Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2009 ist mit 43,55 Prozent sehr niedrig. Nehmen Sie bei Ihrer politischen Bildungsarbeit ein ähnliches Desinteresse an europäischen und politischen Themen wahr?
Nein, ganz im Gegenteil. In den vergangenen Wochen haben uns die hohen Nutzerzahlen unseres Online-Angebots zu den Wahlen 2009 und des Wahl-O-Mat zur Europawahl sehr erfreut. Über 1,5 Millionen Mal wurde das interaktive Angebot genutzt. Daher ist die Wahlbeteiligung der Deutschen an der Europawahl umso ernüchternder. Wir hatten gehofft, dass sich der Negativtrend der Wahlbeteiligung bei dieser Europawahl nicht weiter fortsetzt. Wir dürfen uns mit dem Ergebnis nicht abfinden. Das Ziel aller gesellschaftlichen Kräfte muss sein, den Bürgerinnen und Bürgern die Bedeutung Europas und des Europäischen Parlaments besser zu vermitteln.
Analysen von Wahlbeteiligungen machen immer wieder deutlich, dass insbesondere Jung- und Erstwähler nicht wählen gehen. Wie erklären Sie diese Passivität?
Junge Menschen können häufig nicht erkennen, was die Politiker "dort oben" überhaupt mit ihrem Lebensumfeld, mit ihren Interessen und Problemen zu tun haben. Sie glauben nicht an die Macht demokratischer Partizipation – und insbesondere politikferne Zielgruppen bekommen diesen Glauben wenig durch ihr Umfeld vermittelt. Hinzu kommt, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben, in der Bildung eine maßgebliche Voraussetzung für die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ist. Jugendliche aus sozialen Brennpunkten haben aber oft nicht die Chance, sich Wissen – auch politisches Wissen – anzueignen und drohen damit umso stärker aus gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen zu werden.
Wie wirkt die bpb diesem Problemkreis entgegen?
Mit verschiedenen Methoden. Die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet nicht nur mit klassischen Bildungsangeboten, um Menschen für politische Prozesse zu interessieren. Wir beschreiten auch eine Reihe ungewöhnlicher Wege, um jene zu erreichen, die Bücher, Seminare oder Workshops nicht nutzen. Wir wollen in der politischen Bildung auch unkonventionelle Wege gehen. Das Jugendpartizipationsprojekt "Aktion09 – Gib Deiner Meinung eine Stimme!" ist hierfür ein gutes Beispiel. Es setzt auf den Peer-to-Peer-Ansatz, also darauf, dass Jugendliche von Jugendlichen zur politischen Teilhabe motiviert werden. Sie lernen voneinander auf Augenhöhe und engagieren sich dabei in ihrem direkten Umfeld. Damit erleben sie, dass Politik nicht nur etwas ist, was im fernen Berlin hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern dass jeder sich politisch engagieren und damit etwas verändern kann.
Was sollten Politikerinnen und Politiker und alle, die in der Jugendarbeit aktiv sind, beherzigen, damit Jugendliche sich für Politik interessieren?
Unserer Erfahrung nach ist es sehr wichtig, Politik für die Jugendlichen lebendig und erfahrbar zu machen. Dazu gehört, dass man sich beispielsweise bei der Vermittlung von politischen Zusammenhängen auch der Sprache und Welt der Jugendlichen bedient. Bei "Und jetzt?!", einem Filmprojekt mit jugendlichen Laiendarstellern zu den historischen Jubiläen 2009, nutzen wir etwa eine Filmsprache, die Erwachsene eher irritiert: schnelle Schnitte, grelle Bilder und laute Musik. Sehr wichtig ist es außerdem, jungen Menschen zu vermitteln, dass sie etwas verändern können. Die jugendlichen Teilnehmer bei Aktion09 laden beispielsweise Politiker aus ihren Wahlkreisen zu Diskussionsrunden ein, um sie zu Themen zu befragen, die sie direkt betreffen. Sie sprechen sie ganz direkt auf Missstände in ihrem persönlichen Umfeld an. Auf diese Weise wird Politik für viele Jugendliche erfahrbar und entwickelt sich zu einer realen Möglichkeit, ihre Lebensumstände aktiv zu gestalten, zu verändern und zu verbessern.
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