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Mehr Qualität wagen! Grußwort beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche e.V. 2009: "Journalismus zwischen Morgen und Grauen", Hamburg

/ 6 Minuten zu lesen

Qualitätsjournalismus ist Kulturgut und Eckpfeiler unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. Und Recherche gewährleistet hintergründige Berichterstattung – und ist damit eine der Voraussetzungen für die Freiheit der Presse.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in diesen Tagen ist wieder viel von journalistischem Kahlschlag und medialer Verwahrlosung die Rede. Und tatsächlich hinterlässt die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Spuren – auch und vor allem in der Medienbranche: In deutschen Verlagen wurden unlängst hunderte Stellen gestrichen, Redaktionen wurden zusammengelegt und Budgets reduziert. Einbußen in der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent sind für dieses Jahr zu erwarten. Nicht zuletzt die Recherche als eine der Kerndisziplinen des Journalistenhandwerks ist bedroht – und darunter leidet über kurz oder lang auch die Qualität von publizistischen Angeboten.

Vor allem die werbefinanzierte Medienindustrie – also Zeitungen und Magazine, private Radiostationen und Fernsehsender sowie unzählige Angebote im Internet – versucht durch massive Sparmaßnahmen schon jetzt die Ertragsminderungen aufzufangen. Das erscheint aus unternehmerischer Sicht plausibel und konsequent. Ob dieser ökonomische Schlankheitswahn allerdings auch gesellschaftspolitisch vertretbar ist, ist eine andere Frage – denn: Wo stünden wir, wenn in unseren Städten eines Tages keine einzige Regionalzeitung mehr erschiene, nur weil sie nicht genügend Rendite abwirft? Was blühte uns, wenn irgendwann nur noch vollautomatisierte Suchmaschinen für uns Informationen zusammenklaubten, die weder überprüfbar sind noch professionell eingeordnet wurden? Und was würde, mal ganz konkret gefragt, unserer Gesellschaft eigentlich fehlen, wenn wir in 20 Jahren keine profund ausgebildeten Journalisten mehr hätten, sondern nur noch selbst ernannte Bürgerjournalisten?

Einige Online-Pioniere und so genannte Alpha-Blogger behaupten, es mache überhaupt keinen Unterschied, ob nun Profis oder Laien die Menschheit mit Nachrichten und Meinungen über Ereignisse in dieser Welt versorgten – letztlich komme es darauf an, ob sie schnell und kostenlos sind. Die meisten hier im Saal werden das vermutlich anders sehen, aber Sie wissen so gut wie ich, dass gerade die Kostenlos-Kultur im Netz den Qualitätsmedien derzeit das Genick bricht. Auf der anderen Seite haben Jürgen Habermas und andere Intellektuelle darauf hingewiesen, dass sich keine Demokratie ein Marktversagen im Pressesektor leisten könne: Um den Geist des gedruckten Wortes zu erhalten, so forderte Habermas, müsse über Subventionen für Qualitätsjournalismus oder öffentlich-rechtliche Zeitungsmodelle nachgedacht werden.

Ein Blick nach Amerika zeigt unterdessen, dass die dortige Medienbranche, vor allem die Zeitungslandschaft, durch die zunehmende Internet-Konkurrenz und den überaus populären Bürgerjournalismus mit erheblichen Verwerfungen zu kämpfen hat: Laut einem aktuellen Bericht des amerikanischen Project for Excellence in Journalism sank die Gesamtauflage aller Zeitungen in den USA im letzten Jahr um 4,6 Prozent, die Umsätze der Verlage reduzierten sich gegenüber 2006 um 23 Prozent, und die Zahl der fest angestellten US-Journalisten schrumpfte um zehn Prozent. Zugleich suchten erstmals mehr US-Bürger im Internet nach politischen Informationen als in der Zeitung. Auch wenn die deutsche Presselandschaft von ihrer Vertriebsstruktur und den Lesegewohnheiten mit den US-Märkten nicht direkt vergleichbar ist, haben solche Entwicklungen mit großer Sicherheit schon bald erste Rückkoppelungseffekte auf die Zeitungsmärkte in Europa.

Die Medienbranche, meine Damen und Herren, und Sie als Ihre journalistischen Vertreter sind aber nicht nur von der finanziellen Schieflage bedroht. Vielmehr verschärft sich durch die Rezession ein tiefer sitzendes Strukturproblem unserer Mediengesellschaft, das aus einigen Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte resultiert: Mein Eindruck ist, und das beklagen auch einige Ihrer Kollegen, dass jahrelang oft falsch, mitunter gar nicht investiert wurde: Statt beispielsweise Geld in die Aus- und Weiterbildung des journalistischen Nachwuchses zu stecken oder die unabhängige Recherche nachhaltig zu fördern, waren etliche Medienhäuser, so scheint mir, eher auf schnelle Gewinne aus.

Aber: Journalismus muss sich freimachen von kommerzieller Logik und Profitstreben, um professionell arbeiten zu können; guter Journalismus ist – selbst wenn er sich am Ende des Tages verkaufen muss – keine übliche Handelsware, die sich mit immer geringerem personellem Aufwand ohne weiteres herstellen lässt. Qualitätsjournalismus ist vielmehr Kulturgut und Eckpfeiler unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. Und Recherche ist nach wie vor Schmiermittel für hintergründige Berichterstattung – und damit eine der Voraussetzungen für die Freiheit der Presse.

Qualitätsjournalismus, wie wir ihn kennen, hat also mindestens zwei unersetzliche Funktionen: eine Wachturmfunktion und eine Leuchtturmfunktion. Während die Wachturmfunktion für das Funktionieren demokratischer Systeme zuständig ist, indem Journalisten den Mächtigen aus Wirtschaft und Politik auf die Finger schauen, ihnen mitunter Skandale, Korruption und Seilschaften nachweisen, sorgt die Leuchtturmfunktion dafür, dass soziale Werte und raditionen, Gemeinschaftssinn und kulturelle Identitäten in unsere Gesellschaft hineinkommuniziert werden. Wir brauchen daher, so meine These, guten Journalismus alleine schon deshalb, um diese beiden für unsere Demokratie so wichtigen Funktionen überhaupt aufrechterhalten zu können.

Die Freiheit der Presse ist so gesehen nicht nur eine historische Errungenschaft, sondern ein Indikator sui generis für moderne Gesellschaften – ein Privileg, das Ländern wie etwa China, Russland oder Kuba bislang vorenthalten blieb. Dass eine freie Presse aber auch bei uns nicht per se existent ist, haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt: der "Cicero"-Prozess, Telekom- Gate und die BND-Affäre nenne ich hier nur als einige wichtige Schlagworte für gezielte Angriffe auf die Pressefreiheit in Deutschland. Nun wird gerade durch die fortschreitende Konzentration und den Spardruck in vielen Medienhäusern, darauf will ich hinaus, die Freiheit der Presse weiter ausgehöhlt.

Ich hoffe für uns, dass solche Angriffe gegen die Pressefreiheit – ob aus der Politik oder der Wirtschaft – weiterhin erfolgreich abgewehrt werden. Angesichts des drohenden Verschwindens der gedruckten Zeitung in den kommenden zwei Jahrzehnten sollte mittelfristig – im Geiste unserer Demokratie – daher auch über alternative Finanzierungsmodelle und Fördermöglichkeiten für Qualitätsjournalismus nachgedacht werden, langfristig dann auch unabhängig vom Medium Papier. Denn eine angeschlagene Branche über Jahrzehnte nach dem Gießkannenprinzip mit einer Art Medien-Abwrackprämie zu bezuschussen, wie es sich derzeit in Frankreich unter Nicolas Sarkozy abzeichnet, ist keine Lösung.

Mein Gesamteindruck ist, dass die gesamte Medienbranche derzeit zutiefst verunsichert ist – zu Recht: Prekäre Arbeitsverhältnisse, die zunehmende Vermischung von Journalismus und PR, auch die weit verbreitete Ideenlosigkeit und veraltete Geschäftsmodelle sorgen für trübe Aussichten – die früher oder später, wenn wir dem keine tragfähigen Zukunftskonzepte entgegensetzen, in eine Identitätskrise unserer Mediendemokratie umschlagen könnten.

"Journalismus zwischen Morgen und Grauen" – so lautet deshalb auch das einprägsame und meiner Meinung nach treffende Wortspiel zur diesjährigen Jahrestagung des Netzwerk Recherche. Diese Botschaft hat wenig mit Schwarzmalerei zu tun. Sie ist, glaube ich, vielmehr so zu verstehen, dass wir uns alle dafür einsetzen sollten, dass der Journalismus ein Morgen ohne Grauen erlebt – Sie in Ihrem eigenen Interesse als professionelle Rechercheure, Redakteure und Medienvertreter, aber auch die Bürger unseres Landes im Interesse einer lebendigen Demokratie.
Die Ziele des Netzwerks Recherche stehen im Einklang mit dieser Forderung – nehmen Sie etwa die langfristige Wirkung des Medienkodexes, die Verleihung des Negativpreises Verschlossene Auster oder die diversen praxisnahen Studien, beispielsweise zum Hauptstadtjournalismus oder zum Wirtschaftsjournalismus, die in der Medienbranche auf großes Echo gestoßen sind. Meines Wissens leistet keine andere unabhängige Journalistenvereinigung in Europa solche programmatischen und konzeptionellen Anstrengungen, die sich unmittelbar auf die journalistische Praxis beziehen.

Wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich wissen, engagiert sich auch die Bundeszentrale für politische Bildung schon seit vielen Jahren in der journalistischen Aus- und Weiterbildung – und das mit großem Erfolg: Ziel unseres "Forums für Lokaljournalisten" ist es beispielsweise, immer wieder auch Zukunftsszenarien mit Medienpraktikern, Politikern, Wissenschaftlern und Bürgern durchzudiskutieren. Ich denke, eine lebhafte Debattenkultur über alle professionellen Grenzen und Dünkel hinweg ist eine wichtige Voraussetzung, um insgesamt mehr Qualität im Journalismus zu wagen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute und morgen weiterhin spannende Diskussionen darüber, wie der bedrohte Qualitätsjournalismus durch Recherche belebt werden kann und überlebensfähig bleibt. Recherche war und ist das Lebenselixier einer aufgeklärten und kritikfähigen Öffentlichkeit – gerade in Krisenzeiten wie diesen. Vielen Dank!


- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten