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"Museum und Öffentlichkeit - Perspektiven für eine kulturelle Bildungsarbeit im 21. Jahrhundert" | Presse | bpb.de

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"Museum und Öffentlichkeit - Perspektiven für eine kulturelle Bildungsarbeit im 21. Jahrhundert" Magdeburg

/ 29 Minuten zu lesen

Die Politische Bildung hat erkannt, dass die Auseinandersetzung von Kindern und Jugendlichen mit den authentischen Artefakten aus Kunst, Geschichte, Kultur, Technik und Natur in der Atmosphäre des Museums wichtiger Bestandteil eines kreativen Bildungsprozesses ist, der zu ihrer kulturellen und politischen Bildung beitragen kann.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Rodekamp,
sehr geehrte Frau Pfeiffer-Poensgen,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Trümper,

(Dank an die Stadt Magdeburg für den wunderbaren Veranstaltungsort)

ich freue mich sehr, dass Sie mich eingeladen haben, an so prominenter Stelle beim Jahrestag des Deutschen Museumsbundes zu sprechen. Ich bin dieser Aufforderung gerne gefolgt, da die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb in den vergangenen Jahren versucht hat, in Sachen politischer und kultureller Bildung neue Wege zu beschreiten. Dafür haben wir kompetente Partner und Vorbilder – also "Komplizen" - gesucht und sind in der Museumsszene mehr als fündig geworden. Die Fachbereiche innerhalb der Bundeszentrale, die sich mit politischer Bildung an der Schwelle zur kulturellen Bildung beschäftigen, beobachten die Bildungsinitiativen, die experimentellen Modellprojekte, die öffentlichen Stellungnahmen aus der Museumsszene mit großem Interesse.

In vielen Projektkontexten sind Bildungspartnerschaften eingegangen worden. Der Deutsche Museumsbund, die bpb und drei weitere wichtige Institutionen [1] unterhalten gemeinsam das bundesweite Netzwerk E-Mail Link: schule@museum, dem es gelungen ist, für seine Schule-Museums-Kooperationen in 15 Bundesländern hochkarätige Bildungspartner aus der Museumslandschaft zu gewinnen, die sie bei ihrer Projektarbeit beraten und unterstützen. Dazu gehören etwa das Kunstmuseum Wolfsburg, das Deutsche Hygiene-Museum Dresden, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, das Ruhr-Museum und die Klassik-Stiftung Weimar, um nur einige zu nennen. Für diese Unterstützung möchte ich mich heute auch gerne einmal persönlich bedanken, denn sie ist nicht selbstverständlich. Schülerinnen, Schüler und ihre Pädagogen erfahren in ihren kleinen selbstkonzipierten Projekten, die sie mit ihren engagierten, aber oftmals finanziell unterausgestatteten Museums-Tandempartnern vor Ort über zwei Jahre durchführen, eine Wertschätzung und Begleitung, die sie mit Freude und Stolz erfüllt. Neben den engagierten Museumspädagogen sehen – so meine Erfahrung - auch die Leiter/innen und Direktor/innen der Häuser die kulturelle Bildung zunehmend als "Chefsache" (Titel der DMB-Tagung 2009 in Stralsund "Chefsache Bildung").

Wir als politische Bildner haben erkannt, dass die Auseinandersetzung von Kindern und Jugendlichen mit den authentischen Artefakten aus Kunst, Geschichte, Kultur, Technik und Natur in der Atmosphäre des Museums wichtiger Bestandteil eines kreativen Bildungsprozesses ist, der sowohl zu ihrer Persönlichkeitsbildung als auch zu ihrer kulturellen und politischen Bildung beitragen kann. Eine erfolgreiche Teilhabe an den kulturbezogenen Kommunikationen und Lernprozessen, wie sie in den Kultureinrichtungen unserer Gesellschaft stattfinden kann, stärkt die gesellschaftliche Kompetenz von jungen Menschen. Ist die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit den Kulturprodukten und dem kulturellen Erbe ihrer Gesellschaft nachhaltig, so dient sie auch dem Ziel, eine Beziehung zwischen eigener Herkunft, Gegenwart und Zukunft herzustellen, die sich an selbst entwickelten Maßstäben orientiert. Die aktive Auseinandersetzung mit Museumsgütern betrachten wir als wertvollen Beitrag zur Entwicklung der persönlichen und der sozialen Identität.

Ich will meiner Rede vorausschicken, dass ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, dass wir die richtigen Fragen stellen, unsere Potentiale kennen und auch begonnen haben, die Schwachpunkte und Defizite unserer Arbeit kritisch unter die Lupe zu nehmen, um uns auf neue Wege zu begeben. Das ich dies für nötig halte, möchte ich an einem einführenden Beispiel illustrieren:

Themenaufriss / Einführung

    Worum soll es gehen?

In den vergangenen Monaten hat die bpb in Kooperation mit einigen Partnern [2] sowie mit Künstler/inenn, Studierenden und Schüler/innen von drei Berliner Sekundarschulen in Kreuzberg und Friedrichshain das Projekt 7Felder durchgeführt. Die Schüler/innen sind in der Klassenstufe 8 und 9, also 14/15 Jahre alt, und haben sich in Berlin unter Anleitung der Ethnologen auf eine "kulturelle Spurensuche" gemacht. Sie suchten nach Zeichen, Objekten und Indizien in ihrer Umgebung, die über zentrale ethnologische Kategorien des So-Seins (sieben Felder) Auskunft geben können: "Über das Sammeln und Besitzen, über das Teilen und Tauschen, über das Schaffen und Gestalten, über das Erben und Bewahren, über das Lieben und Begehren, über das Glauben und Hoffen, über das Feiern und Chillen." Anschließend haben sie mit den Künstlern unterschiedlicher Sparten die Fundstücke gesichtet und für eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt aufbereitet.

Eine Idee der bpb war, dass die Schüler/innen lernen, ihre Ausstellung mithilfe eines Ausstellungsarchitekten selbst zu gestalten, den Ablauf der Eröffnungsveranstaltung selbst zu planen (z.B. Redner einladen, Musik machen, Tanz vorführen, die Ausstellung mit Führung zu begleiten, Texttafeln vorbereiten). Außerdem sollten Sie die Bewerbung der Ausstellung samt Pressearbeit selbst in die Hand nehmen – mit Unterstützung natürlich - und dabei verrückte Ideen zum Einsatz bringen können, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Das gesamte Vorhaben wurde in Form von World-Cafés mit den ca. 85 Schüler/innen während eines ganzen Tages geplant. Dabei zeigte sich, dass die Jugendlichen relativ wenig Ideen hatten, wie sie ihre Ausstellung öffentlichkeitswirksam präsentieren und bewerben können. Auf die Frage "Wie müsste eine Ausstellung sein oder beworben sein, damit DU hingehst?", "Wann würde Dich eine Ausstellung interessieren?" antworteten einige: "Ich weiß nicht; ich war noch nie in einer Ausstellung."

