Interview von Thomas Krüger mit der Tageszeitung DIE WELT, Berlin, erschienen am 28.10.2011
Politische Gewalt, die sich in brennenden Autos, Anschlägen auf die Bahn und Angriffen auf Polizisten manifestiert, sollte im Unterricht an den Schulen behandelt werden, fordert Thomas Krüger (SPD), Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Gerade in einer Stadt wie Berlin sei Prävention durch Aufklärung unerlässlich, so der frühere Berliner Familiensenator im Gespräch mit "Welt"-Reporterin Eva Lindner. Wie aktuell das Thema in der Hauptstadt ist, zeigte sich erneut in der Nacht zu Donnerstag: In Neukölln konnte ein mutmaßlicher Brandstifter festgenommen werden. Der 19-Jährige war an der Schierker Straße von Passanten beobachtet worden, als er einen am Straßenrand geparkten Mercedes in Brand setzte. Ob der mutmaßliche Brandstifter aus politischen Motiven handelte, ist noch unklar.
DIE WELT: Herr Krüger, wie kann man präventiv gegen politisch motivierte Gewalt vorgehen?
Thomas Krüger: Zunächst einmal muss man unterscheiden, wo der Verfassungsschutz und die Polizei eingreifen müssen, um Gefahren abzuwehren, und wo die politische Bildung präventiv ansetzen kann. Um erfolgreich gegen Gewalt vorzugehen, darf man die noch zu erreichenden Menschen nicht von vornherein ausgrenzen, sondern muss versuchen, durch Diskussionen Einfluss zu nehmen.
Wie kann man Jugendliche motivieren?
Ich verfolge immer einen Leitgedanken: Jungen Menschen muss aufgezeigt werden, dass eine Beteiligung an der Demokratie möglich ist. Man muss darum gewalttätige Übergriffe strikt von Kritik an der Gesellschaft trennen. Junge Menschen sollen und dürfen der Gesellschaft und unserem demokratischen System kritische Fragen stellen. Wir brauchen kritische Geister und dürfen sie nicht verdammen. Nicht jede besonders kritische Position ist automatisch linksextrem. Aber kriminelle und gewalttätige Muster wie "Ich kenne die Wahrheit und wer die nicht teilt, dessen Auto wird verbrannt oder dessen Geschäft wird beklaut" sind inakzeptabel.
Wer sollte darüber aufklären?
Das ist in erster Linie Aufgabe der Schulen. Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der linke Militanz vergleichsweise stark vertreten ist, muss sich die Schulpolitik darum kümmern. Gewalttätige Übergriffe sollten im Lehrplan thematisiert und Diskussionsangebote gemacht werden. Aber auch in Sportvereinen können Trainer darüber sprechen, wie man auf bestimmte Parolen richtig reagiert. Als drittes muss gerade in einer Universitätsstadt wie Berlin auch auf akademischem Niveau darüber geforscht und diskutiert werden. Die politische Bildung kann in allen Bereichen mit ihren bereits bestehenden Angeboten wie Publikationen, Veranstaltungen und Trainings sensibilisieren und unterstützen.
Vor dem 1. Mai halten Polizisten in Berlin so genannte Gefährderansprachen an Schulen. Dabei wird unter anderem darüber aufgeklärt, was einem juristisch droht, wenn man mit Steinen wirft. Hilft das?
Die Präventionsprojekte der Polizei sind sinnvoll und dafür da, Jugendliche über Konsequenzen zu informieren. Politische Bildung will aber direkt an den Überzeugungen der Jugendlichen anknüpfen. Sie müssen in ihrer Kritik an der Politik ernst genommen werden. Ideologie allein ist dabei nicht das Problem. Die freie Meinung ist wie auch bornierte Dummheit schließlich durch das Grundgesetz geschützt. Aber wenn aus Dummheit Militanz wird, muss interveniert und eingegriffen werden.
Wie genau?
Fehlende Akzeptanz führt auch zu Radikalisierung. Gewalttätige Motive müssen aufgebrochen werden, indem die jungen Menschen motiviert werden, die Gesellschaft mit friedlichen Mitteln zu verändern und sich beispielsweise in Nichtregierungsorganisationen zu engagieren. Dadurch investiert man in ein freiheitlich demokratisches System.
An welchen Schulen muss präventiv gearbeitet werden?
Zielgruppen sind nicht nur bildungsbenachteiligte Milieus. Die Akteure rechnen sich selbst oft einer politisch gebildeten Schicht zu. Linke Militanz ist bei den unter 18-Jährigen zwar eher selten, aber politisch motivierte Gewalt sollte schon thematisiert werden, bevor es überhaupt dazu kommt. Dominant bei Ausschreitungen ist dann eher die Gruppe der 20 bis 25-Jährigen.
Wie muss man innerhalb der Linksextremisten unterscheiden?
Die Szene ist sehr heterogen und weist in der Tat verschiedenste Strömungen und Gruppierungen auf, und man muss genau hinschauen, wer sich dahinter verbirgt. Allein die KPD kommt beispielsweise in drei verschiedenen Formationen vor und ist nicht homogen. Es gibt die Kommunistische Partei Deutschland in Berlin, die Kommunistische Partei Deutschlands in Dortmund und die KPD Marx/Lenin in Magdeburg, andere kommunistische Parteien noch nicht einmal mitgezählt. Die extreme Linke ist kein einheitlicher Block, aber sie hat neben ihrem in aller Regel kollektivistischen Menschenbild die Vorstellung gemeinsam, dass Gewalt ein legitimes Mittel politischer Aktionen ist. Deshalb spreche ich lieber von linker Militanz statt von Linksextremismus.
Was müssen die Länder tun, um gegen linke Gewalt vorzugehen?
Auch hier muss man sehr genau analysieren, wer und wo genau die Zielgruppe ist. In den neuen Bundesländern findet man linke Militanz eher in den größeren Städten, auf dem Land gruppieren sich dagegen rechtsextreme Gruppierungen. Die Aktivitäten sollten deshalb da konzentriert werden, wo sie Sinn machen. In Berlin ballt sich die linke militante Szene. Hier gibt es Bedarf. Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Landeszentralen der Bundesländer sind zum einen relativ dürftig mit öffentlichen Mitteln ausgestattet und haben zum anderen wenig belastbare Erfahrungen, da der Linksextremismus lange Zeit wissenschaftlich vernachlässigt wurde. Salopp gesagt: Das Thema ist unterforscht.
Muss mehr Geld zur Verfügung stehen?
Ja, jenseits der Präventionsprojekte durch die Polizei haben wir noch zu wenig fachlich erfahrene Ausbilder in der schulischen und außerschulischen Bildung. Gerade für den Einsatz von Sozialarbeitern, Schulungen für Lehrer und Sporttrainer und unkonventionelle Projekte, wie Präventionsarbeit in Haftanstalten muss kontinuierlich mehr Geld in die Hand genommen werden. Zurzeit wird jedoch in der politischen Bildung aufgrund der Haushaltslage gespart.
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