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Das flexible Geschlecht: Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie, Berlin 28.-30. Oktober 2010 | Presse | bpb.de

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Das flexible Geschlecht: Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie, Berlin 28.-30. Oktober 2010 Eröffnungsrede von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

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Rede von Thomas Krüger zur Eröffnung des Kongresses "Das flexible Geschlecht: Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie" vom 28.-30. Oktober 2010 in Berlin.

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren und ein herzliches Willkommen an alle, die sich nicht mit diesen Kategorien identifizieren können oder wollen,

ich begrüße Sie im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung zum diesjährigen Kongress "Das flexible Geschlecht. Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie." Unter diesem Motto diskutieren Expertinnen und Experten, Aktivistinnen und Aktivisten in den kommenden drei Tagen historische und fortbestehende Ungleichheiten im Spannungsfeld von Identitäten und Differenzen. Seit 1999 übrigens fördert die Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen von Kongressen und Publikationen die intensive Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen und Gesellschaften. Dabei geht es zunächst um konkrete politische Forderungen nach gerechten Geschlechterverhältnissen, nach Geschlechtervielfalt und Gender Mainstreaming. Darüber hinaus steht immer auch der größere Rahmen und die Frage nach einer gerechteren Gesellschaft im Fokus, in der allen Menschen Anerkennung, Bildung und Teilhabe zuteil wird, und sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Auf den ersten Blick scheinen heute viele hart erkämpfte Ziele in Sachen Geschlechtergerechtigkeit erreicht zu sein: Es regiert erstmals in der Geschichte eine Bundeskanzlerin, klassische Geschlechterkategorien erodieren mehr und mehr, immer mehr Frauen studieren und nehmen wichtige öffentliche Funktionen wahr, und neue selbstbewusste Väter verändern klassische Rollenmuster. Auf der anderen Seite blendet die offizielle Politik, wenn sie von Gleichberechtigung spricht, neue wichtige Herausforderungen unserer sich pluralisierenden und immer vielfältiger werdenden Gesellschaft allzu oft aus.

Das im Singular bezeichnete "flexible Geschlecht" im Titel des Kongresses bezieht sich weniger auf ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Geschlechterposition als vielmehr auf die Kategorie Geschlecht oder Gender als Strukturelement gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Kategorie Geschlecht und die daran geknüpften Ungleichheiten sind immer schon durchkreuzt von weiteren Kategorien wie Sexualität, sozialem Status, kultureller Herkunft oder Religion. Diese Einteilungen sind historisch gewachsen, geopolitisch und kulturell geprägt, und somit variabel und veränderbar. Gleichzeitig sind diese Kategorien strukturell fest in unseren Wissensarchiven verankert und das Verhältnis zwischen verschiedenen Geschlechterrollen bleibt ein historisch und strukturell asymmetrisches.

Erlauben Sie mir deshalb einen kurzen Blick auf einige Schlaglichter der Geschlechtergeschichte in westlichen Gesellschaften.

Wie ich bereits erwähnt habe, bezeichnet die Kategorie Geschlecht oder Gender ein Verhältnis. Bereits in der Antike, die gemeinhin als Wiege westlicher Demokratien und abendländischen Denkens gilt, war dieses Verhältnis hierarchisch organisiert: demokratische Teilhabe und Gleichheit beschränkte sich in der griechischen Polis auf freie, wohlhabende Männer. Frauen und Sklaven waren strukturell davon ausgeschlossen. In der antiken griechischen Hausgemeinschaft des Oikos herrschte der Patriarch (Oikodomes) über Frau, Kinder, Nicht-Freie und Sklaven. Dieses hierarchische Verhältnis war ein Besitzverhältnis und beruhte auf der ungleichen Bewertung von Menschen. Um die Unterwerfung von Frauen und die Versklavung und Ausbeutung von Arbeitskraft anderer Männer ideologisch zu rechtfertigen, teilten große männliche Denker Menschen in Besitzende und "Besitzstücke" (Aristoteles), in Sklavenhalter und "zur Versklavung geborene" (Cicero) ein. Anhand dieser Form der Organisation des Zusammenlebens wird bereits die intrinsische ökonomische Komponente von Geschlechterhierarchien deutlich, die auch unser Kongress in den Fokus nimmt.

Im Rahmen dieses Systems etablierte sich die klassische geschlechtliche und status- und herkunftsabhängige Arbeitsteilung. Die öffentliche Repräsentation und die Teilhabe an einer Wissensproduktion, die Geschlechterhierarchien legitimierte, blieb einer kleinen, gebildeten männlichen Elite vorbehalten. Diese Elite erlangte schnell die politische, kulturelle und epistemische "wissenschaftliche" Deutungshoheit. Somit bezog sich die hierarchische Einteilung niemals nur auf die Kategorie "Geschlecht", sondern immer schon auf ein Zusammenwirken unterschiedlicher Subjektpositionen wie "Klasse" / "soziale Schicht", "ethnische" oder "kulturelle Herkunft".

Im 18. Jahrhundert etablierten sich in Europa parallel zu den humanistischen Idealen der europäischen Aufklärung sexistische und rassistische Theorien. Diese Ansätze schrieben eine zumeist biologisch begründete unterschiedliche Wertigkeit von Männern und Frauen, Europäern und Nicht-Europäern fest und rechtfertigten somit Hierarchien, die auf Dauer nie stabil sein können. Errungenschaften, die heute bereits realisiert sind, mussten hart erkämpft werden. Sie sind das Ergebnis kontroverser Auseinandersetzungen, die das will ich ausdrücklich betonen noch keineswegs abgeschlossen sind.

Auch die in der französischen Revolution postulierte "Brüderlichkeit" implizierte zunächst nur die politische Partizipation von freien, weißen Männern, für die die allgemeinen Menschenrechte galten. Die Formulierung der Menschenrechte als allgemeingültig verwies jedoch auf eben diese Defizite und stellte die vermeintlich "natürliche" Ungleichheit von Menschen in Frage. Vor allem durch die Interventionen von Feministinnen trat dieser Widerspruch zutage. Die englische Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft etwa forderte bereits 1792 in ihrem "Plädoyer für die Rechte der Frau" das Frauenwahlrecht und die rechtliche Gleichstellung von Frauen.

In den USA verwies die fortdauernde Existenz des Sklavereisystems auf den Widerspruch zum Gedanken der Freiheit und Gleichheit. Versklavte Frauen waren in diesem System doppelt unsichtbar, denn weiße bürgerliche Feministinnen bezogen sich vor allem auf ihre eigenen Erfahrungen und Milieus, obwohl sie vorgaben, für alle Frauen zu sprechen. Schon 1851 verwies die schwarze Abolitionistin und Frauenrechtlerin Sojourner Truth auf einer Versammlung von Frauenrechtlerinnen in Akron, Ohio, in ihrer legendären Rede "And Aint I a Woman" (Und bin ich denn keine Frau?) auf die Verknüpfung von Sexismus und Rassismus sowie auf die Unterschiede zwischen bürgerlichen und arbeitenden und weißen und schwarzen Frauen. Die Frauenrechtlerin und Wallstreet-Brokerin Victoria Woodhall kandidierte 1872 als erste Frau für das Amt der US-Präsidentin. Zuvor hatte sie schon Karl Marx und Friedrich Engels das Fürchten gelehrt, indem sie auf die mangelnde Gender-Dimension der ersten Internationalen verwies und neben dem Wahlrecht auch das Recht auf Scheidung und freie Liebe gefordert hatte. In Deutschland kämpften Feministinnen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg für Gleichberechtigung und das Frauenwahlrecht. Luxemburg war es auch, die schon früh auf das Versäumnis der Frauenfrage im Kampf um soziale Gerechtigkeit verwies und vice versa. Darauf verweist das folgende Zitat: "Haben die Sozialisten sich lange um die Frauenfrage als zentrale zu drücken versucht, haben später die bürgerlichen Feministinnen die Hegemonie erlangt und wiederum die Klassenfrage ignoriert."

Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts differenzierten sich die feministischen Kämpfe um Teilhabe und Anerkennung weiter aus. Zu den feministischen traten Bürgerrechtsbewegungen und antikoloniale Bewegungen, später Bewegungen für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender. Zunächst standen die Themen Wahlrecht und politische Partizipation etwa die Zulassung von Frauen an Universitäten im Mittelpunkt. Vergessen wir nicht, dass in Deutschland erst 1919 das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde, und studieren durften Frauen erst Anfang des 20. Jahrhunderts und das nur mit Einschränkungen. Bald kamen verstärkt Forderungen nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung hinzu. Die Britin Virginia Woolf postulierte in ihrem feministischen Grundlagen-Essay "Ein eigenes Zimmer" (1929) die Notwendigkeit finanzieller und räumlicher Unabhängigkeit für künstlerisches Schaffen. Und die französische Philosophin Simone de Beauvoir brachte in ihrem berühmten Diktum "Man wird nicht als Frau geboren, man wird es" (1949) etablierte biologistische Rechtfertigungen für die Unterlegenheit von Frauen ins Wanken, indem sie betonte, dass Geschlechterunterschiede immer (auch) kulturell überformt und überformbar sind. Beauvoir gilt damit als eine der wichtigsten Vordenkerinnen heutiger Gender-Konzepte.

Wie bereits Sojourner Truth griffen immer wieder mehrfach marginalisierte Sprecherinnen in die öffentlich sichtbarsten feministischen Debatten ein. Nicht-Weiße und Nicht-heterosexuelle Frauen erinnerten die Feministinnen im dominierenden weißen bürgerlichen Lager daran, dass sie nicht allgemein für "die Frauen" sprechen konnten und Geschlechterkategorien nie unabhängig von weiteren, interdependenten Achsen der Differenz und Ungleichheit denkbar sind. Toni Morrison, die erste afro-amerikanische Literaturnobelpreisträgerin, widersprach der Aneignung durch weiße Feministinnen schon 1971 ihren Bahn brechenden Essay mit dem viel sagenden Titel "What the Black Woman Thinks About Womens Lib" (Was die schwarze Frau über die Frauenbewegung denkt). Sie verwies damit auf besondere Interessen schwarzer Frauen, die von weißen nicht vertreten wurden. Auch die Texte der US-Amerikanerinnen bell hooks, Audre Lorde, Angela Davis oder das Combahee River Collective gelten als Meilensteine in dieser Debatte um Unterschiede unter Frauen. Der Band "Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte" von 1986 ist ein (leider häufig ignoriertes) Zeugnis dieser Dimension des deutschen Feminismus, ebenso wie die Gründung des Vereins ADEFRA (Schwarze deutsche Frauen und Schwarze Frauen und Deutschland) im gleichen Jahr.

In der DDR galten Geschlechterunterschiede mit dem sozialistischen Gleichheitspostulat quasi als überwunden. Die beinahe Vollbeschäftigung von Frauen und die flächendeckende staatliche Kinderbetreuung ließen in Westdeutschland heiß debattierte Themen um arbeitenden Mütter und Selbstverwirklichung im Job obsolet erscheinen. Abtreibung war bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffrei. Doch auch in der DDR wie heute im wieder vereinten Deutschland kam den Müttern zumeist die Doppelverantwortung für Kindererziehung und Erwerbstätigkeit zu, allerdings mit dem Unterschied, dass durch die Posteriorität der Ernährer-Ehe viele Frauen kurzerhand den Männern die Tür wiesen und das Familienunternehmen komplett selbst in die Hand nahmen. Der Westen hingegen leistete sich Hausfrauen. Dort konnte ein Ehemann seiner Frau noch bis 1973 verbieten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn er der Meinung war, sie vernachlässige darüber ihre mütterlichen und hausfraulichen Pflichten. Aus diesem Geist heraus hat der DFB übrigens auch seinen Vereinen den Frauenfussball untersagt. Erst seit 1992 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar und seit 1995 Abtreibung zwar straffrei, aber rechtswidrig und gesellschaftlich weiterhin geächtet und heiß umstritten. Die gleichgeschlechtliche Ehe und Inter- und Transsexuellengesetzgebungen sind nach wie vor politische Baustellen. Die Menschenrechte von Personen, die der Vorstellung und den Normen der Zweigeschlechtlichkeit nicht entsprechen wollen oder können werden tagtäglich kontinuierlich verletzt. In Transgender und Intersexuellenbewegungen verstärkt sich der Widerstand gegen diese Diskriminierungen, und die Debatten finden langsam Eingang in feministische und Gender-Diskurse.

Einige entscheidende Ziele sind heute erreicht. Selbstbewusste Alpha-Mädchen und F-Klasse-Frauen erobern die Feuilletons und wichtige Jobs und zeigen oft ehrgeiziger als ihre männlichen Kollegen, wie Karriere, Kind und Kaviar zu managen sind. Gleichzeitig erstarkt ein populärwissenschaftlicher Diskurs, der erneut die biologischen, oft neurowissenschaftlich begründeten Differenzen von Männern und Frauen betont und ihnen unterschiedliche gesellschaftliche Rollen zuweist.

Besonders im Bereich der Popkultur formieren sich Alternativen und Gegenmodelle zu diesen wieder erstarkenden Gleichheits- versus Differenz-Positionen. Gerade auch im Kunstbereich wird deutlich, dass Frauenbiographien oft von Prekarität gekennzeichnet sind und Selbstverwirklichung und Bestreitung des Lebensunterhalts oft in Konkurrenz zueinander stehen. Trotz Vorzeigefrauen und Managerinnen verdienen Frauen im Durchschnitt noch immer 23 Prozent weniger als Männer und stellen den größten Anteil an Minijobbern mit geringem Verdienst und schlechter sozialer Absicherung.

Insbesondere postkoloniale Kritikerinnen weisen seit langem darauf hin, dass ihre Erfahrungen und Realitäten mit westlichen Bewertungsmaßstäben nicht erfassbar sind. In der heutigen Migrationsgesellschaft kumulieren diese Konflikte in Debatten um Zwangsehen, Frauenbeschneidung und Ehrenmorde. Häufig verfestigen sich diese Debatten in Diskussionen über religiöse Symbole wie die Burka oder das Kopftuch. Auffällig an diesen Debatten ist, dass sich dabei vermehrt weiße Deutsche als Fürsprecherinnen der unterdrückten muslimischen "Anderen" stilisieren, für die sie meinen, sprechen zu können. In letzter Zeit machen sich auffällig viele Politiker in Debatten um Migration und Integration den weiß-deutschen feministischen Fingerzeig auf Sexismus und Homophobie islamistischer Patriarchen zu eigen. Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, ob dieser Gestus nicht zuletzt auch dazu dient, eigene fortwährende Machtasymmetrien und westliche Emanzipationsdefizite unsichtbar zu machen.

In all diesen Dimensionen und Facetten beleuchtet der nunmehr dritte Kongress der Bundeszentrale für politische Bildung Geschlechterdemokratie als fundamentale Basis von Demokratie und Gesellschaftspolitik unter dem Motto "Das flexible Geschlecht" die aktuellen genderpolitischen Herausforderungen vor dem Hintergrund der globalen Wirtschaftskrise, von Migration und Internationalisierung. Wie der Untertitel "Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie" andeutet, spielt dabei und damit schließt sich der Bogen zum antiken Griechenland die reziproke Verwobenheit von Geschlechterverhältnissen und ökonomischen Verhältnissen eine zentrale Rolle. Geschlechtlich kodierte Machtasymmetrien sind eben historisch und strukturell in unserer Gesellschaft verankert. Und deshalb bleibt es eine wichtige Aufgabe einer aufklärenden politischen Bildungsarbeit, sich damit kritisch auseinanderzusetzen.

Für die politische Bildung stellt sich die große Herausforderung, mit der Vielstimmigkeit und Pluralisierung von Unterschieden und den damit verknüpften Problematiken und Defiziten umzugehen. Das bedeutet zum Teil auch, mit den Spannungen und dem Unbehagen umzugehen, die der nichtverständliche oder nicht-übersetzbare Teil von Unterschieden verursachen mag. Weil Geschlechterkategorien und -asymmetrien strukturellen Charakters sind, sind Geschlechterfragen immer auch politische Fragen, und allen politischen Fragen ist implizit, wenn nicht explizit, immer auch eine Geschlechterdimension eingeschrieben. Deshalb gilt es immer noch, das Prinzip des Gender Mainstreaming als zentrale Dimension aller gesellschaftlichen und politischen Bereiche umzusetzen.

Um für bisher ausgegrenzte Stimmen und Rechte zu kämpfen und die Strukturen zu überwinden, die sie bedingen, bedarf es neben der Anerkennung der Geschlechterdifferenzen zudem politischer Bündnisse auch quer zu und jenseits von Heteronormativität, Zweigeschlechtlichkeit und Kleinfamilie. Um Gerechtigkeit und einen Austausch auf Augenhöhe zu erreichen, kann die eigene Position, die eigene Erfahrung, der eigene Körper und die eigene Sexualität nicht länger zur Norm erklärt werden, von der alle anderen Versionen als minderwertige Abweichungen gelten, die es allenfalls zu tolerieren gilt. Schließlich sind längst alle Formen des Zusammenlebens, von sozialen Beziehungen und Identitäten weitaus vielfältiger als überkommene Binaritäten und Oppositionen beschreiben können.

Vor kurzem hat Volkmar Sigusch in unserem Periodikum "Aus Politik und Zeitgeschichte" in seinem Essay zum Heft "Homosexualität" darauf hingewiesen, dass Homosexuelle immer unauffälliger werden, Fussball spielen und die "Homo-Ehe" schließen, während sich Heterosexuelle als Bisexuelle, Fetischisten, BDSMler, Bigender, Transvestiten, Transgender, Transidentische, Transsexuelle, E-Sexuelle, Intersexuelle, Polyamoristen, Asexuelle, Objektophile und Agender verstehen.

Und weil tradierte Normvorstellungen Marginalisierungen und Minderheiten produzieren bleibt es in einer freien und demokratischen Gesellschaft von maßgeblicher Bedeutung, eine kritische (Selbst-)Reflexion hegemonialer Positionen vorzunehmen. Dazu gehört dann in letzter Konsequenz der Verzicht auf Privilegien wie die klassische männliche Versorgerrolle oder die klassische Ernährer-Ehe, an der sich immer noch steuerliche Privilegien festmachen. Es gehört zu einer zeitgenössischen demokratischen Gesellschaft, mehr Freiheit zu wagen. Von hierarchiefreien Partnerschaften auf Augenhöhe und von einer geschlechtergerechteren Welt profitieren wir schließlich alle!

Die Philosophin und Gender-Theoretikerin Judith Butler hat kürzlich im Anschluss an einen Vortrag an der Berliner Volksbühne die Frage gestellt, was es denn heiße "queer" zu sein: "Für mich hat "queer" sein nichts mit Identitätspolitik zu tun, nichts damit, mit wem du ins Bett gehst oder mit wem du gestern im Bett warst. Für mich heißt "queer" sein, gegen Sexismus, gegen Rassismus und Homo- und Transphobie zu sein!" Insbesondere parteiübergreifende politische Bildung soll und muss bei einem solchen solidarisch-pluralen Verständnis jenseits ideologischer Gräben ansetzen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Konferenz, anregende Debatten und politische Energien, gewonnene Einsichten ins Land zu tragen. Bildung, insbesondere politische Bildung ist nicht dazu da, Agitprop für einen unhinterfragten common sense zu sein, sondern zielt auf Gestaltungskompetenzen für ein freieres und demokratischeres Miteinander.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten