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Einmischung erwünscht! 60 Jahre Grundgesetz | Presse | bpb.de

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Einmischung erwünscht! 60 Jahre Grundgesetz Rede von Thomas Krüger anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Einmischung erwünscht! 60 Jahre Grundgesetz" in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin am 22. Mai 2009 in Bonn

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Rede von Thomas Krüger anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Einmischung erwünscht! 60 Jahre Grundgesetz" in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin am 22. Mai 2009 in Bonn.

Sehr geehrter Herr Ottomeyer, meine Damen und Herren,

ich darf Sie im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung recht herzlich begrüßen. Gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin eröffnen wir heute hier in Bonn die Wanderausstellung "Einmischung erwünscht! 60 Jahre Grundgesetz". Nicht zu Unrecht wird die Wanderausstellung hier in Bonn eröffnet. Hier hat der Parlamentarische Rat im Museum König getagt und das Grundgesetz entworfen. Von Bonn nahm die Geschichte des Grundgesetzes ihren Lauf auf und hat die deutsche Nachkriegsgesellschaft maßgeblich geprägt. Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes hat das demokratische Deutschland der letzten Jahrzehnte viel zu verdanken.

Es war deshalb keine Frage, dass wir uns mit unseren Partnern entschlossen haben, Bonn als erste Station auszuwählen und die Feierlichkeiten des 23. Mai zu nutzen, um sie hier zu zeigen und zur Diskussion zu stellen. Uns – der bpb und den Kolleginnen und Kollegen des DHM – lag dabei an zweierlei: Wir wollen mit dem klassischen Mittel der Ausstellung ein Bild, eine Vorstellung vom Grundgesetz und seiner bzw. seinen Geschichten geben und die Besucherinnen und Besucher gleichzeitig ermutigen, sich ihrer Möglichkeiten als Bürger bewusst zu werden. Diese Ausstellung will sich gerade nicht in Erinnerungen verlieren, sondern Anstiften, das eigene Bürgersein zu aktivieren und in die Hand zu nehmen. Es gibt viele Gründe dafür.

Diese Ausstellung eröffnen wir am Vorabend des Jahrestages des Grundgesetzes an einem der historischen Orte. Hier hat der Deutsche Bundestag vor seinem Umzug nach Berlin getagt. Hier hat er sein architektonisches Glanzstück voller Licht und Transparenz am Ende der 80ger Jahre gefunden. Schon der Parlamentarische Rat hatte bei dem Entwurf des Grundgesetzes die Deutsche Einheit im Blick behalten und ganz bewusst offen gehalten. Es ist fast 19 Jahre her, dass nach der friedlichen Revolution in der DDR, nach den zwei-plus-vier-Verhandlungen und dem Einigungsvertrag in dieses Gebäude 144 Abgeordnete der frei gewählten Volkskammer der DDR als neue Mitglieder des Bundestages einzogen.

Erwarten Sie von mir heute bitte keine verfassungsrechtliche Grundsatzrede. Dennoch seien ein paar Anmerkungen erlaubt, denn es gibt allerhand Diskussionen, die diese Republik bewegen und die mit den Inhalten des Grundgesetzes zu tun haben. Vier Beispiele:

  • Es sind die durch den 11.September ausgelösten und breit vorangetriebenen Sicherheitserfordernisse, die die im Grundgesetz verankerten Freiheitsrechte bedrängen und tendenziell einschränken;

  • Die Bildungspolitik steht vor enormen Herausforderungen, sich für die Wissensgesellschaft des 21.Jahrhunderts zu rüsten. Wie kann gesichert werden, dass alle jungen Menschen an ihr partizipieren? Welche Förderungen werden für bildungsbenachteiligte Jugendliche entwickelt?

  • Wie gestalten wir unsere Zukunft als Einwanderungsland und sichern die Rechte des Grundgesetzes auch für die Menschen, die sich in Deutschland integriert haben und hier ihren eigenen Platz suchen?

  • In welchem Verhältnis zum Grundgesetz steht eigentlich der europäische Verfassungsentwurf? Werden spezifische Grundfesten und Marksteine des Grundgesetzes dadurch relativiert oder gar ausgehöhlt? Um welchen Preis darf sich die Verfassungsgeschichte im europäischen Kontext weiterentwickeln?

Das Grundgesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Gesellschaft sich eine gemeinsame Verfassung geben kann. Es ist offen für eine Entwicklung. Aber es setzt auch in seiner Vorläufigkeit Maßstäbe, die nicht auf die leichte Schulter zu nehmen sind.

Es wird immer wieder behauptet, dass es kein "Lernen aus der Geschichte" gebe. Mit Blick auf die Bonner Verfassung, wenn ich einmal den bescheidenen Begriff des Grundgesetzes aus lokalpatriotischen Gründen zurückstelle, gilt das Gegenteil. Die Ergebnisse des Parlamentarischen Rates 1948 zeugen geradezu von diesem "Lernen aus der Geschichte". Die Verfassungsmütter und -väter des Parlamentarischen Rates haben bei der Beratung des Grundgesetzes 1948/49 in Bonn in vielfacher Weise "aus der Geschichte gelernt", d.h. einen exzellenten Beleg für die Leistungsfähigkeit politischer Bildung geliefert.

Hervorzuheben sind beim Vergleich von Weimarer Reichsverfassung (WRV) und Grundgesetz (GG) folgende "Lehren aus der Geschichte", wie Sie sie gleich auch in der Ausstellung dargestellt finden. Ich will neun Punkte nennen:

  • Im Unterschied zur WRV werden die politischen Parteien ausdrücklich zu Organen der politischen Willensbildung erhoben (Art. 21 GG). Die Parteien werden auf eine demokratische innere Organisation festgelegt und gezwungen, über die Herkunft und die Verwendung ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen.

  • Als drittes Staatsorgan neben Regierung und Parlament wird als "Hüter der Verfassung" ein Bundesverfassungsgericht (BVG) eingerichtet. Ausdrücklich eingeräumt wird die Möglichkeit des Verbotes verfassungsfeindlicher Parteien und Vereinigungen durch das BVG.

  • Der Schutz eines unabänderlichen Kernbestandes der Verfassung, die Grundrechtsartikel 1-19 GG, wird gesichert. In Art. 19 heißt es: "In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden."

  • Es wird ein arbeitsfähiges Parlament durch Beschneidung der Rechte des Bundespräsidenten hergestellt. Es wird die Abschaffung der Volkswahl des Präsidenten festgelegt, und es gibt kein präsidiales Notverordnungsrecht mehr (Art.48 WRV). Der Bundespräsident kann den Bundestag nur noch in klar umgrenzten Ausnahmefällen auflösen.

  • Dafür gibt es eine starke Stellung des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin: Seine oder ihre Ablösung während der Legislaturperiode kann nur durch ein Konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 GG) erfolgen. Es wird die Richtlinienkompetenz betont.

  • Es wird auf Elemente der direkten Demokratie verzichtet. An die Stelle eines Verhältniswahlrechts ohne Sperrklausel wird ein gemischtes Wahlsystem mit der 5% Klausel gesetzt. (Diese Entscheidung wurde indes nicht durch den Parlamentarischen Rat getroffen, sondern durch das Bundeswahlgesetz Juni 1949.)

  • Die WRV garantierte eine Reihe weitgehender sozialer Rechte. Aber erst der Parlamentarische Rat hat - im Wesentlichen vorangetrieben und koordiniert von der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert - die in Artikel 3 garantierte Gleichstellung von Mann und Frau mit all ihren bekannten Auswirkungen durchgesetzt.

  • Bereits in der WRV (Art. 153) wurde das Eigentum garantiert: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste." Auch das GG postuliert die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14), garantiert zugleich aber das Recht auf Eigentum und das Erbrecht als elementare Grundrechte. Im Übrigen hat sich das BVG die Grundannahme des GG über wirtschaftspolitische Neutralität zu Eigen gemacht. Der Staat ist also nicht auf ein bestimmtes ökonomisches Ordnungsmodell verpflichtet, und "wirtschaftspolitische Unvernunft ist noch kein Verfassungsbruch", wie es Hans-Jürgen Papier, Präsident des BVG, in der Zeitschrift der bpb "Aus Politik und Zeitgeschichte" formulierte. Gleichwohl, so Papier weiter, "ergibt sich aus der vollzogenen Gesamtschau der grundrechtlich verbürgten Freiheiten für die wirtschaftliche Betätigung, dass in der Bundesrepublik eine bestimmte Wirtschaftsordnung sicher nicht entstehen kann: eine Wirtschaftsordnung, die eine Koordination der Volkswirtschaft prinzipiell im Wege der Zentralverwaltung und in einem System imperativer und zentralisierter Staatsplanung bewerkstelligen wollte".

  • Die Ansätze einer föderalen Struktur der Weimarer Republik wurden vor allem durch die Existenz Preußens, das 60 Prozent des Reichsgebietes und 2/3 der Bevölkerung umfasste, konterkariert. Dieses Übergewicht wurde in der Bundesrepublik beseitigt, auch wenn das Grundgesetz keine Festlegung über die Größe der Bundesländer trifft.

Schon diese neun Punkte machen deutlich, dass "Lernen aus der Geschichte" möglich ist und prägend wirkt. Insofern – das darf ich in aller Bescheidenheit, die Bonn immer ausgezeichnet hat, feststellen – ist Bonn völlig zu Recht Sitz der Ende 1952 gegründeten Bundeszentrale für politische Bildung. Unsere Institution ist so etwas wie eine präventive Instanz des Grundgesetzes. Dafür steht nicht nur die über die Jahre millionenfache Verteilung des gedruckten Grundgesetzes.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Die wichtigste Lehre, die der Parlamentarische Rat mit der Festlegung der Unabänderlichkeit der Grundrechte aus dem Scheitern der WRV, ihrer Aushöhlung und Ausbeutung durch Hitler und die NSDAP gezogen haben, liegt in der Anerkennung der Unentbehrlichkeit einer Verfassungsordnung, welche die Freiheitsrechte des Einzelnen gegenüber politischer Manipulation schützt, die Partizipation der Bürger sicherstellt und eine Verselbständigung einer zentralen Staatsmacht verhindert. Die Schöpfer des Grundgesetzes haben aus der Geschichte gelernt und die bitteren Erfahrungen in eine Richtschnur verwandelt.

Es ist, wie Heinrich Böll es einmal sagte: "Das Grundgesetz ist der Beichtspiegel der Nation."

Deshalb war Bonn nicht Weimar; Berlin ist es erst recht nicht. Das ist ein Verdienst Bonns, der Bonner Verfassung, der Bonner Republik. Und es macht Bonn zu einem guten Ort für die Eröffnung dieser Ausstellung. Ich danke Frau Breymeyer, Frau Blume, Herrn Dr. Ulrich und Herrn Schulte für die Erarbeitung der Ausstellung und Herrn Professor Ottomeyer für die erprobt gute Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum. Ich wünsche uns allen einen klugmachenden und auch etwas besinnlichen Abend und der Ausstellung hier und auf ihrer Wanderung interessierte Besucher.

Liebe Gäste, vielleicht haben Sie Lust, sich auf die Auswahl des Grundrechtes einzulassen, das Ihnen am wichtigsten ist: Dann stimmen Sie nachher bitte mit ab. Und wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, wo der Wehrbeauftragte seinen Sitz im Bundestag hat und wo die Stenographen sitzen, sehen Sie auf dem Modell des Bundestages noch einmal nach. Lassen Sie sich von Frau Breymeyer, Frau Blume und Herrn Dr. Ulrich durch die Ausstellung führen; sie haben sie erarbeitet. Dafür herzlichen Dank.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Fussnoten