Diese Antwort böte hinreichend Anlass zu allen Facetten von Kulturpessimismus, von Ursachenanalysen, Schuldzuweisungen etc. Das Hauptproblem, das sich allerdings für mich daraus ergibt, besteht darin, dass diesen Jugendlichen eine mögliche Quelle von Zugängen zur Welt, zur Gesellschaft und möglicherweise zu sich selbst bisher verschlossen geblieben ist. Das Museum, als nahezu unendliche Quelle von Geschichten, die diesen Jugendlichen erzählt werden könnten, hat diese nicht erreicht oder ist von diesen nicht erreicht worden. Wir sind uns alle im Klaren darüber, dass das Problem noch nicht behoben ist, indem beispielsweise die Schule einen Museumsbesuch organisiert. Das, was uns das Museum – jetzt mal pauschal gesagt – so schätzenswert macht, ist nämlich nicht durch punktuelle und oberflächliche Stippvisiten zu entdecken. Im Gegenteil muss meist ein langer und oftmals mühseliger kommunikativer Prozess durchlaufen werden, bevor das Museum als "glücklicher" Ort erfahren und angeeignet werden kann.

Muss sich also das Museum als Ort sozialen Erlebens, als Archiv der gesellschaftlichen Erinnerung, als Speicher wissenschaftlichen Know-hows, als Hangar voller Wissen auf die Kommunikation mit dem dafür auf einfache Weise zugänglichen, d.h. bildungsbürgerlichen Teil der Gesellschaft, beschränken? Was ist bzw. wer bildet heute Öffentlichkeit? Mit wem haben wir es zu tun, wenn wir unsere öffentliche und unsere Bildungsfunktion wahrnehmen wollen? Ich sage WIR, weil hier die Parallelen zwischen der Arbeit der Museen und der der politischen Bildungsinstitutionen offensichtlich werden, wegen denen ich vermutlich auch gebeten wurde, Ihnen heute Abend einige Anregungen aus dem Erfahrungsbereich der politischen Bildung zu geben. Wir haben einen Bildungsauftrag, wir finanzieren uns aus öffentlichen Geldern und wir arbeiten für eine Öffentlichkeit, die uns zum einen in weiten Teilen nicht mehr automatisch hinterherläuft und zum anderen aufgrund unterschiedlichster Ursachen nicht einmal mehr in herkömmlicher Weise "öffentlich" ist. Zumindest müssen wir davon ausgehen, dass es "die Öffentlichkeit" nicht mehr gibt, sondern mehrere Öffentlichkeiten untenschiedlichsten Charakters.

[1] Bundesverband für Museumspädagogik BVMP, BDK – Fachverband für Kunstpädagogik, Stiftung Mercator
[2] JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27, Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt Universität, Haus der Kulturen der Welt

Politische Bildung funktioniert heute da besonders gut, wo Menschen politisch interessiert und schon gebildet sind. Das nenne ich den Katholiken-Effekt: Die Katholische Kirche hat auch eine klare Zielgruppe. Wenn wir uns gemäß unseres Bildungsauftrags in traditionellem Sinne darauf beschränken, Bildung in Form von Informationen in Richtung eines Bildungsempfängers auszusenden, stellen wir heute fest, dass nicht nur die sogenannten Bildungsfernen, Politikfernen, Museumsfernen, Kulturfernen usw. nicht als "Empfänger" oder Rezeptoren bereit stehen. Mit diesen Begriffen bezeichnen wir in der Regel Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation so unterprivilegiert sind, dass sie nicht mehr (im antiken Sinne) frei sind, am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. In der gesellschaftlichen Realität finden sich allerdings vielmehr zunehmend Menschen mit anderen, durchaus auch bürgerlichen Milieuhintergründen, die für die überkommenen, traditionellen, klassischen Formen der Bildungsarbeit nicht zugänglich sind, die eigene kulturelle Standards haben und mit den Füßen abstimmen, die sich auch neue, z.B. virtuelle öffentliche Orte suchen und deren Nachwuchs in jugendliche subkulturelle Kontexte abwandert, weil sich dort eigene Interessen besser verwirklichen lassen und weil diese Kontexte auf den ersten Blick auch viel attraktiver erscheinen können.

Was/wie kann heute ein Museum sein? Muss die Idee des Museums neu gedacht werden? Wo sind die spezifischen Qualitäten, wo die Probleme?

Damit sind die unterschiedlichsten Problemfelder angesprochen, die alle auf irgendeine Weise mit der Frage im Zusammenhang stehen, ob die Idee des Museums (im platonischen Sinne) möglicherweise zum Teil neu gedacht werden muss?
Hier möchte ich Sie an den Beginn und die Mitte der 1980er Jahre erinnern, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Pläne für zwei historische Museen, das Haus der Geschichte in Bonn und das DHM in Berlin, bekannt gab und voran trieb. Kohl wollte nach eigener Aussage den jungen Bürger/innen der West-Republik ein Gefühl davon vermitteln, "woher wir kommen, wer wir als Deutsche sind, wo wir stehen und wohin wir gehen werden." [3] Die Pläne der Regierung haben damals zu einer Zeit der wiedererwachten Museumsbegeisterung der Westdeutschen – erkennbar an zahlreichen Museumsneugründungen und hohen Besucherzahlen (BRD 1981: >50 Mio.) - zu starken und emotional ausgetragenen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit geführt. Ich erinnere nur an die in ‚Revisionismusdebatte‘ und beginnenden ‚Historikerstreit‘ verwickelte Historikerzunft, in die auch die politische Bildner tief involviert waren. Es ging – grob gesagt – um die Fragen, inwiefern Geschichte instrumentalisiert werden könne, um konventionelle Nationalgefühle zu erzeugen und zu konservieren oder inwiefern die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit für aktuelle politische Zwecke in den Dienst genommen werden könne. Welche Geschichte sollte gezeigt werden? Militärgeschichte? Politikgeschichte? Sozialgeschichte? Wie kritisch sollten Exponate präsentiert werden? Was ist eine kritische Präsentation? Sollte man die Sammlungen thematisch oder chronologisch präsentieren? Kann und soll das historische Museum in den Dienst der Identitätsbildung von Jugendlichen gestellt werden und wenn ja, wie und für welches Identitätsprofil?

1980 war die öffentliche Situation aber schon nicht mehr so eindeutig, wie vor 1968, als die Kultureinrichtungen noch klare Botschaften hatten und wussten, für welche oder auch für wessen Werte sie einstanden. Sibylle Lichtensteiger, Leiterin der Schweizer Stiftung Stapferhaus in Lenzburg, führte dazu bei einer Tagung der bpb und der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel im letzten Jahr aus:

"Sie (die Kultureinrichtungen) waren die Kathedralen des bildungsbürgerlichen Kanons, in ihnen wurden Ausstellungen inszeniert, die die Geschichte Deutschlands erklärten, Theater gezeigt, Musik gespielt und Bücher aufbewahrt, um mit Kultur die Menschheit zu belehren. Nach 1968 wurde es ein bisschen komplizierter. Kultur konnte sich auch gegen den bildungsbürgerlichen Kanon stemmen, die Götter vom Sockel reißen und mit Konventionen brechen. Aber auch da war die Message klar. Kultur als gesellschaftliche Instanz - entweder im Dienste des Bildungsbürgertums oder der Opposition." [4] In der aktuellen Situation wäre eine mit solcher emotionaler Vehemenz geführte Debatte wie die um die beiden Geschichtsmuseen nicht vorstellbar. Zum einen ist die Öffentlichkeit heute vermeintlich nicht mehr so politisch, die Medien sind angeblich nicht mehr so kritisch, was möglicherweise auch daran erkennbar ist, dass Auseinandersetzungen um Geschichtsdeutungen von historischen Museen im Feuilleton oder gar nicht geführt werden. Die Wissenschaft ist sich um die Deutung historischer Phänomene weitaus einiger als zu Zeiten der Zweistaatlichkeit und des politischen Lagerdenkens. Die Museen selbst als potentielle Wertelieferanten und meinungsbildende Instanzen halten sich in der Gegenwart eher zurück, - nicht weil sie nicht gerne meinungsführend und richtungsgebend aktiv wären, sondern weil die Meinungen und Richtungen angesichts der Komplexität der gesellschaftlichen Situation nicht mehr auf der Hand liegen. Außerdem hat sich die Selbstwahrnehmung der Bevölkerung hinsichtlich ihres Wohlstandsniveaus seit den 1980er Jahren stark verändert: Der sinkende Zukunftsoptimismus verführt heute weniger als damals zu institutionalisierter Selbstbespiegelung und "glanzvoller Inventarisierung der Kultur". Die Postmoderne in der Architektur, verbunden mit allen Arten von Ansätzen zu kultureller Rekonstruktion, die zu einer "Selbst-Archäologisierung" [5] der westlichen Gesellschaften geführt hatte, gefällt noch, ist aber nicht mehr das vorherrschende Paradigma. Die Zunft der Historiker und politischen Bildner, die damals die Definitionsmacht über anzuerziehende Identitätsprofile beanspruchte, hat mittlerweile gemerkt, dass die Dinge nicht mehr so einfach normativ zu behandeln sind, wie 1980ff. Schließlich birgt die Frage: "Was ist überhaupt deutsche Identität?" das Risiko, keine befriedigende Antwort zu finden. Wahrscheinlich gilt die alte Formel "Keine Demokratie ohne Demokraten" noch. Was aber Demokraten heute auszeichnet, kann nicht mehr normativ gesetzt werden. Deshalb wird es auch sukzessive schwerer, Bildungsziele zu formulieren und konsequent in Bildungsprogramme oder – projekte zu übersetzen. Ich bin dafür, dieses "Problem" neu zu deuten: Die Situation gibt uns ungeahnte Freiheit.

Was haben diese Überlegungen mit unserem Thema ‚Museum undÖffentlichkeit‘ zu tun?

Systematisch gedacht gibt es vielleicht eine Öffentlichkeit ohne Museen, aber keine Museen ohne Öffentlichkeit. Damit ist nicht allein darauf angespielt, dass Museen in der Regel staatliche Einrichtungen sind, deren Sammlungen sich im öffentlichen Besitz befinden und die sich prinzipiell für alle Gesellschaftsmitglieder öffnen sollten. Vielmehr ist die Idee des Museums davon abhängig, dass in ihm Öffentlichkeit in Form von mindestens Kommunikation, idealerweise aber Diskurs, Austausch und Teilhabe stattfinden. Museen generieren somit Öffentlichkeit. Für die Art von kultureller Bildung, die ich für die Zukunft im Auge habe - Bildung als kommunikativer Prozess, bei dem sich die Beteiligten über Ziele, Wege und Methoden verständigen - bietet das Museum aus der Sicht der politischen Bildung die idealen Voraussetzungen. Wie könnte das funktionieren?

Karl Ermert, Direktor der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, klärt die zur Beantwortung der Frage notwendigen Voraussetzungen, die ohne weiteres auf die Tätigkeit der Museen übertragbar sind. Er bezieht sich dabei auf Anne Bamford, die Sie alle kennen. Frau Bamford unterscheidet hinsichtlich der Rolle der Künste in Bildung und Erziehung unter dem Titel "The Wow Factor" zwei Zugänge zur "Arts Education", welche dem Ziel dient, das kulturelle Erbe einer Gesellschaft an die folgenden Generationen weiter zu geben: "Education in art" umfasst dabei die Spielarten der herkömmlichen Kunsterziehung mit dem Ziel, dass Menschen gebildet und auch kritisch am Kulturbetrieb teilhaben können, und "Education through art", die - laut Ermert – mit der deutschen Formulierung "Bilden mit Kunst" vergleichbar ist. Damit sei die Behauptung impliziert, dass Kunstvermittlung die Menschen ermächtigen soll, sich im Medium der Künste mit "Welt" auseinander zu setzen und dafür auch sozusagen "Welt" in die Kunstvermittlung hinein nehmen muss. Ermert formuliert als Anspruch, was auch aus der Sicht der politischen Bildung der entscheidende Faktor ist: Kunstvermittlung muss verstanden werden als Bilden mit Kunst bzw. durch Kunst.

Unbeschadet der Auffassung, dass Kunst- und Kulturprodukte in ihrer ästhetischen Aussage auch um ihrer selbst willen geschätzt oder mindestens respektiert werden müssen, geht also die politische Bildung einen Schritt weiter und stellt die Hypothese auf, dass die Auseinandersetzung mit diesen kein rein ästhetischer Akt ist. Vielmehr impliziert die kognitive, affektive oder evaluierende Beschäftigung mit den Kunst- und Kulturprodukten bereits die Teilnahme an einem kulturellen Diskurs der Gesellschaft und somit kulturelle Teilhabe. Denkt man – und dies ist in der politischen Bildung üblich – die unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe derer mit, die sich mit den musealen Objekten auseinandersetzen, ihre je nach kulturellem Hintergrund verschiedenen Erinnerungskulturen, so wird deutlich, dass die Arbeit der Museen – ihre Ausstellungstätigkeit und ihre museumspädagogischen Aktivitäten - zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in einer Gesellschaft beitragen können, für die dieses Thema zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen geworden ist. Kulturelle Bildung im Museum hat also eine wesentliche gesellschaftspolitische Dimension.

[3] Helmut Kohl: Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation, 27. Februar 1985, in: Verhandlungen des Dt. Bundestages, 10. Wahlperiode, Bd. 131: 9017
[4] Sibylle Lichtenberger: Fragen stellten statt Antworten predigen – Zur Rolle von Kulturinstitutionen als gesellschaftliche Instanzen, in: Karl Ermert, Andreas Grünewald-Steiger, Sabine Dengel (Hrsg.): Was können wir dafür? Über Kultur als gesellschaftliche Instanz, WAT 47, Wolfenbüttel 2011, S. 90-92, hier S. 90f.
[5] beide Zitate sowie der Zusammenhang: Charles S. Maier: Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und die nationale Identität der Deutschen, Kap. 4.: Eine brauchbare Vergangenheit? Museen, Erinnerung, Identität, FFM/NY 1992, S. 152 ff.

Publikumsgerechte kulturelle Bildung in der globalisierten Moderne

Die Betonung liegt auf dem "können". Ähnlich wie die Institutionen der politischen Bildung sehen sich auch die Museen im 21. Jahrhundert vor der Herausforderung, ihre Konzepte und Strukturen an eine sich permanent transformierende Gesellschaft anzupassen.
Wie dies im einzelnen aussehen sollte und welche Konzepte Erfolg versprechen, kann nach meiner Erfahrung nur durch intensive Diskurse der Beteiligten in Erfahrung gebracht werden. Beteiligte sind allerdings – und hier kommen wir zu einem wesentlichen Aspekt meiner Argumentation – nicht die politisch Verantwortlichen oder die Betreiber der Kultureinrichtungen – jedenfalls nicht sie allein. Die Beteiligten der Zukunft müssen vielmehr diejenigen sein, die in der Vergangenheit als Rezipienten der Museumsarbeit gedacht wurden. Dies bedeutet im Klartext, dass sich zeitgemäße Ausstellungsarbeit und Museumspädagogik öffnen muss für eine aktive Teilhabe.

Sechs Anregungen aus dem Arbeitfeld der politischen Bildung

1. Lernende Kultur- und Bildungseinrichtungen werden und offene Prozesse ertragen

Unsere zeitgenössische Unsicherheit hinsichtlich unserer Bildungsziele, Bildungswege, Bildungsstrukturen und schließlich auch hinsichtlich der Werte, die wir gegebenenfalls vermitteln möchten, sollte uns nicht zu neuen Kopfgeburten anregen, sondern dazu, mit den Menschen, der potentiellen Öffentlichkeit, in Kommunikation zu treten. Wir als bpb haben uns entschieden, uns in Sachen kultureller Bildung auf völlig offene Prozesse, sozusagen Experimente einzulassen. Wir wissen zum Beispiel nicht, was passiert, wenn wir Bürger/innen die finanziellen Mittel und Kontakte verschaffen, die es Ihnen ermöglichen, Auftraggeber von öffentlichen Kunstwerken zu werden – ein Projekt, von dem ich Ihnen ein wenig später berichten werde. Wir wissen nicht, was daraus wird, wenn wir einer Schulklasse die Möglichkeit geben, sich einen Künstler – Musiker, Literaten, Architekten, Modedesigner, Film- oder Theaterregisseur – zu engagieren und mit diesem gemeinsam ein Projektdesign zu entwickeln, dessen Zielrichtung, Methoden, Formate, Dauer und künstlerische Ergebnisse sie selbst bestimmen.
Für unsere Haushaltsprüfer – Justitiare, den Bundesrechnungshof – ist es eine neue Erfahrung, Vermerke zu erhalten, die Ziele, Prozesse, Methoden und Verfahren von geplanten Projekten nicht abschließend beschreiben, sondern darum bitten, die geplanten Projekte trotz relativer Offenheit finanziell realisieren zu können. Die zwei Begründungen, die wir liefern, sind offenbar überzeugend: Erstens: wir wollen die Teilnehmenden aktivieren, die Projektdesigns selbst zu erarbeiten; zweitens: wir wollen als Behörde lernen, wie Leute motiviert an die Arbeit bzw. an die Bildung gehen.

2. Identifizieren und Erschließen von Zielgruppen

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, nicht nur Bildungsangebote für Personengruppen zu konzipieren, die wir mit unseren traditionellen Angeboten erreichen, sondern suchen gezielt nach solchen, die wir bisher nicht erreicht haben.
Beispielsweise haben wir im September 2009 in Kooperation mit dem Goethe-Institut eine Mischform aus klassisch-diskursiver Tagung mit Themen und Formaten der kulturellen Bildung durchgeführt und damit ein Publikum von rund 600 Teilnehmenden erreicht, die laut Evaluation noch niemals zuvor mit unserer Behörde oder einem Angebot der politischen Bildung in Berührung gekommen waren. Charakteristisch für die Veranstaltung unter dem Titel "Fashion@society: Mode trifft Politik. Symposium zu Modedesign, Jugendkulturen und sozialen Identitäten" war, dass es neben den Vorträgen im Plenum Freiräume für Schüler/innen, Studierende und andere Interessierte gab, die von diesen im Sinne der Thematik selbst gestaltet werden konnten. Hier stellte die Neuköllner Rütli-Schule eine Kollektion ihres selbstkreierten Labels Rütli-Wear vor, mit dem die Schüler/innen versuchen, sich von ihrem Krawall- und Gewaltimage zu befreien. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung fanden sich Nachwuchs-Modedesigner und Fotografen mit Schülergruppen zu Workshops zusammen, die Fotoreportagen erstellten zu Themen wie "Was hat Jugendkultur-Mode mit Identität zu tun?" und diese dann bei der Tagung präsentierten. Die Tagung profitierte davon, dass Themen wie Mode und Style bei "Politikfernen" hoch im Kurs stehen. Seitdem Lady Gaga mit ihren schrillen Outfits, insbesondere dem Fleisch-Kleid (aus Synthetik) Massentierhaltung anprangert, fragen Schüler ihre Lehrer in exorbitantem Ausmaß nach Arbeitsmaterial zum Thema bewusste Ernährung.

Die bpb gibt gezielt Studien in Auftrag, die sich mit den Interessen und der Lebenswirklichkeit politikferner Zielgruppen auseinandersetzen, da wir das Kriterium ‚Lebenswirklichkeit‘ als Schlüsselkategorie für die Erreichbarkeit solcher politikferner Zielgruppen ausgemacht haben, die in Ihren Kontexten wahrscheinlich eher ‚bildungsfern‘, ‚museumsfern‘ oder ‚hochkulturfern‘ heißen würden. Wir haben also das durchbuchstabiert, was sie non-visitor-research nennen und unterhalten einen Fachbereich, der sich ausschließlich mit Fragestellungen um das Thema "politikferne" Zielgruppen auseinandersetzt. Hier werden – in enger Kooperation mit unterschiedlichsten Partnern und Vertreter/innen der Zielgruppen - (soziale Unterschicht, Real- und Hauptschulen, Schulabbrecher, Migrationshintergrund) Formate entwickelt, mit deren Hilfe neue Anspracheformen getestet werden.

3. Herstellen von Bezügen zur Lebenswirklichkeit der Zielgruppen.

Das "unsichtbare" Politikprogramm der Politikfernen

Beispiel einer solchen Studie ist die beim Heidelberger Sozialforschungsinstitut Sinus Sociovision in Auftrag gegebene qualitative Pilotstudie "‘Unsichtbares‘ Politikprogramm? Themenwelten und politisches Interesse von ‚bildungsfernen‘ Jugendlichen im Alter von 14- 19 Jahren"." Auf der Basis von 36 narrativen Einzelinterviews aus einer Stichprobe von Hauptschüler/innen und Azubis mit Hauptschulabschluss - die Hälfte ohne Migrationshintergrund, die andere Hälfte mit türkischem, russischem oder anderem Migrationshintergrund (je 6/6/6) - wurden Interessen in folgenden Bereichen erhoben:

AlltagThemeninteressen allgemein
  • Lebensgefühl und Lebenssituation

  • Schule und Ausbildung

  • Familie und Freunde

  • Religion, Glaube

  • Freizeitorte

  • Gerechtigkeit

  • Exploration der Themenwelten: cool vs. Uncool

  • Eigene Stärken und Schwächen

Biografischer MigrationshintergrundPolitische Themenwelt
  • In Deutschland zuhause?

  • Unterschiede Deutschland/Herkunftsland

  • Diskriminierungserfahrungen

  • Politikwahrnehmung

  • Politikverständnis

  • Politikinteresse

  • Politische Dimensionen im Alltag

  • Interesse an Kernthemen der bpb

  • Engagement

Besonders interessiert hat uns natürlich das Verhältnis der Befragten zu politischen Themen, insbesondere das Interesse an den Kernthemen der bpb, wie politische Institutionen, politische Prozesse, Wahlen, internationale Politikthemen, Klimawandel, Ernährung und Gesundheit, Arbeitswelt, Rechtsextremismus, politische Werte etc. Die Themen wurden mit Hilfe von Bildcharts präsentiert. Zu jedem der Charts wurde gefragt: Was davon hat mit Politik zu tun? Was nicht? Warum/ Warum nicht? Wie wirkt dieses Thema auf dich? Was gefällt Dir/Was interessiert Dich daran? Was ist negativ/abschreckend? Inwiefern spielt das Thema in deinem Alltag eine Rolle. Wie Wichtig ist das Thema in Deinem Alltag?

Generell spürten die Interviewer im Vorfeld und zu Beginn der Befragung oft Skepsis und Zurückhaltung, die in Verwunderung über das Interesse an der eigenen Person und schließlich in Freude über die erfahrene Anerkennung überging. Eine hohe Aufmerksamkeit und Auskunftsbereitschaft zeigten die Jugendlichen bei Alltagsthemen; gerade auch bei sehr persönlichen Themen. Beim Thema Politik war dagegen Zurückhaltung, bei einigen auch Irritation zu spüren. Sobald die Interviewer auf politische Themen zu sprechen kamen, "entleerten sich die Akkus". Dennoch besteht ein erstes und wichtiges Ergebnis darin, dass man vor einer vorschnellen und unreflektierten Einordnung der Jugendlichen als unpolitisch und desinteressiert nur warnen kann. Vielmehr haben wir gelernt, dass ein "unsichtbares" Politikprogramm unter "Bildungsfernen" gibt. Die politische "Agenda" der "Bildungsfernen" bleibt nur dann verdeckt, legt man eine enge Definition des Politikbegriffs an. Orientieren wir uns dagegen an einem "entgrenztem" Politikbegriff, sind die Gruppen keineswegs so politikdistanziert wie gemeinhin angenommen. Aber selbst wenn man den Politikbegriff nicht entgrenzt, finden sich deutliche Spuren des Interesses und der Teilhabe am politischen Diskurs – Jugendliche sind sich jedoch schlichtweg oft überhaupt nicht bewusst, dass sie sich politisch äußern.

Institutionalisierte Politik findet jedoch nach Auffassung der befragten Jugendlichen auf einem anderen Planeten statt. Politische Begriffe, die gemeinhin als gängig eingestuft werden, stellen für "Bildungsferne" oft fachlich-abstrakte Begriffe dar, unter denen sie sich kaum etwas vorstellen können und sich folglich auch kaum dazu äußern können und möchten. Das heißt aber nicht, dass sie zu den Sachverhalten, die hinter diesen Begriffen "verborgen" liegen, überhaupt nichts zu sagen hätten bzw. sie in ihrem Alltag keine Rolle spielen würden. Die Erschließung der politischen und sozialen Themen erfolgt fast ausschließlich über unmittelbare konkret-materielle bzw. sozialräumliche Erfahrungen und nicht über das Symbolische, Übergeordnete, über intellektuelle Transferleistungen.

Dennoch: Politik läuft nach Auffassung der Jugendlichen top down. Das heißt, dass Politik grundsätzlich etwas ist, das "oben" passiert, das von anderen gemacht wird – und darüber ist man auch froh. Eigene Einflussmöglichkeiten werden generell als äußerst gering bis unmöglich eingestuft, um so mehr, je jünger man ist. Junges Alter wurde in der Befragung als Legitimationsmoment gebraucht, sich nicht engagieren zu müssen ("Politik ist etwas, das mich vielleicht später mal interessieren wird."). "Sache der Politik" sei all das, worauf die Menschen aus Sicht der Bildungsfernen keinen direkten Einfluss üben können. Sobald man selbst einen Teil beitragen kann, sieht man kaum politische Verantwortung, Beispielsweise wird Umweltschutz als nichts primär Politisches wahrgenommen, da Menschen ja Müll trennen können.

Im Politikverständnis der jugendlichen Befragten wurde Politik als etwas vom Menschen Entferntes, nichts Greifbares, sondern als etwas abstrakt symbolhaftes wahrgenommen. Bestimmte Indikatoren wie Fahne oder Rednerpult führten unmittelbar zu Desinteresse und/oder Reaktanz.

Politik sei das, was die Politiker machen – "aber was machen die eigentlich?" Was Politik genau ist, werde von anderen ("von oben") definiert. Jugendliche übernehmen diese normativen Kategorien und kommen zu dem Schluss: Wenn das Politik ist, bin ich unpolitisch. Politik hat demnach "wenig mit Menschen" zu tun. Dementsprechend erzeugen "Nachrichtenthemen" mit Ausnahmen von menschlichen Tragödien, z.B. nach Naturkatastrophen, kein emotionales Involvement . Eigene relevante Themen fänden, so die Wahrnehmung, in der Politik keine Berücksichtigung.

Einer der wichtigsten Schlüsse, die sich aus der Studie ziehen lassen, besteht darin, dass es viele Themen, die von den befragten Jugendlichen als interessant und wichtig erachtet werden; das sind fast ausschließlich Themen, die einen klaren Bezug zur eigenen Lebenswelt haben: Ausbildungsplatz, Familienprobleme, Geld, Sozialleistungen, Diskriminierung, um nur einige Beispiele zu nennen. Weiterhin konnte sogenannte "Potenzialthemen", wie z.B. Religion, Einbürgerung, Zuwanderung, Krieg, Terrorismus, (Grund-)Gesetz, ausgemacht werden. Völliges Desinteresse kam nur bei Themen aus dem Bereich der institutionalisierten oder parlamentarischen Politik auf.

Politische und soziale Kernthemen, die unabhängig vom ethnischen Hintergrund interessant gefunden werden sind z.B. Ausbildung, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Gerechtigkeit, Konsum, Drogen, Obdachlosigkeit und Alkohol. Jugendliche mit Migrationshintergrund interessieren sich besonders für die Themen Staatsbürgerschaft, multikultureller Freundeskreis, Jugendzentren, Krieg (in der Herkunftsregion) und Einbürgerung. Haben die Befragten einen muslimischen Mitgrationshintergrund, zeigen Sie Interesse an den Themen Integration, Religion, Diskriminierung und Nahostkonflikt. Auch für sie, allerdings aus einer ablehnenden Grundhaltung heraus, ist Alkohol ein Thema.

Der politischen Bildung eröffnen sich auf der Basis dieser Erkenntnisse zwei Wege der Annäherung an die politikfernen Jugendlichen: Ein Top down-Ansatz übersetzt ein politisches Kernthema der bpb in den lebensweltlichen Kontext ‚bildungsferner‘ Jugendlicher. Ein Bottom up-Ansatz greift ein Kernthema der ‚bildungsfernen‘ Jugendlichen auf und sucht nach einer Anbindung an die politischen Kernthemen der bpb. Beide Ansätze müssen in geeignete Formate übersetzt werden. Für vielversprechender halten wir Bottom-up-Ansätze, da sie die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen tatsächlich aufgreifen. Beispielsweise orientiert sich unser Heft "Was geht?" an den Formaten von beliebten Jugendzeitschriften und knüpft thematisch an den Interessen Jugendlicher, z.B. Markenklamotten an, an das die bpb ihr Kernthema – in diesem Fall Konsumverhalten - anbindet. Jugendliche können der Redaktion eigene Themenvorschläge einreichen.

Ein weiteres Beispiel für einen bottom up-Ansatz ist die für den Grimme Preis nominierte Wahl-Reportage "Sido geht wählen". Als "Erstwähler für Erstwähler" informiert der 28-jährige Rapper im Film über die Bundestagswahlen und die Möglichkeit, in Deutschland Politik zu gestalten. Um Erst- und Nichtwähler zum Gang an die Wahlurnen zu motivieren, lässt er sich durch den Bundestag führen und diskutiert mit Politikern/innen aller im Parlament vertretenen Parteien und ihren Jugendorganisationen. Bei einem Besuch im Berliner Medienzentrum erkläre ich ihm, warum Partizipation für eine Gesellschaft wichtig ist und wie man eine Partei gründen kann. Sido interessiert sich aber nicht nur für das, was Politiker denken. Neben der Politprominenz trfft er auch Kindergartenkinder, Berufsschüler und Senioren und fragt sie nach ihren persönlichen Interessen und Erwartungen an die Politik. Die Reportage richtete sich erfolgreich an eine ‚politikferne‘ Zielgruppe, Mit fast 22 Prozent Marktanteil in der jungen Zielgruppe von 14 bis 29 Jahre war "Sido geht wählen" nach Stefan Raabs "Wahl total" die erfolgreichste Sendung zu den Bundestagswahlen 2009 bei den jungen Zuschauern.

bottum up im Museum?

Die Bedeutung der Kategorie "Lebenswirklichkeit" ist besonders gut am Beispiel eines Projektes aus dem Netzwerk E-Mail Link: schule@museum zu illustrieren. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Einwanderungsgesellschaft‘ war ein von uns gerngesehenes Kriterium bei der Auswahl der Projekte für das Netzwerk, so dass sich mehrere der 15 Tandemprojekte im weitesten Sinne mit Fragen der Migration auseinandersetzen. Die Projektpartner des NRWTandems in Minden mit dem Projekt "Familiengeschichten(n). Menschen und Migration in Minden" gingen davon aus, dass aufgrund des sehr hohen Anteils von Schüler/innen mit Migrationshintergrund Migration als Thematik für die SuS interessant ist. Der Plan war, dass die Jugendlichen ihre familiären Migrationsgeschichten recherchieren, Interviews mit Verwandten führen, Familienstammbäume aufzeichnen und ihre Recherchen mit der Mindener Stadtgeschichte in Bezug setzen. Aus den Ergebnissen sollten sie eine Ausstellung im Mindener Stadtmuseum kreieren und den Grundstein für ein Jugendkulturarchiv legen. Das Projekt schleppte sich über Monate dahin; die Partner aus Schule und Museum wunderten sich über den Mangel an Motivation und Kreativität bei den Jugendlichen. Irgendwann zeigte sich, dass Migration als Thema mit der Selbstwahrnehmung der Schüler/innen fast nichts zu tun hatte und deshalb auch nicht zum Motivieren geeignet war. Die Jugendlichen wählten sich daraufhin selbst ein neues Thema und ein künstlerisches Format - Mein Minden (Fotoausstellung der städtischen Lieblingsplätze) – und fingen nun an, das Projekt mit Energie voranzutreiben.

4. Öffnung der Bildungsangebote für ernstgemeinte Partizipation

Eingangs hatte ich hergeleitet, dass es uns um kulturelle Bildung gehen sollte, die gesellschaftliche Relevanz besitzt und die dabei einen Begriff von Kultur als Soziokultur – nicht als Hochkultur – zugrunde legt. Bei dieser Forderung denke ich mit, dass der Akzent von der Rezeption zur Partizipation verschoben werden muss, obwohl die Stärkung von Rezeptionskompetenz selbstredend ein wichtiges Thema ist.

Das Projektbeispiel aus Minden zeigt, dass Partizipation einerseits unabdingbares Kriterium und Qualitätsmerkmal von kultureller Bildung ist, andererseits Partizipationsfähigkeit nicht vorausgesetzt werden kann. Auch hier sollten wir nichts postulieren, sondern Freiräume für das Austesten der Partizipationsinteressen und Projektexperimente schaffen.

Hier möchte ich von einer Kooperation berichten, die die bpb seit rund zwei Jahren mit dem Kindermuseum mondo mio! in Dortmund unterhält. Gemeinsam haben wir die Ausstellung "Weltenkinder" für Kinder im Alter von 3-6 Jahren geplant und umgesetzt. Dies ist nicht gerade die klassische Zielgruppe der politischen Bildung und wir können nicht mit sehr vielen Projekten und Kooperationen aufwarten, die sich an Kinder im Vorschulalter richten.

Wir haben bereits aus dem Prozess des Zustandekommens der Ausstellung sehr viel für unsere Arbeit gelernt. Für die Konzeption wurden Eltern in fünf Dortmunder Kitas (Dortmunder Norden, sozialer Brennpunkt) eingeladen, um sich mit Künstler/innen an einen Tisch zu setzen und über Fragen von Heimat und Fremde, Ausgestoßensein und Dazugehören, Fliehen und Ankommen, Identität, Kultur, Herkunft und Zukunft zu sprechen. Ich hatte die Hoffnung, dass sich Menschen finden, die daran mitarbeiten wollen, die Themen gemeinsam in eine Ausstellung zu übersetzen. Dass dieses Angebot aber derartigen Zuspruch fand, wie es in diesem Fall geschehen ist, war sehr eindrucksvoll. Die einzelnen Gruppen haben sich viel öfter als geplant getroffen und die Ergebnisse sind, wie seit Februar in Dortmund zu sehen, sehr berührend. Diese Arbeitsweise ist beispielgebend: Diejenigen, um die es in der Ausstellung gehen soll und die auch als Besucher angesprochen werden sollen, wurden an der Entstehung beteiligt; Menschen unterschiedlicher Altersklassen sowie sozialer und kultureller Herkünfte wurden zur kreativkünstlerischen und diskursiven Auseinandersetzung mit Themen, die sie bewegen und betreffen, angeregt. Sie konnten ihre kulturellen Wurzeln, ihre Herkünfte und ihre aktuellen Lebensbedingungen reflektieren und sich schließlich auch ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder in dieser Gesellschaft bewusst werden. In einem solchen Prozess erkennen wir emanzipatorische Potentiale; eine kreative Auseinandersetzung mit Fragen, die die eigene Lebenswirklichkeit berühren kann auch gesellschaftliche Kompetenz stärken und zu einem positiven sozialen Miteinander beitragen. Dies ist auch gerade in einer Stadt wie Dortmund, in der schon heute jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, ein wichtiger Aspekt. Interkulturelle Kompetenzen, wie sie durch die Weltenkinder-Ausstellung vermittelt werden, sind zukunftsweisend für ein funktionierendes und konfliktreduziertes Zusammenleben. Da sowohl die Ausbildung von Werten als auch die Entstehung von Vorurteilsstrukturen bereits im Lebensabschnitt vor der Grundschule angelegt werden, ist es sehr wichtig, dass Kinder den Wert und die Bedeutung anderer Kulturen erkennen und diesen mit Achtung und Respekt begegnen. Ein Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen, der alle Generationen einbezieht, trägt auch dazu bei, sich der eigenen Werte und Einstellungen bewusst zu werden und zu reflektieren, wie man von anderen wahrgenommen wird. Es gilt Gemeinsamkeiten zu finden und Unvereinbares zu akzeptieren. Interkulturelles Lernen fördert Toleranz, Offenheit und Empathie - freiheitliche Werte also, die einen wesentlichen Teil der Substanz unserer Demokratie ausmachen.

5. Öffnung für neue Partner oder die Suche nach (ungewöhnlichen) Komplizen

Vergangene Woche hat in Berlin eine gemeinsame Tagung der KMK und der bpb zum Thema "Kulturelle Bildung im Lebensverlauf. Eröffnung neuer Möglichkeiten für Unterricht und Schule?" stattgefunden, auf der das Projekt E-Mail Link: schule@museum in Form eines Workshops vorgestellt wurde. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer/innen des Workshops eine besondere Qualität in dem Vorhandensein eines "3. Partners" erkannten, wie es ihn bei E-Mail Link: schule@museum gibt: Neben der Schule und dem Museum gibt es den Steuerungskreis und die Bildungspartner sowie die regelmäßig veranstalteten bundesweiten Treffen zu Entwicklerworkshops. Dies schafft Räume, in denen nicht alleine die Spielregeln von Schule oder von Museum gelten, sondern beide sich verschränken müssen. Außerdem kommt Verbindlichkeit in die Projektarbeit: ohne Gesichtsverlust kommt keiner der Beteiligten aus der Sache raus.

Um dem Projektgeschehen kreative Impulse zu geben, kann es sinnvoll sein, ungewöhnliche Partner zu suchen. Beispielsweise kann ein Theaterregisseur, ein Drogenberater oder ein Sozialarbeiter neue Ideen ins Museum bringen. Um die Nachhaltigkeit von Projekten zu befördern, kann es sinnvoll sein, lokale Bündnisse zu schmieden. Vielleicht ist es möglich, die Stadtwerke oder die Sparkasse dazu zu bekommen, jährlich die Fahrtkosten für eine Klasse zum Museum zu finanzieren. Vielleicht übernimmt ein lokaler Bäcker die Verpflegung für eine Projektgruppe. Möglicherweise bezahlt die Stadtverwaltung die Materialien für eine Schülerausstellung.

6. Methoden der Wiederherstellung von Öffentlichkeit

Eingangs hatte ich implizit die These aufgestellt, das Öffentlichkeit ein konstitutives Element von Museen ist. Museen sollten daher in ihren kulturellen Bildungsstrategien nach Wegen suchen, um Foren für Kommunikation und Austausch von Menschen zu öffnen. Sie sollten sich der Themen dieser Menschen annehmen und ihnen möglichst kompetente Partner an die Seite stellen, die ihnen helfen, ästhetische "Lösungen" für ihre Anliegen zu finden. Wie ich das meine, möchte ich an dem bereits eingangs angesprochenen Projektbeispiel "Die neuen Auftraggeber" erläutern, das zwar nicht in dieser Form auf die Museumsarbeit übertragbar ist, aber deutliche Schnittstellen aufweist:

Seit Beginn des Jahres 2010 unterhält die bpb eine Kooperation mit dem Verein ‚Die Neuen Auftraggeber Deutschland‘. Dieser Verein ist Teil eines Europäischen Netzwerkes, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine neue Art der europäischen Öffentlichkeit zu schaffen. Das Programm der Neuen Auftraggeber sieht vor, dass Bürger/innen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Anliegen, Themen oder Konflikte in Zusammenarbeit mit Vermittlern aus der Kunstszene, politischen Bildnern und Künstler/innen zu diskutieren und schließlich in Form von künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum zu verwirklichen. Die Bürgerinnen und Bürger werden selbst - unabhängig von ihren finanziellen Mitteln, Bildungsstand oder sozialem Status – in den Stand versetzt, Auftraggeber solcher Kunstprojekte zu werden. Für gesellschaftspolitische Fragen werden also ästhetische Annäherungen gesucht. Ausgangspunkt jedes Projektes ist eine in sozialräumlicher Hinsicht interessante Konstellation: Ein Stadtquartier, das als ‚sozialer Brennpunkt‘ gilt, ein von Abwanderung im Zeichen des demographischen Wandels betroffenes Dorf, ein Umbau eines Stadtviertels durch öffentliche oder private stadtplanerische Aktivitäten.

Das vielleicht plakativste Beispiel unter den 2010 angelaufenen Projekten der Neuen Auftraggeber ist die Initiative des Kultur- und Pilgervereins Klein-Liebenau nahe Leipzig. Klein-Liebenau hatte bis vor kurzem etwas über 50 Einwohner. Aufgrund einer Umsiedlung eines nahe gelegenen Dorfes wegen eines Flughafenbaus sind weitere 100 Bewohnerinnen dazu gekommen, die zum Teil auf dem Gelände eines abgerissenen mittelalterlichen Rittergutes neu gebaut haben. Erhalten wurde die kleine und sehr schöne Kirche des Rittergutes, die der Kultur- und Pilgerverein nach der Wende für den symbolischen Preis von einem Euro erworben und sich verpflichtet hat, innerhalb von 10 Jahren weitere 75.000,- Euro in die Restaurierung zu investieren.

Nach dem Zuzug der neuen Bewohner wollte der Kultur- und Pilgerverein einen Beitrag zur Entstehung einer neuen Dorfgemeinschaft leisten. Durch einen Zufall erfuhren sie vom Programm Neue Auftraggeber, das in Sachsen in den Händen der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig liegt. Barbara Steiner, die Direktorin der Galerie, traf sich mehrfach mit den Bürger/innen, um über ihr Anliegen zu diskutieren. Es wurde deutlich, dass die Bürger/innen kein Kunstwerk für die Kirche wollten, die selbst schon Kunstwerk ist. Sie waren vielmehr an der Gestaltung eines öffentlichen Platzes bei der Kirche interessiert, die bisher in einem unbefestigten, sumpfigen Gelände steht. Barbara Steiner schlug den Bürger/innen die Landschaftskünstler des Pariser Ateliers le balto für die Ausführung vor, die seit einigen Jahren in Berlin sehr interessante Gartenprojekte durchführen (Bericht in der Süddeutschen vom Montag, 6. Juli). Le balto entwarfen ein Konzept, das die Kirche auf eine Art "silbernes" Tablett aus Holz stellt, wodurch sich nach drei Seiten neue Räume eröffnen. Nach vielen Sitzungen, an denen vom 14-jährigen Schüler bis zur 86-jährigen Rentnerin jeweils 40-60 Bewohner/innen teilnahmen, wurden le balto von den Klein-Liebenauern beauftragt. Die Umsetzung wird als Gemeinschaftsaktion von Bürgern und Künstlern während des letzten Sommers in die Hand genommen.

Qualitätskriterien für kulturelle Bildungsprojekte

Aus dem Beispiel NA lässt sich nicht nur etwas zum Thema (Wieder-)Herstellung von Öffentlichkeit lernen, sondern eine Vielzahl von weiteren Qualitätsmerkmalen von kulturellen Bildungsansätzen ableiten:

  • Es gelingt eine Aktivierung von Bürgerinnen Auseinandersetzung mit ihrer sozialräumlichen Umgebung. Die schließt auch eine Reflexion ihrer gesellschaftlichen Lebensbedingungen, der Herkunft, der kulturellen Hintergründe und schließlich der gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft des jeweils betreffenden Sozialraumes (Stadt, Stadtquartier, Dorf) ein.

  • Die Bürger erfahren die durch sie initiierte künstlerische Intervention als freiwillige gesellschaftliche, im Idealfall gesellschaftspolitische Aktion und können dadurch im Idealfall ein nachhaltiges Interesse und/oder Engagement für die sozialen und politischen Belange der Gemeinwesen entwickeln.

  • Die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten vor Ort macht emanzipatorische Potentiale sichtbar und kann als wertvoller Beitrag zur Entwicklung der persönlichen und der sozialen Identität betrachtet werden. Darüber hinaus werden in der Projektarbeit dialogische, demokratische sowie soziale Kompetenzen gestärkt, die dazu befähigen, sich an demokratischen (Entscheidungs-)Prozessen zu beteiligen.

  • Die im Programm angebotenen Formate bieten den Teilnehmenden Gelegenheit sich über die Grenzen sozialer und kultureller Milieus hinweg mit sozialer Differenz und Fremdheit fruchtbar auseinanderzusetzen. Ziel ist die Anerkennung der Spannung von integrativen und nicht-integrativen Elementen moderner Gesellschaft.

  • Es wird eine Kunstproduktion befördert, die nicht in den Händen weniger liegt, sondern jede Bürgerin und jeder Bürger kann potentiell als verantwortlicher Produzent künstlerische Werke beauftragen. Weiter wird die Dichotomie zwischen renommierten Hochkunstprojekten und soziopolitisch motivierten Kulturprojekten/Breitenkultur aufgehoben. Es entstehen qualitativ hochwertige Kunstprojekte mit gesellschaftlichen Anliegen.

  • Wenn wir bereit sind, das Geschehen innerhalb der NA-Projekte als Bildung zu deuten, verschieben wir auch den Fokus weg vom individuellen Bildungserlebnis hin zu einem sozial vermittelten Prozess der (Selbst-)Bildung, auf dessen Inhalte und Verlauf die Beteiligten einen maßgeblichen Einfluss haben.

Warum müssen wir Scheitern zulassen? Wann ist Scheitern ein Qualitätsmerkmal?

In Ihrer Projektpraxis haben Sie wahrscheinlich oftmals die Erfahrung gemacht, dass Projekte nicht richtig anlaufen, stocken, unterfinanziert sind. Die Luft ist raus, Leiter und Teilnehmende sind unmotiviert, das Thema interessiert niemanden, die Beteiligten können sich plötzlich nicht mehr ausstehen etc. Im schlimmsten Fall wird das Projekt abgebrochen, alle gehen ihrer Wege, die ganze Sache wird vor den Geldgebern schöngefärbt.

Wann kann solchem Scheitern trotzdem Qualität abgewonnen werden? Dies kann geschehen, wenn aus den Problemen die richtigen Schlussfolgerungen – im Idealfall von den Beteiligten gemeinsam – gezogen werden. Noch besser ist es, wenn die Partner im Sinne von Trial and Error neue Anläufe nehmen, neue Unterstützer suchen, in thematischer Hinsicht umschwenken und ihre Kooperationsstrukturen überdenken.

Viele der Projekte, von denen ich berichtet haben, mussten mehr als einen Stolperstein aus dem Weg räumen, bevor sie zu "Erfolgsgeschichten" wurden. Wenn wir nicht nur den Aspekten "Lernziele" oder "Ästhetische Qualität" Beachtung schenken, sondern einsehen, dass sich aus holprig ablaufenden Prozessen sehr viel für die Perspektiven der kulturellen Bildungsarbeit im 21. Jahrhundert ableiten lässt, können wir Flexibilität in unsere teilweise festgefahrenen Strukturen bringen. Denken Sie beispielsweise an die Berliner Lehrpläne, die Kompetenzen als Lernziele festschreiben, nicht aber die Wege, die beschritten werden können, um die Kompetenzen zu vermitteln. Das öffnet der kulturellen Bildung neue Räume.

Was haben wir von alledem? Warum sollten wir uns über neue Ansätze in der kulturellen Bildungsarbeit Gedanken machen, wenn wir heute noch volle Häuser und gut besuchte Ausstellungen haben?

Wir trauen – das habe ich erläutert - den Methoden, die an der Schnittstelle von politischer und kultureller Bildung liegen, ein hohes Potential dahingehend zu, dass sie Menschen den Weg zu gesellschaftlichem und politischem Engagement öffnen können und sich diese auch den schwierigen oder problematischen Aspekten von Gesellschaft annehmen. Ein Rezept, nach dem Muster "wenn A, dann B", liegt dieser Vermutung aber nicht zugrunde. Es ist vielmehr von einer völligen Offenheit der Ergebnisse auszugehen und es erscheint empfehlenswert, diese Offenheit angesichts des aktuellen Trends der Angleichung von Bildungsstrukturen und der Standardisierung von Wissen als hohe Qualität zu begreifen. Einige werden die angebotenen Wege als ihre begreifen, andere setzen ihre Maßstäbe anders.
Eine Gesellschaft lebt auch davon, dass es manchen ihrer Mitglieder gelingt, Neues, Unangepasstes, Originelles, Kreatives zu denken und Zukunftsentwürfe zu wagen. Dafür sollten pädagogisch geschützte Räume geschaffen und institutionalisiert werden Die Museen erscheinen mir dafür besonders gut geeignet: zum einen hat der von ihnen gebotene Raum einen Doppelcharakter als sowohl öffentlicher Raum als auch außerschulischer pädagogischer Raum. Zum anderen geben die Sammlungen, die ausgestellten oder archivierten Artefakte Anschauungen nicht nur des "Typischen", sondern insbesondere auch des Singulären, des Außergewöhnlichen, des Abweichenden, des Herausragenden und des Genialen. Anknüpfend an Walter Benjamin möchte ich sagen, dass man sich in diesen Tagen nicht auf das verlassen kann, was man kann. Die Stärke liegt vielmehr in der Improvisation. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden und diese wird nun mal in der kulturellen Bildung geschult.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten