenarien außer Fugen geratener Städte können wir also in Deutschland nur Andeutungen erspüren. Noch sind die Städte hier begehrte Wahlheimaten mit hoher Lebensqualität, nicht notgedrungen in Kauf genommene Wohnorte. Im Idealfall sind sie liberale Modelle multikulturellen Zusammenlebens und demokratischer Mitwirkung sowie städtischer good-governance-Praxis. Sie können Impulsgeber von Wachstum, Innovation und kultureller Entfaltung sein und sind es meist auch. Eingebunden in ein weltweites Netzwerk des Austauschs von Ideen und Kommunikationen, gestreift von den nomadisierenden Massen einer modernen Weltgesellschaft in Bewegung sind sie Motoren geistiger Erneuerung.

Lassen Sie uns dennoch über die Negativseiten des Trends sprechen: Auch hierzulande wird die soziale Segmentierung der Städte in Quartiere mit Privilegierten und solche mit Unterprivilegierten immer deutlicher sichtbar. Gated Communities zeichnen sich ab, städtische Räume schließen sich und den Bewohner/innen der ein- sowie denen der ausgeschlossenen Räume ist immer schwerer verständlich zu machen, dass sie tragende Teile einer Gesellschaft sind. Die Entfremdung der städtischen Milieus, die Spannungen zwischen Zuwanderern, ihren Nachkommen und alteingesessenen Bewohnern sowie die Unterschiede in den Lifestyles stellen diejenigen, die an der Legitimität des politischen Gemeinwesens interessiert sind, vor nie dagewesene Herausforderungen.

Wie können die Stadtmuseen diesen Herausforderungen angemessen begegnen? Welche Zukunftsaufgaben und Funktionen können wir konkret benennen? Auch hier gibt Ermert, der sich allerdings auf die Aufgaben der kulturellen Bildung bezieht, wieder sehr gute Anregungen, die auf die Museumsarbeit zu übertragen sind:

  • Erstens sollten Stadtmuseen an der Herstellung gesellschaftlicher Partizipationsfähigkeit mitwirken;

  • Zweitens sollten sie sich um die Integration unterschiedlicher Kulturgruppen in unserer Gesellschaft (durch Verstehen und Kommunikation) bemühen;

  • Drittes wäre es wesentlich, dass sie kulturelle Mittel bereitstellen, um die Kommunikation zwischen den Generationen zu befördern;

  • Sie sollten sich außerdem Gedanken machen um die Angemessenheit ihrer Strukturen und um die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit;

  • Die Stadtmuseen müssen Ideen hinsichtlich der systematischen Förderung des Nachwuchses machen;

  • Schließlich sollte auch auf Synergiebildung zwischen den vorhandenen Bildungs- und Kulturstrukturen, den politischen und administrativen Strukturen gesetzt werden;

Wie dies im einzelnen aussehen sollte und welche Konzepte Erfolg versprechen, kann nach meiner Erfahrung nur durch intensive Diskurse der Beteiligten in Erfahrung gebracht werden. Beteiligte sind allerdings – und hier kommen wir zu einem wesentlichen Aspekt meiner Argumentation – nicht die politisch Verantwortlichen oder die Betreiber der Kultureinrichtungen – jedenfalls nicht sie allein. Die Beteiligten der Zukunft müssen vielmehr diejenigen sein, die in der Vergangenheit als Rezipienten der Museumsarbeit gedacht wurden. Dies bedeutet im Klartext, dass sich zeitgemäße Ausstellungsarbeit und Museumspädagogik öffnen muss für eine aktive Teilhabe.

Ein Beispiel: Wesentlicher Bestandteil der Vermittlungsarbeit von Stadtmuseen im Sinne politischer Bildung war immer der Bereich der Erinnerungskulturen, was konkret bedeutete, dass Informationen über Erinnerungskulturen geliefert wurden. Abgesehen davon, dass die Traditionen derer, an die erinnert wurde, nur noch die Traditionen von Teilen der heutigen Gesellschaft sind und die Traditionen der Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel nicht zum Thema wurden und immer noch zu selten werden – zunächst also abgesehen davon, ist Informationsvermittlung nicht mehr der gangbare Weg. Tradition und Soziokultur als substantieller Teil der politischen Kultur einer Gesellschaft muss vielmehr kulturell und diskursiv vermittelt oder vielmehr ausgehandelt werden, wodurch sich der Prozess der Vermittlung mit samt seinen Formaten fundamental verändert.

Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich den notwendigen Funktionswandel der Museen als Aufgabe gestellt. Eines unserer Pilotprojekte – das Projekt schule@museum, das wir in Kooperation mit dem BDK - Fachverband für Kunstpädagogik e.V., dem Deutschen Museumsbund und dem Bundesverband Museumspädagogik e.V. durchführen, wird 2009 in eine substantiell neue Phase eintreten. Bisher von uns als offenes "Labor" geführt, in dem unterschiedliche Formate auf ihr kreatives kulturelles Potential getestet wurden, will die neue Initiative schule@museum nun bundesweit langfristige Kooperationen zwischen den Institutionen "Schule" und "Museum" begründen, mit dem Ziel eines beiderseitigen kulturellen Ertrages und der Öffnung von Räumen für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Bundesweit sechzehn "Tandems" - Partnerverbünde von Schulen und Museen – entwickeln im Dialog miteinander und den am Projekt beteiligten Institutionen sowohl nachhaltige Formen der Zusammenarbeit als auch Konzeptionen zur erfolgreichen kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen.

Schülerinnen und Schüler, insbesondere aus bildungsfernen Familien sowie aus Familien mit Migrationshintergrund treten in der Beschäftigung mit den authentischen Objekten der Kultureinrichtungen aus Kunst, Geschichte, Kultur, Technik und Natur in einen kreativen Bildungsprozess ein, der sowohl zu ihrer Persönlichkeitsbildung als auch ihrer kulturellen und politischen Bildung beitragen soll. Durch die erfolgreiche Teilhabe an den kulturbezogenen Kommunikationen und Lernprozessen wird ihre gesellschaftliche Kompetenz gestärkt.

In der kommenden Projektphase werden wir uns auf Kooperationen von Museen mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I aller Schularten, vor allem aber an Hauptschulen und Erweiterten Realschulen konzentrieren. Die Jugendlichen selbst werden an der Entwicklung der in den Schule-Museum-Partnerverbünde durchgeführten Einzelprojekte und Konzeptionen maßgeblich beteiligt sein und ihre Entwürfe mit den "Tandems" der jeweils anderen Bundesländer diskutieren, so dass sie auch in die Netzwerkarbeit eingebunden sind (Peer Education). Nachhaltige Erträge aus dem Projektvorhaben werden u.a. didaktische Arbeitsmaterialien für Schulen – aber auch für Museen – sein, die Pädagogen beider Einrichtungen konkrete Unterrichtshilfen für die Arbeit am außerschulischen Lernort "Museum" an die Hand geben, sowie ein Leitfaden, der in der Reihe "Standards für Museen" des Deutschen Museumsbunds erscheinen wird. Daneben wird eine Internetplattform mit konkreten Tipps, Musterverträgen, strukturellen und organisatorischen Hinweisen für Lehrkräfte und Museumsmitarbeiter/innen eingerichtet werden. Zudem dient die Internetplattform dem Austausch der Jugendlichen, die hier ihre eigenen Zugänge zu der Thematik mit einem für sie selbstverständlichen Medium finden werden. Wir hoffen, dass die Initiative schule@museum der deutschen Museums- und Schullandschaft dahingehend Impulse geben wird, dass und wie gemeinsam Projekte durchgeführt werden können.

Ich würde mich freuen, den Theoretikern und den Praktikern unter Ihnen einige Impulse gegeben zu haben und Sie die Idee einer "kulturellen Kulturvermittlung" durch Stadtmuseen im Sinne einer neuen Form politischer Bildung mit mir diskutieren würden. Vielen Dank!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten