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Video ergo sum? Grußwort von Thomas Krüger zur Eröffnung der Sonderausstellung "Bilder im Kopf - Ikonen der Zeitgeschichte" im Forum Willy Brandt Berlin

/ 4 Minuten zu lesen

Bilder können politische und religiöse Leidenschaften entzünden, sie reflektieren, dokumentieren, beeinflussen. Sie konstruieren unsere Wahrnehmung der Geschichte. Die Wanderausstellung "Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte" zeigt Fotos, die sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben.

Sehr geehrter Herr Professor Hütter,
sehr geehrter Herr Brenner,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Alle Journalisten und Pressesprecher wissen: Das Bild ist die Botschaft. Und schon sehen wir die Bundeskanzlerin im leuchtend roten Winteranorak vor den Gletschern stehen. Bedeutet das: Video ergo sum? Oder bleiben wir doch besser der Aufklärung verpflichtet? Cogito ergo sum?

Wir sind von Bildern umgeben wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Sie überfluten uns in Fernsehen und Zeitschriften, online, auf DVDs und auf Video, an Plakatwänden und auf Litfasssäulen. Susan Sontag konstatierte, Bilder seien heutzutage keine Sammelobjekte mehr, sondern Botschaften, die in Umlauf gebracht würden, und zwar nicht mehr nur von Bildjournalisten, sondern in unserer digitalen Welt von jeder und jedem. Der so genannte "Pictorial Turn" ist in aller Munde: Der kulturelle Wandel hin zu einer Mediengesellschaft, in der zunehmend Bilder und ihre Botschaften an die Stelle von Worten und ihren Nachrichten treten.

Durch die Aufnahme und geistige Verarbeitung dieser Bilderflut, nehmen wir an unserer Zeit teil. Denn die Ereignisse, die uns und unsere Zeitgenossen aufgerüttelt haben, sind uns lediglich durch Bilder bekannt. Sie wirken allerdings vielfach auf uns so unmittelbar und suggestiv, dass wir uns für Augenzeugen des Geschehens halten oder zumindest denen nahezukommen glauben.

Beispielhaft möchte ich die Terroranschläge vom 11. September 2001 nennen. Fast in Echtzeit konnten Fernsehzuschauer rund um den Globus die Bilder vom Einschlag des zweiten Flugzeugs in den Turm des World Trade Centers in New York verfolgen. Das war so unwirklich, dass diese Bilder sehr oft wiederholt wurden und die Süddeutsche Zeitung an einem der nächsten Tag im Streiflicht fragte, ob Bruce Willis seinen freien Tag hatte. Es dauerte lange, bis die Schrecken dieses Tages ihren Weg in das Bewusstsein fanden.

Bilder können politische und religiöse Leidenschaften entzünden, sie reflektieren, dokumentieren, beeinflussen. Sie konstruieren unsere Wahrnehmung der Geschichte. Auch die Vergangenheit lebt in Bildern. Bilder sind deshalb auch Instrumente politischer Kommunikation; sie formen Erinnerung, befördern die Imagination historischer Ereignisse und sind daher Kristallisationspunkte unserer Identität.

Die beeindruckende Wanderausstellung "Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte", die wir Ihnen heute vorstellen, zeigt Fotos, die sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben. Neben den Original-Fotografien dokumentiert die Ausstellung auch deren Verbreitung in den Medien sowie deren künstlerische Adaption in Werken der Bildenden Kunst, des Spielfilms und der Alltagskultur.

Die Ausstellung ist – nach "Bilder, die Lügen" – bereits die zweite Ausstellung über Macht und die Kulturen des Visuellen, die wir von Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung mit unserem langjährigen Kooperationspartner, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, realisiert haben. Für diese erfolgreiche Zusammenarbeit auch in anderen Projekten möchte ich Ihnen, Herr Professor Hütter, als Präsident der Stiftung "Haus der Geschichte" sehr herzlich danken. Ich freue mich sehr, dass wir diese Wanderausstellung nun heute hier im Forum Willy Brandt der Öffentlichkeit präsentieren dürfen. Mein herzlicher Dank an dieser Stelle auch an den dritten Partner, die Willy-Brandt Stiftung. Wir haben in ihren Räumen hier unter den Linden gerade die sehr erfolgreiche Ausstellung zum Grundgesetz gezeigt, die unser Haus mit dem Deutschen Historischen Museum realisiert hat.

Gerade in diesem Jahr, gerade hier in Berlin wird ein Bild dieser Ausstellung besonders aufstoßen: Das Bild von 1961, das auch Sie sicher kennen, zeigt einen Soldaten, der sein Gewehr wegwirft und über die noch im Bau befindlichen Sperranlagen im geteilten Berlin springt. Der junge Mann nutzte seine letzte Chance, der DDR zu entkommen. Doch kaum jemand weiß, dass er sich später das Leben nahm. Entkoppelt von der Biographie des Mannes wurde die Momentaufnahme zu einem Symbolbild, das um die Welt ging. Sein Sprung in die Freiheit verdichtete auf emotionale Weise ein Schlüsselereignis der deutsch-deutschen Geschichte und des kalten Krieges. Das Foto zeigte, dass dem ostdeutschen System von Anfang an sogar die wegliefen, die es schützen sollten.

Durch die Kraft der Bilder prägen sich bestimmte Ereignisse für immer in unserem Gedächtnis ein. Doch natürlich hat auch die Macht der Bilder ihre Kehrseiten: Ohne entsprechendes Bild gelangen gewisse Themen überhaupt nicht in die Öffentlichkeit. Bekanntestes Beispiel sind wohl die Vorgänge in Abu Ghraib, denen erst dann eine breite Aufmerksamkeit zuteil wurde, als Bilder der Taten an die Öffentlichkeit gelangten. Aber diese Aufmerksamkeit blieb eben nur punktuell – wie eben diese Bilder – auf die Untaten der Amerikaner gerichtet. Niemanden hat interessiert, was unter Saddam Hussein Abu Ghraib geschah. Und wer weiß schon, was heute dort geschieht.

Zum anderen – das zeigte vor einigen Jahren die Ausstellung "Bilder, die lügen" – sind Bilder gerade als vermeidlich unverfälschtes Abbild der Realität trügerisch: Als dekontextualisierte Einzelaufnahme vermögen sie es nicht, die Komplexität eines Ereignisses zu fassen. Sie fokussieren die Aufmerksamkeit auf einen Einzelaspekt oder eine Deutungsmöglichkeit. Bilder können zudem bewusst aus dem Zusammenhang gerissen oder irreführend kommentiert werden, wie das die BILD Zeitung mit einem Foto des ehemaligen Umweltministers Jürgen Trittin von einer vermeidlichen "Gewalt-Demo" tat. Im Bild als "Bolzenschneider" und "Schlagstock" etikettierte Gegenstände entpuppten sich später als Handschuh und Seil.

Das zeigt: Das Wissen um Entstehung, Geschichte, Rezeption, Funktion und Wirkung dieser und anderer Bilder ist zur grundlegenden Voraussetzung für den Erwerb von Medienkompetenz im globalen Zeitalter geworden. Ungeprüfte Übernahme führt oftmals zum Kurzschluss: "sehen statt denken", eben video ergo sum, Bilder statt Fakten oder Emotion statt Information.

Das Ziel dieser Ausstellung ist daher die Erweiterung der Kompetenzen des Betrachters, um sich in einer steigenden Bilderflut zu orientieren. Die Ausstellung "Bilder im Kopf" lässt den Betrachter nach der Geschichte hinter den Bildern fragen und ihre Wirkungsmacht analysieren. Genau das ist Aufgabe der politischen Bildung: Sie muss Selbstbewusstsein stärken und Selbstvergewisserung ermöglichen in einer Welt, die an die Emotionalität appelliert und damit die Urteilskraft des mündigen Bürgers in Frage stellt. Also: video et cogito ergo sum.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten