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Eine Renaissance der öffentlichen Kultur ist möglich Grußwort von Thomas Krüger zur Eröffnung des 6. Kulturpolitischen Kongresses am 09.06.2011 in Berlin

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Grußwort von Thomas Krüger zur Eröffnung des 6. Kulturpolitischen Kongresses am 09.06.2011 in Berlin.

Sehr geehrter Herr Staatsminister Neumann, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Ausgangssituation ist ambivalent. Auf der einen Seite sehen wir neue Dynamiken in den Medienkulturen, Aufbrüche mithilfe und in Anwendung digitaler Plattformen, den arabischen Frühling, guttenplag wiki, wikipedia, wikileaks und vieles mehr. Wir sehen eine Jugend, die diese neuen Möglichkeiten massenhaft ergreift und faszinierende Anwendungen für sich entdeckt und z.T. selbst entwickelt hat, neue Formen des Lernens, des Veröffentlichens und Verbreitens von Informationen, Artefakten und Debatten. Wir beobachten eine weltweite Agora kulturellen Austauschs und können ein aktiver Teil dessen sein – das sind faszinierende Szenen eines allgemeinen Aufbruchs mithilfe der digitalen Medien.

Auf der anderen Seite gibt es eine bewahrpädagogische Duldungsstarre der etablierten Institutionen in Medien, Bildung, Kultur und Politik, nicht überall, aber doch nicht zu übersehen. Herr Schirrmacher hat diesem geistigen gerontokratischen Verhaltensmuster gleich das Manifest der öffentlichen Akzeptanz und des Stolzes auf die eigene Überforderung als literarischen Bestseller mitgeliefert. Auch in der Kultur der öffentlichen Debatten der Kulturfunktionäre ist immer wieder eine "noblesse oblige" der medienkulturellen Ignoranz an der Tagesordnung. Und die Hoffnung, "es möge doch bitte alles bald wieder vorbei sein mit dem neumodischen Zeug", bildet das halböffentliche Hintergrundrauschen vieler Debatten. Hinzu kommt eine permanente Vernachlässigung der öffentlichen Infrastrukturen – zahllose kommunale Kultureinrichtungen, viele Schulen und Universitäten haben seit Jahren ein strukturelles Finanzierungs- Investitionsdefizit in Milliardenhöhe. Wir können unser Lied singen von der Austeritätspolitik des Kaputtsparens: Rettungsschirme für Banken und Sparpakete für die öffentlichen Institutionen bilden eben eine bittere Melange.

Und noch etwas sollte uns Sorgen machen: wenn die Dynamik der Entwicklung in den digitalen Medienkulturen fast ausschließlich von privatwirtschaftlichen Unternehmen forciert wird, also entlang der profitorientierten Verwertungskalküle auf dem freien Markt und Wettbewerb stattfindet, ist das eine in sich hohle Dynamik. Dem Kapital ist es egal, woher der Profit kommt, Hauptsache er kommt. Und Würde jedenfalls – "Die Würde des Menschen ist unantastbar" da war doch was? – ist keine vorrangige Kategorie, die auf dem Markt eine feste und etablierte Rolle spielt.

Wir erleben dabei eine grundlegende Verengung und Eingrenzung. Eine andere, bunt schillernde, Vernachlässigung und Verwahrlosung des öffentlichen Raumes, ein Zurückdrängen aller nicht gewinnorientierten Formen der Gemeinschaftlichkeit, der Allmende. Wir werden alle "mall rats", Werbeträger, Zielgruppe und können uns dann aussuchen unter welcher Wolke wir leben wollen, Google oder Apple, Facebook, Yahoo usw. Vielen Dank auch! Und doch, meine Damen und Herren – eine digitale Renaissance bzw. eine Renaissance der öffentlichen Kultur ist möglich, gerade mithilfe und in Anwendung der digitalen Technologien und Medien. Und sie ist nötig wie nie.

Verstehen sie mich nicht falsch, das Glas ist halbvoll, nicht halbleer! Wie ist diese von mir behauptete digitale Renaissance möglich? Aus meiner Sicht brauchen wir eine dreifache Öffnung:

  1. Öffnung der Institutionen und ihrer Akteure für die digitalen Medienwelten/Kulturen

  2. Öffnung der Institutionen für ihre Nutzer und Partner

  3. Öffnung der gesellschaftlichen Debatte für die Frage nach dem öffentlichen Raum im 21. Jahrhundert, auch und gerade in digitalen Medienkulturen

Wenn uns diese Öffnungen gelingen und zwar dauerhaft, können wir die kulturellen und geistigen Kräfte entfesseln und so den Ideen und Werken einer neuen digitalen Renaissance die ihnen gemäßen Plattformen zu ihrer Verwirklichung geben. Und wir können wieder Ernst machen mit Hoffmanns und Glasers Motto "Kultur für alle" – ein Motto, dem sich ja auch die KuPoGe verpflichtet weiß.

Ich möchte kurz anhand einiger sehr praktischer Fragen skizzieren, wie aus meiner Sicht diese notwendige Öffnungen begonnen und auf dieser Tagung diskutiert werden können. Die erste Frage richtet sich zuerst an uns selbst: Was können wir als kulturelle und öffentliche Institutionen und Akteure mit digitalen Medien FÜR unsere Nutzerinnen und Nutzer tun? Wäre es nicht zwingend erforderlich, dass wir uns daran machen, die zum Teil immer noch verschlossenen Reservoirs unserer Einrichtungen in die digitalen Medien zu öffnen (Depots der Museen, der Bibliotheken, des Backkatalogs von Theatern, die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten u.v.a.)? Warum schaffen wir nicht ein neues öffentliches, nicht kommerzielles und frei zugängliches digitales kulturelles Universum? Zugespitzt würde dies solche Fragen nahelegen: Warum stehen die Mitschnitte öffentlicher Konzerte der Berliner Philharmoniker, die mit Steuergeld unterstützt werden, nicht frei zugänglich im Netz? Warum kann ich nicht alle gemeinfreien Bücher frei im Netz lesen und studieren? Warum soll mit der Bereitstellung der Eigenproduktionen der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten von kleinen Ausnahmen abgesehen eigentlich zwingend nach sieben Tagen Schluss ein?

Und daran anschließend gefragt: Wie können wir selbst oder in vernetzen Plattformen gemeinsam mit unseren Nutzerinnen und Nutzern neue Formen der Darstellung und der Vermittlung kultureller Themen und Werte entwickeln?

Eine zweite Fragerichtung ist die nach der Gemeinschaftsbildung öffentlicher Akteure: Was können kulturelle Institutionen und Akteure mit digitalen Medien MIT ihren Nutzerinnen und Nutzern tun?

Wir haben es gerade bei jüngeren Menschen mit einer medienaffinen und medienaktiven Generation zu tun. 96 Prozent der Jugendlichen sind online, das stellte die jüngste Shell Studie 2010 fest (Shell Studie 2010 S. 101). Sie sind in Web 2.0-Netzwerken aufgewachsen, vernetzt und bereit sich zu äußern und zu beteiligen und genau hier zeigt sich insbesondere die Wahlverwandtschaft zur politischen Bildung. Für uns als Anbieter heißt das, die Nutzer als Partner und Teil-Souveräne noch ernster als bisher zu nehmen, sie anzunehmen und zu fordern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Möglichkeit für die Nutzerinnen und Nutzer, auf die Angebote digital zugreifen zu können und selbst damit zu agieren. Als Frage formuliert: "Wie können wir eine freie Zugänglichkeit für eigene Aneignungsformen der Nutzerinnen und Nutzer herstellen? Stichworte sind hier "open data", also offene Datenstandards, "open access", Rechtefreiheit z.B. in Form von creative commons Lizenzen etc. "Mehr Freiheit wagen" war das Motto der jetzigen Kanzlerin beim Amtsantritt. Ich würde das gern auch im Sinne der Befreiung der öffentlichen Institutionen für die eigenverantwortliche Nutzung durch die Vielen, im Sinne von "Remix" bzw. "mash up" produktiv verstehen wollen.

In der politischen Bildung suchen wir nach Wegen, wie Bürgerinnen und Bürger stärker an ihrer Gesellschaft teilhaben. Es geht uns um Auseinandersetzung und Engagement, Aktivierung und Partizipation, im Großen wie im Kleinen, kurz: um Beteiligung. Unsere Rezipienten, Besucher, Gäste, Teilnehmer etc. sind keine bloßen Kunden, sie sind unser Souverän. Wir fragen uns in diesem Sinne: Wie können wir Formen der Beteiligung, der sozialen Intelligenz und Gemeinschaftsbildung im Sinne kollaborativer Szenarien entwickeln, die unsere Anliegen stärken aber damit auch unser öffentlichen Ansehen und unsere Durchsetzungskraft stärken? Wäre nicht ein Weg, dass wir von Solitären zu aktivierenden und vernetzenden Plattformen werden?

Kleine Ergänzung am Rande: im Unterschied zu den meisten privatwirtschaftlichen Konzernen unterliegen wir einer transparenten öffentlichen Kontrolle, für uns als bpb z.B. gilt das Informationsfreiheitsgesetz. Für facebook, twitter, Google, Apple etc. muss so etwas erst noch erkämpft werden.

Die dritte und letzte Fragerichtung betrifft die Vernetzung öffentlicher Akteure untereinander: Was können kulturelle Institutionen und Akteure in digitalen Medien mit ihren Partnern, alten wie neuen, tun?

Millionen Menschen gehen allein in Deutschland Tag für Tag in öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Theater, Musikschulen, Konzerthäuser, Hochschulen und Universitäten, Schulen – alles Einrichtungen, die sogenannten "Content" haben und erzeugen. Also Informationen, Werte, kulturelle und wissenschaftliche Werke vermitteln, aufführen und bewahren. In diesen Einrichtungen arbeiten in Deutschland hunderttausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine Macht, meine Damen und Herren – allerdings eine ungeborene, weil nicht organisierte und sich selbst nicht bewusst gewordene. Als Teil des als solchen noch gar nicht etablierten "öffentlich-rechtlichen Komplexes" muss bei den kulturellen und anderen öffentlichen Institutionen der strukturelle Minderwertigkeitskomplex abgelegt werden, der z.B. gegenüber den dynamischen kommerziellen Medienkonzernen zu beobachten ist. Oder wieder als Frage formuliert: Wie können wir uns über nationale und Branchengrenzen hinweg vernetzen, abstimmen, Bündnisse bilden? Brauchen wir nicht eine "Bildungs- und Kulturlandschaft 2.0"? Das reicht von offenen Datenstandards, Fragen des Umgangs mit persönlichen Daten, der Etablierung gemeinsamer technischer und medialer Netzwerke und Plattformen, permanentem Wissenstransfer, best practice Austausch bis hin zu gemeinsamen Interessenvertretungen in der Hauptstadt u.v.a.m. Es gibt das ja schon in Ansätzen – die Europeana ist so ein Versuch, die deutsche digitale Bibliothek ein weiterer – aber wir brauchen hier eine ganz andere Dynamik. Warum dauert es so lange und warum scheitert es immer wieder?

Und – wenn Apple eine schöne neue Welt der cloud (Datenwolke) baut, und Google und wer sonst auch immer – wo ist eigentlich die deutsche, europäische oder weltweite nicht kommerzielle, freie Datenwolke der Bildung und Kultur? Wer baut daran? Und wer warum nicht?

Und noch etwas: wie kommen die vielen kleineren und mittelgroßen kulturellen Akteure, die einmal "digitale Boheme" genannt wurden, hier auf einen grünen Zweig? Wie können wir das in positivem Sinne verschwenderische aber zum auch Teil ineffiziente "Paradies" des öffentlich-rechtlichen Journalismus zum Beispiel stärker öffnen? Wie können wir würdige und vertretbare soziale und Vertragsstandards für Autorinnen, Künstler und Kulturschaffende etablieren? Wo ist die digitale Künstlersozialkasse 2.0? Was und wo ist der Mindestlohn für das digitale Prekariat?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die von mir hier aufgeworfenen drei Fragekomplexe können nur andeuten, worum es im Grundsatz geht: Das gesamte Institutionengefüge des medialen, Bildungs- und kulturpolitischen Raums muss in den nächsten Jahren neu justiert werden. Und die Widerstände werden erheblich sein. Aber es hilf alles nichts: Nur wenn wir uns diesen Fragen viel energischer stellen, kann die potentielle Bedeutung der öffentlichen Kultur und Bildung das notwendige politische Gewicht und die geforderte innere Dynamik zur eigenen Modernisierung gewinnen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen an Fragen reichen Kongress und freue mich auf die Antworten,die wir gemeinsam finden, hier im Rahmen des Kongresses oder dort, worüber wir in den kommenden Stunden reden werden: im Netz!

Ich gebe das Wort nun an Claudia Henne. Sie ist Redakteurin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und wird Sie heute und morgen auf gewohnt professionelle Weise durch die einzelnen Programmpunkte begleiten.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten